Mittwoch, 16. Oktober 2024

HamburgNetze für die wachsende Stadt

[30.03.2015] Nach einem Volksentscheid hat die Freie und Hansestadt Hamburg das Stromnetz zurückgekauft. Nun hat das städtische Unternehmen Stromnetz Hamburg die Stromkonzession erhalten und will einen zukunftsorientierten Netzbetrieb aufbauen.
Das Unternehmen Stromnetz Hamburg will für die Freie und Hansestadt Hamburg einen zukunfts­orientierten Netzbetrieb aufbauen.

Das Unternehmen Stromnetz Hamburg will für die Freie und Hansestadt Hamburg einen zukunfts­orientierten Netzbetrieb aufbauen.

(Bildquelle: HHLA)

Mit dem Energieportal Hamburg hat man sich im hohen Norden etwas Feines ausgedacht. Auf der Website www.energieportal-hamburg.de können alle wichtigen Daten rund um die Produktion und den Verbrauch von Strom verfolgt werden. Und zwar in Echtzeit, minutenaktuell. Für die sieben Stadtbezirke Hamburgs ist dort sowohl die jeweilige Verbrauchslast ausgewiesen als auch die Stromerzeugung. Auch Strom aus Anlagen mit erneuerbaren Energien ist im Energieportal aufgeführt. Demnach sind im Jahr 2014 insgesamt 144 Megawatt Leistung aus Solar, Wind, Wasserkraft und Biomasse hinzugekommen. Im Vergleich zum Nachbarland Schleswig-Holstein nimmt sich die Produktion aus erneuerbaren Energien in Hamburg eher gering aus. Ende 2013 standen im nördlichsten Bundesland insgesamt 2.929 Windkraftanlagen mit einer installierten Leistung von rund 3.900 Megawatt zur Verfügung. „Die Energiewende stellt sich in den verschiedenen Bundesländern und Regionen unterschiedlich dar. In Flächenländern geht es um die Einbindung erneuerbarer Energien wie der Windkraft. In einer Metropolregion wie Hamburg hat man wegen knapper Flächen relativ wenig ausgewiesene Windeignungsgebiete“, sagt Dietrich Graf, technischer Geschäftsführer des Unternehmens Stromnetz Hamburg. „Hamburg ist als Metropolregion für die Aufnahme erneuerbarer Energien eine geeignete Lastsenke. Also ein geeigneter Standort, um Energiemengen aus erneuerbaren Energien aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern aufzunehmen.“

Verhandlung mit E.ON

Das Unternehmen Stromnetz Hamburg ist für die Energieinfrastruktur in der Freien und Hansestadt zuständig. Nachdem Hamburgs Bürger sich im September 2013 mit einer knappen Mehrheit per Volksentscheid für die komplette Rekommunalisierung von Strom, Gas und Fernwärme ausgesprochen hatten, ging das Unternehmen zum 1. Januar 2014 von Vattenfall zurück an die Stadt und befindet sich nun in öffentlicher Hand. 2019 soll das Fernwärmenetz folgen. Über den Rückkauf des Gasnetzes verhandelt die Stadt derzeit mit E.ON. Hamburg lässt sich die Rekommunalisierung des Stromnetzes einiges kosten: Mindestens 550 Millionen Euro bezahlt die Freie und Hansestadt an Vattenfall, inklusive Gesellschafterdarlehen sind es vermutlich 660 Millionen Euro. Die genauen Zahlen werden noch immer ausgehandelt. Demgegenüber stehen laut Stromnetz Hamburg jährliche Gewinne in Höhe von 25 Millionen Euro.

Investitionen ins Netz

Im November vergangenen Jahres hat der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg die Stromkonzession an das nun städtische Unternehmen vergeben. Eine zusätzlich ausgehandelte Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt und Unternehmen legt „Grundsätze für einen zukunftsorientierten Stromnetzbetrieb“ fest. Darin heißt es, die Energieversorgung soll „sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich“ sein. Jutta Blankau (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, erklärte nach der Vertragsunterzeichnung: „Mit dieser Kooperationsvereinbarung setzt Hamburg Maßstäbe. Unser Stromnetz wird zum Netz mit sehr hoher Versorgungssicherheit ausgebaut.“
Dafür will das Unternehmen einiges tun. Jährlich sollen 200 Millionen Euro für Instandsetzung und Modernisierung der Strom- und Kabelnetze aufgewendet werden. Das Hamburger Netz ist insgesamt 27.000 Kilometer lang und 40 Jahre alt. Es muss in den nächsten Jahren sukzessive ausgebaut und erneuert werden. Darüber hinaus sind verschiedene Großprojekte wie ein Windumspannwerk in Planung. Damit kann Strom aus Windenergieanlagen in das Hochspannungsnetz eingespeist werden. Eine Besonderheit der Hafenstadt sind die hohen CO2-Emissionen durch Schiffe. Um die Belastungen durch Kreuzfahrtschiffe zu reduzieren, will Stromnetz Hamburg Landstromanschlüsse für die Terminals in Altona einrichten. Bislang haben die Schiffe den benötigen Strom selbst erzeugt – und ließen die Motoren laufen.

Niedriger Absatz

Auch im Alltagsgeschäft steht das kommunale Unternehmen vor Herausforderungen. Wie andere Großstädte verzeichnet Hamburg einen Absatzeinbruch beim Strom. Dahinter stecken Energiesparmaßnahmen, die nun langsam Wirkung zeigen, und eine zunehmende Anzahl dezentraler Stromerzeugungsanlagen wie Photovoltaik und kleinen KWK-Anlagen. „Wir verzeichnen aufs Jahr gerechnet einen Absatzrückgang um vier Prozent“, sagt Dietrich Graf. „Und dies ist nicht mehr, wie in früheren Jahren, ein Indikator für eine sich ankündigende Rezession. Im Gegenteil, die Wirtschaft läuft in Hamburg gut, es wird gleich viel Leistung verbraucht, aber weniger Arbeit.“ Immerhin werden die Bürger entlastet: Zum 1. Januar wurden die Gebühren für neue Hausanschlüsse um fünf Prozent gesenkt. Bei 6.000 Wohnungen, die in der Hansestadt gerade neu entstehen, seien das „spürbare Entlastungen“, versichert das kommunale Unternehmen. Hamburg ist eine wachsende Stadt, und wie in anderen Metropolen geht man dort von einem anhaltenden Bevölkerungswachstum aus.

Effekt der Entsolidarisierung

Der zunehmende Eigenverbrauch selbst produzierten Stroms hat noch weitere Auswirkungen: Das Netzentgeltaufkommen verschiebt sich. Derjenige, der keine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach oder ein Blockheizkraftwerk im Keller hat, wird möglicherweise künftig steigende Netzentgelte zu tragen haben. Denn deren Gesamtaufkommen bleibt stabil. Sonst könnten Netzbetreiber keine Instandhaltung mehr durchführen. „Im heutigen Regulierungsregime gibt es einen Entsolidarisierungseffekt“, sagt Christian Heine, kaufmännischer Geschäftsführer von Stromnetz Hamburg. „Diejenigen, die in der Lage sind, Erneuerbare-Energien-Anlagen für den Eigenverbrauch im Netz zu unterhalten, entziehen sich der Netznutzung. Der immer geringer werdende Teil, der darauf angewiesen ist, den Strom weiter aus dem Netz zu beziehen, muss für höhere Netzentgelte aufkommen. In dieser Hinsicht wird man das System der Verrechnung mittelfristig anpassen müssen. Sonst müsste ja der letzte Kunde das Netz komplett bezahlen“, erklärt Heine.
Ohnehin mangelt es der Energiewende aus Sicht eines großstädtischen Netzbetreibers an einer gerechteren Verteilung. Während in Flächenländern, wo Strom aus erneuerbaren Energien mehrheitlich produziert wird, viel Geld in Verteilnetze und deren Ausbau fließt, profitieren Metropolregionen, wo wiederum viel Energie verbraucht wird, kaum davon. „Es ist deshalb notwendig, dass für die Abnahme von Energie mehr Anreize für Investitionen in die Verteilnetze ermöglicht werden“, fordert Christian Heine. „Die Investitionen müssen sowohl in den Flächenländern für den Anschluss, aber auch dort, wo Energie verbraucht wird, gleichermaßen sichergestellt sein.“

Helmut Merschmann




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