Freitag, 18. April 2025

VerteilnetzeWie viel Intelligenz darfs denn sein?

[04.10.2017] Wie viel Digitalisierung brauchen unsere Netze? Und wie viel Elektromobilität vertragen sie? Diese Fragen haben die Referenten der vierten Smart-Grid-Tagung von WAGO diskutiert. Insgesamt 150 Besucher waren der Einladung an den Firmensitz in Minden gefolgt.
Die Referenten der vierten Smart-Grid-Fachtagung von WAGO haben am Firmensitz in Minden über die Digitalisierung der Verteilnetze diskutiert.

Die Referenten der vierten Smart-Grid-Fachtagung von WAGO haben am Firmensitz in Minden über die Digitalisierung der Verteilnetze diskutiert.

v.l.: Heiko Tautor, Head of Market Management Energy bei WAGO; Martin Breitenbach, Asset Manager bei der NGN Netzgesellschaft Niederrhein; Tobias Kurth, Energiemarkt-Experte bei Energy Brainpool; Christian Köhler, Geschäftsführer beim IT-Unternehmen Venio

(Bildquelle: WAGO)

Auf der vierten Smart-Grid-Fachtagung von WAGO ( 27. – 28. September 2017, Minden) herrschte vor allem in einer Sache Konsens: Die Verteilnetze müssen transparenter und flexibler werden. Doch leichter gesagt als getan. So gab Martin Breitenbach von der NGN Netzgesellschaft Niederrhein zu bedenken: „Es ist nicht ganz einfach, etwas zu digitalisieren, was zuvor noch nicht einmal analogisiert war. Ich verwende dafür gerne das Bild einer Terra incognita. Wir wissen zwar, was verbaut ist, haben aber keine Messwerte.“ Den Status quo beschreibt der Asset Manager wie folgt: „Wir haben relativ gute Netze, hatten bislang aber keinen Bedarf zu wissen, was in den Netzen passiert. Das ändert sich jetzt mit der Einspeisung vieler dezentraler Erzeuger sehr schnell.“ Breitenbach stellte im Rahmen der Veranstaltung die intelligenten Ortsnetzstationen im eigenen Netzgebiet vor. Solche sind noch lange keine Selbstverständlichkeit. So schätzt Tagungsteilnehmer und Ingenieur Helmut Späck, dass maximal drei bis vier Prozent der insgesamt 600.000 Ortsnetzstationen in Deutschland mit intelligenter Technik ausgestattet sind.
Die neue Intelligenz will aber auch vernünftig organisiert sein, sagt Peter Birkner, Honorarprofessor an der Bergischen Universität Wuppertal und ehemaliger Technikvorstand bei Mainova: „Wir verschieben momentan den Schwerpunkt von den höheren Spannungsebenen zu den niedrigeren. Das heißt, die Daten, die hier auflaufen, nehmen exponentiell zu. Dabei muss ich die Daten aber nicht nur übertragen, sondern auch verstehen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir um eine Vorverdichtung der Daten nicht herumkommen. Dazu müssen wir aber auch über das Verhältnis von zentraler Leittechnik und Stationsleittechik noch einmal neu diskutieren und eine vernünftige Übergabe gewährleisten.“

Messen versus Simulieren

Eine weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt: Wie viele der Orsnetzstationen müssen überhaupt mit zusätzlicher Intelligenz ausgestattet werden? Breitenbach dazu: „Um eine solche Frage zu beantworten, müssen wir das Netz, das wir seit Jahren bewirtschaften, erst einmal besser verstehen. Wir können uns einem solchen Problem nur iterativ nähern.“ Heiko Tautor, Head of Market Management Energy bei WAGO, antwortete spontan: „Von mir aus alle.“ Dabei stellte Tautor die grundsätzliche Frage: Was ist überhaupt unter Intelligenz zu verstehen? Diese könne von einem klassischen Monitoring bis hin zur Datenübertragung in die Cloud reichen. Daniel Speiser, der beim Verteilnetzbetreiber EWE das Netzmanagement Strom und Telekommunikation verantwortet und im Rahmen der Veranstaltung über das SINTEG-Projekt (Schaufenster Intelligente Energie) Enera (wir berichteten) berichtete, pflichtete bei: „Voll digitalisieren ist sicherlich nicht der richtige Weg, es kostet auch nach wie vor immer noch, sodass wir sehr genau darauf schauen müssen, wie wir vorgehen. Deshalb sind meiner Meinung nach auch die Netzbetreiber noch sehr verhalten bezüglich eines Massen-Roll-outs von Smart Metern.“ Und Professor Birkner prophezeite: „In fünf bis zehn Jahren werden auch die Ortsnetzstationen standardmäßig mit einer entsprechenden Hardware ausgestattet sein und dann bleibt nur noch die Frage, was davon aktiviere ich und wie nutze ich die Daten. Gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass nicht nur ein Messwert zählt, auch ein guter Simulationswert ist etwas wert.“ Dass es reicht, an fünf bis zehn von hundert Netzknoten tatsächlich zu messen, habe auch der gut funktionierende Algorithmus des intelligenten Ortsnetzes iNES gezeigt. „Wir müssen lernen, dass wir simulieren, Big Data und Musterkennung nutzen und das Ganze über Messungen an Stützpunkten normieren.“ Breitenbach rundete das Thema mit der Bemerkung ab: „Wir statten schon heute jede neue Ortsnetzstation im Netzgebiet mit der intelligenten Technik aus.“

Und wenn alle gleichzeitig laden wollen?

#bild2 Ebenfalls heiß diskutiert wurde die Frage: Wie viel Elektromobilität vertragen unsere Netze überhaupt? So hatte Christian Köhler vom IT-Unternehmen Venios in seinem Vortrag deutlich gemacht, dass ein einzelner Abgang einer Ortsnetzstation, an dem eine 20-kW-Ladestation hängt, bereits bei der Ladung von zwei Autos „dicht“ sei. Breitenbach dazu: „Unsere Netze vertragen es sicherlich nicht, wenn jeder lädt wann er will. Ich bin aber davon überzeugt, dass mithilfe von Demand Side Management, wenn wir also verlagern, sehr viel machbar ist – auch ohne dass wir die Netze ausbauen müssen in Form von Kupfer. Wir müssen dazu aber mit den Autos kommunizieren können.“ Speiser bestätigte: „Das ist genau so. Wir wissen heute, dass das Thema gesteuertes Laden bei Elektroautos kommen muss, der nächste Schritt wird das bidirektionale Laden sein, ganz ohne Netzausbau wird es aber nicht gehen.“ Und auch Birkner stimmte ein: „Wenn wir in Deutschland alle elektrisch fahren, dann brauchen wir 15 bis 20 Prozent mehr Strom als heute nur für den Pkw-Verkehr, das sind in etwa 100 Terawattstunden. Ich halte das für machbar. Die Infrastruktur bekommt vor allem Stress durch den Abruf einer hohen Leistung. Wenn es also gelingt, den Ladevorgang bei niedriger Leistung zu strecken, dann wird das auch funktionieren. Dazu muss aber jedes Auto sobald es steht an die Steckdose angeschlossen werden.“ Breitenbach ergänzte: „Ich kann an einem Abgang auch mehr als zwei Autos gleichzeitig laden, wenn beispielsweise auch noch eine PV-Anlage oder ein Speicher angeschlossen ist. Deshalb setzen wir auch auf Smart Meter. Wenn wir aktuelle Daten zur Spannung vom Gateway-Administrator zeitnah bekommen, können wir genau sagen, wer wann laden kann.“ Energiemarkt-Experte Tobias Kurth von Energy Brainpool hält Szenarien, in denen jeder seine Wallbox in der Garage hat und alle gleichzeitig laden wollen, für weniger relevant: „Ich glaube, die Elektromobilität kommt schneller als wir denken. Auch in Kombination mit dem autonomen Fahren werden wir die Autos dann aber nicht mehr besitzen, sondern nur noch teilen. Wann geladen wird entscheidet dann nicht mehr der Besitzer, sondern ein Algorithmus im Auto.“





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