Samstag, 2. November 2024

BiogasMultifunktionaler Energieträger

[03.05.2013] Biogas kann zur Netzstabilität beitragen und als Regelenergie eingesetzt werden. Es hat eine andere Qualität als Wind- und Solarenergie, die es wertvoller macht – und das muss sich in der Vergütung widerspiegeln.
Biogas ist die entscheidende Säule beim Umbau der Energieversorgung.

Biogas ist die entscheidende Säule beim Umbau der Energieversorgung.

(Bildquelle: Hartmut910/pixelio.de)

Ende Januar 2013 fand die traditionelle Jahrestagung des Fachverbands Biogas in Leipzig statt. Mehr als 9.000 Besucher aus vielen verschiedenen Ländern trafen sich, um über die Chancen der Biogasnutzung zu diskutieren, sich auszutauschen und bei den 446 Ausstellern über die neuesten Entwicklungen auf dem Markt zu informieren. Wie bislang in jedem Jahr brach auch die 22. Tagung alle Rekorde – sowohl hinsichtlich der Besucherzahlen als auch hinsichtlich der Aussteller und Ausstellungsfläche.

Umbruch statt Aufbruch

Insgesamt sind in Deutschland seit dem Inkrafttreten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 rund 6.500 neue Biogasanlagen erbaut worden. Aktuell beläuft sich der Bestand auf circa 7.600 Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund 3.200 Megawatt und einer Jahresstromproduktion von knapp 22 Terawattstunden. Damit lässt sich der Bedarf von 6,3 Millionen durchschnittlichen Haushalten decken. Circa 40.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt. Biogas ist schon lange eine wichtige Säule im Spiel der erneuerbaren Energien und ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor, insbesondere für den ländlichen Raum. Soweit die Zahlen und Fakten.
Man könnte also meinen, es herrsche Aufbruchstimmung in der Branche. Dabei müsste man, um es positiv zu formulieren, eher von einer Umbruchstimmung sprechen. Derzeit produzieren die allermeisten Biogasanlagen in Deutschland Strom im Dauerbetrieb direkt an der Anlage. Das Blockheizkraftwerk (BHKW) steht in der Regel neben dem Fermenter und läuft rund 8.000 Stunden im Jahr auf Volllast. Das muss nicht unbedingt sein. „Grundlast ist out“, konstatierte ein Vertreter des Bundesumweltministeriums im Rahmen der 22. Jahrestagung des Fachverbands Biogas. Denn Biogas kann auch flexibel Strom erzeugen: Wenn die Windräder stillstehen und die Photovoltaikanlagen keinen Strom produzieren, können Biogasanlagen einspringen. Das in den Fermentern erzeugte Gas kann gespeichert und bedarfsgerecht eingesetzt werden. Das ist theoretisch kein Problem und auch sofort realisierbar – es bedeutet jedoch Umbaumaßnahmen. Ein Gasspeicher muss ergänzt werden, gegebenenfalls ein zweites BHKW aufgestellt werden. Die meisten Betreiber sind auch durchaus bereit, diesen Weg zu gehen. Allerdings muss die Finanzierung eindeutig geregelt werden. Die Flexibilitätsprämie im aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz hat sich als zu kompliziert und un­sicher erwiesen, als dass sich viele Betreiber darauf einlassen würden.
Eine weitere Option ist die Direkteinspeisung von aufbereitetem Biogas in das bestehende Erdgasnetz. Hierfür muss das aus circa 55 Prozent Methan bestehende Biogas auf eine Methankonzentration von 98 Prozent gebracht werden. Verschiedene Verfahren stehen hierfür bereits zur Verfügung. Gut 100 der 7.600 Biogasanlagen speisen ihr Gas schon heute ins Erdgasnetz ein, das einen riesigen Speicher darstellt. Das im Erdgasnetz transportierte Biomethan kann an jeder beliebigen Stelle wieder entnommen und in Kraft-Wärme-Kopplung verstromt werden. Leider fehlen die Anreize, um mehr Anlagenbetreiber zur Direkteinspeisung zu bewegen. Nichtsdestotrotz kann Biogas schon heute zur Netzstabilität beitragen und als Regelenergie eingesetzt werden.

Entscheidende Stellschraube

Biogas ist die entscheidende Säule beim Umbau der Energieversorgung. Die Entscheidungsträger in Berlin scheinen das nur leider noch nicht begriffen zu haben. Unter dem Titel „Strompreisbremse“ wird der Biogasbranche derzeit der Hahn abgedreht, sei es durch die geplante Reduzierung der Vergütung um 1,5 Prozent, die Streichung des Güllebonus für Altanlagen, die verzögerte Auszahlung der Stromvergütung oder den Zwang zur Direktvermarktung für alle Anlagen über 150 kW.
All diese Maßnahmen werden den Strompreis langfristig sicher nicht reduzieren, aber dazu beitragen, dass die Existenz zahlloser Biogasanlagen auf dem Spiel steht, Firmen ihre Mitarbeiter entlassen oder in die Pleite getrieben werden und dass das Jahrhundertprojekt Energiewende schon nach wenigen Jahren zum Scheitern verurteilt ist. Was derzeit aus Berlin zu hören ist, trägt in keiner Weise zu Neuinvestitionen oder Umbaumaßnahmen bei Biogasanlagen bei. Viele Betreiber stehen in den Startlöchern und sind bereit für den nächsten Schritt – sie warten nur noch auf eindeutige Zeichen. Das A und O für das Gelingen der Energiewende und den weiteren Ausbau der Biogasnutzung ist Verlässlichkeit.
Die kommenden fünf bis zehn Jahre werden der Biogasbranche einen Richtungswechsel bringen. Wenn die Bundesregierung die Energiewende nicht komplett ausbremst, wird Biogas die entscheidende Stellschraube im System sein. Sie wird die fluktuierenden regenerativen Quellen Wind und Sonne ausgleichen und für Netzstabilität sorgen. Biogas hat eine andere Qualität als Wind- und Solarenergie. Dieses Potenzial hat allerdings seinen Preis – das muss die Bundesregierung erkennen und entsprechend honorieren.

Treibstoff der 2. Generation

Die dann folgenden Schritte der Biogasnutzung werden den multifunktionalen Energieträger in seiner gesamten Bandbreite widerspiegeln. Neben der Strom- und Wärmeerzeugung steht mit Biogas schon heute ein Treibstoff der zweiten Generation zur Verfügung. Die Reduzierung der CO2-Emissionen auf der Straße wird nach wie vor mehr als stiefmütterlich angegangen. Unausgereifte Pläne in Richtung Elektromobilität treten auf der Stelle und stellen kurzfristig keine wirkliche Alternative dar. Biomethan hingegen steht bereits für Erdgasfahrzeuge zur Verfügung. An rund 200 der 900 Erdgastankstellen in Deutschland wird Biomethan teilweise als Beimischung, teilweise aber auch zu 100 Prozent angeboten.
Die Flotte der Erdgasfahrzeuge ist momentan noch überschaubar: Knapp 100.000 sind derzeit angemeldet. Damit liegt Deutschland international gesehen zwar relativ weit vorne – im Vergleich zu Italien ist aber noch viel Luft nach oben. Über Steuererleichterungen, Prämien beim Neuwagenkauf, Ausnahmeregelungen bei Verkehrsbeschränkungen und Subventionen beim Ausbau des Erdgastankstellennetzes konnte der Bestand südlich der Alpen von 382.000 Fahrzeugen im Jahr 2005 auf 785.000 im Jahr 2011 gesteigert werden.
Das Potenzial zur Versorgung einer derart großen Kraftfahrzeugflotte mit Biomethan wäre auch in Deutschland vorhanden. Nach Berechnungen des Fachverbands Biogas können mit den bisher nicht genutzten vergärbaren Abfallstoffen und Nebenprodukten 1,5 Millionen Fahrzeuge mit Biomethan betrieben werden. Im Vergleich zu fossilem Kraftstoff spart eine Tankfüllung Biomethan bis zu 90 Prozent CO2-Emissionen. Wird der Fermenter vor allem mit Mais und nur wenig Gülle beschickt, beträgt die Einsparung 66 Prozent; werden hingegen Reststoffe vergoren, liegt der CO2-Ausstoß nur noch bei 15 Gramm je Kilometer – und damit 90 Prozent unter dem vergleichbaren fossil betankten Pkw. Dies wäre der richtige Hebel, um auch im Kraftstoffsektor endlich mit dem Klimaschutz Ernst zu machen.

Horst Seide ist Präsident des Fachverbands Biogas e.V.




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