Smart CityLeuchtturmprojekt EnStadt:Pfaff
Die Klimaerwärmung ist mittlerweile unter anderem durch die Häufung von heißen Sommern und die Zunahme von Extremwetterereignissen spürbar. Das Verbrennen fossiler Energie ist Hauptverursacher der Klimaerwärmung, der verbleibende Zeitraum für die Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung jedoch begrenzt. Viele Kommunen sehen sich in der Verantwortung, die nationalen und internationalen Klimaschutzziele auf ihren Gebieten umzusetzen. Das erfordert die Erstellung kommunaler Klimaschutz-Masterpläne und den systematischen Umbau der lokalen Energieversorgung.
Sind die Klimaschutzziele gesetzt, ergeben sich allerdings viele Fragen: Wie sieht ein optimiertes klimaneutrales Energiesystem für die eigene Kommune aus? Wie wird sich der Energiebedarf entwickeln? Wie viel erneuerbare Energie kann innerhalb der Kommune erzeugt und von woher kann die fehlende Energie importiert werden? Welche Energietechnologien stehen künftig zu welchen Kosten zur Verfügung? Wie kann durch intelligente Steuerung der Energiesysteme die Effizienz gesteigert und die Versorgungssicherheit gewährleistet werden? Wichtig sind auch ökonomische Fragen, etwa, wie der günstigste Weg zur Erreichung der Klimaschutzziele ermittelt werden kann, was eine nachhaltige Energieversorgung kostet, wer in welchem Umfang die Energiewende finanzieren muss und welche neuen Geschäftsmodelle es hierfür gibt.
Ausgewogenes Gesamtkonzept
Darüber hinaus müssen Fragen zum Transformationsprozess beantwortet werden: Wie lässt sich die Umstellung der vornehmlich auf fossilen Energien basierenden Energiesysteme auf nachhaltige Systeme planen und organisieren? Wie motiviert und aktiviert man die verschiedenen Akteure, die sich am Umbau beteiligen müssen, wie schafft man hierfür Akzeptanz bei den Bürgern, wie steuert man diesen Transformationsprozess und wie setzt man die Prozesse in Verwaltungshandeln um?
In der Praxis zeigt sich, dass die größte Herausforderung in der Entwicklung eines stimmigen und ausgewogenen Gesamtkonzepts liegt, welches an die konkreten Rahmenbedingungen der jeweiligen Kommune angepasst ist. Die Transformation des Energiesystems erfordert somit die Entwicklung integrierter, systemischer Lösungen.
Reallabor in Kaiserslautern
Integrierte Konzepte für klimaneutrale Stadtquartiere zu entwickeln ist auch Ziel der gemeinsamen Förderinitiative „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt“ des Bundeswirtschafts- und des Bundesforschungsministeriums. Derzeit werden sechs Leuchtturmprojekte gefördert, die integrierte Lösungsansätze für zukünftige Stadtsysteme erforschen, demonstrieren und erproben.
Eines dieser Vorhaben betrifft das etwa 19 Hektar große Pfaff-Quartier auf dem ehemaligen Werksgelände der Nähmaschinenfabrik Pfaff in Kaiserslautern, das bis zum Jahr 2029 zu einem urbanen Mischgebiet für Technologieunternehmen, Gesundheitsdienstleister und Wohnen entwickelt werden soll. Unter der Gesamtprojektleitung der Stadt Kaiserslautern und wissenschaftlicher Leitung des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE arbeiten im Leuchtturmprojekt EnStadt:Pfaff acht Partner aus Verwaltung, Forschung und Wirtschaft an der Entwicklung innovativer Lösungen für klimaneutrale und nachhaltige Stadtquartiere.
Für Experten und Laien
Während der fünfjährigen Laufzeit werden in dem als Reallabor konzipierten Projekt neue Planungswerkzeuge, technische Lösungen und Services in den Sektoren Energie, Gebäude, Elektromobilität und Digitalisierung erforscht, entwickelt und demonstriert sowie gemeinsam mit Anwendern erprobt und optimiert. Im ehemaligen Kesselhaus der Pfaff-Fabrik wird das Reallabor-Zentrum eingerichtet, das im Rahmen einer interaktiven Ausstellung die im Quartier demonstrierten Lösungsansätze für Experten und Laien erfahrbar macht. Die Planung, Entwicklung und Umsetzung des Quartiers wird sozialwissenschaftlich erforscht. Dabei wird beispielsweise untersucht, wie sich die Nutzeranforderungen an Quartiere aufgrund sich ändernder Arbeits- und Lebensweisen wandeln und was dies für eine zukunftsfähige Quartiersplanung bedeutet.
Viele Forschungsthemen
Im Energiesektor untersucht EnStadt:Pfaff, wie ein städtisches Mischquartier mit hohem Energiebedarf klimaneutral und mit einem hohen Anteil vor Ort erzeugter erneuerbarer Energien versorgt werden kann, wie die Teilsektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität optimal gekoppelt und gesteuert werden können und welche Energiedienstleistungen das Quartier für umliegende Gebiete bereitstellen kann. Hierzu sind die Installation eines Niedertemperaturwärmenetzes mit Nutzung von industrieller Abwärme, eines Smart Grids mit einem großen Stromspeicher und der Erzeugung von Solarstrom auf allen Dächern, die Entwicklung eines agentenbasierten Energie-Management-Systems auf Blockchain-Basis sowie die Erprobung eines gesteuerten und bidirektionalen Ladens von Elektrofahrzeugen vorgesehen. #bild2
Im zweiten Schwerpunkt wird erforscht, wie die Gebäude zum Erreichen nachhaltiger Quartiere beitragen und wie denkmalgeschützte Gebäude in diese Konzepte integriert werden können. Hierzu gehören beispielsweise neue, architektonisch ansprechende Solarfassaden sowie eine innovative Lüftungstechnik in Bestandsgebäuden. Die Kopplung des Energie-Managements von Wohnungen, Gebäuden und dem Quartier wird durch die Einbindung von Smart-Home-Technologien in die Gebäudeleittechnik und deren Verknüpfung mit der digitalen Quartiersplattform untersucht.
Wandel zur Smart City
Der Bereich Elektromobilität befasst sich unter anderem damit, wie die Lade-Infrastruktur im Quartier auszubauen ist, um die zunehmende Zahl von Elektrofahrzeugen zu versorgen. Zudem wird der Frage nachgegangen, inwieweit diese durch ein gesteuertes und bidirektionales Laden einen Beitrag zur Stabilisierung der Stromversorgung im Quartier leisten können. Das Pfaff-Quartier steht in Kaiserslautern beispielhaft für den Wandel zur Smart City und zur digitalen Stadt. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist daher die Frage, wie digitale Lösungen die Effizienz der Versorgungssysteme im Quartier steigern und den Lebenskomfort der Nutzer erhöhen können. Eine digitale Quartiersplattform bietet entsprechende Services für Bewohner und Arbeitnehmer.
Aktuell befindet sich das Pfaff-Quartier noch in der Planungsphase, der Endausbau soll im Jahr 2029 erreicht werden. Im Februar 2017 wurde ein städtebaulicher Rahmenplan verabschiedet. Das Projekt EnStadt:Pfaff läuft seit Oktober 2017. In der ersten Phase wurden vor allem nachhaltige Konzepte für das Gesamtquartier in den Bereichen Mobilität, Energieversorgung und Digitalisierung entwickelt. EnStadt:Pfaff hat die Erstellung des Bebauungsplans begleitet, der im Dezember 2018 erstmals und im August 2019 zum zweiten Mal in die Offenlage ging.
Verkehrsarmes Quartier
Den größten Einfluss auf die städtebauliche Struktur haben Mobilitätsfragen. Angestrebt ist ein verkehrsarmes Quartier mit hoher Aufenthaltsqualität für Bewohner, Arbeitnehmer und Besucher. Das soll einerseits durch einen reduzierten Stellplatzschlüssel, geschwindigkeitsreduzierte Straßen und eine Fußgängerzone, andererseits durch eine gute Versorgung mit Mobilitätsstationen mit Fahrrad- und Carsharing-Angeboten, Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, kurze Wege der Versorgung und digitale Angebote zur multimodalen Vernetzung erreicht werden. Auf das angestrebte Ziel der Klimaneutralität zahlt unter anderem die Umstellung von fossil betriebenen Fahrzeugen auf Elektromobilität ein. Nur integrierte Lösungen sind erfolgversprechend, weshalb EnStadt:Pfaff das Thema Mobilität umfassend behandelt.
Klimaneutrales Energiekonzept
Auch Energieaspekte prägen die Bauleitplanung. Eine hohe Energieeffizienz der Gebäude ist durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) vorgeschrieben, wie hoch jedoch der Anteil der im Quartier erzeugten erneuerbaren Energien ist, kann durch den Bebauungsplan beeinflusst werden. Das Energiekonzept für das Pfaff-Quartier sieht die Versorgung mit industrieller Abwärme aus einer benachbarten Gießerei über ein Niedertemperaturwärmenetz vor. Zur Stromversorgung sollen vor allem Photovoltaikanlagen im Quartier genutzt werden. Aufgrund des hohen Versiegelungsgrads des ehemaligen Industriegeländes und der mehrfachen Erfahrung von Starkregenereignissen und Überschwemmungen in Kaiserslautern schreibt der Bebauungsplan Retentionsflächen auf allen Flachdächern vor. Die Kombination von extensiver Begrünung und Solaranlagen ist möglich und bereits erprobt, doch reduziert sich damit die installierbare Solarfläche aufgrund der notwendigen Reihenabstände um etwa 40 Prozent gegenüber einer Vollbelegung der Dächer mit Solarmodulen. Deshalb und aufgrund der hohen Bebauungsdichte wird ein Eigenversorgungsgrad mit Solarstrom von nur etwa 35 Prozent erreicht.
Solarpflicht für Grundstückskaufverträge
Voraussetzung für die Umsetzung des klimaneutralen Energiekonzepts ist die vollständige Nutzung des vorhandenen Solarpotenzials auf allen Dächern. Zwar könnte eine Solarpflicht auch in die Grundstückskaufverträge aufgenommen werden, die Stadt Kaiserslautern hat sich aufgrund der höheren Rechtssicherheit jedoch für die Aufnahme einer Solarpflicht in den Bebauungsplan entschieden.
Die Entwicklung neuer Stadtquartiere steht unter großem Änderungs- und Innovationsdruck, da diese nach ihrer Fertigstellung in zehn bis 20 Jahren sowohl den Klimaschutz- als auch den veränderten Nutzeranforderungen in Bezug auf Arbeiten, Wohnen und Freizeit genügen müssen. Dies bedarf einer ambitionierten Zielsetzung aller Akteure, einer klaren Steuerung des Entwicklungsprozesses, einer systemischen Planung in Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praktikern sowie Mut, neue Lösungen umzusetzen.
Erste Erkenntnisse
Das Projekt EnStadt:Pfaff konnte in der ersten Projektphase deutlich zur nachhaltigen Entwicklung des Pfaff-Quartiers beitragen, und es konnten umfangreiche Erfahrungen gesammelt werden. Dabei hat sich bestätigt, dass eine frühzeitige Erarbeitung von nachhaltigen Mobilitäts- und Energiekonzepten und deren Integration in die Bauleitplanung notwendig ist, um überzeugende Lösungen zu erreichen. Um einen Konsens über die Zielsetzungen der beteiligten Akteure herzustellen empfiehlt es sich, zunächst ein gemeinsames Leitbild für das Quartier zu entwickeln.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen technischen Experten, Sozialwissenschaftlern und Planern ist für alle Seiten befruchtend, allerdings auch aufwendig. Es muss daher ein entsprechender Austausch von Positionen und Erfahrungen organisiert werden. In der Planung müssen zudem nicht nur technische Lösungen entwickelt, sondern auch die regulatorischen Bedingungen für deren Implementierung bedacht und geschaffen werden, um in der Praxis eine zukunftsfähige Lösung zu erreichen. Im Pfaff-Quartier in Kaiserslautern ist noch viel für die Umsetzung eines klimaneutralen Quartiers zu tun, wichtige Weichen hierfür sind aber schon gestellt.
https://www.ise.fraunhofer.de
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September/Oktober 2019 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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