Freitag, 8. November 2024

Smart GridSchlaues Netz in Sonderbuch

[06.10.2015] Übermäßig viel Strom produzieren die Einwohner eines kleinen Ortes auf der Schwäbischen Alb. Der Netzbetreiber Netze BW untersucht deshalb in einem groß angelegten Feldtest unter realen Bedingungen das Zusammenspiel verschiedener Smart-Grid-Elemente.
Per Knopfdruck zum intelligenten Verteilnetz.

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v.l.: Hans-Josef Zimmer, EnBW Technik-Vorstand; Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer Netze BW; Franz Untersteller, Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg; Sven Behrendt, SAG Technik-Vorstand

(Bildquelle: EnBW, Georg Kliebhan)

Über 80 Gäste aus Politik, Industrie, Forschung und der Energiewirtschaft schwitzen. Die Temperaturen im schwäbischen Sonderbuch haben bereits zur Mittagszeit die 30-Grad-Marke geknackt. Es ist einer dieser heißen Tage des Rekordsommers 2015. Auch die Stromnetze kommen aufgrund der enormen Solarstromeinspeisung an ihre Belastungsgrenzen. Umso passender ist es, dass an diesem Nachmittag das Verteilnetz-Management-System iNES offiziell in Sonderbuch in Betrieb genommen wird. Dabei handelt es sich um eine Technik, die das Problem der Maximalbelastung aufgrund vieler Sonnenstunden intelligent zu lösen versucht. Die Alternative wäre, das Stromnetz auszubauen. Doch das ist wenig sinnvoll, findet Ibrahim Berber, Projektleiter der EnBW-Tochter Netze BW. Er veranschaulicht das Problem mit einem Beispiel: „Wenn wenige Male im Jahr mehr Autos als gewöhnlich eine Straße passieren, denke ich auch nicht daran, eine neue Autobahn zu bauen. Eher würde ich versuchen, die Fahrzeuge auf vorhandene Landstraßen umzulenken.“ Sonderbuch im Kreis Reutlingen (Baden-Württemberg) hat gerade einmal 190 Einwohner. Die Häuser im Ort liegen terrassenartig auf der Sonnenseite eines Hangs – ideale Voraussetzungen für Photovoltaikanlagen. Die haben tatsächlich schon auf über 60 Dächern ihren Platz gefunden. In Spitzenzeiten entspricht die Stromerzeugung in der Kommune dem Sechsfachen des Verbrauchs. Über das Jahr verteilt wird doppelt so viel Strom produziert wie benötigt. Berber erinnert sich: „In Sonderbuch musste etwas geschehen. Die Frage war: betreiben wir weiterhin konventionellen Netzausbau, bauen wir weitere Trafos ein oder probieren wir dort einige Dinge aus?“ Ein herkömmlicher Ausbau wäre nicht nur eine kostspielige Angelegenheit gewesen, sondern hätte dem ländlichen Sonderbuch auch übermäßig viele Baustellen beschert. Dass hier eingegriffen werden musste, war klar – aus der Not wurde schließlich eine Tugend und vielleicht ein bedeutender Beitrag zur Energiewende. Für Martin Konermann, Geschäftsführer Technik von Netze BW, ist die hohe Photovoltaikeinspeisung ein Glücksfall. Dadurch könne der Netzbetreiber ein paar seiner Ideen ausprobieren – exemplarisch, ohne eine künstliche Welt zu schaffen. „Wir hatten ein Problem zu lösen, und haben uns entschlossen, es in Form eines Netzlabors anzugehen“, begründet Konermann den Feldtest, den die EnBW-Tochter inzwischen in dem kleinen Ort durchführt.

Zwischen Köpfchen und Kupfer

Seit dem Jahr 2011 gehört Sonderbuch zu den fünf Netzlaboren des Verteilnetzbetreibers Netze BW. Das Unternehmen testet die Auswirkungen neuartiger Techniken auf das Niederspannungsnetz. Hier erforscht Netze BW das Zusammenspiel intelligenter Zähler mit einem regelbaren Ortsnetztrafo und einem Batteriespeicher. Damit Spannungsgrenzen nicht verletzt werden und eine optimale Auslastung der Betriebsmittel gewährleistet sind, setzt das Unternehmen eine intelligente Instanz über alle Elemente: Das Netz-Management-System iNES der Firma SIAG. Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Bündnis 90/Die Grünen) spricht bei seiner Rede zum offiziellen Start des Management-Systems in Sonderbuch von einem Meilenstein in der Entwicklung und Nutzung von Smart Grids und trifft schließlich folgende Aussage: „Mit iNES setzt Netze BW dem Netzlabor Sonderbuch quasi das Sahnehäubchen auf.“ Wichtig ist: Das Management-System soll den Netzausbau nicht vermeiden, sondern optimieren. An einige Stellen wird Netze BW eigenen Angaben zufolge nicht um den konventionellen Ausbau herumkommen. Dadurch lässt sich die Grundlast abdecken. Doch für die Spitzen müssen intelligente Lösungen wie iNES gefunden werden. Projektleiter Ibrahim Berber: „Durch iNES erhalten wir einen besseren Blick auf das, was im Netz passiert. Durch das Messsystem können Spannungsprobleme behoben, aber auch Eingriffe dokumentiert werden, was Auswertungen erleichtert.“ EnBW Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer sieht einen zusätzlichen entscheidenden Vorteil: „Wir können alle wichtigen Betriebsparameter weitgehend automatisiert in sicheren Grenzen halten, sodass nur in Notfällen noch ein Eingriff seitens der Steuerwarte erforderlich sein wird.“ Das ist dann laut Wolfgang Bräuer, Leiter Technik Innovation von Netze BW, ein bisschen wie Science Fiction. Denn der Projektkoordinator, der das Netz bei Bedarf steuert, sitzt in Stuttgart im 10. Stock, über 80 Kilometer von Sonderbuch entfernt. Bis Ende des Jahres 2015 befindet sich iNES noch im Test, „danach“, erzählen die Projektverantwortlichen, „beginnt die Auswertungs- und Optimierungsphase.“

Mit den Bürgern

Von Anfang an hat Netze BW die Bürger in das Vorhaben in Sonderbuch einbezogen. Bereits im Jahr 2011 fand ein erster Bürgerinformationsabend statt, zwei weitere folgten. Es galt, die Bewohner über das Projekt aufzuklären und aktive Teilnehmer zu gewinnen. Diese erklärten sich damit einverstanden, intelligente Stromzähler in ihren Häusern einbauen oder auf den Dächern weitere Photovoltaikanlagen installieren zu lassen. Das Fazit des Netzbetreibers: Die Sonderbucher waren sehr kooperativ. Gebhard Aierstock, Landwirt und Mitglied des Kreistags bestätigt: „Es gab keine Kritiker, niemand hat einen Nachteil durch die Testungen gesehen. Und wir hatten immer ein funktionierendes Netz.“ Dann zeigt sich sein Unternehmergeist: „Wir haben uns anfangs auch gefragt, ob es eine Win-win-Situation gibt. Die hatten wir, denn für viele Bürger gab es aufgrund der hohen Netzauslastung bereits Sperrzeiten für weitere Anlagen. Durch das Photovoltaik-Projekt hat sich das Thema Sperre erledigt.“ Ob die intelligenten Messsysteme Standard in Deutschland werden, bleibt abzuwarten. Die Goldgräberstimmung im Photovoltaikausbau hat nachgelassen. Das belegen die aktuellen Ergebnisse des Bundesverbands für Solarwirtschaft – seit dem Jahr 2013 verzeichnet der Verband rückläufige Zahlen. Schreitet die Energiewende weiter voran, können die Ergebnisse in Sonderbuch exemplarisch dabei helfen, die technischen Herausforderungen auch an anderen Orten intelligent zu lösen. Bis jetzt ist das Projekt in Sonderbuch jedenfalls in der Bundesrepublik einzigartig, stellt Martin Konermann zur Einweihung von iNES stolz fest.

Anne Coronel-Lange




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