InterviewPower to Gas funktioniert
Herr Dr. Gößmann, wenn es um die Sektorkopplung geht, stehen die Positionen Elektrifizierung oder Technologieoffenheit einander gegenüber. Auf welcher Seite Sie stehen scheint klar, oder?
Die Gaswirtschaft, also auch Thyssengas, nimmt aktiv an der Energiewende teil. Derzeit wird vor allem eins deutlich: Die vollständige Elektrifizierung der Sektoren ist aus ökonomischen, technischen und genehmigungsrechtlichen Gründen ins Stocken geraten. Ich persönlich sehe hier auch keine mittelfristige Fortschrittsperspektive. Die Gaswirtschaft macht mit der Power-to-Gas-Technologie ein Angebot. Wir stellen jetzt Lösungen für die aktuellen und künftigen Probleme der Sektorkopplung bereit. Deshalb stellt sich mir diese Grundsatzfrage nicht. Ich halte es für richtig, abzuwägen, welche Technologie uns bei welchem Problem wirklich weiterbringt. Wenn das die Definition von Technologieoffenheit ist, dann bekenne ich mich gern dazu.
Welche Aufgaben hat die Gasinfrastruktur bei der Energiewende?
Die Energiewende soll die CO2-Emissionen verringern. Der Ausbau der Erneuerbaren oder der Kohleausstieg sind Mittel und Werkzeuge, um dieses Ziel zu erreichen. Gas wird die Kohleleistung kompensieren und Systemdienstleistungen für das Stromnetz liefern. Die Gasnetzbetreiber spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige und seit Jahrzehnten eingeübte Rolle: Sie transportieren Gas dahin, wo es gebraucht wird. Gas kann weiter zur Dekarbonisierung beitragen. Grünes Gas, also Biogas, Wasserstoff und synthetisches Methan, ist ein zukunftsfähiger Energieträger. Power to Gas ernsthaft und im industriellen Maßstab betrieben hilft, die Energieversorgung zu flexibilisieren und nicht nur ausschließlich auf den Energieträger Strom zu setzen. Die Betreiber der weitverzweigten Gasinfrastruktur sind bereit, den Weg der Energiewende mitzugehen.
Sind die Power-to-Gas-Pilotprojekte so vielversprechend?
Die bisherigen Pilotprojekte zeigen: Power to Gas funktioniert. Jetzt geht es darum, die Technologie auf industriellen Maßstab zu skalieren. Wir Gasnetzbetreiber haben noch zu lernen, insbesondere im Zusammenspiel mit den Stromnetzen. Wir wissen, dass sich synthetisches Methan problemlos in unsere Netze einspeisen lässt. Anders sieht es bei reinem Wasserstoff aus. Noch offen ist, wie viel Wasserstoff wir maximal beimischen können. Alternativ kann es sinnvoll sein, eine reine Wasserstoff-Infrastruktur aufzubauen und zu betreiben. Ich denke, man muss uns hier eine Lernkurve zugestehen – die es übrigens bei Windkraft und Solarenergie auch gab.
„Der gemeinsame Netzausbau spart volkswirtschaftliche Kosten und Zeit.”
Die Umwandlung von Strom in synthetisches Gas gilt als wenig effizient. Was entgegnen Sie?
Als Ingenieur habe ich großes Verständnis für die Frage nach der Effizienz von Technologien. Aber wir sollten die Bedenken nicht in den Vordergrund stellen. Alle Hersteller arbeiten daran, die Wirkungsgrade der Anlagen zu steigern und eine wirtschaftlich sinnvolle Ausbeute zu erzielen. Aber blicken wir ins Jetzt. Wir benötigen aktuell eine Möglichkeit, Strom aus den Zentren der erneuerbaren Erzeugung in die Verbrauchszentren zu transportieren. Da wir das nicht können, kosteten im Jahr 2017 die Einspeise-Management-Abregelungen der Erneuerbaren-Erzeugung über 640 Millionen Euro. Die Stromverbraucher zahlten also deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro dafür, dass Strom weder produziert noch genutzt wird. Mit Blick auf Power to Gas muss ich sagen: Wir verschenken nicht nur Energie, wir verschenken die große Chance, dem Energieverbraucher Kosten zu ersparen.
Was müsste die Politik tun, um der Power-to-Gas-Technologie zum Durchbruch zu verhelfen?
Der Gesetzgeber sollte es ermöglichen, Power-to-Gas-Anlagen wirtschaftlich zu betreiben. Aktuell ist das nicht möglich, da machen wir uns nichts vor. Power-to-Gas-Anlagen sind rechtlich gesehen Stromverbraucher. Das bedeutet, dass sie die gesamte Abgabenlast auf den Strompreis trifft. Das gilt insbesondere für die erneuerbare Energieabgabe, deren Zweck es ist, diese Art Energien zu fördern. In diesem Fall verhindert sie es. Sollte der Gesetzgeber den Betrieb der Anlagen nicht wettbewerblich, also wirtschaftlich gestalten, kann er den wertvollen Beitrag der Power-to-Gas-Technologie nur nutzbar machen, wenn er die Kosten außerhalb des Wettbewerbs anrechenbar macht. Das kann beispielsweise geschehen, indem er die systemrelevanten Anlagen dem Regulierungsregime unterwirft.
Wie sollte eine künftige Energie-Infrastruktur beschaffen sein, welche Rolle spielt dabei eine gemeinsame Netzentwicklung bei Strom und Gas?
Eine zukünftige Energie-Infrastruktur bezieht alle Energiesektoren ein. Strom, Gas und Wärme lassen sich nicht mehr gesondert betrachten. Es geht vielmehr darum, Energie kostengünstig, sicher und umweltfreundlich zu transportieren. Welcher Energieträger unter diesen Prämissen über welchen Weg wohin fließt, ist Aufgabe der gemeinsamen Netzentwicklung. Die Infrastrukturen lassen sich in einer gemeinsamen Netzplanung sinnvoll koppeln. Der gemeinsame Netzausbau spart volkswirtschaftliche Kosten und Zeit.
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