[2.3.2020] Kann das Verteilnetz so gesteuert werden, dass möglichst viel erneuerbare Energien genutzt werden? Diese Frage soll im Projekt flexQgrid in der Gemeinde Freiamt beantwortet werden. Das Vorhaben wird mit 5,2 Millionen Euro vom Bund gefördert.
Der Ort Freiamt ist ein Pionier der Energiewende. Die Voraussetzungen sind ideal: Die nördlich von Freiburg gelegene Gemeinde ist einer der sonnenreichsten Orte in Baden-Württemberg und die Höhenlage im Schwarzwald sorgt für eine hohe Windhöffigkeit. Zudem ist das französische Kernkraftwerk Fessenheim nicht weit entfernt. Die Gefahren der Atomenergie stehen den knapp über 4.000-Einwohnern also schon lange vor Augen.
Den Strom aus dem Ort bekommen
Kein Wunder, dass Bürgermeisterin Hannelore Reinbold-Mench sagt: „In Freiamt wohnen leidenschaftliche Unterstützer der Energiewende.“ Bevor es den Begriff überhaupt gab, entschieden sich die Bürger für erneuerbare Energien, bauten Windräder und installierten Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Heute übersteigt die Stromproduktion aus Solar- und Windkraft – je nach Witterung – den Bedarf um das Dreifache. Für die Bürgermeisterin ist deshalb klar: „Wir müssen das Verteilnetz optimieren, damit wir den Strom aus dem Ort bekommen.“
An einem schönen Sommertag wird aber nicht nur die Gemeinde Freiamt, sondern ganz Baden-Württemberg zum Solarkraftwerk. Für den Netzbetreiber Netze BW ist das eine Herausforderung, denn eingespeist wird der Strom meist in das Verteilnetz und auf dem flachen Land. Bei solchen Überangeboten an Energie müssen einzelne Anlagen abgeregelt werden, damit das Stromnetz stabil bleibt. Etwa 0,1 Prozent des regenerativ erzeugten Stroms im Netzgebiet muss Netze BW abregeln. Das klingt nach wenig, die Strommenge würde aber soviel CO2 vermeiden wie der halbe Fuhrpark des Energiekonzerns EnBW ausstößt, erläutert Martin Konermann. Für den technischen Geschäftsführer der EnBW-Tochter Netze BW ist das ein starkes Argument, dafür zu sorgen, dass nicht nur möglichst viel erneuerbarer Strom erzeugt, sondern auch möglichst viel davon genutzt wird. Wie das geht, will Netze BW in Freiamt zeigen.
Verteilnetz der Zukunft
Für den baden-württembergischen Netzbetreiber ist die Schwarzwald-Gemeinde eine Art Reallabor für das Verteilnetz der Zukunft geworden. Schon Ende 2015 startete dort das Projekt grid-control, welches das Zusammenspiel zwischen technischen Systemen von Netzbetreibern, Stromvertrieben und Verbrauchern untersuchte (
wir berichteten). Als Alternative zum Netzausbau und der Abregelung von Anlagen wurde im Netz der Gemeinde Freiamt erprobt, wie sich Stromverbraucher und Speicher intelligent steuern lassen. Der Feldtest ist inzwischen abgeschlossen (
wir berichteten).
Am Freitag vergangener Woche (28. Februar 2020) stellte Netze BW gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung in der EnBW City in Stuttgart das Nachfolgeprojekt offiziell vor. Bei dem auf drei Jahre angelegten Vorhaben flexQgrid sollen erneut Verteilnetz, regionale Stromerzeugung, steuerbare Verbraucher und Marktteilnehmer wie Aggregatoren zusammenspielen.
Im Mittelpunkt steht laut Projektleiterin Carmen Exner ein zwölfmonatiger Feldtest ab August 2021, für den ein Netzampelkonzept den Rahmen setzt. Einbezogen sind zwei Mittel- und voraussichtlich drei Niederspannungsnetze mit flexiblen Verbrauchern wie Wärmepumpen, Batteriespeichern und Elektrofahrzeugen. Gerade die könnten künftig wegen ihrer hohen Gleichzeitigkeit die Auslastung der Netze erheblich verstärken. Wird ein Engpass prognostiziert und es kommt zur Gelbphase im Netz, gelte es, über Freigabequoten für Erzeugungs- oder Verbrauchsanlagen die Ampelfarbe Rot und damit einen Eingriff des Netzbetreibers zu vermeiden.
Alle Erzeuger und Verbraucher im Freiamter Netz, die am Feldtest teilnehmen, werden dazu mit dezentralen Netzreglern ausgestattet und deren Daten auf einer zentralen Plattform ausgewertet. Ziel ist es nach den Worten von Projektleiterin Exner, Quoten zu finden, um über Marktmechanismen Engpässe zu vermeiden. Die Basis dafür soll eine blockchain-basierte Handelsplattform für Sekundärleistung bilden. Mit dem Feldtest in Freiamt soll geprüft werden, ob sich diese Methoden zur Steuerung von Verteilnetzen flächendeckend anwenden lassen.
Fördermittel vom BMWi
Im Rahmen der Veranstaltung in der EnBW City wurde auch ein Zuwendungsbescheid des Bundeswirtschaftsministeriums für Fördermittel in Höhe von 5,2 Millionen Euro überreicht. Nach Angaben von Martin Konermann liegen die Kosten des Projekts flexQgrid insgesamt bei über zehn Millionen Euro. Der Netze-BW-Geschäftsführer erwartet, dass marktreife Produkte aus dem Projekt frühestens in fünf bis acht Jahren zur Verfügung stehen.
Alexander Schaeff
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