MobilitätswendeNeue Wege wagen
Der Verkehr rollt unermüdlich durch unsere Städte – daran hat auch die Corona-Pandemie nichts geändert. Im Gegenteil: Viele Menschen fahren bewusst im privaten Auto, weil sie sich darin während der Pandemie sicherer fühlen, der Lieferverkehr boomt stärker denn je. Das sorgt für laute, übervolle Straßen und Staus. Die Abgase und der CO2-Ausstoß belasten die Umwelt und das Klima. Wir brauchen daher dringend Lösungen, wie wir den öffentlichen Raum besser für ein Miteinander der Menschen nutzen und gleichzeitig die Verkehrssicherheit erhöhen. Notwendig ist ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr, auch der Radverkehr braucht mehr Platz, Fußgängerinnen und Fußgänger müssen sich sicher bewegen können und wer ein E-Fahrzeug fährt, muss es unkompliziert laden können.
Liest man den Koalitionsvertrag, fällt auf, dass die neue Bundesregierung dem Thema „Nachhaltige Mobilität“ viel Raum gibt. Ziel ist: Unsere Mobilität fit für die Zukunft zu machen. Das geht nicht abrupt, sondern nur mit viel Überzeugungsarbeit, wohlüberlegt und in einem wirtschaftlich verträglichen Prozess. Allerdings muss es deutlich schneller gehen, als es in den vergangenen Dekaden der Fall war.
Wir alle haben unterschiedliche Ansprüche an Mobilität und entscheiden sehr individuell, wie wir unsere täglichen Wege zurücklegen. Im Schnitt verbringen wir damit eine Stunde und 20 Minuten unseres Tages. Jeder einzelne Weg ist im Durchschnitt etwa zwölf Kilometer lang. Mit sicheren Rad- und Fußverbindungen können wir Städte schaffen, in denen viele alltägliche Wege nur 15 Minuten dauern, an der frischen Luft stattfinden und so das Verkehrstosen verringern. Für diesen Umstieg müssen wir begeistern.
Kommunen mehr Spielraum geben
Um Mobilitätsangebote so zu gestalten, dass sie zu den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen passen, brauchen wir mehr kommunale Entscheidungsspielräume. Die Städte müssen neue Konzepte erproben können. Wo ist welche Geschwindigkeit gut verträglich? Wie lässt sich Parkraum für die Gemeinschaft gut nutzen? Das lässt sich vor Ort am besten beurteilen und entscheiden. Dafür muss der Bund die gesetzlichen Regelungen schaffen.
Das Rückgrat einer gelingenden Mobilitätswende ist ein attraktiver, moderner und leistungsstarker öffentlicher Nahverkehr. Es braucht zeitgemäße, klimafreundliche und komfortable Busse und Bahnen, in denen die Menschen gern fahren, in denen sie mit digitalen Systemen leicht für das richtige Ticket zahlen und den besten möglichen Anschluss finden können. Die unterschiedlichen Verkehrssysteme müssen so aufeinander abgestimmt werden, dass der Umstieg auf andere Mobilitätsarten einfach und ohne lange Wartezeiten funktioniert. Die digitale Vernetzung des öffentlichen Verkehrs gilt es, mit Sharing und Pooling-Modellen voranzutreiben. Der Bus- und Bahnverkehr muss zudem viel stärker als bisher ausgebaut werden. Für mehr Bus- und Bahnlinien, dichtere Taktungen und höhere Kapazitäten ist eine solide und verlässliche Finanzausstattung sowohl für die notwendigen Investitionen als auch den Mehrbetrieb erforderlich.
Täglichen Verkehr umgestalten
Der tägliche Verkehr hat enorme Auswirkungen auf unser Klima, er verantwortet mindestens 20 Prozent des CO2-Ausstoßes. Hier müssen wir entschlossener und nachhaltiger als bisher umgestalten. Einsparungen beim CO2-Ausstoß einzelner Fahrzeuge wurden bislang durch immer größere und insgesamt mehr Fahrzeuge wieder aufgezehrt. Damit ist nichts gewonnen. Um die Klimaziele bis 2030 und 2045 zu erreichen, müssen wir mehr CO2 einsparen – auch und vor allem im Verkehr. Daher rüsten die Städte und ihre Betriebe beispielsweise ihre Verkehrsflotten um. Zukünftig fahren mehr Fahrzeuge mit Strom, Wasserstoff oder Biogas. Damit auch der private Verkehr klimafreundlich Fahrt aufnehmen kann, haben die Städte die Lade-Infrastruktur im Blick. Es gilt, klimafreundlichen Verkehr gegenüber schädlichen Verkehrsformen besser zu stellen und beispielsweise dafür zu sorgen, dass das Fahren von Verbrenner-Fahrzeugen mit hohem Verbrauch teurer, die Nutzung sauberer Fahrzeuge dagegen entlastet wird. Eine kluge CO2-Bepreisung kann dabei helfen.
Auch für den Lieferverkehr sind neue Konzepte nötig. Denkbar ist etwa eine durchgängige Elektrifizierung von Lieferketten. Was ich online bestelle, kann nachts weite Strecken auf Gleisen zurücklegen, dann auf Elektro-Lkw verladen werden und in der Stadt per Lastenrad oder zu Fuß zu mir gelangen. Logistikunternehmen müssen sich endlich für solche Lieferkonzepte auf der „letzten Meile“ zusammenfinden, gemeinsame Mikro-Depots als Zwischenlager aufbauen und anschließend die Auslieferung bündeln. Die Städte unterstützen das, etwa durch die Suche nach Flächen oder indem sie geeignete Ladezonen ausweisen.
Jetzt den Wandel gestalten
Damit die Verkehrswende gelingt, müssen die Europäische Union, der Bund und die Länder gemeinsam mit den Städten und Regionen an einem Strang ziehen. Wir alle brauchen den Mut der Politik, neue Wege zu gehen. Und alle beteiligten Ebenen müssen diesen Wandel ausreichend und verlässlich finanzieren.
Das Bündnis für moderne Mobilität zwischen Bund, Ländern und Kommunen hat wichtige Erkenntnisse gebracht, aus denen jetzt konkrete Pläne, Programme und Projekte werden müssen. Vom Programm der EU-Kommission für urbane Mobilität über verlässliche Fördermaßnahmen des Bundes aus dem Klimaschutz- und Transformationsfonds bis hin zu Elektromobilitätsmanagern und Klimakonzepten vor Ort: Wir brauchen die Lösungen so schnell wie möglich. Für ein wachsendes Angebot im öffentlichen Nahverkehr müssen Unternehmen beauftragt, mehr Fahrzeuge beschafft und zusätzliches Personal gewonnen werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Jeder Entscheidungsaufschub verzögert den Wandel zur effizienten, bezahlbaren, nachhaltigen Mobilität in unseren Städten um Jahre.
Dieser Beitrag ist im Schwerpunkt Mobilitätswende der Ausgabe März/April 2022 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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