Sonntag, 23. Februar 2025

Leutkirch im AllgäuNicht reden, handeln

[15.03.2012] Die Inbetriebnahme des Solarparks Leutkirch ist Teil des umfassenden Konzeptes Nachhaltige Stadt Leutkirch. Über Ziele des Projektes und die Rolle der Bürger bei der Umsetzung der Energiewende hat stadt+werk mit Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle gesprochen.

Herr Oberbürgermeister, der Gemeinderat der Stadt Leutkirch hat im April 2011 grünes Licht für das Konzept Nachhaltige Stadt gegeben: Welche Ziele hat sich die Stadt damit beim Klimaschutz und der Energieeffizienz gesetzt?

Die Stadt Leutkirch engagiert sich seit vielen Jahren im Handlungsfeld Energie und Klimaschutz und hat bereits zahlreiche Maßnahmen umgesetzt. Mit dem Projekt Nachhaltige Stadt hat das Thema nun eine zusätzliche Dynamik gewonnen. Ziel des Projektes ist es, unter Beachtung des Prinzips der Nachhaltigkeit die Energieversorgung der Stadt Leutkirch zukünftig möglichst klimaneutral sicherzustellen. Schwerpunkte liegen auf der Energieeffizienz, der Nutzung regionaler erneuerbarer Energien und einer umfassenden Bürgerbeteiligung.

Die Stadtverwaltung arbeitet dabei mit der EnBW sowie dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke (OEW) zusammen: Was versprechen sich die Partner von der Kooperation?

Bei einem großen Energieversorger ist ein breites Wissen rund um das Thema Energie vorhanden. Die Umsetzung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Energiewende kann zukünftig aber nur zusammen mit den Bürgern gelingen. Deshalb ist aus unserer Sicht die Kooperation zwischen einem Energieversorger und einer Kommune ein idealer Weg zur Erreichung der Ziele. Wir können auf lokaler Ebene die Energiewende auch nur dann erfolgreich gestalten, wenn die Bürger begeistert mitmachen. Die EnBW hat im Jahr 2010, also vor Fukushima, nach einem Partner für solch ein Projekt gesucht. Da Leutkirch schon lange im Bereich Nachhaltigkeit und dezentrale Stromversorgung tätig ist, hat sich die Zusammenarbeit geradezu angeboten. Leutkirch ist seit Langem in vielen Bereichen vorbildlich. So haben wir seit mehr als zwei Jahrzehnten einen Umweltbeauftragten. Zudem hat Leutkirch bundesweit das erste kommunale Öko-Audit durchgeführt. Wir haben uns auch sehr früh um das Thema erneuerbare Energien gekümmert. Und jetzt versuchen wir, unter den aktuellen Vorzeichen der Energiewende an der Spitze mit voranzugehen. Nicht ohne Grund sind wir Seriensieger bei der Solar-Bundesliga. Das ist ein Paradebeispiel für bürgerschaftliches Engagement, indem über Solardächer Strom erzeugt wird.

In einem ersten Schritt haben die Projektpartner Anfang Januar einen der größten Solarparks Baden-Württembergs in Betrieb genommen: Welche Besonderheiten zeichnen das Projekt aus?

Unser neuer Solarpark (14856+wir berichteten) ist mit einer elektrischen Leistung von fünf Megawatt aktuell der zweitgrößte Solarpark in Baden-Württemberg. Er wurde auf einer zehn Hektar großen Konversionsfläche direkt an der A96 errichtet. Für die Planung und den Bau der Anlage hatten wir uns einen sehr ehrgeizigen Zeitplan gesetzt: Nur sechs Monate vergingen zwischen ersten Plänen und der Inbetriebnahme des Parks. Mit dem Solarpark werden zukünftig über 1.500 Haushalte mit Strom versorgt und etwa 3.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr eingespart. Besonders richtungsweisend ist auch die Finanzierung des Projektes: Neben der EnBW und der OEW sind unsere Bürger über eine städtische Beteiligung sowie über den Anteil der Leutkircher Energiegenossenschaft am Park gleich zweifach beteiligt.

Welche Faktoren sprachen Ihrer Ansicht nach vonseiten der Partner EnBW und OEW dafür, den Solarpark am Standort Leutkirch zu realisieren?

Es war allen Partnern sehr wichtig, mit dem Projekt Nachhaltige Stadt zu zeigen, dass wir nicht nur reden, sondern umsetzungsorientiert handeln. Hier haben alle Projektpartner die gleiche Philosophie. Mit dem Solarpark haben wir ein erstes und deutliches Zeichen gesetzt. Hinzu kommt, dass Leutkirch von der Sonne verwöhnt wird. Der Deutsche Wetterdienst hat festgestellt, dass Leutkirch im Jahr 2011 einer der sonnenreichsten Orte der Bundesrepublik war.

„Das Ziel einer klimaneutralen Stadt kann nur durch einen Energiemix erreicht werden.“
Auf welche Formen erneuerbarer Energien setzt die Stadt neben Photovoltaik?

Wichtig sind zum Beispiel Biomasse und Biogas. Derzeit prüfen wir, wie groß das Ausbaupotenzial unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in der Landnutzung noch ist. Auch die Windkraft wird eine größere Rolle spielen. Aus dem neuen Windatlas mussten wir allerdings entnehmen, dass es im Alpenvorland nur wenige wirklich interessante Standorte für Windkraft gibt. Weitere Einschränkungen ergeben sich durch die zahlreichen Streusiedlungen im Allgäu und viele wertvolle Schutzgebiete. An geeigneten Standorten werden zudem weitere Solarparks in Planung gehen, parallel dazu möchten wir das noch reichlich vorhandene Potenzial an Dachflächen für Photovoltaik ausnutzen. Das Ziel einer klimaneutralen Stadt kann nur durch einen Energiemix unter Ausnutzung von Möglichkeiten der Energieeinsparung erreicht werden. Für einen Übergangszeitraum brauchen wir auch die Kraft-Wärme-Kopplung als effiziente Brückentechnologie. Hier sehen wir ebenfalls noch ein großes Potenzial bei unserer Industrie.

Welche Unterstützung zur Realisierung ihres Nachhaltigkeitskonzeptes erfährt die Stadt vom Land Baden-Württemberg?

Die Landesregierung steht unserem Modellprojekt sehr offen gegenüber. Vor allem die Art, wie wir die Leutkircher Bürger in das Projekt einbinden und sie daran beteiligen, wurde als vorbildlich gelobt. Die Unterstützung des Landes erhoffen wir uns vor allem bei der zukünftigen Umsetzung von Projekten.

Was könnte die Politik darüber hinaus tun, um Kommunen bei der Umsetzung der Energiewende zu unterstützen?

Wichtig erscheint uns insbesondere eine Verlässlichkeit in der Politik. Vieles ist nur über einen längeren Zeitraum zu realisieren. Dazu brauchen wir Planungssicherheit. Die vorhandenen Förderprogramme sollten noch stärker auf die Energieeinsparung ausgerichtet werden. Wir Kommunen benötigen finanzielle Unterstützung für Investitionen im energetischen Bereich. Auch eine steuerliche Berücksichtigung energetischer Sanierungsmaßnahmen im privaten Bereich ist längst überfällig und würde den großen Sanierungsstau auflösen. Als positive Nebenwirkung zum Klimaschutz würde damit auch ein großes Konjunkturprogramm für das Handwerk ausgelöst. Über die dadurch initiierten Steuermehreinnahmen würde sich vieles von alleine finanzieren.

Im Rahmen der Initiative Nachhaltige Stadt Leutkirch sind insbesondere die Bürger zur Beteiligung aufgerufen: Wie war die bisherige Resonanz hierauf?

Im vergangenen Herbst haben wir ein groß angelegtes Bürgerbeteiligungsverfahren begonnen. Unter anderem haben etwa 70 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger in fünf verschiedenen Themenbereichen ein Energieleitbild für die Stadt Leutkirch erarbeitet. Darüber hinaus beteiligen wir die Bürger auch finanziell an unseren Projekten: Ein Teil des neuen Solarparks wird über die Energiegenossenschaft Leutkirch mit Geld von Bürgern finanziert. Sowohl bei der Bürgerbeteiligung zur Erstellung eines Energieleitbildes als auch bei der Finanzierung des Solarparks haben wir bisher viel positive Resonanz aus der Bürgerschaft erfahren. Nach dem Aufruf zur Bürgerbeteiligung hatten wir ein so großes Interesse, dass wir die Plätze in den Workshops verlosen mussten.

Welches Ergebnis erwartet sich die Stadt von dem Bürgerbeteiligungsverfahren?

Wichtig ist uns eine breite Akzeptanz für zukünftige Projekte im Rahmen der Nachhaltigen Stadt. Wir sind uns sicher, dass wir mit einem im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens gestalteten Leitbild die Bürger auf diesem bestimmt nicht einfachen Weg mitnehmen können. Gleichzeitig soll das Thema Nachhaltigkeit im Bewusstsein der Bürger verankert werden. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn die Menschen vor Ort begeistert mitmachen, sich an den Maßnahmen finanziell beteiligen und den Weg mitbestimmen können.

Interview: Bettina Schömig

Henle, Hans-JörgHans-Jörg Henle (parteilos) ist seit 2008 Oberbürgermeister der Stadt Leutkirch im Allgäu. Nach dem Abitur hat Henle zunächst eine Lehre zum Bankkaufmann gemacht. Nach dem Studium der Forstwissenschaften fand er über Tätigkeiten für verschiedene Ministerien in die Kommunalverwaltung.



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