ErdgasMit guten Argumenten überzeugt
Herr Professor Linke, im Klimaschutzplan 2050 war die Rede von einem Ausstieg aus der Erdgasnutzung. Ist dieser fossile Energieträger auch ein Auslaufmodell?
Halten wir zunächst einmal fest: Gemeinsam mit anderen Verbänden und Vereinen der Gaswirtschaft haben wir im politischen Dialog zum Klimaschutzplan 2050 erreicht, dass die Festlegung auf einen Ausstieg aus dem Erdgas und das Verbot von Erdgasheizungen ab 2030 vom Tisch sind. Wir haben mit guten Argumenten überzeugt: Denn die Gaswirtschaft bietet mit Gas nicht nur einen klimafreundlichen und besonders flexiblen Energieträger, der sich ideal als Back-up für die erneuerbaren Energien eignet. Wir haben auch einen chemischen Energieträger, der perspektivisch weitgehend erneuerbar hergestellt werden kann, aus Biomasse oder Solar- und Windenergie. So wird unser Gas langfristig regeneratives Gas, das klimaneutral ist. Darüber hinaus bietet die Gasinfrastruktur erhebliches Speicher- und Transportpotenzial. Mit der Power-to-Gas-Technologie, also der elektrolytischen Umwandlung von überschüssigem Strom in Wasserstoff und dann wahlweise Methan, kann der Stromnetzausbaubedarf gedämpft werden. Und zwar mit einer Infrastruktur, die auf einer Länge von über 500.000 Kilometern unterirdisch längst vorhanden und damit jederzeit einsatzbereit ist.
Die Bundesregierung setzt auf Wärmepumpen. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine solche Vorgabe?
Die einseitige Festlegung auf eine umfassende Elektrifizierung aller Anwendungsbereiche der Energieversorgung halte ich für einen Irrweg. Elektrische Wärmepumpen sind teuer und leisten einen geringeren Beitrag für den Klimaschutz als innovative Gastechnologien. Verbraucher werden derzeit tendenziell in kostspielige Heizungstechnologielösungen gelenkt, die die Umwelt über Gebühr belasten. Falsche Anreize im Wärmemarkt erschweren aber die von allen gewollte Wärmewende, verteuern CO2-Einsparungen unnötig und gefährden eine zentrale Infrastruktur der Energiewende: das Gasnetz. Schon heute reicht unsere Infrastruktur nicht aus, die anfallende Stromproduktion aus erneuerbaren Energien aufzunehmen und richtig zu lenken. Der Wärmemarkt ist aber nicht nur im Jahresmittel – also in benötigter Jahresarbeit – größer als der Strommarkt. Er kann auch Peak-Leistungen an kalten Tagen bereitstellen, die selbst ein um ein Vielfaches größeres Stromnetz in die Knie zwingen würden.
Die Erdgasvorkommen sind endlich und die Förderung nicht gerade umweltfreundlich. Ist es da nicht sinnvoll, schon jetzt nach Alternativen zu suchen?
Genau das tun wir. Das deutsche Gasfach unterstützt die nationalen und internationalen Klimaschutzziele. Die Unternehmen sind bereit, ihren Beitrag zu einer klimaeffizienten, vernetzten Energieversorgung zu leisten. Denn wenn Klimaeffizienz zum harten Kriterium wird, spielt Gas eine zentrale Rolle in der Energiewende. Weil vorhandene Gaskraftwerke problemlos und ohne zusätzliche Investitionen der flexible Partner der erneuerbaren Energien sind. Weil dezentrale Blockheizkraftwerke Strom und Wärme bedarfsgerecht bereitstellen können. Weil Gasfahrzeuge im Vergleich mit Benzin- und Dieselantrieben wettbewerbsfähig sind, noch dazu eine deutlich bessere Klimabilanz aufweisen und mit synthetischen Kraftstoffen, so genannten E-Fuels,emissionsfrei angetrieben werden können. Und weil der Energieträger Gas nicht nur durch seine Speicherfähigkeit der ideale Partner der fluktuierenden erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne ist, sondern mit Biomethan und Power to Gas stufenlos auf einem robusten Pfad regenerativ umgestellt werden kann.
Was können Gas und die Gasinfrastruktur leisten, um die Energiewende entscheidend voranzubringen?
Gas ist das zentrale Element der Sektorkopplung, die Drehscheibe eines integrierten Dekarbonisierungsprojekts, das wir gemeinhin Energiewende nennen. Mit ihrer unsichtbaren Netzstruktur und ihrem schier unbegrenzten Energiespeichervolumen können Gas und Gasinfrastruktur zum Game Changer eines Energiesystems der Zukunft werden.
Warum ist das so?
Weil das Gasnetz die Antwort auf die Gretchenfrage der Energiewende ist, nämlich die der langfristigen Speicherung überschüssigen Ökostroms. Die rechnerische Speicherreichweite liegt im Stromsystem derzeit bei 0,6 Stunden, im Gassystem bei 2.000 Stunden, also bei rund drei Monaten. Mit der zentralen Energiewende-Technologie Power to Gas lässt sich das intelligente Zusammenspiel von Strom- und Gasnetzen entscheidend ausbauen. Die bestehenden Gasnetze sind dabei systemisch komplementär zu einem von erneuerbaren Energien geprägten Stromsektor. Damit stellen sie die physikalisch-technische Plattform für eine umfassende Dekarbonisierung bereit. Gleichzeitig bieten sie wichtige Flexibilisierungsoptionen und können zur Optimierung des Infrastrukturausbaus beitragen.
„Die Verbraucher wollen endlich das Preisschild der Energiewende sehen.”
Der DVGW hat mit dem Technologieverband VDE ein gemeinsames Eckpunktepapier zur viel diskutierten Sektorkopplung verabschiedet. Was sind die wesentlichen Inhalte?
Unser Eckpunktepapier ist ein deutliches energiepolitisches Signal für die Synergie von Strom- und Gasinfrastrukturen. Aber auch dafür, dass beide Sparten die Notwendigkeit erkannt haben, diese Kopplungspunkte konsequent zu verbinden. Bildlich gesprochen: Durch die Aufnahme von erneuerbar erzeugtem Strom wird die Gasinfrastruktur zur grünen Batterie der Energiewende. Alle Sektoren müssen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit für den Endverbraucher. Sektorkopplung bedeutet aber mehr, als nur ein Outlet für erneuerbare Energien zu schaffen. Es geht um die Erschließung der jeweiligen Stärken eines Sektors für den jeweils anderen. Die Dekarbonisierung der Sektoren Gas, Wärme und Verkehr kann nur effizient gelingen, wenn die Sektoren untereinander wechselseitig gekoppelt werden. Umgekehrt können der Gas-, Wärme- und Verkehrssektor dem von wetterbedingter Erzeugung geprägten Stromsektor wichtige Flexibilitäten zur Verfügung stellen, indem sie überschüssige Stromerzeugung aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen aufnehmen, speichern und teilweise wieder in das Stromnetz einspeisen. Gemeinsam mit dem VDE setzen wir uns dafür ein, dass dieses Potenzial von der Politik erkannt und Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es ermöglichen, das Emissionsminderungspotenzial erneuerbarer Energien durch die Sektorkopplung voll auszuschöpfen.
Erdgas als Kraftstoff hat sich bislang nicht flächendeckend durchgesetzt. Jetzt setzen die Automobilhersteller auf Elektromobilität. Wie ist Ihr Kommentar dazu?
Fest steht, dass auch die staatliche Prämie bislang nichts daran geändert hat, dass das Interesse am Kauf von Elektroautos weiterhin lahmt. Das gesetzte Ziel von einer Million Elektrofahrzeugen allein in Deutschland bis 2020 ist in weite Ferne gerückt. Die Fahrzeugpreise sind zu hoch und die im Lebenszyklus betrachteten Emissionswerte sind suboptimal, um es milde auszudrücken. Bei der E-Mobilität wird die Vorkettenbetrachtung außer Acht gelassen. Das heißt, es wird lediglich die Wirkkette von aufgenommener Energie am Ladepunkt bis zur Umwandlung in kinetische Energie bei der Autofahrt berechnet. Bei der Betrachtung der Erdgasmobilität hingegen wird auch die Transportkette einbezogen.
Um es deutlich zu sagen: Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Elektromobilität ist nur dann wirklich nachhaltig, wenn die Autos mit sauberem Strom geladen werden. Genau das ist aber nicht der Fall. Erdgasfahrzeuge hingegen können im Verkehrssektor einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Mit Erdgas betriebene Fahrzeuge stoßen rund 25 Prozent weniger CO2 als Benzinfahrzeuge, etwa 90 Prozent weniger Stickoxide als Dieselfahrzeuge sowie nahezu keinen Feinstaub aus. Zudem haben sie das Potenzial, klimaneutral zu fahren, wenn sie mit regenerativem Erdgas betrieben werden. Der G-Tron von Audi zum Beispiel nutzt Gas, das aus erneuerbarem Strom hergestellt wird. Der DVGW wird sich daher weiterhin für die Emissionsminderungspotenziale von komprimiertem Erdgas im Personenverkehr, aber auch für Flüssigerdgas im Schwerlastverkehr stark machen.
Welche Forderungen stellt die Gaswirtschaft an die Politik?
Die Energiewende ist eines der wichtigsten Projekte unserer Zeit. Es ist von großer Bedeutung, dass der gesellschaftliche Konsens, Klimaschutz leisten zu wollen, erhalten bleibt. Dazu müssen die vorhandenen Ressourcen effizient eingesetzt und so die Gesamtkosten möglichst gering gehalten werden. Denn die Zeit naht, in der der Endverbraucher, respektive der Steuerzahler, endlich das Preisschild der Energiewende sehen will. Durch die konsequente Nutzung und Weiterentwicklung der vorhandenen Gasinfrastrukturen, durch Technologieoffenheit sowie durch gezielte Anreize für die Verbraucher lassen sich die Ziele der Energiewende kurz-, mittel- und langfristig zu von der Gesellschaft akzeptierten Kosten erreichen. Gas und die Gasinfrastruktur können damit einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Energiewende leisten. Die Politik sollte ihre Maßnahmen daher stärker am Kriterium der Klimaeffizienz ausrichten und Innovationen fördern, die auf eine kostengünstige Art und Weise den größten Fortschritt für das Klima bringen und bisher getrennte Versorgungsstrukturen miteinander vernetzen.
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