[13.9.2012] 90 Prozent der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 einsparen? Unmöglich, sagen Skeptiker. Machbar, wenn alle mithelfen, meint die Gemeinde Kirchanschöring im oberbayerischen Kreis Traunstein und hat sich im vergangenen Jahr ein entsprechendes Klimaschutzprogramm verordnet.
Auf tragische Weise der Zeit voraus war der Gemeinderat der bayerischen Kommune Kirchanschöring, als er sich am 9. März 2011 für die Initiierung eines integrierten Klimaschutzkonzepts entschied – genau einen Tag vor dem katastrophalen Erdbeben in Japan, das den Ausschlag für die Energiewende in Deutschland gab. Ziel des Konzepts ist ein Dreisprung bestehend aus Energieeinsparung, einer effizienteren Nutzung von Energie und dem Ausbau erneuerbarer Energien. Dabei sollen alle Lebensbereiche einbezogen werden. Für eine möglichst rasche Umsetzung des integrierten Klimaschutzkonzepts werden Projektverantwortliche und Kosten benannt. Zudem ist geplant, einen Klimaschutzbeauftragten einzustellen, der von der Bundesregierung über drei Jahre gefördert wird. Bei der Erstellung und Umsetzung des Konzepts legt die Gemeinde Kirchanschöring besonderen Wert auf die Beteiligung der Bürger.
Fachwissen bündeln
Ein wichtiges Element ist darüber hinaus die Bündelung des im Ort vorhandenen Fachwissens. Das Unternehmen Green City Energy hat im Herbst 2011 unter anderem in Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen Schornsteinfeger eine Datenerhebung durchgeführt, um Kennzahlen über die Herkunft und den Verbrauch von Energie in der Gemeinde zu erhalten. Die Ergebnisse wurden aufgeschlüsselt nach einzelnen Verbrauchergruppen wie Privathaushalte, Industrie und Kommune, aber auch nach der Verwendung der Energie, beispielsweise für Heizung, Verkehr oder Beleuchtung. Darüber hinaus gibt die Studie Auskunft über Potenziale für die Gewinnung erneuerbarer Energien auf dem Gemeindegebiet. Pia Bolkart vom Fachbüro Green City Energy sagt: „Kirchanschöring ist seiner Zeit voraus. Der Pro-Kopf-Energieverbrauch in der Endenergiebilanz liegt mit 24 Megawattstunden deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 31 Megawattstunden. Auch bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen liegt die Gemeinde gut im Rennen: 2010 wurde bereits die Hälfte des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen gedeckt, deutschlandweit sind es erst 20 Prozent.“
Die Studie ist Grundlage des Kirchanschöringer Klimaschutzkonzepts und wurde den Bürgern in der öffentlichen Auftaktveranstaltung vorgestellt. Im Anschluss war deren Einsatz gefragt: Alle Anwesenden sollten Ideen äußern, wie und wo in Kirchanschöring Energie eingespart werden kann und wo Hürden für den Klimaschutz bestehen. Dabei standen folgende Themen im Fokus: Klimaschutz in der Bauleitplanung, energetische Sanierung von Gebäuden und Infrastruktur, Strom- und Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien (Solar, Wind und Biomasse), Mobilität und Unternehmen. „Entscheidend für erfolgreiche Klimaschutzkonzepte ist der Austausch zwischen Bürgern und Fachleuten“, so Projektleiterin Doris Möller von der Genossenschaft KlimaKom. „Die Kirchanschöringer kennen ihre Gemeinde und wissen genau, welche Hebel wo angesetzt werden können, um effektiv Energie einzusparen. Mit ihrem Input und unserer Kompetenz entwickeln wir einen Handlungsrahmen mit Zielen und Strategien. Diese werden in einer großen Klimaschutzkonferenz vorgestellt, bei der wiederum die Bürgerinnen und Bürger gefragt sind, konkrete Projekte zu entwickeln.“
Leuchtturm Kindergarten
Die ganztägige Klimaschutzkonferenz im Mai 2012 war daher das Kernstück des Klimaschutzkonzepts. In Arbeitsgruppen analog zu den Themenbereichen wurde intensiv am Handlungsrahmen und Maßnahmen gearbeitet. „Für den Erfolg des Projekts ist es wichtig, einige schnell umsetzbare Ideen zu entwickeln“, meint Willi Steincke, Vorstand von KlimaKom. „Im Klimaschutz wird langfristig gedacht und geplant, Erfolge sind häufig erst nach Jahren zu sehen. Sofortmaßnahmen und Leuchtturmprojekte sorgen deshalb dafür, dass die kreative Energie, die bei so einer Klimaschutzkonferenz entsteht, nicht verpufft.“
Ein solches Projekt mit Vorbildfunktion soll der Energie-Plus-Kindergarten werden, der mehr Energie erzeugt, als er verbraucht. Geplant sind darüber hinaus Beratungsangebote für Hausbesitzer das kommunale Förderprogramm unterstützt zudem neben Wärmedämmung auch Maßnahmen zur Stromeinsparung. Denn es gilt: Jeder Euro aus einem Förderprogramm zieht eine neunmal so hohe Investition nach sich, für die in der Regel Handwerker vor Ort beauftragt werden.
Natürlich wurden auch viele langfristig umzusetzende Projekte angestoßen: So soll ein Nahversorgungszentrum mit regionalen Produkten eingerichtet und gemeinsam mit den Nachbargemeinden ein Busnetz aufgebaut werden. Das vorhandene Nahwärmenetz, das mit Hackschnitzeln aus der Region betrieben wird, wird weiter ausgebaut. Aber auch verhältnismäßig einfach umzusetzende Maßnahmen wie regelmäßige Informationen in der Gemeindezeitung, die Bildung von Fahrgemeinschaften und den Austausch der Straßenbeleuchtung haben sich die Kirchanschöringer vorgenommen. Wichtig bei allen Projekten sind Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung, denn ohne die Bevölkerung findet Klimaschutz nicht statt. Zu den ambitionierten Projekten gehören die Errichtung intelligenter Stromnetze und die Speicherung von mehr Strom aus erneuerbaren Quellen – vor allem durch weitere Photovoltaikanlagen sowie in Zukunft vielleicht auch durch Windenergie und Tiefengeothermie. Aber nicht alles kann lokal entschieden werden, denn die Rahmenbedingungen auf Bundesebene wirken auch auf die Energiewende vor Ort.
Gute Ausgangslage
Wenn ein Ort im Klimaschutz schon weit vorangekommen ist, ist es wichtig, ein strategisches Konzept auf Grundlage fundierter Zahlen zu haben. So setzt Kirchanschöring verstärkt auf Solarthermie zur Wärmegewinnung, weil die Grenzen der regional und nachhaltig vorhandenen Holzvorräte bald erreicht sind. Ihre gute Ausgangslage empfindet die Gemeinde als Fluch und Segen zugleich: Zwar wurde schon viel erreicht, mit dem Klimaschutzkonzept will sich die Kommune jedoch weiterhin hohe, aber realistische Ziele setzen – und das letzte Wegstück ist manchmal die größte Herausforderung.
Hans-Jörg Birner (CSU) ist seit 2008 Bürgermeister der Gemeinde Kirchanschöring.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September 2012 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren. (Deep Link)
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Bildquelle: Gemeinde Kirchanschöring