Sonntag, 13. April 2025

Serie Best Practice KWKMit Dampf Strom machen

[11.10.2024] Mikro-Dampfturbinen können auch kleine Dampfmengen energetisch nutzen. In der Müllverbrennungsanlage der GMVA Niederrhein sorgt eine solche Turbine dafür, dass der bereits zur Dampferzeugung eingesetzte Brennstoff-Abfall noch effizienter genutzt wird.
Hoher Wirkungsgrad

Hoher Wirkungsgrad, kleine Baugröße: Mikro-Dampfturbine in der GMVA.

(Bildquelle: Turbonik GmbH / GMVA Niederrhein GmbH)

Ob beim Brühen, Trocknen, Dämpfen oder in Kraftwerksprozessen – in vielen Betrieben des produzierenden Gewerbes oder der Energieversorgung fällt Dampf an. Dampf, der häufig noch mit mechanischen Ventilen geregelt wird, wodurch große Energiepotenziale ungenutzt bleiben. Speziell für die Regelung von Prozessdampf hat das Hertener Technologieunternehmen Turbonik eine Mikro-Dampfturbine (MDT) entwickelt, mit der Unternehmen ihre Energieeffizienz steigern und sogar ganze Siedlungen mit Strom versorgen können.
Turbonik produziert und vertreibt die Turbine seit 2017. „Die Geschichte reicht aber noch weiter zurück“, erklärt Geschäftsführer Martin Daft. Viele Jahre Forschung im Rahmen eines Fraunhofer-Projekts zur Verstromung von Abwärme legten den Grundstein für die Entwicklung der neuen Mikro-Wasserdampfturbine. Bereits Anfang der 2010er-Jahre forschte das Fraunhofer-Institut UMSICHT in Oberhausen an der Optimierung so genannter ORC-Anlagen und Turbinen und setzte Projekte zur Abwärmeverstromung um.

Funktionsprinzip nicht neu

Im Anschluss an diese Forschungsarbeiten stellte sich die Frage: Was kann man mit all dem gesammelten Wissen über Turbinen noch anfangen? Das Funktionsprinzip an sich, auch die Nutzung von Wasserdampf, ist nicht neu: Große Industrieturbinen gibt es bereits seit über 100 Jahren für zahlreiche Anwendungen. Doch bei kleinen Dampfmengen war es bisher mit konventionellen Turbinen nicht möglich, die im Dampf enthaltene Energie wirtschaftlich zusätzlich zur Stromerzeugung zu nutzen. Es fehlten kleine Dampfturbinen mit hohem Wirkungsgrad.
Die Mikro-Dampfturbinen von Turbonik richten sich nun an Unternehmen, in deren Prozessen die Dampfmengen und der Platzbedarf für herkömmliche Turbinen nicht ausreichen, und punkten hier vor allem mit ihrer Leistung. „Unsere Turbinen laufen mit bis zu 50.000 Umdrehungen pro Minute, während herkömmliche Dampfturbinen bei maximal 15.000 Umdrehungen liegen“, erklärt Daft. „Damit sind wir in unserem Leistungsbereich extrem effizient. Das heißt, wir holen aus der gleichen Brennstoff­energie bis zu 40 Prozent mehr Strom heraus als herkömmliche Maschinen.“ Läuft eine Turbonik-Mikro-Dampfturbine dauerhaft mit einer maximalen Leistung von 600 Kilowatt, kann sie bis zu fünf Gigawattstunden Strom pro Jahr erzeugen.

Mikro-Dampfturbine seit 2017 im Einsatz

Die erste Mikro-Dampfturbine ist seit 2017 bei der Energieversorgung Oberhausen installiert, wo sie zur Dampfentspannung zwischen Kessel und Fernwärmewasserentgasung eingesetzt wird. Ein Standardprozess in Kraftwerken mit sehr kleinen Dampfmengen, bei dem ein hoher Wirkungsgrad und eine kleine Baugröße entscheidend sind. Durch ein optimiertes Schaufeldesign und die direkte Kopplung von Turbine und Generator ist die MDT deutlich kompakter als eine herkömmliche Dampfturbine. „Die Maschinen passen auf eine Europalette“, erklärt Daft. „Das Laufrad bei Turbonik wiegt etwa 1,5 Kilogramm. Bisherige Maschinen in diesem Leistungsbereich haben Laufräder von rund 40 Kilogramm, sind aber nicht so effizient.“
Ein aktuelles Beispiel: die Müllverbrennungsanlage der GMVA Niederrhein in Oberhausen. Bei der Müllverbrennung geht es heiß her: In den vier Kesseln der Anlage herrschen Temperaturen von bis zu 1.200 Grad. Der größte Teil dieses Dampfes wird in großen Turbinen zur Stromerzeugung und Fernwärmeversorgung genutzt. Im Gesamtsystem dieser Anlage gab es jedoch bis 2023 Teilprozesse, bei denen der Dampfdruck zwischen einer Mittel- und einer Niederdruckseite nicht über Turbinen, sondern über konventionelle Ventile geregelt wurde. Das enorme Potenzial dieser Druckdifferenz blieb ungenutzt.

Einsatz konsequent und sinnvoll

„In der GMVA arbeiten wir ständig daran, uns durch den Einsatz neuer Technologien und Verfahren zu verbessern und die Energieeffizienz zu steigern“, sagt Frank Nachtsheim, Geschäftsführer der GMVA. „Der Einsatz einer Mikro-Dampfturbine, mit der wir aus bestehenden Prozessen zusätzlichen Strom erzeugen können, war für uns daher nur konsequent und sinnvoll.“ Seit 2023 erzeugt die GMVA hier Strom in effizienter Kraft-Wärme-Kopplung und trägt so dazu bei, dass der bereits zur Dampferzeugung eingesetzte Brennstoff-Abfall im Sinne der Kreislaufwirtschaft noch effizienter genutzt wird. „Wir gehen davon aus, dass der Strombedarf in Deutschland weiter steigen wird“, so Daft. „Das bedeutet, dass für Kommunen und Unternehmen die kontinuierliche Bereitstellung von bezahlbarer und sicherer Energie ein wichtiges Thema ist.“
Zielgruppe für die MDT sind Energieversorger und dampfnutzende Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, die ihre Strom- und Wärmeversorgung gestalten und optimieren wollen: Neben der öffentlichen Versorgung, also zum Beispiel in Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen wie der GMVA, kann die Turbine auch in Prozessdampfanlagen zum Einsatz kommen, etwa in der Lebensmittel-, Futtermittel- und Pharma­industrie sowie in Papierfabriken, Recyclingbetrieben, Stahlwerken oder der chemischen Industrie. Auch in der Holzverarbeitung wird viel Energie in Form von Dampf benötigt, unter anderem für Trocknungsprozesse.

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten

Die Einsatzmöglichkeiten der MDT sind also vielfältig. Dennoch ist die Müllverbrennung in der GMVA Niederrhein für das Hertener Unternehmen ein besonderes Projekt. Gerade mit dem Ausstieg aus der Kohleverstromung schlummert hier ein enormes Potenzial. Martin Daft sagt: „Viele Kommunen sind an Müllverbrennungsanlagen beteiligt. Sie brauchen eine sichere, saubere und bezahlbare Stromversorgung für ihre Bürgerinnen und Bürger. Und da sind die Turbinen ein wichtiges Puzzleteil.“

Autorenteam Turbonik GmbH / Schacht11




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Kraft-Wärme-Kopplung
bericht

Serie Best Practice KWK: Biomethan statt Kohle

[10.04.2025] Der Energiekonzern enercity aus Hannover plant den Kohleausstieg bis 2027. Wichtige Bausteine dafür sind Biomethan-Blockheizkraftwerke, die um eine Flusswasser-Wärmepumpe mit einer Leistung von 60 Megawatt ergänzt werden sollen. mehr...

Das Bild zeigt eine Luftaufnahme des Heizkraftwerks Köln-Merkenich

Köln: Schluss mit heimischer Braunkohle

[03.04.2025] Der Energieversorger RheinEnergie hat den Braunkohlekessel im Heizkraftwerk Köln-Merkenich endgültig stillgelegt. Damit ist die Nutzung der heimischen Braunkohle zur Energieerzeugung in Köln Geschichte. mehr...

bericht

Serie Best Practice KWK: Neue Gase als Brennstoff

[24.02.2025] Einer der Vorteile der KWK ist ihre Flexibilität beim Brennstoffeinsatz. Anlagen, die H2-ready sind, sind am Markt längst verfügbar. In Forschungsprojekten wird untersucht, wie Anlagen ohne Leistungseinbußen mit verschiedenen Brennstoffen betrieben werden können. mehr...

Mainova: Perspektive Wasserstoff

[24.02.2025] Der Bau des neuen Kraftwerks von Mainova schreitet voran. Mit hocheffizienten Gasturbinen und der Möglichkeit, künftig Wasserstoff zu nutzen, will Mainova Maßstäbe für eine nachhaltige Energieversorgung setzen. mehr...

B.KWK: Preis für beste KWK-Konzept

[24.02.2025] Das KWK-Konzept eines neuen Wohnquartiers in Hamburg-Barmbek wurde von einer Fachjury zum Blockheizkraftwerk des Jahres gekürt. Das BHKW stammt von KW Energie, der Hamburger Contractingdienstleister Frank setzte das hocheffiziente Konzept um. mehr...

50Hertz: Neue Power-to-Heat-Anlage

[20.02.2025] Der Netzbetreiber 50Hertz Transmission und InfraLeuna haben jetzt den Bau einer europaweit einzigartigen Power-to-Heat-Anlage am Chemiestandort Leuna vereinbart. Die Anlage wird überschüssigen Ökostrom in Prozessdampf umwandeln und soll so zur Entlastung der Stromnetze und zur Reduzierung von CO2-Emissionen beitragen. mehr...

Das Bild zeigt das Innere einer grün lackierten KWK-Anlage.

KWK-Studie: Weckruf an die Politik

[15.01.2025] Trotz steigender Nachfrage nach regelbarer Energie stagniert der Ausbau von KWK-Anlagen in Deutschland seit Jahren. Das zeigt die aktuelle Studie KWK 2.0. Führende Verbände fordern nun eine schnelle Verlängerung des KWK-Gesetzes, um Versorgungssicherheit und Klimaziele nicht zu gefährden. mehr...

Das Bild zeigt das Heizkraftwerk Tiefstack im Hamburger Hafen.

Hamburger Energiewerke: Kohleausstieg ohne Biomasse

[06.01.2025] Die Hamburger Energiewerke haben ihr Konzept für den Kohleausstieg überarbeitet. Die Flusswasser-Wärmepumpe in der Billwerder Bucht wird größer als geplant, und das Heizkraftwerk Tiefstack wird nicht auf Biomasse, sondern direkt auf Erdgas umgestellt. mehr...

bericht

Serie Best Practice KWK: BHKW auf dem Dach

[02.12.2024] Die Bremer Höhe in Berlin ist ein Beispiel für die wichtige Rolle der Kraft-Wärme-Kopplung in Großstädten. Das Projekt zeigt, dass effiziente KWK-Lösungen auch in einem denkmalgeschützten Gebäudeensemble und trotz Platzmangels realisierbar sind. mehr...

BEE: Grüne KWK stärken

[05.11.2024] Der BEE fordert eine Verlängerung des KWKG bis 2035 nach einer Reform ab 2026. Vorab soll das Fördersystem auf zukunftsfähige, grüne Anlagenkonzepte ausgerichtet werden. mehr...

BHKW-Kompaktmodul FG 95 und Gas­fackel auf der Deponie Reesberg.

Kirchlengern: Deponie liefert grüne Energie

[17.10.2024] Auf der Deponie Reesberg in Kirchlengern erzeugt seit Mai 2024 ein Blockheizkraftwerk (BHKW) des Unternehmens Sokratherm umweltfreundlich Strom und Wärme. Betrieben wird es ausschließlich mit Deponiegas, das beim Zerfall der deponierten Abfälle entsteht. mehr...

B.KWK-Kongress: Garant für Energiewende

[16.10.2024] Der B.KWK-Kongress findet am 11. und 12. November 2024 in Berlin statt. Motto ist „Kraft-Wärme-Kopplung – Garant der Energiewende“. mehr...

Das Bild zeigt Dr. Hansjörg Roll, Technikvorstand von MVV; Dr. Georg Müller, Vorstandsvorsitzender von MVV; Uwe Zickert, Geschäftsführer MVV Umwelt, vor dem Biomassekraftwerk.

MVV Energie: Biomassekraftwerk liefert grüne Wärme

[14.10.2024] MVV Energie hat ein Biomassekraftwerk zu einem Heizkraftwerk umgebaut. Rund die Hälfte der Mannheimer Haushalte kann nun mit grüner Wärme versorgt werden. mehr...