Freitag, 22. November 2024

Software-AgentenLokale Intelligenz

[22.06.2015] In Zukunft sorgen Energie-Management-Systeme für das Smart Grid. Autonome Programme schließen viele kleine Energieanlagen zu virtuellen Kraftwerken und virtuellen Speichern zusammen. Die Technologie dazu wird bereits erprobt.
Energie-Management-Systeme ermöglichen es

Energie-Management-Systeme ermöglichen es, die dezentrale Energieerzeugung zu steuern.

(Bildquelle: papalapapp/Fotolia.com)

Das bisherige Stromnetz ist hierarchisch aufgebaut, die Kommunikation geht von oben nach unten. Zwischenzeitlich speisen aber erneuerbare Energien fluktuierend ein und Strom wird in deutlich kleineren Einheiten erzeugt. Beides erhöht den Kommunikationsbedarf, denn es muss der Status von Millionen kleiner Anlagen erfasst und verarbeitet werden. Die Kommunikation verläuft somit in zwei Richtungen. Damit die Steuerung dezentralisiert werden kann, bedarf es lokaler Intelligenz.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Smart Grid sind Energie-Management-Systeme (EMS), die Anlagen steuern und vernetzen. Eine Anlage ist alles, was zur Energiewandlung oder -speicherung dient: Von der Photovoltaikanlage auf dem Einfamilienhaus bis zum Heizkraftwerk, von Gefriertruhen eines Supermarktes bis zum Pumpspeicherwerk. EMS gibt es schon für viele Anlagen, doch gestatten die meisten Kommunikationslösungen nur Eingriffe des Betreibers. Das stellt die Netzdienlichkeit und Flexibilität in Frage, weil die Netzleitwarte keinen Zugriff hat. Deshalb hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg ein offenes Gateway für die Kommunikation entwickelt. Das OpenMUC Framework stellt viele standardisierte Kommunikationsprotokolle im Bereich Metering und Verteilnetzautomatisierung bereit. Es beweist seit Jahren in unterschiedlichsten Projekten seine Flexibilität.

Schlankes Konzept

Das modulare Konzept vereinfacht die Entwicklung kundenspezifischer Lösungen im Smart-Grid- und Smart-Home-Bereich. Es basiert auf der Programmiersprache Java und dem Standard OSGi (Open Services Gateway initiative), ist plattformunabhängig, schlank und daher für energiesparende, eingebettete Systeme geeignet. Für den wachsenden Markt neuer Anwendungen bietet OpenMUC ein offenes, frei verfügbares Software Framework. So stellt das Web-Portal openmuc.org Daten-Server, Daten-Logger, Treiber und viele Funktionen zur Konfiguration und Datenvisualisierung kostenlos bereit. Letztlich können mit dieser Technik alle Energieanlagen für das Smart Grid optimiert werden. Auf dem Portal elinkSOLUTIONS finden Energieversorger, Stadtwerke, Netzbetreiber sowie Hersteller, Entwickler und Betreiber von Energieanlagen standardisierte Produkte für das effiziente Energie-Management von Gebäuden und Quartieren.
Selbst für dezentrale Leitwarten wäre eine optimale Steuerung aller einzelnen Komponenten nicht möglich. Es gilt, viele kleine und mittlere Akteure bei Erzeugung, Speicherung und Verbrauch zusammenzubinden. Das Fraunhofer-Institut hat mit einem agentenbasierten Konzept ein universelles Werkzeug für diese Aufgabe geschaffen. So können Software-Agenten, die zu einem gewissen Grad autonom agieren, viele kleine PV-Anlagen und Blockheizkraftwerke zu einem virtuellen Kraftwerk zusammenschließen. Die Agenten verschiedener aggregierter Systeme können miteinander und mit dem Netzbetreiber auch ökonomisch verhandeln. So kann jeder Pool über eine entsprechende Preispolitik seinen Einsatz steuern. Das Ganze ist zwar noch nicht im flächendeckenden Einsatz, die technischen Voraussetzungen sind aber vorhanden und erprobt. Im Automobilbau oder in Logistikanwendungen werden Software-Agenten bereits kommerziell eingesetzt.

Virtueller Speicher

Egal, wie intelligent das neue Netz ist, es braucht neue Speichermöglichkeiten. Neben zentralen Großspeichern wie Gaskavernen oder Pumpspeicherseen interessiert der Bedarf an dezentralen, kleinen Speichern, die durch Agenten zu größeren netzdienlichen Einheiten zusammengefasst werden. Derartige virtuelle Speicher versprechen deutlich günstigere Kosten als neu zu errichtende Kapazitäten, da etwas genutzt wird, das bereits vorhanden ist – etwa wie die Batterie eines Elektrofahrzeugs, der Wärmespeicher einer Heizanlage oder die Tiefkühltruhen eines Supermarktes. Eine Untersuchung des Fraunhofer ISE zeigt, dass die Kostenstruktur für Primärregelleistung bei Batteriespeichern heute schon Kostenvorteile gegenüber Kraftwerken bietet. Weil Kraftwerke Strom produzieren und nicht nur zwischenspeichern, hängen die Kosten der Erbringung von Regelleistung stark vom Strompreis an den Großhandelsmärkten ab. Diese Abhängigkeit führt bei zunehmend schwankenden Strompreisen zu hohen Risiken und Kosten.#bild2
Wie drängend ein klares Konzept dafür ist, zeigt zum Beispiel Sonntag, der 22. Juni 2014, an dem mittags alle Erneuerbaren zusammen 62,3 Prozent der deutschen Kraftwerksleistung bereitstellten. Die klassische Lösung mit Pumpspeicherwerken oder Gaskraftwerken als Kapazitätsreserve ist zwar für eine Übergangszeit sinnvoll. Langfristig gibt es jedoch ökonomisch günstigere Lösungen.
Für das deutsche Energiesystem können im Jahre 2050 allein durch kleine Batterie- und Wärmespeicher rund 340 Gigawattstunden (GWh) bereitgestellt werden. So errechnet es das stundengenaue REMod-Simulationsmodell des Fraunhofer-Instituts. Das ist mehr als das Fünffache der für den gleichen Zeitpunkt berechneten Kapazität aller Pumpspeicherwerke von 60 GWh. Um die 340-GWh-Speicherkapazität darzustellen, müssen acht Millionen kleine PV-Batteriespeicher und sieben Millionen dezentrale Wärmespeicher in Einfamilienhäusern gebündelt werden – eine ideale Aufgabe für ein Multi-Agentensystem, das virtuelle Quartier- oder Stadtspeicher bilden kann. Die Agenten erledigen einen großen Teil der Regelaufgaben direkt mit ihren lokalen Nachbarn, sozusagen auf dem kleinen Dienstweg und reduzieren so den Aufwand für zentrale Strukturen.

Tests im SmartEnergyLab

Das SmartEnergyLab des Instituts kann beliebige Komponenten zur Energiewandlung und -speicherung testen und für die Einbindung in das Smart Grid optimieren. Auch die virtuellen Kraftwerke und Speicher werden dort bereits betrieben. Es bewirtschaftet außerdem räumlich verteilte Komponenten in einem realen Verteilnetz. Zum Beispiel steuern agentenbasierte Controller im SmartEnergyLab ein Blockheizkraftwerk mit einem Wasserspeicher, eine Wärmepumpe mit einem Phasenwechselspeicher sowie ein Lithium-Ionen Batteriesystem. Dabei sind alle Einheiten in einer Verteilnetzsimulation zusammengefasst und kommunizieren mit einer Vielzahl weiterer Einheiten. Dezentrale Intelligenz hilft so dezentraler Energieerzeugung zentrale Aufgaben von Versorgungssicherheit und Komfort zu erfüllen.

Umdenken motivieren

Die Technik ist schon weit, doch das Umdenken Richtung Smart Grid geht nur langsam voran. Außerdem erfordert das Smart Grid erhebliche Anfangsinvestitionen. Umgekehrt bietet es gerade für Stadtwerke neue Geschäftsmodelle. Entscheidend für die Geschwindigkeit und den Erfolg des Aufbaus der dezentralen Energieversorgung werden deshalb die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sein. So muss geklärt werden, welche Qualifikation privatwirtschaftliche Aggregatoren erfüllen müssen, um am Smart Grid aktiv teilzunehmen. Wirtschaftliche Anreize sind nötig, um private Investoren für netzdienliche Maßnahmen zu motivieren. Als sicherer Kommunikationsstandard wäre das Übertragungsprotokoll IEC 61850 der International Electrotechnical Commission (IEC) wünschenswert.

Prof. Dr. Christof Wittwer

Wittwer, ChristofProf. Dr. Christof Wittwer ist seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE und derzeit Abteilungsleiter Intelligente Energiesysteme. An der Universität Freiburg betreut er als Honorarprofessor den Studiengang Renewable Energy Management.



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