Montag, 18. November 2024

EnergiewendeModell für den Energiemarkt 2.0

[15.03.2012] Mit der Energiewende ist ein radikaler Umbau der bestehenden Kraftwerke und Anlagen verbunden. Notwendig sind zudem neue Speichertechnologien, um die Fluktuation der regenerativen Energien auszugleichen. Die Politik ist gefordert, Anreize für den Netzausbau zu schaffen.

Im Jahr 2022 wird in Deutschland das letzte Kernkraftwerk stillgelegt. Ferner sollen bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent reduziert werden, bis 2050 um mindestens 80 Prozent. Es ist klar, dass die Energiewirtschaft dabei einen wichtigen Part übernehmen wird. Immerhin setzt sie derzeit über 40 Prozent der CO2-Emissionen frei. Nahezu alle Unternehmen stehen in den Startlöchern, um geeignete Maßnahmen zur Realisierung der Energiewende zu ergreifen. Dennoch verzögert sich der Prozess, da noch viele Fragen hinsichtlich der Umsetzung offen sind. Notwendig ist ein klarer, langfristig angelegter Handlungsrahmen, der sich aus einem integrierten Energiekonzept ergibt. Dieser Rahmen ist derzeit nicht vorhanden. Einseitige, industriepolitisch getriebene Subventionen, wie sie teilweise zu beobachten sind, führen nicht zum Ziel. Im Markt müssen sich diejenigen Technologien durchsetzen, die am effizientesten sind, den größten Einspareffekt bringen und das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten. Gleichzeitig benötigen alle Investoren verbindliche Rechtssicherheit für ihr Engagement und die Gewissheit, dass sich ihre Aufwendungen auch wirtschaftlich rechnen.

Ausgewogener Mix

Durch den rechtlich verbindlichen Zeitrahmen für den Ausstieg aus der Kernenergie besteht erstmals die Gelegenheit, offen und konstruktiv über die weitere Ausgestaltung der Energiewirtschaft zu diskutieren, da – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr alle Überlegungen von der Einstellung pro oder contra Kernkraft überlagert werden. Wenn es darum geht, den notwendigen Ersatz zu schaffen, kommt dem Ausbau der erneuer­baren Energien die wichtigste Rolle zu. Für die Branche bedeutet das einen radikalen Umbau ihrer Kraftwerke und Anlagen. Schließlich sind nicht nur 22 Prozent Strom aus Kernenergie zu ersetzen, sondern auch deutlich über 50 Prozent, die heute in Kohle- und Gaskraftwerken produziert werden. Langfristig muss ein Volumen von jährlich fast 500 Milliarden Kilowattstunden aus regenerativen Quellen zur Verfügung stehen. Am Ausbau und der Modernisierung des bestehenden Kraftwerkeparks führt daher kein Weg vorbei. Zum einen als leistungsfähiger Ersatz für Altanlagen und Kernkraftwerke, zum anderen als Ausgleich für die nur unregelmäßig einspeisenden Wind- und Solaranlagen.
Die Thüga-Gruppe erachtet einen ausgewogenen Energie-Mix als richtig, der sich aus erneuerbaren Energien – vor allem aus Wind und Biomasse – sowie aus dezent­ralen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zusammensetzt. So hat im April 2011 das Unternehmen Thüga Erneuerbare Energien eine gemeinsame Plattform von 35 Unternehmen der Thüga-Gruppe, das operative Geschäft aufgenommen. Investitionsschwerpunkt sind On- und Offshore-Windenergieanlagen. Bis zum Jahr 2020 steht dafür rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Ergänzt werden diese Aktivitäten durch regionale Projekte zur Nutzung von Biomasse.
Inwieweit der Bau neuer Gaskraftwerke forciert werden kann, ist hingegen noch offen. So gibt es am Markt Beispiele, die belegen, dass bei einigen Bestandsanlagen heute keine ausreichende Rendite mehr erzielt wird, was sowohl an immer kürzeren Betriebszeiten als auch an einer zu geringen Spanne zwischen Gaseinkaufs- und Stromverkaufspreis liegt. Entscheidend ist aber vor allem der so genannte Merit-Order-Effekt, demzufolge der Strom aus Gaskraftwerken zunehmend von Strom aus erneuerbaren Energien verdrängt wird. Der Grund: Bei Solar- und Windkraftanlagen fallen keine Energiebeschaffungskosten an. Das führt zu Einsparungen bei der Stromproduktion und in der Folge zu niedrigeren Preisen an den Börsen. Mit weitreichenden Konsequenzen: Je mehr EEG-Strom erzeugt und in den Markt gebracht wird, desto mehr konventionelle Kraftwerke können nicht mehr wirtschaftlich produzieren.

Ohne Anreize geht es nicht

Diese Situation dürfte sich künftig noch verschärfen. Denn durch den zunehmenden Ausbau der erneuer­baren Energien werden teure Spitzenlastkraftwerke trotz ihrer Systemrelevanz immer seltener das preisbestimmende Kraftwerk am Markt sein. Mittel- bis langfristig muss daher die derzeitige Preisfindung ergänzt werden. Bei einem Einkommen, das allein auf der gelieferten Arbeit beruht, fehlt der Anreiz zum Aufbau und Halten von Reservekapazitäten bei gleichzeitig geringer Auslastung. Einen Ausweg bieten etwa die Realisierung eines Kapazitätsmarktes, bei dem ein Ausgleich für die fehlende Wirtschaftlichkeit der erzeugten Kapazitäten festgeschrieben wird oder aber die Senkung der Netznutzungsentgelte. Auch Zuschüsse zum Bau neuer Kraftwerke oder Sonderabschreibungen dürften die Bereitschaft fördern, in konventionelle Anlagen zu investieren.
Kurzfristig können nur schnell hochfahrende Gaskraftwerke die erforderliche Regelenergie erzeugen, um die Fluktuation der erneuerbaren Energien auszugleichen. Mittelfristig müssen neue Speichertechnologien, wie die Power-to-Gas-Technologie, diese Aufgabe übernehmen. Überschüssige Windenergie wird dabei genutzt, um über die Elektrolyse Wasserstoff, beziehungsweise in einem weiteren Schritt Methan herzustellen. Es ist derzeit die einzige Technologie, um große Mengen an Energie zu speichern und gleichzeitig die Stromnetze über ein eigenes Transportsystem zu entlasten. Die Thüga-Gruppe beschäftigt sich daher intensiv mit der Weiterentwicklung dieses Verfahrens.
Zwingend erforderlich, um den dezentral erzeugten Strom aus regenerativen Quellen in die Ballungszentren zu transportieren, ist zudem der Netzausbau. Um den künftigen Anforderungen, die durch das starke Wachstum bei den erneuerbaren Energien entstehen, zu begegnen, muss beispielsweise die Thüga-Gruppe bis zum Jahr 2020 bis zu 6,7 Milliarden Euro in den Ausbau ihres über 100.000 Kilometer langen Endverteilnetzes investieren. Als zentrales Hemmnis erweisen sich dabei die von der Bundesnetzagentur genehmigten Obergrenzen für die Verzinsung von neuen Netz­investitionen. Erheblichen Gesprächsbedarf gibt es insbesondere hinsichtlich des weiterhin bestehenden Zeitverzugs bei der Kostenanerkennung. Für den Bereich der Transportnetze hat die Bundesnetzagentur den Zeitverzug bereits behoben. Nun muss dies auch bei den Verteilnetzen erfolgen. Denn nur über eine angemessene Verzinsung kann ein akzeptabler Weg für den weiteren Netzausbau gefunden werden.

Konsistentes Marktmodell

Den Umbau der Energiewirtschaft wird es nicht zum tarif geben. Technische Innovationen und eine weltweit anziehende Nachfrage nach Energie dürften sich im Portemonnaie der Endverbraucher bemerkbar machen. Andererseits bietet diese Entwicklung auch Chancen: Investitionen in neue, energiesparende Anlagen machen sich schneller bezahlt.
Mit Blick auf die weitere unternehmerische Entwicklung kommt es daher vor allem darauf an, rechtzeitig und nachhaltig auf die He­rausforderungen der Energiewende zu reagieren. Zusätzlich zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen erarbeitet die Thüga-Gruppe deshalb eine Strategie, um Risiken zu minimieren und Zukunftspotenziale zu erschließen. Voraussetzung ist ein in sich konsistentes, langfristig angelegtes Marktmodell. Dieses ist in Grundzügen vorhanden, allerdings fehlen noch wesentliche Elemente. So ist beispielsweise die Frage, ob künftig Leistungsreserven im eigenen Land oder im Ausland zur Verfügung stehen sollen, nicht abschließend geklärt. Eine Situation, die weitreichende unternehmerische Investitionsentscheidungen unmöglich macht.
Die Politik ist daher gefordert, ein Energiemarktmodell 2.0 zu implementieren, das verlässliche Rahmenbedingungen bietet, um die Ausbauziele bei den erneuer­baren Energien zu erreichen, die Energieeffizienz fördert und Anreize für den Leitungs- und Speicherbau schafft. Darüber hinaus stellen Versorgungssicherheit und Preisstabilität Schwerpunkte dar. Und schließlich sollte das neue Marktmodell Teil eines europä­ischen Strommarktes sein. Dann dürfte die weitere Umsetzung der Energiewende deutlich an Fahrt gewinnen.

Dr. Gerhard Holtmeier ist seit dem Jahr 2010 Mitglied des Vorstandes der Thüga AG, Mitglied der Geschäftsführung der Thüga Management GmbH und Mitglied des Vorstandes der CONTIGAS Deutsche Energie-Aktiengesellschaft.


Stichwörter: Politik, Energiemarktmodell


Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Politik

Projekt PaDiSo: Tipps für die lokale Energiewende

[14.11.2024] Forscherinnen des Projekts PaDiSo haben Handlungsempfehlungen für deutsche Kommunen entwickelt, um sie bei der Gestaltung eines klimaneutralen Energiesystems zu unterstützen. Ziel ist es, kommunalen Akteuren praxisnahe Instrumente und Strategien an die Hand zu geben. mehr...

Das Bild ist ein Porträtfoto des schleswig-holsteinischen Energieministers Tobias Goldschmidt

Energieministerkonferenz: Der Geist von Brunsbüttel

[11.11.2024] Die Energieministerkonferenz in Brunsbüttel hat mit der „Brunsbütteler Erklärung“ einen deutlichen Appell an die Bundesregierung verabschiedet: Die Ministerinnen und Minister fordern spürbare Entlastungen bei den Strompreisen, eine zügige Umsetzung der Gesetze und eine klare Strategie für erneuerbare Energien und Biomasse. mehr...

Das Bild ist ein Portätfoto von Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung.

BDEW: Energiebranche besorgt über Ampel-Aus

[07.11.2024] Nach dem Bruch der Ampelkoalition warnt der BDEW vor den Folgen für die Energiepolitik. Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, mahnt schnelles und einvernehmliches Handeln an. mehr...

Auf dem Bild ist ein Umspannwerk zu sehen, im Vordergrund zwei Personen, die sich über einen Plan beugen.

Bundesregierung: KRITIS-Dachgesetz beschlossen

[07.11.2024] Die Bundesregierung hat den Entwurf des KRITIS-Dachgesetzes beschlossen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betont die Notwendigkeit des Gesetzes, um Deutschland widerstandsfähiger gegen Krisen und Katastrophen zu machen. mehr...

Auf dem Bild sind Michael Maxelon, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG, Hessens Energie- und Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef zu sehen. Sie halten ein Plakat in Händen, das das Konzept der Energiewendeviertel illustriert.

Frankfurt am Main: Energiezukunft gemeinsam gestalten

[05.11.2024] Bei einer Veranstaltung der Mainova diskutierten Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef und Hessens Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori über den geplanten Ausbau der Strom- und Wärmenetze in Frankfurt. mehr...

Barcamp 2023 in der SMA Solar Academy. Foto: Heiko Meyer

Energieblogger: Energiewende in Krisenzeiten

[05.11.2024] Wie kann man Menschen trotz globaler Krisen und Konflikte für die Energiewende gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das 12. Barcamp Renewables Mitte November in Kassel. mehr...

Stuttgart: Status zur Wärmeplanung

[30.10.2024] Die Landeshauptstadt Stuttgart plant bis 2035 eine klimaneutrale Wärmeversorgung und erhält Unterstützung durch das Regierungspräsidium. In einer Ausschusssitzung berichteten Verantwortliche über den Status und die Herausforderungen dieser nachhaltigen Wärmeplanung. mehr...

Die Säulen-Grafik zeigt die Entwicklung der installierten Leistung Erneuerbarer-Energien-Anlagen von 2023 bis 2029.

EWI-Gutachten: Milliardenanstieg bei EEG-Förderungen

[28.10.2024] Die EEG-Förderung für erneuerbare Energien könnte bis 2025 auf über 18 Milliarden Euro steigen – fast eine Milliarde mehr als 2023. Bis 2029 wird eine Verdoppelung der Erzeugungskapazitäten in Deutschland prognostiziert, die Förderzahlungen könnten auf über 23 Milliarden Euro steigen. mehr...

Das Bild zeigt Module einer Freiflächen-Photovoltaikanlage, imHintergrund sind Windräder zu sehen.

Bund-Länder-Kooperationsausschuss: Erneuerbare nehmen Fahrt auf

[28.10.2024] Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland hat im vergangenen Jahr kräftig zugelegt und das Vorjahresniveau deutlich übertroffen. Allerdings bleibt der Ausbau der Windenergie hinter den Erwartungen zurück. mehr...

AEE: Hintergrundpapier zu regelbaren Kraftwerken

[28.10.2024] Um die Stromversorgung in Deutschland auch künftig stabil zu halten, sind ergänzend zu erneuerbaren Energien regelbare Kraftwerke notwendig. Dies zeigt ein neues Hintergrundpapier der AEE. mehr...

Sachsen-Anhalt: Ressortplan Klima beschlossen

[25.10.2024] Das Kabinett von Sachsen-Anhalt hat jetzt einen neuen Ressortplan Klima verabschiedet, der 75 Maßnahmen zur Förderung des Klimaschutzes umfasst. Umweltminister Willingmann betonte, dass trotz sinkender Treibhausgasemissionen zusätzliche Anstrengungen notwendig seien, um die Klimaziele zu erreichen. mehr...

Eine Freiflächensolaranlage.

Bremen: Stadtteile sollen direkt profitieren

[17.10.2024] In Bremen soll künftig ein Teil der Erträge von Windkraft- und Freiflächensolaranlagen direkt an die naheliegenden Quartiere fließen können. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Abgabe der Anlagenbetreiber, mit denen die Bremer Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft entsprechende Verträge abschließen kann. mehr...

Die Grafik symbolisiert Zukunftsszenarien für die Energiewende, die sowohl technische als auch soziale Aspekte einbeziehen. Die in blau gehaltene Grafik zeigt Gebäude, Windräder und Strommasten.

Studie: Elektrifizierung im Fokus

[14.10.2024] Wie Deutschland bis 2045 ein klimaneutrales Energiesystem erreichen kann, haben Forscher des KIT, des DLR und des Forschungszentrums Jülich in einem neuen Bericht vorgestellt. Sie betonen die Bedeutung der Elektrifizierung und des Ausbaus der erneuerbaren Energien als zentrale Bausteine der Energiewende. mehr...

Zu sehen ist das historische Rathaus der Stadt Braunschweig.

Braunschweig: Erfolge bei Energieeinsparungen

[11.10.2024] Die Stadt Braunschweig hat einen Energiebericht für ihre städtischen Gebäude vorgelegt. Er dokumentiert, wie die Stadt in den vergangenen Jahren ihren Energieverbrauch und CO2-Ausstoß senken konnte. mehr...

Das Bild zeigt Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.

Schleswig-Holstein: Solar-Erlass erleichtert Planung

[11.10.2024] Der Solar-Erlass soll den Kommunen in Schleswig-Holstein als Leitfaden bei der Planung und Genehmigung von Freiflächen-Solaranlagen dienen. Die Landesregierung hat den Erlass nun grundlegend überarbeitet. mehr...