Donnerstag, 26. Dezember 2024

InterviewUnverzichtbare Wasserkraft

[16.09.2021] Ohne Wasserkraft sind die Klimaziele nicht erreichbar. Dennoch wird die Stromerzeugung aus Wasserkraft durch Vorgaben ausgebremst. Über die Vorteile der Wasserkraft und Hemmnisse beim Ausbau sprach stadt+werk mit Fabio Longo und Ronald Steinhoff.
Fabio Longo ist als Rechtsanwalt spezialisiert auf Verwaltungsrecht für erneuerbare Energien. Er ist Vizepräsident von Eurosolar.

Fabio Longo ist als Rechtsanwalt spezialisiert auf Verwaltungsrecht für erneuerbare Energien. Er ist Vizepräsident von Eurosolar.

(Bildquelle: privat)

Herr Longo, Herr Steinhoff, in Deutschland gibt es derzeit keine Planungen für große Pumpspeicher- oder Flusskraftwerke. Hat die Wasserkraft hierzulande überhaupt noch eine Chance?

Fabio Longo: Die Wasserkraft insgesamt wird gebraucht. Durch sie wird hocheffizient Strom erzeugt und sie ergänzt die übrigen erneuerbaren Energien sehr wirksam – gerade in den Monaten November bis April, wenn der Strombedarf steigt, das Wasserdargebot in den Oberflächengewässern besonders groß ist und gleichzeitig die Solarenergie in geringerem Maße zur Verfügung steht. Vorrang sollten immer die erneuerbaren Energien haben – auch vor dem Einsatz von Energiespeichern. Deshalb muss die große Wasserkraft weiter betrieben und an den bestehenden Querverbauungen wie Wehren in den Oberflächengewässern die Kleinwasserkraft ausgebaut werden.

Ronald Steinhoff: Mit dem Wegfall der Atom- und Kohlekraftwerke wird die stetige Erzeugung von Energie aus Wasserkraft stark an Bedeutung gewinnen. Die volatile Erzeugung von Wind- und Solarstrom zu verstetigen, erfordert Speicher, für deren Aufbau Ressourcen benötigt werden. Ressourceneffizient und nachhaltig kann dies nur geschehen, wenn zuerst das Potenzial der verfügbaren regelbaren und stetigen Erneuerbaren erschlossen und aufrechterhalten wird. Die große Wasserkraft wird zusammen mit den anderen stetigen Erneuerbaren unverzichtbar sein. Alle mit der Wasserkraft in Verbindung stehenden Techniken sind gut skalierbar, daher ist jede Größe einer Wasserkraftanlage sinnvoll, sofern man Vermeidungsmaßnahmen wie Fischwege und Fischschutz installiert hat. Insbesondere Pumpspeicherkraftwerke können helfen, die Energiewende maßgeblich voranzubringen.

„Wasserkraft hat erhebliche Vorteile für den Klimaschutz.“
Hätten Kleinwasserkraftwerke das Potenzial, wenigstens zum Teil die fehlende Leistung der großen Wasserkraft zu ersetzen?

Steinhoff: Wir hatten vor 75 Jahren zehnmal mehr Wasserkraftanlagen in Deutschland. Das kann die kleine Wasserkraft nicht ersetzen. Die Kleinwasserkraft wird durch den Wegfall der netzstabilisierenden Eigenschaften von Kohle- und Atomstrom zukünftig wichtige Netzdienstleistungen in den regionalen Verteilernetzen übernehmen müssen. Die Anbindung an den Regelenergiemarkt und die Momentanreserve zur Frequenzstabilisierung sind da erst der Anfang. Wasserkraft hat das höchste CO2-Vermeidungsäquivalent, den besten Erntefaktor und Wirkungsgrad aller Erneuerbaren. Diese Anlagen bedeuten gerade auch Bürgerenergie und regionale Wertschöpfung – und das insbesondere in strukturschwachen Regionen.

Welche Hemmnisse sehen Sie durch die Landespolitik bei der weiteren Etablierung oder dem Weiterbetrieb von Kleinwasserkraftwerken auch außerhalb Hessens? Sie empfehlen ein Moratorium, das letztlich die Kleinwasserkraft unterstützen soll.

Longo: Derzeit erarbeiten die Bundesländer Maßnahmenprogramme für die Bewirtschaftungsperiode 2021 bis 2027 nach der Wasserrichtlinie der EU, die viele Betreiber zur Aufgabe ihrer Wasserkraftanlage zwingen, etwa durch überzogene Forderungen an Fischauf- und -abstieg sowie Mindestwasseranordnungen, durch die die Stromerzeugung aus Wasserkraft ausgebremst wird. Hier müsste das Länder-Moratorium in Bezug auf die Wasserkraft greifen. Es ist einfach absurd, nach den Ankündigungen und Beschlüssen der EU für einen Green Deal jetzt auf der vermeintlichen Grundlage der EU-Wasserrichtlinie die Wasserkraft zurückzubauen. Die Länder sollten sich jetzt auf Verbesserungsmaßnahmen an Gewässern konzentrieren, die den Green Deal voranbringen. Die Zeit des Moratoriums muss dazu genutzt werden, ganzheitliche, gesamtökologisch sinnvolle Konzepte zur Verbesserung der Gewässer zu entwickeln. Die Konzentration auf das Gebot der Durchgängigkeit der Gewässer sollte dabei grundlegend überdacht werden.

#bild2 Steinhoff: Die Wasserkraft wird ungerechtfertigterweise für die Probleme in unseren Gewässern verantwortlich gemacht. Schaut man genauer hin, so sieht man, dass es im Wesentlichen andere Gründe wie Stoffeinträge sind, die den schlechten Zustand unserer Gewässer verursachen. Gerade Wirkstoffe und Keime sind allgegenwärtig und richten erhebliche Schäden an. Während die Einflüsse der Wasserkraft durch Modernisierung stetig abnehmen, nehmen die anderer Nutzer teils erheblich zu. Hinzu kommt, dass Wasserkraft die einzige erneuerbare Energiequelle ist, die eine lange Historie hat. Dementsprechend viele Anlagen müssen daher modernisiert werden und benötigen Unterstützung bei der technischen und ökologischen Überarbeitung statt immer neue und weitergehende Auflagen mit der insgeheimen Hoffnung, dass die Anlagen aufgegeben werden und man keine Arbeit mehr damit hat.

Wird es durch die neue und vom Bundesverfassungsgericht rechtlich erzwungene Klimapolitik der Bundesregierung etwas Rückenwind für die Kleinwasserkraft geben?

Longo: Dies wäre rechtlich nur konsequent. Grundsätzlich ist der Gesetzgeber zwar frei in den Maßnahmen zur Erreichung der gesteigerten Klimaziele. Um das zunehmende Anforderungsniveau des Klimaschutzgesetzes zu erfüllen, ergibt es allerdings keinen Sinn, kurz- und mittelfristig den Klimaschutz durch den Rückbau der Wasserkraft zu schwächen. Bei einzelnen Vorhaben, etwa in Genehmigungsverfahren für die Errichtung von Wasserkraftanlagen oder bei staatlichen Maßnahmen gegen die Wasserkraft, stärkt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgebot das öffentliche Interesse an der Nutzung der Wasserkraft. Das wirkt sich in Genehmigungs- oder Planfeststellungsverfahren aus. Ebenso haben die Wasserbehörden der Länder einen höheren Rechtfertigungsaufwand, um Maßnahmen gegen die Wasserkraft durchzuführen.

Steinhoff: Wir haben in Deutschland etwa 7.600 Wasserkraftanlagen. Bei den allermeisten handelt es sich um Kleinanlagen, die aufgrund ihrer Stetigkeit und Netzdienstleistungen zur Energiewende dringend erforderlich sind. Die Wertschöpfung der Wasserkraft verbleibt nahezu vollständig in der Region und sorgt in Deutschland für mindestens 10.000 sichere Arbeitsplätze. Das kann keiner Bundesregierung gleichgültig sein.

Wie sollte idealerweise ein Mindestwassererlass aussehen, der alle Aspekte der Kleinwasserkraft berücksichtigt?

Steinhoff: Ein Landes-Mindestwassererlass sollte die genannten Vorteile der Wasserkraft wie das CO2-Vermeidungsäquivalent und den dadurch vermiedenen Umweltschaden in die Abwägungen einbeziehen und klarstellen, dass Wasserkraftstrom in einem erneuerbaren Energiesystem zur Versorgungssicherheit benötigt wird. Wasserkraft hat, gesamtökologisch gesehen, erhebliche Vorteile für den Klimaschutz und die Klimafolgenbekämpfung, beispielsweise durch die Wasserrückhaltung. Dies wird zukünftig eine erheblich größere Rolle spielen, da Wasser nicht mehr schnell abfließen darf, sondern zu verschiedenen Zwecken in der Landschaft verbleiben muss. Grundwasserspiegel werden durch Wasserkraft stabilisiert, Feuchtgebiete, kühles regionales Klima erhalten und Trinkwassergewinnung ermöglicht. Zudem trägt gerade die Kleinwasserkraft aufgrund der Entnahme von Kunststoffmüll erheblich zur Reinigung der Gewässer bei. All diese Vorteile müssen berücksichtigt werden.

Interview: Frank Urbansky

Im Interview, Fabio Longo und Ronald SteinhoffFabio Longo ist als Rechtsanwalt spezialisiert auf Verwaltungsrecht für erneuerbare Energien. Er ist Vizepräsident von Eurosolar. Ronald Steinhoff ist Ingenieur für Wasserkraft, Wasserbau und Gewässerökologie. Der Diplom-Physiker ist stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Wasserkraftwerke (AHW).



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