InterviewVom Verkehrsbetrieb zum Service-Provider
Herr Schwager, bei der Diskussion um den Klimawandel gerät auch der Verkehrsbereich in den Fokus. Kann der öffentliche Nahverkehr klimafreundlicher werden?
Ja, aus unserer Sicht ganz bestimmt. In Großstädten gibt es natürlich die Trolleybus- und Tramsysteme, die schon einen großen Schritt weiter sind. Im ÖPNV sind in der Schweiz allerdings mehrheitlich Dieselfahrzeuge im Einsatz, auch wir betreiben einen Großteil unserer Flotte so. Allerdings hat sich die Technologie enorm verbessert. Man muss sich nun Gedanken machen, welche Fahrzeuge neu beschafft werden. Setzen wir weiterhin auf Diesel oder gibt es neue Technologien?
In welchen Schritten wollen Sie den Nahverkehr nachhaltiger machen?
Vor rund zwei Jahren standen wir vor der Frage, welche Antriebsart wir neu beschaffen. In einer internen Studie haben wir einige Antriebstechnologien verglichen und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Elektromobilität weit fortgeschritten ist und man bereits heute den ÖPNV weitgehend elektrisch betreiben kann. Also haben wir uns entschieden, Elektrobusse zu beschaffen. Noch in diesem Jahr werden wir zwei Fahrzeuge kaufen, im kommenden Jahr dann dreizehn. Dazu bauen wir die nötige Lade-Infrastruktur auf. Denn wer einen Elektrobus beschafft, kauft ein ganzes System. Nötig ist nämlich auch die gesamte Lade-Infrastruktur, das kostet natürlich Geld.
Wo sehen Sie Unterschiede zwischen der Philosophie der VBSH gegenüber der von anderen öffentlichen Nahverkehrsbetrieben?
Ich denke, dass langfristig alle Verkehrsbetriebe in Richtung Elektromobilität gehen. Der Unterschied ist vielleicht, dass die Umstellung bei uns durch das Unternehmen und die Geschäftsführung vorangetrieben wird. Zudem haben wir auch den zuständigen Stadtrat und das Parlament motiviert, dass sie uns dabei unterstützen. Wenn ich mit meinen Kollegen in anderen großen Städten in der Schweiz diskutiere, zeigt sich, dass der Druck jetzt auch von der Politik kommt.
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Wie kommt die Strategie bei den Bürgern an, welche Erfahrungen machen Sie?
In der Schweiz werden große Projekte wie dieses vor die Stimmbürger gebracht. Wir haben also die Bürger informiert, welche Veränderungen anstehen und freiwillig eine Volksabstimmung durchgeführt. Natürlich gab es viele Skeptiker, denn der ÖPNV muss funktionieren. Das Schaffhauser Stimmvolk hat dann aber letztlich der Vorlage zugestimmt.
Wie ändern sich die Mobilitätsbedürfnisse Ihrer Kunden?
Ich glaube, wir müssen uns von dem Begriff ÖPNV verabschieden und langfristig von der Mobilität der Zukunft sprechen. Den Kunden interessiert nicht mehr, in welchen Farben unsere Fahrzeuge lackiert sind. Er will möglichst schnell und zuverlässig von A nach B fahren. Hohe Flexibilität ist gefragt. Der Arbeitsplatz ist eigentlich in unseren Bussen, also jeder der drin sitzt, will schon seine E-Mails bearbeiten oder telefonieren können. Das sind ganz wichtige Punkte, die wir abdecken müssen. Und der ÖPNV der Zukunft muss trotz überfüllter Straßen pünktlich ankommen. Zudem muss er CO2-neutral und leise sein. Wir fahren mit unseren Dieselfahrzeugen ja auch in die Quartiere. Während sich früher niemand beschwert hat, kommen heute immer mehr Rückmeldungen, dass es zu laut sei. Das ändert sich mit Elektrobussen.
„In den Städten ist nur die Elektromobilität wirklich geeignet.”
Von Gas über Hybrid zu Elektro – es gibt die verschiedensten Mobilitätskonzepte. Welches halten Sie im Hinblick auf die Zukunft für das vielversprechendste?
Wir haben diese Technologien wie gesagt einander gegenübergestellt. Beim ÖPNV in den Städten werden immer die gleichen Strecken gefahren. Die Topografie ändert sich nicht, nur das Wetter. Der öffentliche Nahverkehr ist also berechenbar und fährt dahin, wo der Kunde wohnt. Da sind gasbetriebene Busse wegen der CO2-Emissionen wenig sinnvoll, und wie Dieselfahrzeuge sind sie laut. Bei Hybridfahrzeugen müssen zwei Systeme, also Elektro- und Dieselmotoren, gewartet werden. Das ist teuer. Auch Wasserstoff ist keine echte Alternative. Wasserstoff muss erst aufwendig hergestellt werden und der Umgang damit ist gefährlich. Hybrid- und Gasfahrzeuge könnten eine Möglichkeit für den Regionalverkehr sein, aber in den Städten ist nur die Elektromobilität wirklich geeignet.
Die Verkehrsbetriebe Schaffhausen wollen auch mit anderen Dienstleistern zusammenarbeiten. Was verstehen Sie unter einem Mobility Service Provider?
Wir können uns gut vorstellen, dass wir mit Taxi- und Carsharing-Unternehmen kooperieren. Ich glaube, es braucht eine Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Unterstützen, damit der Kunde auf ein eigenes Fahrzeug verzichtet. Bei jungen Menschen beobachten wir, dass sie teilweise keine Führerscheinprüfung mehr machen. Sie fragen sich, warum sie eine Parkfläche mieten und ein Auto dort abstellen sollen, das sie vielleicht in der Woche zu fünf Prozent nutzen. Und dort, wo sie wohnen, ist alles da – Carsharing, U-Bahn, Bus. Das zeigt, dass sich das Denken verändert.
Wie stehen Sie zum Konzept des autonomen Fahrens, wo sehen Sie Chancen, wo Hindernisse?
Wir arbeiten im Swiss Transit Lab mit, einer Plattform für Forschung und Entwicklung zum Thema intelligente Mobilität, und testen einen selbstfahrenden Bus in Neuhausen am Rheinfall. Ich bin der Meinung, dass das autonome Fahren in Zukunft eine große Rolle spielen wird. Es gibt viele Quartiere und Regionen, die heute mit den großen Bussen nicht angeschlossen werden, weil es zu wenige Fahrgäste gibt. Und genau da ist ÖPNV mit autonomen Fahrzeugen sinnvoll. Wir haben mit der ETH in Zürich eine Studie durchgeführt und Fahrgäste befragt: Wie sehen Sie das autonome Fahren, haben Sie Angst davor? Ich muss Ihnen sagen, dass ich extrem überrascht bin von den Ergebnissen: Die Leute lieben das Fahrzeug, das wir auf der Teststrecke hatten.
Wie wird sich das Konzept der VBSH in Zukunft weiterentwickeln?
Das Entscheidende ist, dass man die Dieselflotten ablöst. Daneben gibt es noch weitere wichtige Innovationen, wie beispielsweise im Bereich Ticketing. Das ist heute im ÖPNV zu kompliziert und muss einfacher werden. Ferner muss das Zusammenspiel der Mobilitätsanbieter – Taxisysteme, Fahrräder, U-Bahn, Bus, Bahn – so attraktiv werden, dass sich die Kunden genau überlegen: Will ich jetzt wirklich mein Auto nehmen und mir einen Parkplatz suchen? Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial, um einen zukunftsgerichteten ÖPNV für alle anbieten zu können.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März/April 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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