Dienstag, 15. April 2025

EsslingenLeuchtturm eines klimaneutralen Quartiers

[23.03.2020] Niedrigenergiegebäude, Photovoltaikanlagen, BHKWs, Wasserstoff-Elektrolyseur, Stromspeicher, Ladestationen und Mieterstromversorgung – das sind die Eckdaten eines sektorenübergreifenden Quartiersprojekts in Esslingen, das vom Bund mit rund 12 Millionen Euro gefördert wird.
So soll das klimaneutrale Quartier Neue Weststadt in Esslingen im Endausbau aussehen.

So soll das klimaneutrale Quartier Neue Weststadt in Esslingen im Endausbau aussehen.

(Bildquelle: Peter Heim)

Auf einem alten Güterbahnhof in Esslingen am Neckar entsteht derzeit ein klimaneutrales Quartier, das in vielerlei Hinsicht die Bezeichnung Leuchtturmprojekt verdient. Nicht nur mit seiner Größe von 120.000 Quadratmetern spielt es eine herausragende Rolle über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Kennzeichnend ist zudem das zukunftsorientierte ganzheitliche Energiekonzept mit vernetzten Energieerzeugungsanlagen und einem Forschungsprojekt zur Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff. Auch der Bund sieht in dem Quartiersprojekt Neue Weststadt Esslingen ein herausragendes Beispiel für künftiges Leben und Arbeiten und fördert es im Rahmen des Schwerpunkts „Solares Bauen / Energieeffiziente Stadt“ mit rund 12 Millionen Euro.

Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb

Ausgeschrieben hat das Projekt die Stadt Esslingen, die das ehemalige Güterbahnhofsareal von der Deutschen Bahn erworben hatte, um es für die städtebauliche Entwicklung zu nutzen. Das Quartier Neue Weststadt gehört zu den größten baukulturellen Projekten der Kommune und soll einen Beitrag zur zukunftsfähigen Stadtentwicklung in der Region Stuttgart leisten. Das Ausschreibungsverfahren wurde als nichtoffener, zweiphasiger, städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb umgesetzt. Gewonnen haben ihn das Architekturbüro „LEHENdrei | Architektur Stadtplanung“ sowie die Landschaftsarchitekten „frei raum concept“. Für die Realisierung des Stadtquartiers Lok.West hat das Immobilienunternehmen RVI aus Saarbrücken den Zuschlag erhalten. Auf einem 26.500 Quadratmeter großen Gelände realisiert es als Bauträger und Investor fünf Wohn- und Geschäftsblöcke im KfW-55-Effizienzstandard. Sie umfassen rund 500 Wohnungen sowie private und öffentliche Grünflächen und Höfe.

Ganzheitliches Energiekonzept

Eine zentrale Auflage bei der Vergabe der Grundstücke war die Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers sowie die Aufteilung in Wohn- und Gewerbeflächen in einem Verhältnis von 80 zu 20 Prozent. Hintergrund ist, dass sich die Stadt verpflichtet hat, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken. Entwickelt wurde das ganzheitliche Energiekonzept von der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft EGS-plan, welche auch die Gebäudetechnik und die dezentralen Energieversorgungsanlagen inklusive der Wasserstofferzeugung plant. Die Konzeption und Umsetzung der Mieterstromversorgung verantwortet der Ökoenergieversorger Polarstern. Für Finanzierung, Installation und Betrieb der Energieerzeugungsanlagen wurde 2019 die Betreibergesellschaft Green Hydrogen Esslingen GmbH gegründet. Teilhaber sind die Stadtwerke Esslingen, die Polarstern Erzeugungs GmbH sowie M. Norbert Fisch, CEO von EGS-plan und Leiter des Steinbeis-Innovationszentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik (SIZ-EGS), welches das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“ wissenschaftlich koordiniert.

Mieterstrom durch Photovoltaik und BHKWs

Seit dem ersten Spatenstich im Jahr 2016 wurden zwei Wohnblöcke mit zusammen 260 Wohnungen und Gewerbeeinheiten errichtet. Ein weiterer Block mit 167 Wohnungen, neun Gewerbeeinheiten und einer Kita befindet sich im Bau. Seine Fertigstellung ist für 2023 geplant. Zwei weitere Wohnblöcke in westlicher sowie östlicher Randlage sollen bis 2025 errichtet werden.
Die Mieterstromversorgung erfolgt durch Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerke (BHKWs) in den jeweiligen Gebäuden. Der Solarstrom, der nicht direkt im Gebäude genutzt werden kann, speist einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugt. In drei der fünf Gebäude sowie in einem Neubau der Hochschule Esslingen wird die Abwärme des Elektrolyseurs zur Warmwasserbereitung und Deckung der Heizwärme genutzt. Als Back-up für die Wärmeversorgung erhält jedes Gebäude einen Spitzenlastkessel sowie ein Blockheizkraftwerk. Betrieben werden diese mit 100 Prozent Ökogas. An Ladestationen in den Tiefgaragen sowie an Parkplätzen im öffentlichen Raum werden Elektroautos ebenfalls mit dem lokal erzeugten Strom versorgt. Alle Gebäude werden für eine effiziente Energieversorgung über ein Smart Grid verbunden und an das Strom- und Gasnetz angeschlossen.

Herzstück Elektrolyseur

Im ersten errichteten Gebäude Béla werden beispielsweise mit einer 260-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Dachanlage und einem BHKW mit 70 kW elektrischer Leistung bis zu 70 Prozent des Strombedarfs gedeckt. Das bietet den Bewohnern nach aktuellem Planungsstand Stromkosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent verglichen mit dem örtlichen Grundversorgertarif. Unterstützt wird der hohe solare Deckungsanteil durch einen intelligenten Maßnahmen-Mix mit smarten Lösungen, die ein energiebewusstes Verhalten der Mieter fördern.
Das Besondere des Energiekonzepts im Quartier ist ein Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung. Er hat eine Leistung von einem MWel. Gespeist wird er aus dem überschüssig erzeugten Solarstrom der Photovoltaikanlagen sowie dem überschüssigen Netzstrom aus erneuerbaren Energien. Der erzeugte grüne Wasserstoff wird auf vier Vertriebswegen vermarktet: Es erfolgt die Einspeisung ins lokale Mitteldruckgasnetz, die Abfüllung in Trailer und der Transport zur Industrie und zu H2-Tankstellen sowie die lokale Rückverstromung in einem BHKW. Damit dient der Elektrolyseur entsprechend des Ansatzes Power-to-Gas-to-Power partiell auch als Kurzzeitstromspeicher. Nach aktuellen Berechnungen werden täglich 400 Kilogramm Wasserstoff produziert. Ende 2020 soll der Elektrolyseur in Betrieb genommen werden. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird in das Nahwärmenetz des Quartiers geleitet. Durch die Wärmenutzung wird der Gesamtwirkungsgrad des Elektrolyseurs von 55 auf rund 90 Prozent gesteigert.

Ladestationen netzdienlich betreiben

Die Energieanlagen des Quartiers unterstützen ferner eine klimafreundliche städtische Mobilität, indem zum einen der im Elektrolyseur erzeugte Wasserstoff in eine Abfüllstation geleitet wird und so Tankstellen und lokalen Unternehmen zur Verfügung steht. Zum anderen sind Ladestationen für private Elektroautos sowie ein quartierinternes Carsharing geplant. Auch sollen die Ladestationen künftig nicht nur mit dem erzeugten Solarstrom versorgt, sondern auch netzdienlich betrieben werden. Zudem nutzen Oberleitungsbusse der städtischen Verkehrsbetriebe, die das neue Quartier anfahren sollen, den ins Netz eingespeisten überschüssigen Solarstrom.
Mit einer sektorenübergreifenden Energieversorgung wie im Esslinger Quartier ist eine klimaneutrale Energieversorgung einfacher und effizienter zu erreichen als mit reinen Stromversorgungskonzepten. Darüber hinaus können den Bewohnern so zusätzlich attraktive Services wie Carsharing, Ladestationen und vernetzte smarte Dienstleistungen angeboten werden.

Florian Henle, Manuel Thielmann, Prof. Dr. M. Norbert Fisch

Florian Henle, Manuel Thielmann, Prof. Dr. M. Norbert FischFlorian Henle ist Gründer und Geschäftsführer der Polarstern GmbH. Manuel Thielmann ist Leiter der dezentralen Energieversorgung bei Polarstern und Geschäftsführer der Green Hydrogen Esslingen GmbH. Univ. Prof. Dr. M. Norbert Fisch ist Mitgesellschafter bei Green Hydrogen Esslingen und wissenschaftlicher Koordinator des Projekts „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Energieeffizienz

Nordrhein-Westfalen: Sieben Nichtwohngebäude ausgezeichnet

[11.04.2025] Nordrhein-Westfalen hat sieben besonders energieeffiziente Nichtwohngebäude ausgezeichnet. Die prämierten Projekte zeigen beispielhaft, wie Klimaschutz, innovative Architektur und nachhaltige Bauweise miteinander vereinbar sind. mehr...

Energiesystem: 700 Milliarden mit besserer Planung sparen

[03.04.2025] Eine neue Studie im Auftrag der EnBW zeigt: Der klimaneutrale Umbau des Energiesystems könnte deutlich günstiger ausfallen als bisher angenommen - wenn Ausbauziele und Netzinvestitionen besser aufeinander abgestimmt werden. mehr...

Heilbronn: Heizungsanlagen erhalten IoT-Technologie

[28.03.2025] Stadtsiedlung Heilbronn rüstet über 120 Heizungsanlagen mit IoT-Technologie von metr und der Konnektivität der Telekom auf. Durch digitale Überwachung und automatische Optimierung sinken Energieverbrauch und Heizkosten, während CO₂-Emissionen reduziert werden. mehr...

Rosengarten: Betriebsführung für öffentliche Beleuchtung vergeben

[26.03.2025] swb Beleuchtung hat die Ausschreibung für die Betriebsführung der öffentlichen Beleuchtung in der Gemeinde Rosengarten gewonnen. Der Vertrag umfasst rund 1.800 Lichtpunkte, läuft über zwölf Jahre und beinhaltet Maßnahmen zur Effizienzsteigerung sowie zur Modernisierung der Beleuchtungsinfrastruktur. mehr...

Dortmund: Umstellung auf LED fast abgeschlossen

[13.03.2025] Die Stadt Dortmund hat die Umstellung auf smarte Straßenbeleuchtung nahezu abgeschlossen. mehr...

Jena: Smartes Quartier fertiggestellt

[10.03.2025] Das Modellprojekt Smartes Quartier Jena-Lobeda ist nach fünf Jahren abgeschlossen. Durch smarte Technologien, energieeffiziente Sanierung und digitale Gesundheitsangebote wurden neue Wohnkonzepte erprobt, deren Erkenntnisse nun in weitere Projekte einfließen. mehr...

Essen: Fortführung des Förderprogramm für Gebäudemodernisierung

[06.03.2025] Der Rat der Stadt Essen hat die Fortführung des Förderprogramms für energetische Gebäudemodernisierung beschlossen. Ab dem 1. April 2025 können wieder Anträge gestellt werden, wobei überarbeitete Richtlinien für mehr Klarheit und Effizienz sorgen. mehr...

RheinEnergie: KI soll Effizienz der Heizwerke steigern

[03.03.2025] Die RheinEnergie setzt jetzt verstärkt auf Künstliche Intelligenz, um die Effizienz ihrer Heizwerke zu steigern. Nach einem erfolgreichen Pilotprojekt mit acht Anlagen wird die smarte Technologie nun in 120 weiteren Wärmeerzeugungsanlagen implementiert. mehr...

E.ON: Effizienz-Drohnen über Coventry

[12.02.2025] E.ON, die englische Stadt Coventry und Kestrix setzen Drohnen mit Wärmebildkameras und 3D-Modellierung ein, um Daten über Energieeffizienz und Wärmeverluste zu sammeln. mehr...

Landkreis Oder-Spree: Ganzheitliche Energie-Kommune

[11.02.2025] Die AEE zeichnet den Landkreis Oder-Spree im Februar als Energie-Kommune des Monats aus. Ein Grund dafür ist, dass hier Wärme, Mobilität und Strom im Sinne des Klimaschutzes ganzheitlich gedacht werden. mehr...

Sugenheim: Straßenbeleuchtung auf LED umgestellt

[10.02.2025] Die Gemeinde Sugenheim hat ihre Straßenbeleuchtung modernisiert und setzt nun vollständig auf LED-Technik. Die Umstellung, die in Zusammenarbeit mit N‑ERGIE erfolgte, spart jährlich rund 53.600 Kilowattstunden Strom ein und reduziert den CO₂-Ausstoß um 22.000 Kilogramm. mehr...

Die Fahrradbrücke West „Ann Arbor Bridge“ in Tübingen ist Teil des nachhaltigen Mobilitätskonzeptes. Foto: Universitätsstadt Tübingen

Energie-Kommune 2024: Finalisten stehen fest

[04.02.2025] Bundorf, Chemnitz und Tübingen stehen im Finale zur Wahl der Energie-Kommune das Jahres 2024. mehr...

Walldorf: Energie-Kommune dank Sektorkopplung

[03.02.2025] Walldorf treibt die Energiewende mit innovativen Projekten und attraktiven Förderprogrammen voran. Die Stadt setzt auf Sektorenkopplung, Elektromobilität und die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien. mehr...

Hamburger Energielotsen: Neues Begleitprogramm gestartet

[24.01.2025] Die Hamburger Energielotsen bieten ab sofort ein individuelles Begleitprogramm für energetische Sanierungen an. mehr...