Montag, 23. Dezember 2024

InterviewMehr Pragmatismus gefragt

[13.09.2012] Gerät die Energiewende ins Stocken? Vor allem beim Netzausbau scheinen einige Zielvorgaben in Verzug zu kommen. Wirtschaftswissenschaftler Uwe Leprich plädiert für einen geschützten Markt für erneuerbare Energien. Daran müsse sich auch die Stromgroßindustrie beteiligen.
Im Interview: Professor Dr. Uwe Leprich

Im Interview: Professor Dr. Uwe Leprich

Prof. Dr. Uwe Leprich, Jahrgang 1959, ist promovierter Volkswirt. Seit 1995 lehrt er an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Außerdem ist er Mitbegründer des Instituts für ZukunftsEn

(Bildquelle: Privat)

Herr Professor Leprich, in letzter Zeit häufen sich die Stimmen, die Zweifel an den Zielen der Energiewende und deren Erreichbarkeit anmelden. Woher rührt diese Skepsis?

Ich denke, der Energiewende fehlen eine ordnende Hand und eine Organisationsinstanz, die auch Entscheidungen fällen kann. Wenn sich unterschiedliche Ministerien streiten, ist das sehr hinderlich. Beim Netzausbau ist zwar gesetzgeberisch viel vorangebracht worden, gleichwohl laufen die Dinge noch nicht richtig rund. Der Netzausbau ist der Schlüssel für die Energiewende. Es wäre daher wünschenswert, dass die institutionellen Voraussetzungen verbessert werden. So sollten beispielsweise die unterschiedlichen Netzbetreiber auf der Übertragungsebene in einer gemeinsamen Gesellschaft zusammengebracht werden.

Bundesumweltminister Altmaier hält es für unmöglich, dass Deutschland in der Lage ist, bis 2020 zehn Prozent Strom einzusparen.

Für mich klingt das nach einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Erst wird nichts getan, um das Ziel zu erreichen, und dann wird gesagt, man könne das Ziel nicht mehr erreichen. Es gab genügend Möglichkeiten für eine bessere Instrumentierung: Zum einen durch die Initiative der EU für eine ehrgeizige Effizienzrichtlinie, die ja gerade von Deutschland sehr stark boykottiert wurde. Zum anderen hat sich die Bundesrepublik auch im Bereich der Ökodesign-Richtlinie nicht als jemand hervorgetan, der die Standards besonders hoch setzen möchte. Diese beiden Königsinstrumente für Stromeffizienz sind in den vergangenen Jahren gerade von deutscher Seite massiv konterkariert worden.

Werden bis zum Jahr 2020 tatsächlich 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien stammen?

Wenn eines der Ziele aus der Zielmatrix vom Herbst 2010 in jedem Fall erreicht wird, dann dieses. Wir sind jetzt schon bei über 20 Prozent. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist politisch so hoch gehängt, dass keine Regierung dahinter zurückfallen wird. Wir sind also auf einem sehr guten Weg.

„Die bestehenden Märkte müssen sich an die erneuerbaren Energien anpassen.“

Der Netzausbau verzögert sich. Von den geplanten 1.800 Stromtrassen-Kilometern sind gerade einmal etwas mehr als 200 Kilometer fertiggestellt. Was ist schief gelaufen?

Schuld sind vor allem die sehr langen Genehmigungsverfahren. Auch die Antragsteller haben sich zum Teil viel Zeit gelassen. Darüber hinaus gab es eine Interessenüberschneidung zwischen Großkraftwerks- und Netzbetrieben. Diejenigen, die große Kraftwerke betreiben, hatten nicht das größte Interesse daran, ihre Netze für Windenergie auszubauen und sich damit selbst Konkurrenz zu machen. Das ist durchaus nachvollziehbar.

Derzeit wird vermehrter Elektrosmog und mangelnder Strahlenschutz im Zusammenhang mit den großen Stromtrassen diskutiert. Ist das ein neues Hindernis für die Energiewende?

Wenn man Alternativen zu Freileitungen nicht vernünftig prüft, dann kommt man auch nicht voran. So wird beispielsweise immer behauptet, Kabellösungen auf der Höchstspannungsebene seien kaum umzusetzen. Diese im Boden verlegten Kabel sind zwar deutlich teurer als Freileitungen, doch wenn sie als Teilverkabelungslösungen in sensiblen Gebieten dazu beitragen, die Verfahren zu beschleunigen, dann können sie auch ein bisschen teurer sein, ohne dass dies volkswirtschaftlich ineffizient wäre. Ein bisschen mehr Pragmatismus beim Netzausbau ist dringend erforderlich.

Viele Bürger fürchten drastische Strompreiserhöhungen. Die EEG-Umlage soll im kommenden Jahr auf fünf Cent pro Kilowattstunde ansteigen. Wie weit geht das noch?

Der Anstieg beträgt zunächst 1,5 Cent pro Kilowattstunde im Vergleich zu heute. Bei einem Haushalt, der 4.000 Kilowattstunden verbraucht, wären das im Jahr 60 Euro. Andererseits muss man sehen, dass gerade durch die erneuerbaren Energien der Strompreis an der Börse relativ stark gesunken ist. Im Jahr 2008 hat der Börsenstrom zwischen 8 und 9 Cent pro Kilowattstunde gekostet. Jetzt sind es zwischen 4,5 und 5 Cent. Nicht vergessen werden sollte, dass das System, das mit den erneuerbaren Energien aufgebaut wird ohnehin kostengünstiger sein wird als das heutige fossil-nukleare. Die Lasten fallen übergangsweise an und sollten auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Nie so richtig ins Blickfeld geraten ist bislang, dass auf die EEG-Umlage noch 19 Prozent Mehrwertsteuer kommen. Im Jahr 2009 betrug die Umlage einen Cent, jetzt sind es 3,6 Cent. Somit wird dem Finanzminister ein riesiger Zusatzbetrag in die Kassen geschwemmt. Dieser ließe sich gut nutzen, um die Mehrkosten beispielsweise für Hartz-IV-Empfänger auszugleichen. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass sich ein großer Teil der Industrie aus der Umlage verabschiedet hat und dies auf Haushalte, Gewerbe und Kleinunternehmen abgewälzt wird. Die industriellen Großverbraucher in Deutschland verschlingen 18 Prozent der Stromproduktion und zahlen nur 0,3 Prozent in den Umlagetopf ein. Die Schutzregelung für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Das muss unbedingt zurückgedreht werden. Es hat sich ein riesiger Verteilmechanismus weg von der Industrie hin zu den Verbrauchern entwickelt. Allein in diesem Jahr werden so rund 2,5 Milliarden Euro umverteilt.

Deutet sich ein Umdenken an?

Leider nicht. Die Politik ist den Forderungen der Großindustrie gegenüber sehr aufgeschlossen. Quer durch die Parteien ist kaum Widerstand gegen diese Umverteilung zu erkennen. Das macht sich nicht nur an der EEG-Umlage fest, sondern auch an der Netzentgeltbefreiung für große Unternehmen, die im vergangenen Jahr verabschiedet wurde. Unternehmen ab einer bestimmten Abnahmemenge und Nutzungsstundenzahl werden vollständig von Netzentgelten befreit. Andere mit einem so genannten atypischen Nutzerverhalten können auf 20 Prozent der Durchschnittsvergütung für Netzentgelte heruntergestuft werden. Das bedeutet eine deutliche Entlastung von großen Unternehmen auch im Bereich der Netzentgelte. Meines Erachtens ist das unter Kostengesichtspunkten überhaupt nicht zu rechtfertigen.

Den Produzenten regenerativen Stroms werden Fixpreise zugestanden. Ist eine dauerhafte Abkopplung dieser Vergütung vom Markt ratsam?

Der heutige Markt ist durch die Strombörse charakterisiert. Diese ist aber nicht für Stromerzeugungsmöglichkeiten aus Wind und Sonne, sondern für den optimalen Einsatz von fossilen und nuklearen Kraftwerken konzipiert. Man kann nicht verlangen, dass sich die erneuerbaren Energien an diese Art von Markt anpassen. Es sollte umgekehrt laufen: Die bestehenden Märkte und ergänzende Teilmärkte müssen sich an die erneuerbaren Energien anpassen. Darin besteht die Aufgabe.

Was meinen Sie genau?

Wir brauchen einen stabilen Finanzierungsmechanismus für erneuerbare Energien als geschützten Markt. Außerdem brauchen wir weiterhin einen Mechanismus für den optimalen Einsatz bestehender Anlagen, der im Wesentlichen aber schon durch die existierenden Großhandelsmärkte gegeben ist. Darüber hinaus wird in Zukunft ein zusätzlicher Finanzstrom für die Vorhaltung flexibler Kapazitäten zur Flankierung der erneuerbaren Energien benötigt. Diese drei Marktsegmente müssen zusammenspielen und ergeben am Ende ein Stromsystem, das deutlich nachhaltiger, kostengünstiger und genauso sicher sein wird wie das heutige System.

Interview: Helmut Merschmann

Leprich, UweProf. Dr. Uwe Leprich, Jahrgang 1959, ist promovierter Volkswirt. Seit 1995 lehrt er an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Außerdem ist er Mitbegründer des Instituts für ZukunftsEnergie­Systeme (IZES), Saarbrücken, dessen Wissenschaftlicher Leiter er seit 2011 ist.

Stichwörter: Politik, EEG, Netzausbau


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