Samstag, 23. November 2024

Bitterfeld-WolfenWasserstoffdorf hat Erdgasnetz im Blick

[03.02.2022] Da grüner Wasserstoff nicht immer dort produziert werden kann, wo er verbraucht wird, muss er zum Teil transportiert werden. Inwiefern das bereits vorhandene Erdgasnetz dafür geeignet ist, wird auf einem Testfeld in Bitterfeld-Wolfen untersucht.

(Bildquelle: Frank Urbansky)

Wasserstoff wird zu den zentralen Lösungen der Energiewende zählen – nicht überall, in einigen Bereichen aber auf jeden Fall. Produziert werden soll er mittels Elektrolyse aus grünem Strom und Wasser. Wie aber kommt er dann zum Verbraucher? Zum Teil kann er per Lkw transportiert werden. Ist dies zu gefährlich, aufwendig oder teuer, braucht es Wasserstoffleitungen. Weltweit sind die Erfahrungen mit diesem Transportweg jedoch noch gering. In den USA liegen derzeit 2.140 Kilometer Wasserstoffleitungen, in Frankreich, den Niederlanden und Belgien 964 Kilometer, in Deutschland sind es gerade einmal 380 Kilometer – vorrangig in den Chemierevieren an Rhein, Neckar und Ruhr sowie im mitteldeutschen Chemiedreieck um Leuna und Bitterfeld.
Im Wasserstoffdorf Bitterfeld-Wolfen, wird deswegen eine Alternative getestet. Auf einer Fläche von 12.000 Qua­dratmetern untersucht das Projekt HYPOS: H2-Netz den Transport von 100-prozentigem Wasserstoff in verschiedenen Rohrmaterialien, die derzeit im Erdgasnetz verwendet werden. Projektpartner sind die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Gas (Mitnetz Gas) als Netzbetreiber, die DBI Gas- und Umwelttechnik sowie der TÜV SÜD Industrie Service als wissenschaftliche und technische Berater. Auch das Unternehmen REHAU sowie die Fakultät Maschinenbau und Energietechnik der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig sind an dem Vorhaben beteiligt. Auf dem Testfeld werden die Permeation- und Leckage-Rate (Gasdurchlässigkeit) der eingesetzten Werkstoffe unter Berücksichtigung von Drücken und Temperaturen untersucht, Dehnungsmessungen an der Rohrbrücke vorgenommen, über welche der Wasserstoff geliefert wird, und es werden in einer Gasdruckregel- und Messstation (GDRMA) Betriebserfahrungen gesammelt. Eine weitere Komponente von H2-Netz ist das Thema Odorierung, etwa unter dem Aspekt der Dosierbarkeit und Beständigkeit von Odoriermitteln. Darüber hinaus gibt es auf dem Testfeld einen Versuchsstand und es werden Stör- und Schadensfälle simuliert sowie übliche Leitungsarbeiten durchgeführt.

Anlage ermöglicht sofortiges Abschalten

Auf dem Testgelände wurden alle im Erdgasnetz genutzten Materialien installiert. Des Weiteren werden oberirdische Kunststoffrohrleitungen verlegt und untersucht, die laut Regelwerk für diesen Fall nicht zugelassen sind. Insgesamt sind es 1.400 Rohrmeter, die zu Testzwecken platziert wurden. Die Leitungsdurchschnitte sind dabei eher gering und entsprechen denen von Anschlussleitungen. Das ist dem Fakt geschuldet, dass derzeit nur etwa drei Kubikmeter je Stunde in das Netz eingespeist und in einer angeschlossenen Brennstoffzelle zu Strom und Wärme umgewandelt werden. Gleichzeitig kann dies ein Hinweis darauf sein, dass Wasserstoff generell nur in den Verteilnetzen, und das in geringen Mengen, transportiert werden sollte. Denn die Anwendungen für grünen Wasserstoff werden sich auf einige industrielle Schwerpunkte wie die Chemieindustrie, Raffinerien, die Stahl- und Zementindustrie beschränken. Im Wärmemarkt und in der individuellen Mobilität wird er kaum zum Einsatz kommen. Experten gehen davon aus, dass eine Beimischung von bis zu 20 Prozent Wasserstoff zu Erdgas möglich ist.
Das Projekt im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen verwendet Wasserstoff aus Dampfreformierung des Unternehmens Linde in Leuna, der direkt über eine Rohrbrücke geliefert wird. Zwar handelt es sich dabei um grauen Wasserstoff. Da seine stofflichen Eigenschaften aber identisch mit grünem Wasserstoff sind, kann er zur Erprobung genutzt werden. Die Gasdruckregel- und Messstation der Testanlage wurde zunächst mit erdgasüblichen Armaturen und Komponenten bestückt. Einige mussten für Wasserstoff angepasst werden. Bei einem Total­abriss ermöglicht die Anlage ein sofortiges Abschalten, da sie Verluste direkt erkennt.

Wichtig für die Zukunft

Das Bitterfelder Projekt ist existenziell für die Gaswirtschaft. Nur wenn es gelingt, die Netze bis hin zur Verteilebene wasserstofftauglich zu gestalten, hat die riesige Erdgas-Infrastruktur in Deutschland nach dem Aus für den fossilen Energieträger eine Zukunft. Die Politik hat das Problem erkannt und förderte den Feldtest, der von Juli 2016 bis Ende 2021 lief.
Allein im letzten offiziellen Jahr der Erprobung wurden die Dichtheit von Schiebergruppen, der Austausch von Dichtungen in der GDRMA sowie neue Steckverbindungen und deren Eignung für Wasserstoff überprüft. Auch wurden Absperrtechnologien wie Abquetschen und Blasensetzen sowie Metall-Kunststoff-Verbundrohre getestet. Letztere bestehen aus Polyethylen (PE), eine Sorte hat eine diffusionsdichte Schicht aus Aluminium. Solche Leitungen könnten das grundsätzliche Problem der Diffusionsfreudigkeit von Wasserstoff lösen. Verteilnetze bestehen meist aus PE und haben zum Teil sogar eine Diffusions-Sperrschicht aus Aluminium. Deshalb ist der Einsatz von 100-prozentigem Wasserstoff auf Verteilnetzebene denkbar.

Neue Sicherheitsarchitektur

Erforscht werden in Bitterfeld-Wolfen aber nicht nur Leitungseignungen. Das Projekt H2-HOME untersucht beispielsweise die Anbindung und Nutzung heimischer Energieerzeugung mittels Wasserstoff. Dafür wurde auf dem Gelände eine Brennstoffzelle mit fünf Kilowatt (kW) elektrischer und 14 kW thermischer Leistung installiert, die kontinuierlich überwacht wird. Sie gibt auch einen Hinweis darauf, ob es im Netz zu Verlusten kommt, da sie der einzige Wasserstoffverbraucher im Testnetz ist. Zur Testumgebung gehören des Weiteren zwei Wasserspeicher, die zu kleinen Wasserstoffspeichern umgerüstet wurden. Das Material, Stahl, eignet sich komplett für eine diffusionsfreie Speicherung ohne Druck – ein Problem, das etwa bei den Stahlrohren der Fernleitungsbetreiber aufkommt. In diesen würden der hohe Betriebsdruck und Wasserstoff zusammen den Rohrstahl verspröden lassen. Techniker empfehlen deswegen die Beimischung von maximal 20 Prozent Wasserstoff zu Erdgas, dessen wesentlicher Bestandteil Methan ist. An einem Prüfstand wurde außerdem untersucht, inwiefern normale Erdgas-Armaturen für einen Betrieb mit reinem Wasserstoff modifiziert werden müssen.
Die Projektbeteiligten möchten aus den genannten Komponenten eine neue Sicherheitsarchitektur für Wasserstoffnetze auf Verteilnetz­ebene ableiten. Damit einher geht die penible Überprüfung sämtlicher Aktivitäten im Testnetz, die auch Verluste lückenlos erfasst. In dem knapp dreijährigen Probebetrieb gab es laut Jürg Ziegenbalg, Leiter Realisierungssteuerung/Disposition beim Testfeldbetreiber Mitnetz Gas, allerdings keinen Verlust. Am Ende sollen alle Daten in ein Simulationsmodell münden, mit dem sich ermitteln lässt, wie künftige Wasserstoffnetze wirtschaftlich betrieben werden können.

Frank Urbansky




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Wasserstoff

Stadtwerke Bonn: Pläne für H2-Anschluss vorgestellt

[20.11.2024] Die Stadtwerke Bonn haben jetzt der Bundesnetzagentur ihre Vorschläge zur Anbindung zweier Heizkraftwerke an das Wasserstoff-Kernnetz präsentiert. Die Pläne sind Teil der Strategie, die Klimaneutralität der Bundesstadt bis 2035 zu erreichen. mehr...

Alexander Honz vom Stadtwerk am See untersucht die Möglichkeit einer Wasserstoff-Transformation in der Region Bodensee-Oberschwaben.

Stadtwerk am See: Gasleitungen für Wasserstoff

[08.11.2024] Das Stadtwerk am See aus Friedrichshafen am Bodensee setzt gemeinsam mit regionalen Partnern auf eine wasserstoffbasierte Zukunft. Bei einer Veranstaltung informierten sie über den aktuellen Stand der Wasserstoffwandlung und die mögliche Anbindung der Region Bodensee-Oberschwaben an das Wasserstoff-Kernnetz. mehr...

Stadtwerke Speyer: Energiewabe mit Wasserstoff

[05.11.2024] Die Stadtwerke Speyer wollen ein innovatives Wasserstoffprojekt starten und suchen Partner aus der Wirtschaft. Ziel ist es, die regionale Energieversorgung nachhaltiger und wirtschaftlicher zu gestalten. mehr...

Sachsen-Anhalt: Projekt Green Octopus

[04.11.2024] In Sachsen-Anhalt wird der Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft konkret. Mit dem Projekt Green Octopus Mitteldeutschland soll ein wichtiger Beitrag zur Vernetzung von Erzeugungs- und Verbrauchsregionen geleistet werden. mehr...

Baden-Württemberg: Förderung für PEGASUS-Projekt

[04.11.2024] Das Land Baden-Württemberg unterstützt Daimler Truck jetzt mit einer Förderung von fast 50 Millionen Euro bei der Entwicklung von Wasserstoff-Lkw für den Schwerlastverkehr. Im Rahmen des Projekts PEGASUS sollen insgesamt 100 wasserstoffbasierte Lastkraftwagen entwickelt und unter realen Bedingungen getestet werden. mehr...

Bremen/Bremerhaven: Anschluss ans Wasserstoff-Kernnetz

[04.11.2024] Die Bundesnetzagentur hat jetzt die Anbindung Bremens und Bremerhavens an das deutsche Wasserstoff-Kernnetz genehmigt. Mit dem Projekt soll die Region Teil eines zukunftsweisenden Energieverbunds werden. mehr...

Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen: Erster Wasserstoff-Bus startet im Linienbetrieb

[31.10.2024] Mit dem Einsatz von emissionsfreien Wasserstoff-Bussen geht die Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen (VVR) einen wichtigen Schritt in der Antriebswende im öffentlichen Nahverkehr. Die ersten drei Brennstoffzellen-Busse sollen unter realen Bedingungen auf verschiedenen Strecken getestet werden. mehr...

badenova: Bundesnetzagentur genehmigt H2-Kernnetz in Südbaden

[30.10.2024] Die Bundesnetzagentur hat den Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber zur Entwicklung eines nationalen Wasserstoff-Kernnetzes bestätigt. Der Verteilnetzbetreiber badenovaNETZE wird im Rahmen der Projekte RHYn Interco und H2@Hochrhein eine Schlüsselrolle beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Südbaden und am Hochrhein übernehmen. mehr...

Hamburg: HH-WIN wird Teil des nationalen Wasserstoff-Kernnetzes

[24.10.2024] Das Hamburger Wasserstoff-Industrie-Netz wird Teil des bundesweiten Wasserstoff-Kernnetzes, was Hamburgs Industrie ein einheitliches Wasserstoff-Netzentgelt sichert. Dies schafft Investitionssicherheit für den geplanten Ausbau des Netzes bis 2032. mehr...

Das Bild zeigt eine grün schimmernde Pipeline als Symbol für das Wasserstoffkernnetz. Im Hintergrund sind Windräder zu sehen.

Bundesnetzagentur: Grünes Licht für H2-Netz

[22.10.2024] Ein Kernnetz soll die Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland stärken und regionale Cluster vernetzen. Die Bundesnetzagentur hat die Pläne der Netzbetreiber nun genehmigt. mehr...

Wasserstoff kann zur Dekarbonisierung des Wärmesektors beitragen.

Infrastruktur: Die Netze in Toleranz üben

[10.10.2024] Im Sinne der Dekarbonisierung könnte Wasserstoff zumindest teilweise anstelle von Erdgas im Wärmesektor genutzt werden. Der Einsatz birgt jedoch Risiken. Lösungen gibt es bereits für die Messtechnik und Abrechnung. mehr...

Das Bild zeigt das Zeichen H2 für Wasserstoff, das in einer Flüssigkeit schwimmt.

Rheinland-Pfalz: Potenzialregionen für Wasserstoff

[08.10.2024] Eine aktuelle Studie des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität zeigt, dass es in Rheinland-Pfalz vielversprechende Regionen für die Produktion von grünem Wasserstoff gibt. mehr...

Das Bild zeigt die Eröffnung des Quest-One-Standorts in Hamburg, es ist unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz zu sehen.

Quest One: Serienproduktion von Elektrolyse-Stacks

[07.10.2024] Der Elektrolyse-Spezialist Quest One hat in Hamburg eine neue Produktionsstätte für die automatisierte Fertigung von Elektrolyse-Stacks eröffnet. Die Serienproduktion soll die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff erhöhen und die Energiewende vorantreiben. mehr...

Dank Gasmotor kann ein taiwanesisches Unternehmen Abfallwasserstoff für die unternehmenseigene Energieerzeugung nutzen.

Abfallwasserstoff: Energie aus Siliziumresten

[02.10.2024] Wie mittels Kraft-Wärme-Kopplung Abfallwasserstoff aus der Industrie für die eigene Energieversorgung genutzt werden kann, zeigt ein Projekt in Taiwan. Während Brennstoffzellen daran scheiterten, können Gasmotoren den unreinen Wasserstoff gut verarbeiten. mehr...

Einweihung der neuen Gasturbine im Heizkraftwerk der Stadtwerke Bonn.

Stadtwerke Bonn: Neue Gasturbine in Betrieb genommen

[02.10.2024] Die Stadtwerke Bonn haben jetzt im Heizkraftwerk Nord eine wasserstofffähige Gasturbine in Betrieb genommen und eine bestehende Turbine umgebaut. Damit wird ein wichtiger Schritt hin zur klimaneutralen Energieversorgung der Stadt Bonn unternommen. mehr...