WettbewerbTabellenführer bei Bioenergie
Im Interview: Dieter Sjuts
Diplom-Verwaltungswirt und Verwaltungsdiplom-Inhaber Dieter Sjuts (parteilos), Jahrgang 1946, ist seit 1996 Bürgermeister der Stadt Hardegsen im Kreis Northeim. Von 1990 bis 1996 war Sjuts Stadtdirektor von Hardegsen. Zuvor war er Kämmerer und stellvertre
(Bildquelle: Stadt Hardegsen)
Herr Sjuts, Hardegsen spielt jetzt in der BioEnergie-Bundesliga. Ihre Stadt hat in dem Wettbewerb unter 79 Kommunen den ersten Platz eingenommen. Wie kam es zu der Teilnahme?
Der Landkreis Northeim hat vor einiger Zeit eine Bioenergie-Offensive in Südniedersachsen gestartet, die von einer Expertin koordiniert wird, welche die Verhältnisse in Hardegsen sehr genau kennt und mit dem Vorschlag auf mich zugekommen ist, an dem Wettbewerb BioEnergie-Bundesliga teilzunehmen. Wir haben dann die Daten zusammengetragen und eingereicht und freuen uns, dass uns unser klimapolitisches Engagement den ersten Platz eingebracht hat. Jetzt versuchen wir natürlich, damit Marketing zu betreiben. Die Auszeichnung beim Wettbewerb BioEnergie-Bundesliga bedeutet einen Imagegewinn für die Stadt Hardegsen. In vielen Gesprächen, auch landkreisübergreifend, rückt das Thema Bioenergie immer stärker in den Fokus. Und es kommen viele Nachfragen, was wir hier genau machen.
Wie sahen die Wettbewerbsbedingungen für die BioEnergie-Bundesliga aus?
Der vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) geförderte Wettbewerb konzentriert sich auf den kommunalen Klimaschutz. Es wurden also Kommunen ausgezeichnet, die sich bemühen, CO2-Emissionen einzusparen, indem sie Biomasse als Energieträger einsetzen. Mit unserem Biomasseheizkraftwerk und weiteren Biogasproduktionsstätten lagen wir offensichtlich gut im Rennen. Wir mussten detailliert darlegen, wie viel Biomasse für die Erzeugung von Wärme, Strom und Gas genutzt wird.
„Mit unserem Biomasseheizkraftwerk und weiteren Biogasproduktionsstätten lagen wir offensichtlich gut im Rennen.“
Wie viele Anlagen, die erneuerbare Energien einsetzen, gibt es in Hardegsen?
Wir haben eine große Anlage, eine Bioerdgasanlage, aus der jährlich über 8,8 Millionen Normkubikmeter Biogas und rund 47.000 Megawattstunden Strom gewonnen werden. Dazu werden 39.000 Tonnen Energiepflanzen, vorwiegend Mais, eingesetzt. Das Besondere an dieser Anlage ist, dass Biogas erzeugt, gereinigt und in Erdgasqualität direkt ins Netz eingespeist wird. Parallel wird über abgezweigtes Biogas in einem Blockheizkraftwerk ebenfalls Strom erzeugt und eingespeist. Darüber hinaus gibt es eine landwirtschaftliche Biogasanlage mit einem Gasertrag von etwa 110 Normkubikmeter und sehr viele Holzheizanlagen. Unsere Gegend hier am Rand des Sollings ist sehr waldreich und es gibt noch zahlreiche Holzansprüche von Eigentümern, die selbst Holz schlagen können. Mit Holz zu heizen, ist bei uns also durchaus wieder in. Der Anteil der Firmen und Privathaushalte, die darauf setzen, steigt stetig. In einem Industriegebiet hat sich vor Kurzem eine Firma niedergelassen, die auf die Herstellung von Holzpellets spezialisiert ist. Sozusagen dicht am Erzeuger.
Das klingt fast so, als ob die Stadt Hardegsen energetisch autark sei.
Wir haben im vergangenen Jahr ein Leitbild erstellt mit dem Ziel, uns in zwanzig Jahren zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien selbst versorgen zu wollen. Rechnerisch haben wir jetzt schon einen Selbstversorgungsgrad, der bei über 70 Prozent aus EEG-Strom liegt.
Wie sind die Heizkraftanlagen organisiert – kommunal oder privat?
Die Bioerdgasanlage ist privatwirtschaftlich organisiert und gehört einer Firma. Das produzierte Gas wird im Rohzustand an den hiesigen Energieversorger E.ON verkauft, der es reinigt und ins Netz einspeist. Die Betreiber des Heizkraftwerkes erhalten eine Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Die andere Biogasanlage gehörte einem Landwirt und wird inzwischen im Rahmen einer Genossenschaft betrieben. Daran ist ein ganzes Dorf beteiligt, das noch in diesem Jahr direkt mit Wärme versorgt werden soll.
In Hardegsen scheint ein großes Engagement vorzuherrschen. Wie kommt es dazu?
Die große Bioerdgasanlage ist aus einem Verband der Landwirte entstanden, die daran interessiert waren, sich ein zweites Standbein für ihre Erzeugnisse aufzubauen, insbesondere für den Mais. Die Idee war, eine gewisse Fläche mit Mais zu bebauen und dann langfristige Verträge zu schließen, um letztlich auch vor den Schwankungen der Getreidepreise geschützt zu sein. Daraus ist die Biogasanlage entstanden, an der sich weitere Kapitalgeber beteiligt haben. Immerhin sind jetzt 850 Hektar landwirtschaftliche Fläche unter Vertrag. Daran sind viele, auch große landwirtschaftliche Betriebe beteiligt, die sich für zehn oder zwölf Jahre verpflichtet haben, eine bestimmte Menge Mais zu Preisen zu liefern, die fest vereinbart sind. So können alle kalkulieren, sowohl der Biogasanlagenbetreiber als auch die Landwirte.
Wie hoch ist die Akzeptanz und Motivation bei den Hardegser Bürgern?
Die Akzeptanz ist sehr hoch, es gibt keine Widerstände. Wir haben eine Bürgerenergiegenossenschaft gegründet mit 70 Mitgliedern beim Start, die zusammen 72.000 Euro gezeichnet haben. Inzwischen sind es 168 Mitglieder mit über 200.000 Euro gezeichnetem Kapital. Die Anteile liegen bei 100 Euro. Die Bürgergenossenschaft betreibt drei kleinere Photovoltaikanlagen, die vergangenes Jahr gebaut wurden und 170 Kilowatt-Peak Strom erzeugen. Auch in Zukunft will die Genossenschaft weiter im Bereich der erneuerbaren Energien investieren. Daran wird die große Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich.
Macht die Politik alles richtig?
Ich persönlich bin kein großer Freund von Förderungen. Entwicklungen sollten sich aus dem Markt ergeben. Bei der Geothermie allerdings, die ich für zukunftsträchtig halte, ist zu überlegen, ob man sie nicht besser unterstützen muss. Dabei habe ich den gesamten Bereich der erneuerbaren Energien im Blick – und da ist die Geothermie derzeit noch unterrepräsentiert. Ein weiterer Punkt wären steuerliche Vergünstigungen für die energetische Sanierung von Gebäuden, sprich: Dämmung. Das ist meiner Meinung nach besonders wichtig. Unsere Energiegenossenschaft hat sich das Ziel gesetzt, Fördermöglichkeiten für Altbaubesitzer, die Maßnahmen zur Energieeinsparung ergreifen möchten, zusammenzutragen und möglicherweise auch zu bezuschussen. In der bundespolitischen Diskussion ist vorgesehen, auch Gebäude, die vor 1994 gebaut worden sind, zu fördern. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für Hardegsen mit seiner historischen Fachwerk-Altstadt wäre das besonders interessant. Ich bin überzeugt davon, dass die Bürger dies annehmen und selbst auch investieren würden, wenn es steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten gäbe. Um das ganz klar zu sagen: Ich verspreche mir vom Energiesparen mehr als von der Erzeugung regenerativer Energien. Das geht aber nur über Anreizförderung.
http://www.bioenergie-bundesliga.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März 2012 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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