RegulatorikVersorger unter Druck
Der Kabinettsbeschluss zum Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) stellt laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen „wichtigen Schritt hin zu einem digitalisierten Energiesystem“ dar. Diplomaten würden sagen: Es besteht ein gewisses Delta zwischen dem Optimismus des Ministers und der Komplexität in der Realität. Der Roll-out von intelligenten Messsystemen werde dank des Gesetzes „systematisiert, beschleunigt und entbürokratisiert“ und die Einführung dynamischer Tarife beschleunigt, so Habeck weiter.
Das GNDEW sieht unter anderem vor, die 3-Hersteller-Regel zu beenden, definiert Quoten für den Smart Meter Roll-out inklusive Fristen bis 2030, beteiligt Netzunternehmen an den Kosten der Einführung, nennt eine Preisobergrenze für Haushalte und verpflichtet die Energieversorgungsunternehmen (EVU) zur Einführung dynamischer Stromtarife ab 2025. Zudem führt es die Rolle des Auffangmessstellenbetreibers ein, um sicherzustellen, dass ein einmal begonnener Roll-out fortgesetzt werden kann. Energieversorger müssen daher zahlreiche Daten vorhalten sowie ein abgestimmtes System aus Smart-Meter-Gateway-Administrator (SMGWA), Smart Metern und Abrechnungssystemen zur Verfügung stellen. Und hier beginnen die Schwierigkeiten.
Fehlende Planbarkeit
Eine Herausforderung ist etwa die fehlende Planbarkeit bei der technischen Umsetzung des Roll-outs. Viele Netzunternehmen und EVU besitzen bereits funktionierende IT-Systeme für Smart Metering. Doch neben klassischen Anpassungen in der bestehenden Marktkommunikation bringt das GNDEW neue gesetzliche Veränderungen mit sich. Die Geschwindigkeit und der Druck hinsichtlich der IT-Umsetzung dieser Vorgaben wachsen rasant. Zukünftige Anforderungen sind zudem noch nicht klar formuliert. Dazu zählen die dynamischen Tarife ab 2025. Wie könnte hier eine attraktive Produktgestaltung aussehen? Und wie kann die IT diese Tarife spiegeln? Mit solchen Fragen beschäftigen sich viele EVU zwar längst, doch veränderte Anforderungen erfordern immer wieder eine neue Betrachtung.
Technik und IT sind das eine – das notwendige Personal für die IT-Umsetzung und den Smart Meter Roll-out „auf der Straße“ das andere. Es fehlt an beidem: IT-Fachkräfte und Monteure sind Mangelware, während Dienstleister für einen Roll-out über Monate hinweg ausgebucht sein werden, da der gesamte Markt die gleiche Technik und das gleiche Personal zur gleichen Zeit benötigt. Hinzu kommen durch Krisen und Krieg verursachte Lieferengpässe in der Halbleiterindustrie. Dadurch geraten die Hersteller von Smart Meter Gateways unter Druck, die derzeit mit Lieferverzögerungen von bis zu neun Monaten rechnen.
Hersteller brauchen mehr Zeit
Rein technisch sind auch die Hersteller einer funktionierenden IT noch nicht so weit, die neuen Anforderungen abzudecken. Erfahrungsgemäß können sie Updates etwa sechs bis neun Monate nach neuen gesetzlichen Vorgaben anbieten. Es wird bis 2025 jedoch immer neue gesetzliche Anforderungen geben, die bis dato noch nicht geklärt sind. Sprich: Erst müssen Hersteller auf neue Vorgaben warten – dann benötigt es nochmals etwa ein Dreivierteljahr, bis diese technisch umgesetzt sind. Weitere Monate vergehen, bis die Lösungen produktionsreif am Markt zur Verfügung stehen. Nebenbei hat der Software-Hersteller SAP für das Jahr 2027 das Wartungsende seiner Branchenlösung SAP for Utilities (SAP I-SU) angekündigt. Betroffene Energieversorger müssen folglich eine neue IT-Strategie entwickeln – und das in einer Zeit, in der sie von der Strompreisbremse direkt weiterspringen müssen zur Umsetzung des GNDEW. Sie müssen abwägen: Wann könnten wir einen SAP-Wechsel umsetzen? Und haben wir dafür überhaupt die finanziellen und personellen Ressourcen?
Das GNDEW sieht zudem für Haushalte einen Preisdeckel vor – ein positives Signal, mit dem die Politik für gute Grundstimmung sorgen möchte. Bei Energieversorgern drückt das die Stimmung allerdings eher. Denn derzeit sind Aufwände und Kosten für die Umsetzung des Smart Meter Roll-outs unmöglich zu beziffern. Liegen die Kosten pro Smart Meter über der Preisbremse, kann sie ein EVU nicht ausreichend wirtschaftlich an die Haushalte weitergeben. Darüber hinaus müssen die Energieversorger die Einbauquoten in einem definierten Zeitraum einhalten. Eine Pauschalvorgabe, die nicht nur aus den genannten Gründen nicht funktionieren wird; auch andere Gegebenheiten sind zu wenig planbar. Sind die Systeme vor Ort überhaupt darauf vorbereitet? Ist ein lokales Netz leistungsfähig genug? Entscheidende Fragen, die sich nur individuell beantworten lassen. Das braucht Zeit, welche die EVU jedoch nicht bekommen.
IT-Roadmap entwickeln
Die Summe dieser Herausforderungen sorgt in der Branche für einen nahezu einhelligen Tenor: „Liebe Bundesnetzagentur, lieber BDEW, wir schaffen es einfach nicht.“ Die Politik müsste alle Player aus der Wirtschaft fragen: Was ist realistisch zu schaffen? Was wäre wirklich entbürokratisierend, wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck versprochen hat? Eine Art Task Force wäre sinnvoll, damit die Politik ihr Ohr näher an der Praxis hat und Energieversorger ein Mitspracherecht bei der Gestaltung und Umsetzung des Smart Meter Roll-outs erhalten.
Solche marktnahen Absprachen gab es bisher jedoch nicht. Das führt dazu, dass die Zeiten für Energieversorger so herausfordernd sind wie lange nicht. Sie müssen daher unbedingt eine IT-Roadmap für die nächsten drei Jahre entwickeln, welche unter anderem folgende Fragen beantwortet: Was ist ein Muss? Welche Themen sind zur Optimierung am wichtigsten? Mit welchen rechtlichen Rahmenbedingungen gilt es sich zu beschäftigen? Muss wirklich alles umgesetzt werden, und wenn ja, mit wem? Was kann realistisch mit den eigenen Kapazitäten realisiert werden?
Aufgrund der hohen Dynamik und Komplexität des Smart Meter Roll-outs setzt IT-Dienstleister GISA deutlich weiter vorne im Prozess an, und berät EVU dabei, was aktuelle Vorgaben für die IT-Strategie bedeuten, welche Prozesse mit welchen Marktrollen neu aufgesetzt werden müssen und wie eine IT-Landschaft angelegt sein muss, um den Herausforderungen stabil und zunehmend automatisiert zu begegnen. Und kann so zu einem Smart Meter Roll-out beitragen, der für die Energiewirtschaft machbar ist.
Dieser Beitrag ist im Schwerpunkt Smart Metering der Ausgabe Mai/Juni 2023 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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