Mittwoch, 16. Oktober 2024

EsslingenLeuchtturm eines klimaneutralen Quartiers

[23.03.2020] Niedrigenergiegebäude, Photovoltaikanlagen, BHKWs, Wasserstoff-Elektrolyseur, Stromspeicher, Ladestationen und Mieterstromversorgung – das sind die Eckdaten eines sektorenübergreifenden Quartiersprojekts in Esslingen, das vom Bund mit rund 12 Millionen Euro gefördert wird.
So soll das klimaneutrale Quartier Neue Weststadt in Esslingen im Endausbau aussehen.

So soll das klimaneutrale Quartier Neue Weststadt in Esslingen im Endausbau aussehen.

(Bildquelle: Peter Heim)

Auf einem alten Güterbahnhof in Esslingen am Neckar entsteht derzeit ein klimaneutrales Quartier, das in vielerlei Hinsicht die Bezeichnung Leuchtturmprojekt verdient. Nicht nur mit seiner Größe von 120.000 Quadratmetern spielt es eine herausragende Rolle über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Kennzeichnend ist zudem das zukunftsorientierte ganzheitliche Energiekonzept mit vernetzten Energieerzeugungsanlagen und einem Forschungsprojekt zur Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff. Auch der Bund sieht in dem Quartiersprojekt Neue Weststadt Esslingen ein herausragendes Beispiel für künftiges Leben und Arbeiten und fördert es im Rahmen des Schwerpunkts „Solares Bauen / Energieeffiziente Stadt“ mit rund 12 Millionen Euro.

Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb

Ausgeschrieben hat das Projekt die Stadt Esslingen, die das ehemalige Güterbahnhofsareal von der Deutschen Bahn erworben hatte, um es für die städtebauliche Entwicklung zu nutzen. Das Quartier Neue Weststadt gehört zu den größten baukulturellen Projekten der Kommune und soll einen Beitrag zur zukunftsfähigen Stadtentwicklung in der Region Stuttgart leisten. Das Ausschreibungsverfahren wurde als nichtoffener, zweiphasiger, städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb umgesetzt. Gewonnen haben ihn das Architekturbüro „LEHENdrei | Architektur Stadtplanung“ sowie die Landschaftsarchitekten „frei raum concept“. Für die Realisierung des Stadtquartiers Lok.West hat das Immobilienunternehmen RVI aus Saarbrücken den Zuschlag erhalten. Auf einem 26.500 Quadratmeter großen Gelände realisiert es als Bauträger und Investor fünf Wohn- und Geschäftsblöcke im KfW-55-Effizienzstandard. Sie umfassen rund 500 Wohnungen sowie private und öffentliche Grünflächen und Höfe.

Ganzheitliches Energiekonzept

Eine zentrale Auflage bei der Vergabe der Grundstücke war die Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers sowie die Aufteilung in Wohn- und Gewerbeflächen in einem Verhältnis von 80 zu 20 Prozent. Hintergrund ist, dass sich die Stadt verpflichtet hat, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken. Entwickelt wurde das ganzheitliche Energiekonzept von der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft EGS-plan, welche auch die Gebäudetechnik und die dezentralen Energieversorgungsanlagen inklusive der Wasserstofferzeugung plant. Die Konzeption und Umsetzung der Mieterstromversorgung verantwortet der Ökoenergieversorger Polarstern. Für Finanzierung, Installation und Betrieb der Energieerzeugungsanlagen wurde 2019 die Betreibergesellschaft Green Hydrogen Esslingen GmbH gegründet. Teilhaber sind die Stadtwerke Esslingen, die Polarstern Erzeugungs GmbH sowie M. Norbert Fisch, CEO von EGS-plan und Leiter des Steinbeis-Innovationszentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik (SIZ-EGS), welches das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“ wissenschaftlich koordiniert.

Mieterstrom durch Photovoltaik und BHKWs

Seit dem ersten Spatenstich im Jahr 2016 wurden zwei Wohnblöcke mit zusammen 260 Wohnungen und Gewerbeeinheiten errichtet. Ein weiterer Block mit 167 Wohnungen, neun Gewerbeeinheiten und einer Kita befindet sich im Bau. Seine Fertigstellung ist für 2023 geplant. Zwei weitere Wohnblöcke in westlicher sowie östlicher Randlage sollen bis 2025 errichtet werden.
Die Mieterstromversorgung erfolgt durch Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerke (BHKWs) in den jeweiligen Gebäuden. Der Solarstrom, der nicht direkt im Gebäude genutzt werden kann, speist einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugt. In drei der fünf Gebäude sowie in einem Neubau der Hochschule Esslingen wird die Abwärme des Elektrolyseurs zur Warmwasserbereitung und Deckung der Heizwärme genutzt. Als Back-up für die Wärmeversorgung erhält jedes Gebäude einen Spitzenlastkessel sowie ein Blockheizkraftwerk. Betrieben werden diese mit 100 Prozent Ökogas. An Ladestationen in den Tiefgaragen sowie an Parkplätzen im öffentlichen Raum werden Elektroautos ebenfalls mit dem lokal erzeugten Strom versorgt. Alle Gebäude werden für eine effiziente Energieversorgung über ein Smart Grid verbunden und an das Strom- und Gasnetz angeschlossen.

Herzstück Elektrolyseur

Im ersten errichteten Gebäude Béla werden beispielsweise mit einer 260-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Dachanlage und einem BHKW mit 70 kW elektrischer Leistung bis zu 70 Prozent des Strombedarfs gedeckt. Das bietet den Bewohnern nach aktuellem Planungsstand Stromkosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent verglichen mit dem örtlichen Grundversorgertarif. Unterstützt wird der hohe solare Deckungsanteil durch einen intelligenten Maßnahmen-Mix mit smarten Lösungen, die ein energiebewusstes Verhalten der Mieter fördern.
Das Besondere des Energiekonzepts im Quartier ist ein Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung. Er hat eine Leistung von einem MWel. Gespeist wird er aus dem überschüssig erzeugten Solarstrom der Photovoltaikanlagen sowie dem überschüssigen Netzstrom aus erneuerbaren Energien. Der erzeugte grüne Wasserstoff wird auf vier Vertriebswegen vermarktet: Es erfolgt die Einspeisung ins lokale Mitteldruckgasnetz, die Abfüllung in Trailer und der Transport zur Industrie und zu H2-Tankstellen sowie die lokale Rückverstromung in einem BHKW. Damit dient der Elektrolyseur entsprechend des Ansatzes Power-to-Gas-to-Power partiell auch als Kurzzeitstromspeicher. Nach aktuellen Berechnungen werden täglich 400 Kilogramm Wasserstoff produziert. Ende 2020 soll der Elektrolyseur in Betrieb genommen werden. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird in das Nahwärmenetz des Quartiers geleitet. Durch die Wärmenutzung wird der Gesamtwirkungsgrad des Elektrolyseurs von 55 auf rund 90 Prozent gesteigert.

Ladestationen netzdienlich betreiben

Die Energieanlagen des Quartiers unterstützen ferner eine klimafreundliche städtische Mobilität, indem zum einen der im Elektrolyseur erzeugte Wasserstoff in eine Abfüllstation geleitet wird und so Tankstellen und lokalen Unternehmen zur Verfügung steht. Zum anderen sind Ladestationen für private Elektroautos sowie ein quartierinternes Carsharing geplant. Auch sollen die Ladestationen künftig nicht nur mit dem erzeugten Solarstrom versorgt, sondern auch netzdienlich betrieben werden. Zudem nutzen Oberleitungsbusse der städtischen Verkehrsbetriebe, die das neue Quartier anfahren sollen, den ins Netz eingespeisten überschüssigen Solarstrom.
Mit einer sektorenübergreifenden Energieversorgung wie im Esslinger Quartier ist eine klimaneutrale Energieversorgung einfacher und effizienter zu erreichen als mit reinen Stromversorgungskonzepten. Darüber hinaus können den Bewohnern so zusätzlich attraktive Services wie Carsharing, Ladestationen und vernetzte smarte Dienstleistungen angeboten werden.

Florian Henle, Manuel Thielmann, Prof. Dr. M. Norbert Fisch

Florian Henle, Manuel Thielmann, Prof. Dr. M. Norbert FischFlorian Henle ist Gründer und Geschäftsführer der Polarstern GmbH. Manuel Thielmann ist Leiter der dezentralen Energieversorgung bei Polarstern und Geschäftsführer der Green Hydrogen Esslingen GmbH. Univ. Prof. Dr. M. Norbert Fisch ist Mitgesellschafter bei Green Hydrogen Esslingen und wissenschaftlicher Koordinator des Projekts „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“.



Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Energieeffizienz
Nachtansicht einer Straße in Freiburg.

Freiburg: Stadt tauscht 3.500 Leuchten aus

[10.10.2024] Die Stadt Freiburg modernisiert ihre Straßenbeleuchtung. Ab dem 14. Oktober werden 3.500 Leuchten auf umweltfreundliche LED-Technik umgerüstet. Damit spart die Kommune 73 Prozent Strom und reduziert den CO₂-Ausstoß erheblich. mehr...

Die dena hat den Finanzierungsbedarf für die energetische Sanierung aller öffentlichen Gebäude errechnet.

dena-Studie: Milliarden für klimaneutrale Sanierung

[11.09.2024] Die Deutsche Energie-Agentur (dena) hat in einer neuen Studie den Finanzierungsbedarf für die energetische Sanierung aller öffentlichen Gebäude in Deutschland auf ein klimaneutrales Niveau bis 2045 berechnet. Demnach werden jährlich rund sechs Milliarden Euro benötigt. mehr...

Rheinland-Pfalz: Eifelpipeline in Betrieb

[05.09.2024] Mit der offiziellen Inbetriebnahme des Regionalen Verbundnetzes Westeifel, auch bekannt als Eifelpipeline, wurde jetzt ein bundesweit einzigartiges Infrastrukturprojekt gestartet. Das Vorhaben integriert Trinkwasser- und Energieversorgung sowie Digitalisierung in einem System. mehr...

Effiziente Gebäude: Konferenz zum nachhaltigen Bauen

[03.09.2024] ZEBAU veranstaltet am 16. September 2024 die Fachkonferenz Effiziente Gebäude 2024 in Hamburg. Im Fokus stehen nachhaltige und energieeffiziente Baukonzepte, die zur Erreichung der Klimaziele beitragen sollen. mehr...

Radwegleuchten mit integriertem Solarpanel.

WE-EF Leuchten: Neue Solarleuchten vorgestellt

[09.08.2024] Mit der Erweiterung der AFL100-Serie um zwei innovative Solarlösungen bietet WE-EF Leuchten moderne und umweltfreundliche Beleuchtungslösungen für Städte und Gemeinden. Die neuen Modelle punkten mit Nachhaltigkeit, hoher Lichtqualität und einfacher Installation. mehr...

Rathaus von Gummersbach: Städtische Gebäude sollen energieeffizienter werden.

Gummersbach: Energie und Kosten sparen

[08.08.2024] Die Stadt Gummersbach will mit Unterstützung von Engie Deutschland den Energieverbrauch städtischer Gebäude senken und so rund 800.000 Euro einsparen. Das Energiespar-Contracting startet im Sommer 2025 und läuft über zehn Jahre. mehr...

Klimaschutzministerin Katrin Eder (r.) überreicht Bürgermeisterin Annette Wick den Förderbescheid.

Rheinland-Pfalz: Förderung für energetische Sanierung

[01.08.2024] Die Stadt Diez erhält rund 2,2 Millionen Euro Fördermittel für die umfassende energetische Sanierung einer Sporthalle. Die rheinland-pfälzische Klimaschutz- und Energieministerin Katrin Eder hat jetzt den Förderbescheid übergeben. mehr...

Die Solaroffensive beginnt auf dem Dach des Landratsamts Bayreuth.

Bayreuth: Partnerschaft von Stadt und Umland

[31.07.2024] Die Agentur für Erneuerbare Energien zeichnet im Juli die Region Bayreuth als Energie-Kommune des Monats aus. mehr...

bericht

Klimafreundliches Bauen: Abschied von Energiedinosauriern

[24.07.2024] Die Zahl der Plusenergiehäuser ist noch relativ gering. Die meisten Gebäude sind Energiefresser. Die kommunale Wärmeplanung kann hier für Klarheit sorgen. Wichtig ist auch, Immobilien als Teil eines Netzwerks aus Gebäuden, Straßen und grünen Energiequellen zu sehen. mehr...

Das Unternehmen energielenker präsentiert mit Enbas einen selbstlernenden Energiemanager.

energielenker: Smarter Energiemanager

[11.07.2024] Das Unternehmen energielenker präsentiert mit Enbas einen selbstlernenden Energiemanager, der die Energieströme in Gebäuden optimal steuert. Dank integrierter KI-Algorithmen analysiert Enbas das Nutzungsverhalten und die Stromerzeugung. mehr...

Oberbürgermeister Belit Onay

enercity: Biomethan-BHKW für Kohleausstieg

[19.06.2024] enercity nimmt ein Biomethan-Heizkraftwerk in Betrieb. Damit rückt der Kohleausstieg in Hannover näher. Die hochflexible Anlage für Spitzenlast produziert erneuerbare Wärme und erneuerbaren Strom. mehr...

In Trier rüsten die Stadtwerke die Straßenbeleuchtung sukzessive auf LED um und erwirken damit mehr Energieeffizienz und Umweltschutz.

Trier: Einheitliche LEDs senken CO2-Ausstoß

[14.06.2024] Seit dem Jahr 2016 stellen die Stadtwerke in Trier die Straßenbeleuchtung auf LED um. Über 78 Prozent der vormals unterschiedlichsten Leuchtentypen sind mittlerweile umgerüstet, der Stromverbrauch hat sich dadurch mehr als halbiert. mehr...

Frank Junker

Mainova: Marktstart für smartes Monitoring

[11.06.2024] Mainova AG und der ABG Frankfurt wollen mit Heatral für effiziente Heizanlagen sorgen. mehr...

Die Stadt Brühl nutzt die Energie-Managementsoftware von ITC.

ITC AG: Brühl nutzt Energie-Management

[30.05.2024] Bereits seit dem Jahr 2021 nutzt die Stadt Brühl die Energie-Managementsoftware von ITC. Mittlerweile hat die Stadt rund 500 Hauptzähler und deren Untermessungen in das Energie-Management eingebunden. mehr...

Standorte der Bevölkerungsschutzleuchttürme in Wolfsburg.

Wolfsburg: Auf den Blackout vorbereitet

[08.05.2024] Mit 38 Bevölkerungsschutzleuchttürmen ist die Stadt Wolfsburg jetzt auf das Szenario eines Blackouts vorbereitet. Mithilfe der Leuchttürme besteht die Möglichkeit, via Digitalfunk einen Notruf an die Feuerwehr, Polizei oder den Rettungsdienst abzusetzen. mehr...