InterviewNetze tragen die Energiewende
Herr Saiger, im Juli wurden Sie zum Präsidenten des Verbands für Energie- und Wasserwirtschaft Baden-Württemberg (VfEW) gewählt. Für welche Bereiche macht sich der VfEW besonders stark?
Allem voran vertritt der Verband die gemeinsamen Interessen seiner Mitgliedsunternehmen auf Landesebene. Für das dafür erforderliche Know-how sorgen hauptamtliche und eine Vielzahl ehrenamtlicher Mitarbeiter des VfEW in der Branche.
Welche Ziele verfolgt der VfEW im Rahmen der Energiewende?
Die Energieversorgung aus regenerativen Quellen wird in diesem Jahr annähernd 30 Prozent erreichen. Damit erneuerbare Energien auch weiterhin aufgenommen werden können, muss die Netzinfrastruktur angepasst werden. Vor allem die Übertragungsnetze zwischen Nord und Süd sind dringend notwendig. 30 Prozent erneuerbare Energien bedeuten aber auch, dass 70 Prozent der Energie weiterhin konventionell erzeugt wird. Deshalb benötigen wir weiterhin entsprechende Erzeugungsanlagen. Die aber sind aufgrund des Börsenpreises in einer ausgesprochen schwierigen Lage und lassen sich kaum kostendeckend betreiben. Wir brauchen deshalb ein Marktdesign, das Anreize schafft, die benötigten Anlagen und Flexibilitäten marktgerecht bereitzustellen und zu nutzen. Auch der Wärmemarkt und die Erdgasnetze können wesentlich zur Energiewende beitragen. Wenn wir in Deutschland die Kraft-Wärme-Kopplung ausbauen wollen, dann brauchen wir Erdgasnetze ebenso wie für den Betrieb künftiger Gaskraftwerke, die die Flexibilität sichern sollen.
Kapazitätsmärkte lehnt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) ab. Stattdessen sollen wettbewerbliche Elemente für Versorgungssicherheit sorgen. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Der Verband befürwortet einen dezentralen Leistungsmarkt. Die Politik hat sich jetzt aber für den Energy-Only-Markt entschieden. Preisspitzen sollen hier die Anreize schaffen: Wenn eine Verknappung da ist, soll der Preis so in die Höhe gehen, dass sich darüber die für die Versorgungssicherheit notwendigen Anlagen finanzieren lassen. Ich habe da meine Bedenken. Denn wer investiert in eine Anlage, die vielleicht über Jahrzehnte hinweg stillsteht, in der Hoffnung, dass irgendwann Preisspitzen kommen, die diese Anlage finanzieren? Außerdem bedeuten solche Preisspitzen Risiken und belasten gegebenenfalls die Bürger. Versorgungssicherheit muss einen Wert haben und bezahlt werden.
Wie schätzen Sie die Diskussionen zur Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes ein?
Kraft-Wärme-Kopplung galt lange Zeit als die Effizienztechnologie schlechthin. Die jetzige Diskussion aber erweckt den Eindruck, dass die KWK nicht mehr im Vordergrund steht. Die Verdopplung der KWK-Fördergrenze von 750 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ist gut. Fraglich aber ist, ob die Rahmenbedingungen es überhaupt ermöglichen, diese Verdopplung auszunutzen. Mit den KWK-Anlagen hängen wir am Börsenpreis und dessen Talfahrt hat natürlich gravierende Folgen für Unternehmen, die Kraft-Wärme-Kopplung zur Verfügung stellen. Warum Bestandsanlagen nur bis zur Untergrenze von zwei Megawatt gefördert werden sollen, ist unverständlich. Weiteres Problem: Anlagen, die aktuell noch in der Förderung sind, sollen von der Bestandsförderung ausgenommen werden. Dabei sind die doch genau so vom niedrigen Strompreis betroffen und deshalb abschaltungsgefährdet. Ob überhaupt noch Investitionsentscheidungen zugunsten der KWK fallen werden, ist fraglich. Denn eine Investitionsentscheidung treffe ich ja nur, wenn die Chance besteht, eine Anlage langfristig wirtschaftlich zu betreiben. Folgen hätte das auch für den Ausbau des Fernwärmenetzes, der per se schon kosten- und investitionsintensiv ist.
Wäre es möglich in Baden-Württemberg durch ein Mehr an Erzeugungskapazitäten den Ausbaubedarf der Übertragungsnetze aufzuheben?
Die Übertragungsnetze müssen kommen. Dazu gibt es aus meiner Überzeugung – und ich komme ursprünglich aus dem Netzbetrieb – keine Alternative. Ein Drittel des deutschen Strombedarfs entfällt auf Baden-Württemberg, wo aufgrund der Energiewende viele Anlagen abgeschaltet werden. Der Norden hingegen hat windbedingt die meiste Kapazität. Außerdem würde ohne diese Leitungen die Energiewende teurer. Denn die Redispatch-Kosten – die Kosten der Übertragungsnetzbetreiber, um das Netz stabil zu halten – steigen kontinuierlich mit den Erneuerbaren.
Wie gelingt es, die Bürger von den teils auf Widerstand stoßenden Ausbauprojekten zu überzeugen?
Man muss die Bürger rechtzeitig einbinden, informieren und mit ihnen diskutieren. Man muss ihnen glaubwürdig zeigen, warum ein Projekt notwendig ist. Dabei muss die Branche so angemessen wie möglich erklären. Denn manche Netzthemen sind so komplex, dass sie sogar in der Branche Verständnisprobleme auslösen. Auch branchenintern müssen wir deshalb darauf achten, dass nicht nur Einzelaspekte betrachtet werden, sondern stets das Gesamtsystem im Blick ist.
Wie zufrieden sind Sie mit der derzeitigen Energiepolitik Baden-Württembergs?
Baden-Württemberg geht prinzipiell den richtigen Weg. Die Verantwortung für das Industrieland einerseits und den Umbau der Energieversorgung andererseits wird hier im Dialog mit den Akteuren gut wahrgenommen.
In der öffentlichen Diskussion werden vor allem die Übertragungsnetze betrachtet. Wie aber ist es um die Verteilnetze bestellt?
Auch die Verteilnetze stehen vor großen Herausforderungen. Immerhin speisen 98 Prozent der Anlagen in diese Netze ein. Die Verteilnetze müssen deshalb dringend an die Dezentralisierung der Energieversorgung angepasst werden. Sie müssen umgebaut und noch intelligenter werden. Dazu brauchen wir kompetente Mitarbeiter mit weitergehenden Qualifikationen – und Geld, um investieren zu können. Dafür bedarf es eines anderen Regulierungsrahmens. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Vorschläge für die Anreizregulierungsverordnung, würden diesen Rahmen nicht schaffen.
„Die Energiewende vollzieht sich am lebenden Objekt – das System wird bei vollem Betrieb umgebaut.“
Wie lange wird es noch dauern, bis IT-Lösungen Energieerzeugung und -verbrauch in Einklang bringen?
Dazu gibt es intensive Forschung, Lösungsansätze und realisierte Projekte, wie virtuelle Kraftwerke und Demand Side Management. Ich bin sehr optimistisch, dass wir hier noch große Innovationschritte erleben werden. In Baden-Württemberg wurde eine Smart-Grid-Plattform gegründet, die das Thema bearbeitet. Zudem wird an einer Verteilnetz-Studie gearbeitet, in die der VfEW eng eingebunden ist, die sich auch mit diesen Fragen beschäftigt.
Können die kommunalen Versorger all die Herausforderungen rund um die Energiewende noch stemmen?
Als kommunale Unternehmen können wir das stemmen, vorausgesetzt wir bekommen die Mittel. Denn die Kompetenz und den Willen, das zu schaffen, haben wir. Unternehmen aber brauchen Zeit. Vieles lässt sich leicht in Szenarien beschreiben, diskutieren oder untersuchen. Oft fehlt meines Erachtens das Verständnis für die Prozesse und Abläufe in der Unternehmenspraxis. Beispielsweise ein IT-Sicherheitsgesetz oder ein Digitalisierungsgesetz haben im Unternehmen gravierende Folgen. Stellenweise herrscht der Eindruck, es handle sich um Strukturpolitik zum Nachteil kleinerer Stadtwerke. So müssen unter anderem neue Prozesse aufgebaut werden. In den Verordnungen sind die Zeitrahmen dafür oft zu eng. Fehler dürfen uns trotzdem nicht unterlaufen, denn: Die Energiewende vollzieht sich am lebenden Objekt – das System wird bei vollem Betrieb komplett umgebaut.
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Dieses Interview ist in der November/Dezember-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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