Sonntag, 24. November 2024

NaturstromspeicherNeuland betreten

[29.03.2017] Der weltweit erste Naturstromspeicher entsteht derzeit im baden-württembergischen Gaildorf. Er verbindet Wind- und Wasserkraft und ist besonders wirtschaftlich und umweltschonend.
Der Naturstromspeicher in Gaildorf kombiniert einen Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk.

Der Naturstromspeicher in Gaildorf kombiniert einen Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk.

(Bildquelle: Naturspeicher)

Trotz empfindlicher Kälte herrschte bis zur Weihnachtspause auf der Baustelle des Naturstromspeichers in Gaildorf rege Betriebsamkeit. Schließlich wollten die Arbeiter noch Ende 2016 einen wichtigen Meilenstein erreichen: die Fertigstellung des ersten Aktivspeichers. „Wir haben es geschafft“, freut sich Alexander Schechner, Initiator des Projekts und einer der beiden Geschäftsführer des Unternehmens Naturspeicher. „Nun kann man sich schon sehr gut vorstellen, wie unser neuartiges Turmfundament für die Windkrafttürme aussehen wird.“

Höhere Windausbeute

Der Naturstromspeicher in Gaildorf steht auch für einen komplett neuen Denkansatz: „Wir verbinden zum ersten Mal die Wind- mit der Wasserkraft“, so Stefan Bögl, Vorstand des Komponentenherstellers Max Bögl Wind und ebenfalls Geschäftsführer von Naturspeicher. Bögl und Schechner sind sich sicher, dass Flexibilitätskraftwerken wie dem Naturstromspeicher die Zukunft gehören. Sie gewährleisten Netzstabilität, speichern Strom aus erneuerbaren Energien und liefern genau dann, wenn es im Netz knapp wird. Und das sogar in einem Zukunftsszenario, bei dem der Stromverbrauch bis zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt wird.
Der Naturstromspeicher kombiniert einen Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk. Der Windpark befindet sich auf einem Höhenzug, der eine Fallhöhe von 150 bis 500 Metern erlaubt. Im Fall der Pilotanlage in Gaildorf sind das 200 Meter. Dort werden vier Windkraftanlagen mit je 3,4 Megawatt (MW) Leistung errichtet. Zusammen mit dem Rotor sind die Windenergieanlagen bis zu 246,5 Meter hoch und damit die weltweit höchsten Anlagen. Die Windkrafttürme speichern das Wasser in ihrem Inneren mithilfe eines besonderen Fundaments und ersetzen damit das Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerks. Allein diese Maßnahme reduziert die Eingriffe in die Umgebung um ein Vielfaches.
Das Speicherfundament, der so genannte Aktivspeicher, ist 40 Meter hoch und hat einen Außendurchmesser von 16,8 Metern; die Wassersäule darin erreicht ihren maximalen Pegelstand bei 33 Metern. So gewährleistet das Speichersystem eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei gleichzeitig hoher Effizienz beim Ein- und Ausspeichern. Die Windtürme stehen in einem Außenbecken von 63 Metern Durchmesser und einer Wasserfüllhöhe von 10 bis 13 Metern, dem so genannten Passivbecken. Sobald der Wasserpegel steigt, verteilt die Anlage das Wasser von einem Standort zum nächsten. Damit soll höchste Betriebssicherheit bei maximaler Verfügbarkeit erreicht werden.

Besondere Topografie

Für das Pilotprojekt gilt aufgrund der Topografie eine Besonderheit: Eine der geplanten vier Windanlagen wird kein Aktivbecken erhalten, denn ihr Standort liegt höher als die anderen. Dadurch konnte man ohne Einbußen auf das Aktivbecken verzichten. Im Moment ist aus logistischen Gründen auch der Bau des Passivbeckens zurückgestellt. Dort wird der Aushub der anderen drei Standorte zwischengelagert.
Im Tal entsteht das Pumpspeicherkraftwerk mit einer Leistung von 16 MW. Die Stadt Gaildorf hatte eine Fläche nahe des Flusses Kocher ohnehin als Retentionsfläche ausgewiesen. Sie wird nun mit dem Unterwasserbecken des Naturstromspeichers kombiniert. Das Gewässer wird naturnah gestaltet und fügt sich gut in die Landschaft ein. So soll dort ein Naherholungsgebiet entstehen. Das Unterbecken wird mit einem Biofilter ausgestattet, der dafür sorgt, dass das Wasser klar bleibt.
Auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) schätzt das Vorhaben als innovativ ein. Deshalb wird der Naturstromspeicher Gaildorf vom BMUB mit 7,15 Millionen Euro aus dem Umweltinnovationsprogramm gefördert.

Dreifacher Nutzen

„Wir möchten den Beweis antreten, dass grünes Denken und wirtschaftliches Handeln Hand in Hand gehen können“, erläutert Schechner seinen Ansatz bei der Entwicklung des Naturstromspeichers. „Daher versuchen wir, immer das Maximum herauszuholen, wenn wir schon in den sensiblen Naturraum eingreifen müssen. Das Unterbecken des Kraftwerks ist so ein Fall, denn es dient gleichzeitig dem Hochwasserschutz. Nun steckt in dem großen Wasservolumen aber noch viel ungenutzte Energie, nämlich Wärme. Das brachte uns auf die Idee, diese Energie mit speziell entwickelten Wärmespeicher-Modulen für ein nahegelegenes Gewerbegebiet nutzbar zu machen. Damit hat das Unterbecken gleich einen dreifachen Nutzen.“
Die Wärmemodule laufen bei der Firma Naturspeicher unter der Bezeichnung Naturwärmespeicher. Dabei handelt es sich um einen schwimmenden Hohlkörper, der verschiedene Zonen und Funktionen hat. Ein Wärmetauscher entnimmt dem Wasser Wärme; das Gleiche tut ein besonders leistungsfähiger und leiser Lüfter mit der Außenluft. Der Vorteil: Das System bringt auch bei bedeckten Wetterlagen effiziente Leistung. Die Wärmeenergie kann direkt verbraucht oder im Modul selbst mithilfe eines Eisspeichers zwischengespeichert werden. Das patentgeschützte System arbeitet mit ähnlichen Speicherstrategien wie im Stromgeschäft und erreicht damit sehr große Wirkungsgrade. Der Naturwärmespeicher ist genehmigungsfrei und auch für kleinere Immobilien einsetzbar. Herunterskaliert ist er auch für den privaten Bereich nutzbar und gerade bei Einfamilienhäusern eine Alternative zur Erdbohrung.

Druckrohr ist eine Eigenentwicklung

Doch zurück zum Kraftwerk: Auch das Druckrohr, das den oberen Teil des Kraftwerks mit dem unteren verbindet, ist eine Eigenentwicklung. Es besteht aus Polyethylen (PE). Normalerweise werden die Druckrohre von Pumpspeicherkraftwerken aus Stahl gebaut und verlaufen geradeaus den Hügel hinunter zum Krafthaus. Der Werkstoff PE erlaubt es hingegen, das Rohr in Radien zu verlegen. Deshalb kann das Druckrohr in Gaildorf unterhalb bereits existierender Wege im Wald verlegt werden.
Dazu ist eine Verlegeplattform nötig – ebenfalls eine Eigenentwicklung. Sie macht vorne den Weg auf, legt das Rohr hinein und macht den Weg am Ende wieder zu. So werden bis zu 70 Meter Rohr am Tag verlegt, bedeutend mehr als beim Arbeiten mit herkömmlichen Stahlrohren. „Das PE-Rohr bietet uns eine hohe Prozesssicherheit, sehr gute Produktivität und – das ist mir ganz wichtig – erfüllt gleichermaßen höchste Standards in Sachen Arbeitssicherheit“, sagt Schechner. „Wir befinden uns gerade in ersten Gesprächen bezüglich einer Cradle-to-cradle-Zertifizierung unseres Druckrohrs. Damit möchten wir auch hier unseren nachhaltigen Ansatz extern prüfen lassen.“

Durchgängige Standardisierung

Der Naturstromspeicher ist vollständig standardisiert und steht in verschiedenen Leistungsklassen zur Verfügung. In Gaildorf entsteht zunächst der kleinste Anlagentyp der Serie. „In der Welt der Windkraft sind standardisierte Maschinen mittlerweile der Normalfall; für die Wasserkraft betreten wir hier Neuland“, erklärt Schechner. „Dabei ist sie nicht nur aufgrund überschaubarer Fixkosten hochinteressant. Die durchgängige Standardisierung des gesamten Naturstromspeichers erlaubt uns vor allem auch eine Verkürzung der Genehmigungszeiten für das Kraftwerk. Der Naturstromspeicher ist quasi das erste hydraulische Speicherkraftwerk von der Stange. Das ist wirtschaftliche und umweltschonende Anlagentechnik für die nächsten Jahrzehnte.“
Ende 2017 sollen die Windräder ans Netz gehen. Ein Jahr später folgt dann der Wasserkraft-Teil und macht den weltweit ersten Naturstromspeicher komplett.

Marie-Luise Stepping ist zuständig für die Unternehmenskommunikation bei der Naturspeicher GmbH, Ulm.




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