Samstag, 23. November 2024

grid-controlSteuern mit der Netzampel

[10.05.2019] An Lösungen für zukunftsfähige Verteilnetze wurde im Forschungsprojekt grid-control gearbeitet. Als Alternative zum Netzausbau und der Abregelung von Anlagen wurde im Netz der Gemeinde Freiamt erprobt, wie sich Stromverbraucher und Speicher intelligent steuern lassen.
Eine Komponente im Projekt grid-control: der steuerbare Quartierspeicher.

Eine Komponente im Projekt grid-control: der steuerbare Quartierspeicher.

(Bildquelle: Netze BW)

Je weiter die Energiewende voranschreitet, desto größer werden die Aufforderungen an die Netze, die meist volatile Erzeugung aus erneuerbaren Quellen zu integrieren. In einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte und Feldtests erforschen und entwickeln Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber dafür innovative Lösungen. Auch Netze BW verfolgt das Ziel, mithilfe intelligenter Technik den Netzausbau und somit die Kosten auf ein Mindestmaß zu begrenzen. In eine neue Dimension vorgestoßen ist dabei das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderte Forschungsprojekt grid-control (http://projekt-grid-control.de) in der Gemeinde Freiamt im Hochschwarzwald: Insgesamt neun Partner aus Forschung und Industrie erprobten erstmals erfolgreich einen gesamtheitlichen Ansatz für ein automatisiertes und gezieltes Energie-Management.

Hohe Einspeisung

Das Verteilnetz in der Gemeinde Freiamt zeichnet sich durch eine hohe Einspeisung aus Solar- und Windkraft aus. Sie übersteigt, je nach Witterung, stundenweise die Last um das Dreifache. Rund 30 Haushalte und Landwirtschaftsbetriebe deren Photovoltaikanlagen insgesamt 700 Kilowatt (kW) leisten können, haben sich an dem Feldtest beteiligt. Diese wurden mit moderner Mess- und Steuertechnik ausgerüstet und an ein Regionales Energiemanagement System (REMS) angebunden. Dabei handelt es sich um einen zentralen Rechner mit intelligenten Algorithmen, der quasi als automatisierte Mini-Leitstelle für einen der beiden 20.000-Volt-Mittelspannungsstränge wirkt, welche die mehr als 4.000 Einwohner der Gemeinde versorgen. Dreißig der 40 Umspannstationen, aus denen die Ortsnetze beliefert werden, wurden dafür ebenfalls mit intelligenter Messtechnik ausgestattet. In einem davon installierte Netze BW in drei Haushalten je einen Batteriespeicher mit Gebäude-Energie-Management-System. Hinzu kam ein ebenfalls steuerbarer Quartierspeicher mit einer Kapazität von 120 Kilowattstunden (kWh). Nach dem zu erwartenden anfänglichen Gerumpel bei der Kommunikation zwischen Systemen und Komponenten hat sich der tägliche oder sogar minütliche Datenaustausch schließlich recht stabil entwickelt.

Herzstück ist die Netzampel

Auf dieser technischen Basis konnte der gesamte Prozess in einem Ortsnetz erprobt werden: angefangen bei der Fahrplanerstellung auf Haushaltsebene über die Prognose der Netzauslastung bis hin zur Behebung von (fiktiven) Engpässen. Herzstück des Gesamtkonzepts bildet die inzwischen weithin bekannte Netzampel. Sie regelt das Zusammenspiel von Netzbetreiber und Marktteilnehmern. Grün bedeutet Freie Fahrt im Netz, also: Alle Player können ihre Anlagen wie geplant steuern. Gibt es für den Folgetag einen prognostizierten Engpass, springt die Ampel für den entsprechenden Netzabschnitt auf gelb. Die Marktteilnehmer passen dann die Fahrpläne der steuerbaren Anlagen so an, dass der Engpass proaktiv vermieden wird, etwa, indem überschüssiger Strom lokal verbraucht oder gespeichert wird. Erst wenn dies nicht funktioniert und dennoch ein Engpass eintritt, springt die Ampel auf rot. Dann regelt der Netzbetreiber – in Freiamt das REMS – diese Anlagen so, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt.

Aktivierungsquoten setzen Rahmen

Der Sommer 2018 bescherte perfekte Bedingungen für den Test. Die Netzampel im betrachteten Ortsnetz schaltete fast täglich mehrfach von grün auf gelb. Dabei konnten erfolgreich prognostizierte (fiktive) Engpässe durch eine intelligente Koordination der steuerbaren Anlagen, insbesondere der Batteriespeicher, vermieden werden. Den Rahmen für den Einsatz setzten Aktivierungsquoten der flexiblen Anlagen. Mit diesen gibt der Netzbetreiber den Korridor vor, in dem sich die einzelnen Anlagen und Lasten bewegen müssen, damit kein Engpass entsteht. Daraufhin optimieren die Marktteilnehmer die entsprechenden Fahrpläne. Auch der Einsatz der roten Ampel ließ sich im Feldtest demonstrieren. Ein entscheidender Punkt: Im Rahmen von grid-control wurde in einer deutlich höheren Granularität bei der Regelung von Photovoltaikanlagen vorgegangen, als das heute üblicherweise erfolgt. Der Zugang zu jeder einzelnen Anlage erlaubt dem Netzbetreiber eine wesentlich gezieltere und effizientere Steuerung. Dies könnte bei weiter steigendem Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix dazu beitragen, dass weniger abgeregelt werden muss.

Zentraler Baustein REMS

Einen zentralen Baustein bei der Umsetzung von grid-control bildet das Regionale Energiemanagement System mit der Hauptfunktion, die Netzzustände zu beurteilen und daraufhin automatisiert Steuerbefehle gemäß eines zuvor erstellten Rankings einzuleiten und wieder aufzuheben. Dessen Algorithmen initiieren minütlich Abfragen der Messdaten, erkennen Engpässe und steuern bedarfsgerecht die benötigten Anlagen. Mithilfe des REMS war Netze BW in der Lage, einen bestimmten Lastfluss an einem Knoten zum vorgelagerten Netz bereitzustellen. Das könnte sich gerade bei großräumigeren Ungleichgewichten noch als hilfreich erweisen.
Fazit: Die automatisierte Steuerung kann einen Schlüssel für die nachhaltige und wirtschaftliche Netzintegration der Erneuerbaren liefern. Der Feldtest hat gezeigt, dass die Technik grundsätzlich funktioniert, viele Komponenten und Prozesse aber deutlich robuster werden müssen. So bedarf es einer zuverlässigen Kommunikationsinfra­struktur zwischen Systemen und Akteuren, um den Datenaustausch zu gewährleisten. Dieser muss, um ein Flächenkraftwerk betreiben zu können, zudem noch filigraner werden. Denn die minütliche Abfrage von Erzeugungsdaten der Photovoltaikanlagen kann die Schwankungen bei schnellem Wechsel der Bewölkung nicht adäquat wiedergeben.

Folgeprojekt angedacht

Schließlich gilt es, die Algorithmen auf Basis der Erfahrungen aus dem einjährigen Feldtest weiterzuentwickeln. Sie sollten in der Lage sein, auch mit einer Vielzahl unvorhergesehener Situationen angemessen umzugehen. Was zu tun ist, wenn Anlagen sich nicht wie geplant verhalten oder gar nicht erreichbar sind, lässt sich nur in der Praxis erlernen. Deshalb denkt Netze BW bereits intensiv über ein Folgeprojekt nach. Aufgrund der ausgezeichneten Kooperation mit den teilnehmenden Haushalten und Betrieben sowie der Unterstützung durch die Gemeinde würde sich Freiamt dafür wieder anbieten.

Katharina Volk und Linda Rupp

Katharina Volk, Linda RuppKatharina Volk, Leiterin des Projekts grid-control, ist Master of Science im Wirtschaftsingenieurwesen, Feldtestleiterin Linda Rupp hat den M.Sc. in Energietechnik absolviert. Beide arbeiten im Bereich Technik und Innovation (TI) der Netze BW an intelligenten Lösungen zur Netzintegration der erneuerbaren Energien.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Netze | Smart Grid

EnBW/Stadtwerke Düsseldorf: iMSys erfolgreich migriert

[22.11.2024] EnBW hat in einer neuen Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Düsseldorf über 4.000 intelligente Messsysteme in ihre bestehende IT-Landschaft integriert. Der Dienstleisterwechsel wurde dank eines automatisierten Prozesses in rund neun Monaten erfolgreich umgesetzt. mehr...

TenneT/TransnetBW: Einsatz von VertiGIS bei SuedLink

[19.11.2024] Die Übertragungsnetzbetreiber TenneT und TransnetBW haben sich jetzt für VertiGIS Studio als zentrale Softwarelösung für die Planung und Umsetzung des SuedLink-Projekts entschieden. mehr...

Das Bild zeigt eine Situation in einem Testlabor.

Smight: Neue Lösung für Netzstabilität

[07.11.2024] Der 14a-Lastmanager von Smight wurde erfolgreich unter realitätsnahen Bedingungen getestet. Zusammen mit dem SMIGHT IQ Copilot kann nun die gesamte Prozesskette zur Erkennung und Steuerung von Netzüberlastungen abgedeckt werden. mehr...

Cunewalde: Ortsnetzstation mit Grips

[06.11.2024] Cunewalde erhält eine intelligente Ortsnetzstation. Für die Gemeinde und SachsenEnergie ist dies ein wichtiger Schritt für Digitalisierung und Transparenz des kommunalen Stromnetzes. mehr...

Das Bild zeigt die Leitstelle des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich. Zu sehen ist ein Mitarbeiter vor mehreren Überwachungsbildschirmen.

Zürich: ewz nutzt Leitsystem ControlStar

[04.11.2024] Um die Netzsicherheit und -effizienz zu erhöhen, hat sich das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) für das Leitsystem ControlStar des IT-Anbieters Kisters entschieden. Das neue System bietet erweiterte Funktionen zur Fehlererkennung und Regelenergie sowie zur automatisierten Datenanalyse. mehr...

Bundesnetzagentur: Niedrigere Netzentgelte im kommenden Jahr

[28.10.2024] Ab Januar 2025 können Verbraucher in Regionen mit starker Wind- und Sonnenenergieerzeugung von deutlich reduzierten Netzentgelten profitieren. Die Bundesnetzagentur setzt dabei auf eine faire Kostenverteilung und sieht insbesondere für Haushalte spürbare Einsparungen vor. mehr...

Das Bild zeigt eine riesige Kabeltrommel mit Erdkabeln, die in einen Graben verlegt werden.

SuedLink: Erste Kabel verlegt

[23.10.2024] Der Kabelhersteller Prysmian hat mit der Verlegung der ersten Erdkabel für SuedLink begonnen. Die Leitung soll sauberen Strom aus Norddeutschland in den Süden bringen. mehr...

Das Bild zeigt das Innere einer Trafokompaktstation der Stadtwerke Völklingen Netz.

Stadtwerke Völklingen: Valide Daten für die Netzplanung

[21.10.2024] Die Stadtwerke Völklingen Netz setzen auf moderne Messtechnik, um das Stromnetz zukunftssicher zu machen. Mit digitalen Lösungen zur präventiven Netzüberwachung sorgt das Unternehmen für eine stabile Energieversorgung in der Region. mehr...

Netzleitstand: Eine minutenaktuelle Netzzustandserfassung löst bei Bedarf eine dynamische Ad-hoc-Steuerung aus.

Netzsteuerung: Grenzen Digitaler Zwillinge

[15.10.2024] Mit einer Kombination aus Digitalem Zwilling und Niederspannungsleitsystem können Netzbetreiber einen wichtigen Teil der §14a-Prozesse umsetzen. Der letzte noch fehlende Baustein ist ein massendatenfähiges Flexibilitätsmanagement. mehr...

Abgebildtet ist das Umspannwerk Mentzing mit Supraleiter-Kabel im Vordergrund.

München: Erster Supraleiter in Betrieb

[11.10.2024] Der Netzbetreiber SWM Infrastruktur hat zusammen mit Partnern einen 110.000-Volt-Supraleiter entwickelt und im Münchner Stromnetz erfolgreich getestet. Der Prototyp könnte die Grundlage für die Stromversorgung der Zukunft bilden. mehr...

Einfach und schnell: Der Einbau der Smight-Technologie erfolgt von den Mitarbeitenden selbst.

Stadtwerke Frankenthal: Lösungen für ein stabiles Stromnetz

[26.09.2024] Um ihr Stromnetz besser überwachen und planen zu können, setzen die Stadtwerke Frankenthal auf die Messlösung SMIGHT Grid2. Damit wollen sie Überlastungen frühzeitig erkennen und das Netz fit für die Zukunft machen. mehr...

Oberhausener Netzgesellschaft rüstet ihre Ortsnetzstationen mit SMIGHT Grid2 aus.

OB Netz: Digitale Netztransparenz

[09.09.2024] Die Oberhausener Netzgesellschaft nutzt jetzt Echtzeitdaten, um ihr Niederspannungsnetz besser zu überwachen und effizienter zu planen. Mit der neuen Sensorik von Smight können Stromflüsse und Spannungen minutengenau erfasst werden. mehr...

Neues Umspannwerk: Stadtwerke Bochum reagieren auf den steigenden Strombedarf.

Stadtwerke Bochum: Neues Umspannwerk in Betrieb

[02.09.2024] Nach vierjähriger Bauzeit haben die Stadtwerke Bochum ein neues Umspannwerk in Betrieb genommen. Die Anlage soll den steigenden Energiebedarf decken und die Energieversorgung des innovativen Bochumer Gewerbegebiets MARK 51°7 sicherstellen. mehr...

Messtechnik: Nachrüst-Lösung für Ortsnetzstationen

[23.08.2024] Um Netzbetreibern eine einfache und schnelle Umrüstung ihrer Messtechnik gemäß den Anforderungen des Energiewirtschaftsgesetzes zu ermöglichen, hat Socomec eine modulare All-in-One-Lösung entwickelt. mehr...

rku.it: SW Magdeburg ist Neukunde

[14.08.2024] rku.it hat die Städtischen Werke Magdeburg als Neukunde im Bereich SMGWA und MDM gewonnen. mehr...