Freitag, 3. Mai 2024

Dekarbonisierung:
Stadtwerke in der Pflicht


[10.2.2022] Die Studie Index Net Zero von Uniper zeigt, dass viele Stadtwerke konkrete Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen definiert haben und den Wandel aktiv betreiben. Allerdings fehlt oft eine entsprechend ausgearbeitete Strategie.

Ergebnisse der Studie Index Net Zero von Uniper. Initiativen wie das Gesetzespaket Fit for 55 der EU sollen den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent senken und für neue Impulse auf dem europäischen Energiemarkt sorgen. Fit for 55 setzt vor allem auf lokale Autoritäten und die Menschen vor Ort. Sie sollen den Wandel mit neuen Maßnahmen, strengeren Standards und einer höheren Stromproduktion aus erneuerbaren Ressourcen EU-weit gestalten. Derzeit ist allerdings eine nie dagewesene Volatilität der Märkte zu beobachten, Gas und Strompreise erreichen ein bislang ungekanntes Preisniveau. Die Versorgungssicherheit, die über konventionelle Kraftwerke garantiert wird, ist so stark im Fokus wie lange nicht mehr. Der Effekt: Kohlekraftwerke in Europa müssen auf Volllast gefahren werden.
Vor diesem Hintergrund stehen besonders die Stadtwerke und andere Energieversorger in der Pflicht, denn sie befinden sich gewissermaßen im Zentrum einer Branche, die im radikalen Umbruch begriffen ist. Die Öffentlichkeit verlangt immer lauter nach sauberer Energie. In Deutschland betrug der Anteil grünen Stroms in den vergangenen Jahren laut der Internationalen Energieagentur (IEA) im Durchschnitt 14 Prozent. Besonders auf den Stadtwerken lastet großer Druck – nicht zuletzt, weil sie sich mehrheitlich in kommunaler Hand befinden. Sie sollen möglichst vorbildlich agieren und bei der Dekarbonisierung vorangehen. Darüber hinaus sind gerade in Deutschland mit seiner CO2-Steuer auch die finanziellen Anreize zur „grünen Aufrüstung“ bewusst attraktiv gehalten – ist der Energiesektor doch einer der emissionsintensivsten mit einem höheren Ausstoß als alle anderen Branchen in Deutschland.

Ausgearbeitete Strategie fehlt

Die Studie Index Net Zero von Uniper – eine Umfrage unter Entscheidern und Akteuren der Dekarbonisierungsbewegung aus zahlreichen Branchen der deutschen Industrie – zeigt, dass viele kommunale Energieversorger bereits konkrete Emissionsreduktionsziele definiert haben und den Wandel aktiv betreiben. Was vielerorts fehlt, ist eine entsprechend ausgearbeitete Strategie. Je höher der Veränderungsdruck wird, desto schneller müssen die Betreiber der Stadtwerke ihre strategischen Hausaufgaben machen, um den Erwartungen der Eigentümer gerecht werden zu können.
Die Stadtwerke sind eine wichtige Säule im deutschen Energiemarkt, die das Vertrauen der Verbraucher hat. Daher ist auch die Vernetzung mit den Bürgerinnen und Bürgern der jeweiligen Kommunen hoch und wichtig. Und aus diesem Grund führt knapp die Hälfte (45 Prozent) der Energieversorger die Erwartungen der Öffentlichkeit als primären Grund für eine forcierte Dekarbonisierung an, so die Index-Net-Zero-Studie. Ein weiteres Drittel (36 Prozent) verweist auf den Druck von Umweltinitiativen als hauptsächlichen Treiber der eigenen Aktivitäten – sicher kein Zufall vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse, etwa der verheerenden Waldbrände im Sommer vergangenen Jahres.

Roadmap noch in weiter Ferne

Eine elaborierte Roadmap zur Dekarbonisierung, also ein Fahrplan mit konkreten Wegmarken und Maßnahmen, ist dabei vielerorts noch in weiter Ferne. Nur 18 Prozent der Studienteilnehmer haben sowohl entsprechende Ziele als auch Strategien. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) arbeitet noch an der Strategie, über ein Viertel (27 Prozent) der Stadtwerke und anderer Versorger hat hier noch gar nichts vorzuweisen.
Auch ein Net-Zero-Status ist bei Stadtwerken und anderen Energieversorgern noch lange nicht in Sicht. Drei Viertel der Studienteilnehmer aus diesem Sektor halten eine Emissionsreduktion um 50 Prozent für realistisch. Mit 87 Prozent zeigt sich die Mehrheit optimistisch, ihre Reduktionsziele vor 2030, spätestens 2035 zu erreichen. Doch gibt es Stimmen, die mehr Engagement von den Stadtwerken fordern. Politik und Stakeholder wollen eine Minderung von 80 bis 95 Prozent bis spätestens 2050.
In jedem Fall müssen die Stadtwerke und andere Energieversorger weiter massiv in Nachhaltigkeit investieren und den öffentlichen Druck dabei als Motivator für möglichst schnelles Handeln nutzen. Dabei bietet eine Dekarbonisierung auch Chancen im Hinblick auf eine höhere künftige Effizienz. Ganze 45 Prozent der Studienteilnehmer geben langfristige Kosteneffizienz als Hauptgrund für ihre Anstrengungen an. Aber um wirklich voranzukommen, benötigen die Versorger eine klare Marschrichtung und eine entsprechende Roadmap – so sehen es ebenfalls 45 Prozent der Befragten.

Klare Priorität bei Erneuerbare-Energie-Projekten

Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Index-Net-Zero-Studienteilnehmer sieht eine klare Priorität bei Projekten mit erneuerbarer Energie. Es existieren einige ambitionierte Projekte, wie zum Beispiel der Plan der Stadtwerke München für eine ausreichende Energieproduktion aus erneuerbaren Quellen für die bayerische Landeshauptstadt. Anders als in der Vergangenheit wird aber entscheidend sein, dass ein starker Fokus auf die geeignete Einbettung dieser Projekte in das lokale energiewirtschaftliche Gesamtkonzept gesetzt wird. Ein Einzelprojekt oder einzelne Assets sind in der zunehmend komplexen Energiewelt weitaus weniger relevant. Integrierte Dekarbonisierungslösungen liegen hier klar im Trend. Vergleichbare Initiativen werden schon bald existenzkritisch für alle Akteure in diesem Bereich sein. Diese Priorität wird ebenfalls von 36 Prozent der Teilnehmer angeführt.
Sämtliche Lösungen, mit denen die Versorgungsunternehmen ihre Dekarbonisierung vorantreiben können, benötigen Investitionen in neue Technologien. Das aber bedeutet neue Herausforderungen: Immerhin 36 Prozent der Studienteilnehmer aus diesem Bereich werten die Verfügbarkeit solcher Technologien als größte Hürde.

Schlüssel zu Net Zero

Externe Partner können hier für Abhilfe sorgen, indem sie technische Lösungen und Beratungsleistungen anbieten. Gerade angesichts der Tatsache, dass sich die Versorger überwiegend in öffentlicher Hand befinden, können solche vertrauensbildenden Maßnahmen den entscheidenden Unterschied machen. Da 45 Prozent der Studienteilnehmer die Kosten ebenfalls als erhebliche Herausforderung sehen, ist auch hier verstärkt strategischer Rat gefragt.
Städtische Versorger gehören zu jenen, die sich an der Spitze der Dekarbonsierungsbewegung eta­blieren werden: 55 Prozent der Befragten – der höchste Anteil aller im Rahmen von Index Net Zero beleuchteten Branchen – geben an, die Geschäftsleitung sehe in der Emissionsreduzierung eine unbedingte Priorität.
Die Ausarbeitung einer Dekarbonisierungsstrategie ist aber nur der Anfang. Neue Technologien und ihr zielgenauer Einsatz sind die wahren Schlüssel zu Net Zero. Dass die Technik den zentralen Ausgangspunkt für die Energiewirtschaft setzt, wie etwa in den Hochzeiten des zentralen Großkraftwerksbaus, darf jedoch zumindest bezweifelt werden. Der zielgenaue Einsatz einer Technologie als nur eine von mehreren Komponenten bei der Sektorkopplung oder einer inte­grierten Kundenlösung wird vermutlich deutlich mehr Priorität und Raum einnehmen.

Gundolf Schweppe ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Uniper Energy Sales GmbH. Er verfügt über langjährige, umfassende Erfahrungen in der Energiewirtschaft, unter anderem im Bereich des Privatkunden- und Großhandelsvertriebs. Der Volljurist hat an den Universitäten Würzburg und Freiburg sowie im französischen Marseille studiert.

https://www.uniper.energy/de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar/Februar 2022 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)

Stichwörter: Klimaschutz, Uniper, Dekarbonisierung, Index-Net-Zero-Studie

Bildquelle: Uniper SE

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