SolarbrancheNach dem Deckel ist vor dem Deckel
Lange hat die Solarbranche für die Abschaffung des 52-Gigawatt-Deckels gekämpft. Und gerade noch rechtzeitig hat sie diesen Kampf gewonnen, denn die Geschäftserwartung von Solarunternehmen befand sich bereits im freien Fall. Nun darf die Branche kurz durchatmen, doch: Nach dem Deckel ist vor dem Deckel. Denn für den erforderlichen neuen Schwung im Photovoltaikbereich müssen weitere Hürden beseitigt werden, etwa der atmende Deckel.
Beim atmenden Deckel handelt es sich um ein im Jahr 2012 eingeführtes Marktinstrument, das den Photovoltaikausbau steuern soll. Vergütungssätze für neue Solarstromanlagen sollen so bei hohen Zubauzahlen schneller sinken als bei niedrigeren Zubauzahlen. Den zugrunde liegenden Degressionsmechanismus hält die Solarbranche im Grundsatz für ein geeignetes Steuerungsinstrument. Allerdings basieren die aktuell sehr hohen Degressionswerte auf Ausbauzielen, die seit zehn Jahren nicht mehr angepasst wurden und deshalb in keiner Weise mehr den inzwischen getroffenen Beschlüssen zum Klimaschutz und Kohleausstieg Rechnung tragen. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW Solar) empfiehlt der Bundesregierung daher, den jährlichen Zielkorridor für den Photovoltaikausbau für Solarstromanlagen mit einer Leistung von maximal 0,75 Megawatt von derzeit 1,9 auf 5 Gigawatt anzuheben und die Degression der Marktprämien und Fördersätze zumindest so lange auszusetzen, bis die gewünschten Zubauziele erreicht werden.
Erzeugungslücke vermeiden
Der BSW appelliert darüber hinaus an die Bundesregierung, jährlich die PV-Ausbauziele im EEG auf mindestens zehn Gigawatt im Jahr heraufzusetzen: auf fünf Gigawatt auf Gebäuden und auf fünf Gigawatt in ebenerdigen Solarparks. Denn um die von der Bundesregierung für das Jahr 2030 gesetzten Klimaziele zu erreichen, muss das Ausbautempo für die Photovoltaik im Jahr 2021 verdoppelt werden. Ab dem Jahr 2022 brauchen wir eine Verdreifachung der jährlich installierten PV-Leistung. Bereits Mitte der 2020er-Jahre müssten die im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung für das Jahr 2030 vorgesehenen solaren Kraftwerkskapazitäten errichtet sein. Nur so lässt sich laut einem aktuellen Gutachten des Bonner Forschungsinstituts EuPD Research eine Stromerzeugungslücke infolge des Atom- und Kohleausstiegs vermeiden, die in drei Jahren aufreißen würde. Da Solarparks laut EEG an nur wenigen ausgewählten Standorten errichtet werden dürfen, kann und muss außerdem die Standortkulisse ausgeweitet werden.
Faire Bedingungen schaffen
Keine Energieerzeugungsform an Land ist so preiswert und erfreut sich auch im Kraftwerksmaßstab so hoher Akzeptanz in der Bevölkerung wie die Solartechnik. Soll ihr Ausbau entfesselt werden, müssen weitere Marktbarrieren fallen. Nicht länger darf beispielsweise die Selbstversorgung und Vor-Ort-Belieferung mit Solarstrom durch die Belastung mit der Sonnensteuer – der EEG-Umlage – ausgebremst werden. Letztere blockiert zum einen Milliardeninvestitionen mittelständischer Unternehmen, die Energiewende in deutschen Innenstädten oder das Prosuming und verlängert zum anderen künstlich die PV-Förderabhängigkeit. Gänzlich inakzeptabel ist es außerdem, dass nahezu alle Dächer großer Industriehallen in den zurückliegenden Jahren für die Solarstromernte ungenutzt blieben, obwohl Solarstrom hier im Megawatt-Maßstab besonders preiswert erzeugt werden könnte. Ursache ist eine nicht nachvollziehbare Beschränkung der Gewährung fester Marktprämien auf Anlagen mit einer Leistung von maximal 0,75 Megawatt, der so genannte PV-XL-Dach-Deckel und die unsachgemäße Verpflichtung großer Solardächer zur Teilnahme an Förderauktionen.
Solarstrom steht an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit und erreicht nach einer sensationellen Kostenentwicklung im Kraftwerksmaßstab nach der Netzparität nun auch die Marktparität. In Deutschland entstehen in der Folge erste Projekte ohne direkte oder indirekte Förderung. Damit diese nicht nur unter Idealbedingungen in Ausnahmefällen errichtet werden, müssen faire Investitionsbedingungen für die Photovoltaik abgesichert werden. Auch im Stromsektor sind deshalb CO2-Mindestpreise einzuführen. Darüber hinaus sollte den in den kommenden Jahren aus der EEG-Förderung ausscheidenden Solarstromanlagen – den Ü20 – barrierefrei ein weitgehend kostendeckender Weiterbetrieb ermöglicht werden. Dazu bedarf es einer Freistellung von Umlagen und Abgaben für selbst konsumierten Solarstrom und der Erstattung eines fairen Marktwerts für eingespeisten Überschussstrom.
Bedarf an Speicherkapazitäten steigt
Mit dem Ausbau der fluktuierenden Erzeugung aus erneuerbaren Energien und der gleichzeitigen Verringerung regelbarer Erzeugungskapazitäten steigt der Bedarf an Speicherkapazitäten. Auch hier gewinnt die Solartechnik an Bedeutung. Solarstromspeicher werden künftig zu einer zentralen Flexibilitätsoption der Stromversorgung. Um die Versorgungssicherheit und Netzstabilität gewährleisten zu können, muss die Batteriekapazität von Heim-, Gewerbe- und Netzspeichern bis zum Jahr 2030 insgesamt verzehnfacht werden. Zwar wächst der Batteriemarkt dynamisch, ungerechtfertigte Abgaben, langwierige Genehmigungsverfahren, teils fragwürdige Netzanschlussbedingungen und eine fehlende Unterstützung für Gewerbespeicher bremsen jedoch den weiteren Hochlauf.
Darüber hinaus müssen wir neuen PV-Anwendungen eine Chance geben. Die Modularität und Robustheit der Photovoltaik erlauben es, sie unter rauen Bedingungen in Kombination mit anderen Nutzungsformen wie der Land- oder Wasserwirtschaft einzusetzen. Auch in der Agri- und Floating-PV sind inzwischen Erzeugungskosten von unter zehn Cent je Kilowattstunde möglich. Sie sollte wie in anderen Ländern mittels geeigneter Anreize eine breite Markteinführung erfahren.
Zusammengefasst gilt: Die riesigen Potenziale des Multitalents Photovoltaik sollten jetzt durch gezielte Beförderung der Sektorenkopplung konsequent erschlossen werden – in einem ausgewogenen Mix und intelligent gesteuert mit anderen erneuerbaren Energien.
Dieser Beitrag ist in der Augabe September/Oktober 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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