Ulm/Neu-UlmMit Smart Grids planen

Die Smart Grids Forschungsgruppe der Hochschule Ulm betreibt mit der Netzgesellschaft der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm zwei Testgebiete mit insgesamt 85 Photovoltaikanlagen.
(Bildquelle: Rainer Sturm/pixelio.de)
Durch die Energiewende hat sich das Anforderungsprofil an die Netzplanung und den Netzbetrieb sowie die Messtechnik geändert. Die für die Energieverteilung geplanten Netze müssen zunehmend die Einspeisung dezentraler Energiesysteme in der Mittel- und Niederspannungsebene sicherstellen. Jährliche Zählerablesungen in Haushalten und Gewerbebetrieben und Schleppzeigermessungen in Trafostationen reichen dazu als Planungsgrundlage nicht mehr aus. Für die Einhaltung der Spannungsbänder an den Netzanschlusspunkten und die Überprüfung der Auslegung der Betriebsmittel sind mehr Informationen und neue Methoden in Planung und Betrieb notwendig.
Die Smart Grids Forschungsgruppe der Hochschule Ulm betreibt gemeinsam mit der Netzgesellschaft der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm zwei Testgebiete – Vorstadt-und Dorfnetz – zur Erprobung neuer Ansätze. Das Testgebiet im Ulmer Stadtteil Einsingen besitzt 133 Hausanschlusspunkte und einen 630 kVA-Transformator (Kilovoltampere). Es sind 22 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 233 kWp (Kilowatt Peak) installiert. Das Testgebiet im ländlich geprägten Hittistetten besitzt 110 Hausanschlüsse, welche über zwei Transformatoren versorgt werden. Hier liegt die installierte Leistung der 63 PV-Anlagen bei 1067 kWp. Der Energiebedarf der Verbraucher in den beiden Testgebieten liegt bei circa einer Gigawattstunde (GWh).
Intelligent messen
In beiden Testgebieten finden im Sekundentakt Lastgangmessungen an allen Transformatorabgängen statt. Die Solarstromanlagen wurden mit RLM-Zählern (Registrierende Leistungsmessung) ausgestattet, welche Lastflüsse und Netzspannungen in Minutenauflösung erfassen. Für die Messung der Lasten werden Smart-Meter-Lösungen erprobt. Jedes Testgebiet ist mit einer Wetterstation ausgerüstet. Auf der Basis von Solar-Dach-Potenzialanalysen werden im Netzberechnungsprogramm PowerFactory verschiedene Ausbauszenarien untersucht.
Die Ergebnisse: Die Trafomessungen zeigen eine fast tägliche Umkehr des Lastflusses aufgrund der Einspeisung der Solarstromanlagen. Auch bei nur 25 Prozent jährlicher Einspeisung im Verhältnis zum Jahresenergiebedarf der Lasten treten in jedem Monat Rückspeisungen in das Mittelspannungsnetz auf. Die gemessene Solareinstrahlung bei blauweißem Himmel übersteigt die erwartete maximale Solareinstrahlung bei wolkenlosem Himmel deutlich. Diese Strahlungsüberhöhung aufgrund der Reflexion an Wolken führt zu Einspeiseleistungen, die über der Nennleistung der Anlagen liegen. Die Leistung der Rückspeisung in Hittistetten ist heute etwa viermal so hoch wie die Last. Die Auswertung der Spannungsmessungen an der Transformator-Sammelschiene zeigt deutliche Einflüsse durch die Solareinspeisung. Eine Änderung des Schaltzustands in der Mittelspannung führte bereits zu Grenzwertverletzungen des Spannungsbandes.
Für die Analyse der möglichen zukünftigen Entwicklungen wurden mit den Netzmodellen der Testgebiete die Auswirkungen der schrittweisen Nutzung aller freien Solar-Dachflächen berechnet. Neben dem klassischen Netzausbau, der im Wesentlichen den Austausch von Transformatoren und die Verlegung zusätzlicher Kabel und Leitungen umfasst, wurden auch Alternativen wie regelbare Ortsnetztransformatoren, Niederspannungsregelsysteme, die Blindleistungsregelung oder ein Einspeise-Management untersucht.
Die Netzberechnungen machen auch den großen Einfluss der Effizienz der zukünftigen Solarmodule auf die Belastung der Betriebsmittel deutlich. Der Modulwirkungsgrad heute üblicher Solarmodule mit der Nutzung aller Solar-Dachflächen ergibt eine Belastung des Ortsnetztransformators von 140 bis 170 Prozent. Dagegen führt die Verwendung hocheffizienter Sunpower-Module zu einer Belastung von 225 Prozent.
IT-Kosten verringern
Auf Basis der Solar-Dach-Potenzialanalysen lassen sich auch Aussagen über die zukünftige Netzbelastung für das gesamte Netzgebiet ableiten. Dazu wurden alle PV-Anlagen von geeigneten Dachflächen dem nächstgelegenen Transformator zugeordnet und im ersten Schritt die Nennleistung der Anlagen mit der Nennleistung der Transformatoren verglichen. Der Vollausbau führt zu einer Überlastung von 50 Prozent der öffentlichen Transformatoren.
Die Analysen der Messergebnisse in den Testgebieten und die Netzberechnungen zu den Auswirkungen des weiteren Ausbaus der Solarstromanlagen machen deutlich, dass Verteilnetzbetreiber mehr Informationen aus den Mittel- und Niederspannungsnetzen benötigen. Die Nutzung von intelligenten Messystemen durch den Smart Meter Roll-out insbesondere für die Solarstromanlagen kann hier zu einer Lösung führen.
Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass in Zukunft detaillierte Netzberechnungen als Grundlage für die strategische Netzplanung und die damit verbundenen Investitionsentscheidungen notwendig sind. Damit lassen sich im Netzbetrieb auch Verletzungen des Spannungsbands bei einem Wechsel des Schaltzustands vorausschauend erkennen. Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen hat sich gezeigt, dass es eine zusätzliche Herausforderung darstellt, die Daten aus den verschiedenen IT-Systemen zusammenzuführen. Dafür ist eine Standardisierung von Schnittstellen notwendig. Die Einführung eines Informationsmodells, zum Beispiel auf Basis von CIM (Common Information Modell), kann zu einer deutlichen Reduzierung der IT-Kosten führen und gleichzeitig die Abhängigkeit von einzelnen Software-Lieferanten verringern.
Dieser Beitrag ist in der November/Dezember-Ausgabe von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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