Samstag, 19. Oktober 2024

Bitterfeld-WolfenWasserstoffdorf hat Erdgasnetz im Blick

[03.02.2022] Da grüner Wasserstoff nicht immer dort produziert werden kann, wo er verbraucht wird, muss er zum Teil transportiert werden. Inwiefern das bereits vorhandene Erdgasnetz dafür geeignet ist, wird auf einem Testfeld in Bitterfeld-Wolfen untersucht.

(Bildquelle: Frank Urbansky)

Wasserstoff wird zu den zentralen Lösungen der Energiewende zählen – nicht überall, in einigen Bereichen aber auf jeden Fall. Produziert werden soll er mittels Elektrolyse aus grünem Strom und Wasser. Wie aber kommt er dann zum Verbraucher? Zum Teil kann er per Lkw transportiert werden. Ist dies zu gefährlich, aufwendig oder teuer, braucht es Wasserstoffleitungen. Weltweit sind die Erfahrungen mit diesem Transportweg jedoch noch gering. In den USA liegen derzeit 2.140 Kilometer Wasserstoffleitungen, in Frankreich, den Niederlanden und Belgien 964 Kilometer, in Deutschland sind es gerade einmal 380 Kilometer – vorrangig in den Chemierevieren an Rhein, Neckar und Ruhr sowie im mitteldeutschen Chemiedreieck um Leuna und Bitterfeld.
Im Wasserstoffdorf Bitterfeld-Wolfen, wird deswegen eine Alternative getestet. Auf einer Fläche von 12.000 Qua­dratmetern untersucht das Projekt HYPOS: H2-Netz den Transport von 100-prozentigem Wasserstoff in verschiedenen Rohrmaterialien, die derzeit im Erdgasnetz verwendet werden. Projektpartner sind die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas (Mitnetz Gas) als Netzbetreiber, die DBI Gas- und Umwelttechnik sowie der TÜV SÜD Industrie Service als wissenschaftliche und technische Berater. Auch das Unternehmen REHAU sowie die Fakultät Maschinenbau und Energietechnik der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig sind an dem Vorhaben beteiligt. Auf dem Testfeld werden die Permeation- und Leckage-Rate (Gasdurchlässigkeit) der eingesetzten Werkstoffe unter Berücksichtigung von Drücken und Temperaturen untersucht, Dehnungsmessungen an der Rohrbrücke vorgenommen, über welche der Wasserstoff geliefert wird, und es werden in einer Gasdruckregel- und Messstation (GDRMA) Betriebserfahrungen gesammelt. Eine weitere Komponente von H2-Netz ist das Thema Odorierung, etwa unter dem Aspekt der Dosierbarkeit und Beständigkeit von Odoriermitteln. Darüber hinaus gibt es auf dem Testfeld einen Versuchsstand und es werden Stör- und Schadensfälle simuliert sowie übliche Leitungsarbeiten durchgeführt.

Anlage ermöglicht sofortiges Abschalten

Auf dem Testgelände wurden alle im Erdgasnetz genutzten Materialien installiert. Des Weiteren werden oberirdische Kunststoffrohrleitungen verlegt und untersucht, die laut Regelwerk für diesen Fall nicht zugelassen sind. Insgesamt sind es 1.400 Rohrmeter, die zu Testzwecken platziert wurden. Die Leitungsdurchschnitte sind dabei eher gering und entsprechen denen von Anschlussleitungen. Das ist dem Fakt geschuldet, dass derzeit nur etwa drei Kubikmeter je Stunde in das Netz eingespeist und in einer angeschlossenen Brennstoffzelle zu Strom und Wärme umgewandelt werden. Gleichzeitig kann dies ein Hinweis darauf sein, dass Wasserstoff generell nur in den Verteilnetzen, und das in geringen Mengen, transportiert werden sollte. Denn die Anwendungen für grünen Wasserstoff werden sich auf einige industrielle Schwerpunkte wie die Chemieindustrie, Raffinerien, die Stahl- und Zementindustrie beschränken. Im Wärmemarkt und in der individuellen Mobilität wird er kaum zum Einsatz kommen. Experten gehen davon aus, dass eine Beimischung von bis zu 20 Prozent Wasserstoff zu Erdgas möglich ist.
Das Projekt im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen verwendet Wasserstoff aus Dampfreformierung des Unternehmens Linde in Leuna, der direkt über eine Rohrbrücke geliefert wird. Zwar handelt es sich dabei um grauen Wasserstoff. Da seine stofflichen Eigenschaften aber identisch mit grünem Wasserstoff sind, kann er zur Erprobung genutzt werden. Die Gasdruckregel- und Messstation der Testanlage wurde zunächst mit erdgasüblichen Armaturen und Komponenten bestückt. Einige mussten für Wasserstoff angepasst werden. Bei einem Total­abriss ermöglicht die Anlage ein sofortiges Abschalten, da sie Verluste direkt erkennt.

Wichtig für die Zukunft

Das Bitterfelder Projekt ist existenziell für die Gaswirtschaft. Nur wenn es gelingt, die Netze bis hin zur Verteilebene wasserstofftauglich zu gestalten, hat die riesige Erdgas-Infrastruktur in Deutschland nach dem Aus für den fossilen Energieträger eine Zukunft. Die Politik hat das Problem erkannt und förderte den Feldtest, der von Juli 2016 bis Ende 2021 lief.
Allein im letzten offiziellen Jahr der Erprobung wurden die Dichtheit von Schiebergruppen, der Austausch von Dichtungen in der GDRMA sowie neue Steckverbindungen und deren Eignung für Wasserstoff überprüft. Auch wurden Absperrtechnologien wie Abquetschen und Blasensetzen sowie Metall-Kunststoff-Verbundrohre getestet. Letztere bestehen aus Polyethylen (PE), eine Sorte hat eine diffusionsdichte Schicht aus Aluminium. Solche Leitungen könnten das grundsätzliche Problem der Diffusionsfreudigkeit von Wasserstoff lösen. Verteilnetze bestehen meist aus PE und haben zum Teil sogar eine Diffusions-Sperrschicht aus Aluminium. Deshalb ist der Einsatz von 100-prozentigem Wasserstoff auf Verteilnetzebene denkbar.

Neue Sicherheitsarchitektur

Erforscht werden in Bitterfeld-Wolfen aber nicht nur Leitungseignungen. Das Projekt H2-HOME untersucht beispielsweise die Anbindung und Nutzung heimischer Energieerzeugung mittels Wasserstoff. Dafür wurde auf dem Gelände eine Brennstoffzelle mit fünf Kilowatt (kW) elektrischer und 14 kW thermischer Leistung installiert, die kontinuierlich überwacht wird. Sie gibt auch einen Hinweis darauf, ob es im Netz zu Verlusten kommt, da sie der einzige Wasserstoffverbraucher im Testnetz ist. Zur Testumgebung gehören des Weiteren zwei Wasserspeicher, die zu kleinen Wasserstoffspeichern umgerüstet wurden. Das Material, Stahl, eignet sich komplett für eine diffusionsfreie Speicherung ohne Druck – ein Problem, das etwa bei den Stahlrohren der Fernleitungsbetreiber aufkommt. In diesen würden der hohe Betriebsdruck und Wasserstoff zusammen den Rohrstahl verspröden lassen. Techniker empfehlen deswegen die Beimischung von maximal 20 Prozent Wasserstoff zu Erdgas, dessen wesentlicher Bestandteil Methan ist. An einem Prüfstand wurde außerdem untersucht, inwiefern normale Erdgas-Armaturen für einen Betrieb mit reinem Wasserstoff modifiziert werden müssen.
Die Projektbeteiligten möchten aus den genannten Komponenten eine neue Sicherheitsarchitektur für Wasserstoffnetze auf Verteilnetz­ebene ableiten. Damit einher geht die penible Überprüfung sämtlicher Aktivitäten im Testnetz, die auch Verluste lückenlos erfasst. In dem knapp dreijährigen Probebetrieb gab es laut Jürg Ziegenbalg, Leiter Realisierungssteuerung/Disposition beim Testfeldbetreiber Mitnetz Gas, allerdings keinen Verlust. Am Ende sollen alle Daten in ein Simulationsmodell münden, mit dem sich ermitteln lässt, wie künftige Wasserstoffnetze wirtschaftlich betrieben werden können.

Frank Urbansky




Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Wasserstoff
Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen.

Infrastruktur: Die Netze in Toleranz üben

[10.10.2024] Im Sinne der Dekarbonisierung könnte Wasserstoff zumindest teilweise anstelle von Erdgas im Wärmesektor genutzt werden. Der Einsatz birgt jedoch Risiken. Lösungen gibt es bereits für die Messtechnik und Abrechnung. mehr...

Das Bild zeigt das Zeichen H2 für Wasserstoff, das in einer Flüssigkeit schwimmt.

Rheinland-Pfalz: Potenzialregionen für Wasserstoff

[08.10.2024] Eine aktuelle Studie des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität zeigt, dass es in Rheinland-Pfalz vielversprechende Regionen für die Produktion von grünem Wasserstoff gibt. mehr...

Das Bild zeigt die Eröffnung des Quest-One-Standorts in Hamburg, es ist unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen.

Quest One: Serienproduktion von Elektrolyse-Stacks

[07.10.2024] Der Elektrolyse-Spezialist Quest One hat in Hamburg eine neue Produktionsstätte für die automatisierte Fertigung von Elektrolyse-Stacks eröffnet. Die Serienproduktion soll die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff erhöhen und die Energiewende vorantreiben. mehr...

Dank Gasmotor kann ein taiwanesisches Unternehmen Abfallwasserstoff für die unternehmenseigene Energieerzeugung nutzen.

Abfallwasserstoff: Energie aus Siliziumresten

[02.10.2024] Wie mittels Kraft-Wärme-Kopplung Abfallwasserstoff aus der Industrie für die eigene Energieversorgung genutzt werden kann, zeigt ein Projekt in Taiwan. Während Brennstoffzellen daran scheiterten, können Gasmotoren den unreinen Wasserstoff gut verarbeiten. mehr...

Einweihung der neuen Gasturbine im Heizkraftwerk der Stadtwerke Bonn.

Stadtwerke Bonn: Neue Gasturbine in Betrieb genommen

[02.10.2024] Die Stadtwerke Bonn haben jetzt im Heizkraftwerk Nord eine wasserstofffähige Gasturbine in Betrieb genommen und eine bestehende Turbine umgebaut. Damit wird ein wichtiger Schritt hin zur klimaneutralen Energieversorgung der Stadt Bonn unternommen. mehr...

Heilbronn-Franken: Förderung der Wasserstoffstrategie

[01.10.2024] Im Rahmen der Initiative H2-Impuls erhält die Region Heilbronn-Franken insgesamt über eine halbe Million Euro Fördermittel für den Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoff-Infrastruktur. Das Geld stammt aus Bundes- und Landesmitteln. mehr...

Mithilfe der Mischanlage wird Wasserstoff mit Erdgas vermischt. Das daraus entstehende Mischgas wird ins Verteilnetz eingespeist.

Öhringen: Insel zieht positive Bilanz

[26.09.2024] Netze BW hat eine positive Bilanz der „Wasserstoff-Insel Öhringen“ gezogen. Die 30-prozentige Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz hat im realen Netzbetrieb problemlos funktioniert. In einem Folgeprojekt geht es nun um die Umstellung auf 100 Prozent Wasserstoff. mehr...

Die Stadtwerke Jena haben das Projekt H2-Transformation abgeschlossen.

Wasserstoff-Transport: Jena ist fast H2-ready

[24.09.2024] Die Stadtwerke Jena haben ein Analyseprojekt zum Transport von Wasserstoff erfolgreich abgeschlossen. mehr...

Saarland/Luxemburg: Gemeinsame Wasserstoffversorgung

[11.09.2024] Das Saarland und Luxemburg streben eine enge Kooperation im Bereich der Wasserstoffwirtschaft an. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Wasserstoffversorgung grenzüberschreitend auszubauen. mehr...

Das Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B) wurde gegründet

Bayern: Fünf Jahre Zentrum H2.B

[09.09.2024] Das Zentrum Wasserstoff.Bayern (H2.B) feiert sein fünfjähriges Bestehen. Mit dem Ziel, Bayern als führende Region für Wasserstofftechnologien zu etablieren, hat das H2.B die Umsetzung der Bayerischen Wasserstoffstrategie mit vorangetrieben. mehr...

Visualisierung des HIC Hydrogen Innovation Center als Herzstück des zukünftigen Wasserstoff-Campus Chemnitz.

Chemnitz: Startschuss für Wasserstoffzentrum

[05.09.2024] Der Bund und der Freistaat Sachsen haben jetzt den Startschuss für den Aufbau des nationalen Wasserstoffzentrums in Chemnitz gegeben. Eine Verwaltungsvereinbarung sichert die Finanzierung in Höhe von rund 87 Millionen Euro und ermöglicht den zügigen Beginn der Umsetzung. mehr...

Wasserstoffproduktion: Europa bleibt weit hinter den gesteckten Zielen zurück.

Wuppertal Institut: Wasserstoff bleibt rar

[05.09.2024] Eine neue Studie des Wuppertal Instituts zeigt, dass die europäischen Länder nicht ausreichend auf den Bedarf von grünem Wasserstoff vorbereitet sind. Der größte Teil muss importiert werden, aber es ist unklar, aus welchen Ländern. mehr...

Der Bau des Gemeinschaftskraftwerks in Hanau hat jetzt einen wichtigen Abschnitt erreicht.

Hanau: Gemeinschaftskraftwerk im Zeitplan

[03.09.2024] Das Gemeinschaftskraftwerk in Hanau hat jetzt einen wichtigen Bauabschnitt erreicht: Die Installation wesentlicher technischer Komponenten ist nahezu abgeschlossen. Das Projekt, das eine umweltschonende Fernwärmeversorgung für 19.000 Haushalte sicherstellen soll, liegt im Zeitplan. mehr...

Sachsen-Anhalt: Besser ans Wasserstoffkernnetz

[29.08.2024] Sachsen-Anhalt soll noch besser an das deutsche Wasserstoffkernnetz angebunden werden. mehr...

Für das Biogas- und Kompostwerk Bützberg wurde jetzt ein Elektrolyseur angeliefert

Hamburg: Anlieferung eines Elektrolyseurs

[28.08.2024] In der Freien und Hansestadt Hamburg hat das Biogas- und Kompostwerk Bützberg jetzt einen bedeutenden Meilenstein erreicht: Mit der Anlieferung eines Elektrolyseurs kann künftig grüner Wasserstoff für die Produktion von Biomethan genutzt werden. mehr...