[3.3.2020] Weil die konventionelle Stromerzeugung, etwa durch den Kohleausstieg, zurückgeht, ist die Stabilität der Stromnetze ohne Gegenmaßnahmen künftig nicht mehr uneingeschränkt gesichert. Das zeigt eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI).
Der Kohleausstieg hat viele Wirkungen, unter anderem auf die Strompreise, den CO2-Ausstoß und den Strommix in Deutschland. Und es gibt weitere Folgen, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen. Der Kohleausstieg beeinflusst auch die Stabilität der Stromnetze. Denn die Trägheit der konventionellen Kraftwerksgeneratoren sorgt mit dafür, dass die Frequenz von 50 Hertz gehalten wird. Wenn ein Kraftwerk ausfällt, dämpft diese Momentanreserve die Frequenzabweichung aufgrund des Leistungsungleichgewichts zwischen Erzeugung und Last, das wegen des Ausfalls entsteht. Dies verschafft der Primärregelleistung Zeit zur Aktivierung, um das Leistungsungleichgewicht wieder ausgleichen zu können. Damit werden kritische Netzzustände vermieden, die im schlimmsten Fall zu Stromausfällen führen können.
Aktive Maßnahmen
Ein Team des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) hat nun gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen ef.Ruhr untersucht, wie sich der Kohleausstieg in Deutschland auf die Momentanreserve im Energieversorgungssystem auswirkt. Die im Auftrag von Siemens erstellte Studie zeigt: Um die Frequenzstabilität des Energieversorgungssystems auch im Jahr 2040 zu gewährleisten, sind die dann noch aktiven konventionellen Kraftwerke nicht ausreichend. Es müssen aktiv Maßnahmen zur Steigerung der Momentanreserve und der Frequenzstabilisierung getroffen werden.
Mithilfe des EWI-eigenen Modells DIMENSION für den europäischen Strommarkt haben die Autoren Eglantine Künle, Philipp Theile und Christian Wagner die Kraftwerksparks für das Jahr 2040 in zwei Szenarien optimiert. Beide Szenarien bilden den von der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung – der Kohlekommission – beschlossenen deutschen Kohleausstieg ab. Im zweiten Szenario nutzen außerdem die europäischen Länder mit einem derzeit hohen Anteil konventioneller Stromerzeugung künftig mehr erneuerbare Energien. Die Autoren betrachteten zwei Fälle: einen normativen Ausfall, also einen Ausfall von drei Gigawatt Kraftwerksleistung, und einen System-Split-Fall, also einen Zerfall des Europäischen Verbundsystems in mehrere Netzinseln.
Momentanreserve sinkt
Ein solcher System-Split-Fall war im Jahr 2006 schon einmal eingetreten. Das Ergebnis der Analyse: Mehr Strom aus erneuerbaren Energien und weniger Strom aus konventionellen (Kohle-)Kraftwerken senkt die Momentanreserve. Im Szenariojahr 2040 würde laut Berechnungen von EWI und ef.Ruhr im Fall eines normativen Ausfalls das zulässige Frequenzminimum im europäischen Verbundbetrieb unterschritten. Im System-Split-Fall würde der Frequenzgradient kritisch ansteigen. Beides verursacht kritische Systemzustände, die es für eine sichere und unterbrechungsfreie Stromversorgung unbedingt zu vermeiden gilt.
Schnellere Frequenzregelung
Zur Lösung schlagen die Autoren vor, die Frequenzstabilität durch konkrete Maßnahmen zu sichern: Die Erhöhung der Momentanreserve etwa durch entsprechende Umrichter von Erneuerbare-Energie-Anlagen wäre eine Möglichkeit. Eine weitere Möglichkeit ist eine schnellere Frequenzregelung. Die Primärregelleistung könnte hierzu beschleunigt werden, oder es könnte eine zusätzliche schnellere Form der Primärregelung, die so genannte Fast Frequency Response, etabliert werden. Diese könnten sowohl konventionelle Kraftwerke, aber beispielsweise auch Windkraftanlagen, Batteriespeicher, Schwungräder oder leistungselektronische Bauteile wie HGÜ-Verbindungen erbringen.
(ur)
Hier kann die vollständige Studie kostenlos heruntergeladen werden. (Deep Link)
https://www.ewi.uni-koeln.de
Stichwörter:
Smart Grid,
Netze,
Siemens,
EWI,
Netzstabilität,
Kohleausstieg,
Regelenergie,
Momentanreserve,
Frequenzstabilität
Bildquelle: Frank Urbansky