MetastudieSackgasse vermeiden
Das Thema Sektorkopplung dominiert nach wie vor die Podien der energiepolitischen Diskussion. Die Märkte für Strom, Verkehr und Wärme zu verknüpfen, ist im Kontext ambitionierter Klimaziele notwendig, jedoch zugleich äußerst komplex. Die Bundesregierung steht vor der eindrucksvollen Aufgabe, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen. Darüber, wie die Sektorkopplung am besten organisiert werden kann gibt es zahlreiche Auffassungen. So sind inzwischen mehr als 3.000 Studienseiten entstanden, die sich des Themas annehmen. Die Komplexität der Studien und die Menge an Informationen machen den Zugang zur Diskussion und die Einschätzung der Ergebnisse jedoch zu einer echten Herausforderung. In anderen energiewirtschaftlichen Diskussionssträngen hat sich gezeigt, dass Metastudien eine wichtige Rolle spielen können, um diese Situation aufzulösen.
Eine aktuelle Metastudie im Auftrag der VNG-Gruppe – erstellt vom Analyse- und Beratungshaus enervis energy advisors – fasst nun die Ergebnisse der zehn relevantesten Studien zusammen und zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf. Ziel ist es, robuste Schlussfolgerungen und Aussagen ableiten zu können.
Wichtiger Energieträger
Ein Schwerpunkt der Analyse ist die Bedeutung von Gas für die Sektorkopplung. Einerseits kann es sich dabei um fossiles Erdgas handeln, andererseits können dies grüne Gase wie Biomethan oder synthetische Gase sein (Power to Gas).
In allen Studien, auch in denen, die über 80 Prozent CO2-Reduktion hinausgehen, verbleibt ein relevanter Gasverbrauch im Jahr 2050. Die Gasinfrastruktur kann also einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Das gilt in dieser Klarheit jedoch nicht in allen Regionen und für alle Infrastrukturen (etwa Verteil netze).
Im Mittel der ausgewerteten Studien sinkt der Gasverbrauch mit höherem CO2-Reduktionsziel. In der Mehrheit der betrachteten Studien verbleibt aber auch im Jahr 2050 und bei weitreichenden Klimaschutzzielen ein relevanter Gasverbrauch von mehr als 600 Terawattstunden (TWh). Das ist weniger als derzeit, entspricht jedoch keineswegs dem Ansatz einer viel diskutierten All Electric Society. In Bezug auf das Volumen des Gasabsatzes ist die Streuung der Studien jedoch hoch. So gibt es auch Untersuchungen, in denen der Gasverbrauch relevant sinkt oder auf heutigem Niveau verbleibt. Hier ist also noch kein abgeschlossener wissenschaftlicher Konsens erkennbar.
Entwicklung in den Sektoren
In den verschiedenen Sektoren ist der Erkenntnisstand unterschiedlich: So zeichnet sich in einzelnen Sektoren eine klare Strategie ab, während die Ergebnisse der Studien in anderen Sektoren noch stark streuen. Die Nutzung von Gas in Back-up-Kraftwerken ist in den Studien unstrittig. Hier wird zuerst Erdgas und bei ambitionierteren Klimaschutzzielen dann Power to Gas als Flexibilitätslieferant eingesetzt.
Im Wärmesektor ist zu beobachten, dass die Rolle von Power to Gas mit ambitionierteren CO2-Reduktionszielen zunimmt. Bei einer CO2-Reduktion um 80 Prozent spielt synthetisches Gas in den Anwendungen im Wärmemarkt noch keine Rolle. Hier dominiert in der Hochtemperatur Erdgas. In den Szenarien mit einer CO2-Reduktion um mehr als 90 Prozent dominiert in einem Großteil der Studien synthetisches Gas weiterhin die Hochtemperaturanwendungen. In den Niedertemperaturanwendungen setzen sich strombasierte Anwendungen und Fernwärme durch.
Studien zum Schienenverkehr
Im Verkehrssektor ist bei Autos eine weitreichende Dominanz der E-Mobilität in allen Szenarien erkennbar. Im Bereich des Lkw-Verkehrs nehmen der Anteil der E-Mobilität und die Nutzung synthetischer Kraftstoffe mit steigendem CO2-Reduktionsziel zu. Eine genaue Strategie zeichnet sich aber noch nicht ab. Hier stehen viele Methoden miteinander im Wettbewerb – von Wasserstoff über Power to Liquid bis hin zu E-Mobilität mit Oberleitungen. Bei Schiffen und Flugzeugen ist das Bild einheitlich. Es dominieren synthetische Kraftstoffe und Biokraftstoffe. Der Schienenverkehr wird nur in wenigen Studien detaillierter betrachtet.
Im Bereich der Nutzung von Gas als Grundstoff in der Industrie ist die Studienlage bislang unvollständig. Hier wird zum Teil eine Umstellung von flüssigen auf gasbasierte Kohlenstoffträger angenommen, was den Bedarf an Gas deutlich stützt. Zum Teil werden hier flüssige (synthetische) Energierohstoffe vorn gesehen, jedoch enthalten nur wenige Studien substanzielle Aussagen hierzu.
Deep Decarbonization
Mit steigendem Ambitionsniveau steigt der Anteil von Power to Gas am Gasverbrauch. Der Übergang von einem 80- auf ein 95-prozentiges Dekarbonisierungsniveau bringt daher gerade für den Gasabsatz weitreichende Veränderungen mit sich. Klar erkennbar ist somit die Rolle von Power to Gas als Deep-Decarbonization-Technologie, die erst in ambitionierten Klimaschutzszenarien eine Rolle spielt. Bei einem Szenario von minus 95 Prozent CO2 macht synthetisches Gas einen großen Anteil am Gasverbrauch aus. Trotz Power to Gas geht der Bedarf an Gasen im Mittel über alle Studien insgesamt zurück und somit auch die Auslastung der Netze, wenn nicht andere Transportaufgaben, etwa der Transit von Gas in andere Länder, parallel zunehmen. Mit steigendem Dekarbonisierungsniveau ändert sich daher die Rolle des Gasnetzes. Dieses wird zunehmend von einem Mengen- zu einem Flexibilitätsträger.
Insbesondere für die Deep De-carbonization birgt das Flexibilitätspotenzial der Gasinfrastruktur eine große Chance, die Kosten der Energiewende zu begrenzen. Im Vergleich zu einer vollständig elektrischen Welt sind technologieoffene Szenarien kostengünstiger. Einige Studien sehen dabei bereits in den 2020er-Jahren die Notwendigkeit, in größerem Umfang Power-to-Gas-Anlagen zu bauen. Erste Pilotprojekte kleineren Maßstabs gibt es bereits. Werden die Studienergebnisse ernst genommen, sollten zeitnah größere Projekte angestoßen werden.
Technologieoffene Zukunft als Grundlage
Die Metastudie zeigt, dass die Energiewelt auch im Jahr 2050 komplex sein wird. Viele Zukunftsfragen wurden bisher noch nicht gestellt und viele Fragen sind noch nicht bekannt. Eine technologieoffene Zukunft ist daher die Grundlage der Sektorkopplung, um Wege zu umgehen, die in einer Einbahnstraße oder gar Sackgasse münden.
Wer durch die Metastudie einen tieferen Einblick in die Reform der regulatorischen Rahmenbedingungen erwartet hat, wird enttäuscht sein. Auch wie eine Förderung eines ab 2020 beginnenden Ausbaus von Power-to-Gas-Anlagen aussehen soll, wird nicht ausführlich thematisiert. Ziel zukünftiger Studien sollte es daher sein, die bisher eher technoökonomische Diskussion stärker mit einer Diskussion der Anreizmechanismen und politischen Handlungsoptionen zu verknüpfen, um die anstehenden Debatten und Entscheidungen besser vorzubereiten. Fest steht: Strom und Gas können in Zukunft sektorübergreifend ihre Stärken ausspielen. Das gelingt aber nur, wenn die Politik das Rennen um die beste Lösung zulässt und technologieoffene Rahmenbedingungen schafft.
Dieser Beitrag ist in der September/Oktober-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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