EnergiewendeModell für den Energiemarkt 2.0
Im Jahr 2022 wird in Deutschland das letzte Kernkraftwerk stillgelegt. Ferner sollen bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent reduziert werden, bis 2050 um mindestens 80 Prozent. Es ist klar, dass die Energiewirtschaft dabei einen wichtigen Part übernehmen wird. Immerhin setzt sie derzeit über 40 Prozent der CO2-Emissionen frei. Nahezu alle Unternehmen stehen in den Startlöchern, um geeignete Maßnahmen zur Realisierung der Energiewende zu ergreifen. Dennoch verzögert sich der Prozess, da noch viele Fragen hinsichtlich der Umsetzung offen sind. Notwendig ist ein klarer, langfristig angelegter Handlungsrahmen, der sich aus einem integrierten Energiekonzept ergibt. Dieser Rahmen ist derzeit nicht vorhanden. Einseitige, industriepolitisch getriebene Subventionen, wie sie teilweise zu beobachten sind, führen nicht zum Ziel. Im Markt müssen sich diejenigen Technologien durchsetzen, die am effizientesten sind, den größten Einspareffekt bringen und das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten. Gleichzeitig benötigen alle Investoren verbindliche Rechtssicherheit für ihr Engagement und die Gewissheit, dass sich ihre Aufwendungen auch wirtschaftlich rechnen.
Ausgewogener Mix
Durch den rechtlich verbindlichen Zeitrahmen für den Ausstieg aus der Kernenergie besteht erstmals die Gelegenheit, offen und konstruktiv über die weitere Ausgestaltung der Energiewirtschaft zu diskutieren, da – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr alle Überlegungen von der Einstellung pro oder contra Kernkraft überlagert werden. Wenn es darum geht, den notwendigen Ersatz zu schaffen, kommt dem Ausbau der erneuerbaren Energien die wichtigste Rolle zu. Für die Branche bedeutet das einen radikalen Umbau ihrer Kraftwerke und Anlagen. Schließlich sind nicht nur 22 Prozent Strom aus Kernenergie zu ersetzen, sondern auch deutlich über 50 Prozent, die heute in Kohle- und Gaskraftwerken produziert werden. Langfristig muss ein Volumen von jährlich fast 500 Milliarden Kilowattstunden aus regenerativen Quellen zur Verfügung stehen. Am Ausbau und der Modernisierung des bestehenden Kraftwerkeparks führt daher kein Weg vorbei. Zum einen als leistungsfähiger Ersatz für Altanlagen und Kernkraftwerke, zum anderen als Ausgleich für die nur unregelmäßig einspeisenden Wind- und Solaranlagen.
Die Thüga-Gruppe erachtet einen ausgewogenen Energie-Mix als richtig, der sich aus erneuerbaren Energien – vor allem aus Wind und Biomasse – sowie aus dezentralen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zusammensetzt. So hat im April 2011 das Unternehmen Thüga Erneuerbare Energien eine gemeinsame Plattform von 35 Unternehmen der Thüga-Gruppe, das operative Geschäft aufgenommen. Investitionsschwerpunkt sind On- und Offshore-Windenergieanlagen. Bis zum Jahr 2020 steht dafür rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Ergänzt werden diese Aktivitäten durch regionale Projekte zur Nutzung von Biomasse.
Inwieweit der Bau neuer Gaskraftwerke forciert werden kann, ist hingegen noch offen. So gibt es am Markt Beispiele, die belegen, dass bei einigen Bestandsanlagen heute keine ausreichende Rendite mehr erzielt wird, was sowohl an immer kürzeren Betriebszeiten als auch an einer zu geringen Spanne zwischen Gaseinkaufs- und Stromverkaufspreis liegt. Entscheidend ist aber vor allem der so genannte Merit-Order-Effekt, demzufolge der Strom aus Gaskraftwerken zunehmend von Strom aus erneuerbaren Energien verdrängt wird. Der Grund: Bei Solar- und Windkraftanlagen fallen keine Energiebeschaffungskosten an. Das führt zu Einsparungen bei der Stromproduktion und in der Folge zu niedrigeren Preisen an den Börsen. Mit weitreichenden Konsequenzen: Je mehr EEG-Strom erzeugt und in den Markt gebracht wird, desto mehr konventionelle Kraftwerke können nicht mehr wirtschaftlich produzieren.
Ohne Anreize geht es nicht
Diese Situation dürfte sich künftig noch verschärfen. Denn durch den zunehmenden Ausbau der erneuerbaren Energien werden teure Spitzenlastkraftwerke trotz ihrer Systemrelevanz immer seltener das preisbestimmende Kraftwerk am Markt sein. Mittel- bis langfristig muss daher die derzeitige Preisfindung ergänzt werden. Bei einem Einkommen, das allein auf der gelieferten Arbeit beruht, fehlt der Anreiz zum Aufbau und Halten von Reservekapazitäten bei gleichzeitig geringer Auslastung. Einen Ausweg bieten etwa die Realisierung eines Kapazitätsmarktes, bei dem ein Ausgleich für die fehlende Wirtschaftlichkeit der erzeugten Kapazitäten festgeschrieben wird oder aber die Senkung der Netznutzungsentgelte. Auch Zuschüsse zum Bau neuer Kraftwerke oder Sonderabschreibungen dürften die Bereitschaft fördern, in konventionelle Anlagen zu investieren.
Kurzfristig können nur schnell hochfahrende Gaskraftwerke die erforderliche Regelenergie erzeugen, um die Fluktuation der erneuerbaren Energien auszugleichen. Mittelfristig müssen neue Speichertechnologien, wie die Power-to-Gas-Technologie, diese Aufgabe übernehmen. Überschüssige Windenergie wird dabei genutzt, um über die Elektrolyse Wasserstoff, beziehungsweise in einem weiteren Schritt Methan herzustellen. Es ist derzeit die einzige Technologie, um große Mengen an Energie zu speichern und gleichzeitig die Stromnetze über ein eigenes Transportsystem zu entlasten. Die Thüga-Gruppe beschäftigt sich daher intensiv mit der Weiterentwicklung dieses Verfahrens.
Zwingend erforderlich, um den dezentral erzeugten Strom aus regenerativen Quellen in die Ballungszentren zu transportieren, ist zudem der Netzausbau. Um den künftigen Anforderungen, die durch das starke Wachstum bei den erneuerbaren Energien entstehen, zu begegnen, muss beispielsweise die Thüga-Gruppe bis zum Jahr 2020 bis zu 6,7 Milliarden Euro in den Ausbau ihres über 100.000 Kilometer langen Endverteilnetzes investieren. Als zentrales Hemmnis erweisen sich dabei die von der Bundesnetzagentur genehmigten Obergrenzen für die Verzinsung von neuen Netzinvestitionen. Erheblichen Gesprächsbedarf gibt es insbesondere hinsichtlich des weiterhin bestehenden Zeitverzugs bei der Kostenanerkennung. Für den Bereich der Transportnetze hat die Bundesnetzagentur den Zeitverzug bereits behoben. Nun muss dies auch bei den Verteilnetzen erfolgen. Denn nur über eine angemessene Verzinsung kann ein akzeptabler Weg für den weiteren Netzausbau gefunden werden.
Konsistentes Marktmodell
Den Umbau der Energiewirtschaft wird es nicht zum tarif geben. Technische Innovationen und eine weltweit anziehende Nachfrage nach Energie dürften sich im Portemonnaie der Endverbraucher bemerkbar machen. Andererseits bietet diese Entwicklung auch Chancen: Investitionen in neue, energiesparende Anlagen machen sich schneller bezahlt.
Mit Blick auf die weitere unternehmerische Entwicklung kommt es daher vor allem darauf an, rechtzeitig und nachhaltig auf die Herausforderungen der Energiewende zu reagieren. Zusätzlich zu den bereits eingeleiteten Maßnahmen erarbeitet die Thüga-Gruppe deshalb eine Strategie, um Risiken zu minimieren und Zukunftspotenziale zu erschließen. Voraussetzung ist ein in sich konsistentes, langfristig angelegtes Marktmodell. Dieses ist in Grundzügen vorhanden, allerdings fehlen noch wesentliche Elemente. So ist beispielsweise die Frage, ob künftig Leistungsreserven im eigenen Land oder im Ausland zur Verfügung stehen sollen, nicht abschließend geklärt. Eine Situation, die weitreichende unternehmerische Investitionsentscheidungen unmöglich macht.
Die Politik ist daher gefordert, ein Energiemarktmodell 2.0 zu implementieren, das verlässliche Rahmenbedingungen bietet, um die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien zu erreichen, die Energieeffizienz fördert und Anreize für den Leitungs- und Speicherbau schafft. Darüber hinaus stellen Versorgungssicherheit und Preisstabilität Schwerpunkte dar. Und schließlich sollte das neue Marktmodell Teil eines europäischen Strommarktes sein. Dann dürfte die weitere Umsetzung der Energiewende deutlich an Fahrt gewinnen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März 2012 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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