EsslingenLeuchtturm eines klimaneutralen Quartiers
Auf einem alten Güterbahnhof in Esslingen am Neckar entsteht derzeit ein klimaneutrales Quartier, das in vielerlei Hinsicht die Bezeichnung Leuchtturmprojekt verdient. Nicht nur mit seiner Größe von 120.000 Quadratmetern spielt es eine herausragende Rolle über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus. Kennzeichnend ist zudem das zukunftsorientierte ganzheitliche Energiekonzept mit vernetzten Energieerzeugungsanlagen und einem Forschungsprojekt zur Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff. Auch der Bund sieht in dem Quartiersprojekt Neue Weststadt Esslingen ein herausragendes Beispiel für künftiges Leben und Arbeiten und fördert es im Rahmen des Schwerpunkts „Solares Bauen / Energieeffiziente Stadt“ mit rund 12 Millionen Euro.
Landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb
Ausgeschrieben hat das Projekt die Stadt Esslingen, die das ehemalige Güterbahnhofsareal von der Deutschen Bahn erworben hatte, um es für die städtebauliche Entwicklung zu nutzen. Das Quartier Neue Weststadt gehört zu den größten baukulturellen Projekten der Kommune und soll einen Beitrag zur zukunftsfähigen Stadtentwicklung in der Region Stuttgart leisten. Das Ausschreibungsverfahren wurde als nichtoffener, zweiphasiger, städtebaulicher und landschaftsplanerischer Realisierungswettbewerb umgesetzt. Gewonnen haben ihn das Architekturbüro „LEHENdrei | Architektur Stadtplanung“ sowie die Landschaftsarchitekten „frei raum concept“. Für die Realisierung des Stadtquartiers Lok.West hat das Immobilienunternehmen RVI aus Saarbrücken den Zuschlag erhalten. Auf einem 26.500 Quadratmeter großen Gelände realisiert es als Bauträger und Investor fünf Wohn- und Geschäftsblöcke im KfW-55-Effizienzstandard. Sie umfassen rund 500 Wohnungen sowie private und öffentliche Grünflächen und Höfe.
Ganzheitliches Energiekonzept
Eine zentrale Auflage bei der Vergabe der Grundstücke war die Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers sowie die Aufteilung in Wohn- und Gewerbeflächen in einem Verhältnis von 80 zu 20 Prozent. Hintergrund ist, dass sich die Stadt verpflichtet hat, den CO2-Ausstoß bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken. Entwickelt wurde das ganzheitliche Energiekonzept von der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft EGS-plan, welche auch die Gebäudetechnik und die dezentralen Energieversorgungsanlagen inklusive der Wasserstofferzeugung plant. Die Konzeption und Umsetzung der Mieterstromversorgung verantwortet der Ökoenergieversorger Polarstern. Für Finanzierung, Installation und Betrieb der Energieerzeugungsanlagen wurde 2019 die Betreibergesellschaft Green Hydrogen Esslingen GmbH gegründet. Teilhaber sind die Stadtwerke Esslingen, die Polarstern Erzeugungs GmbH sowie M. Norbert Fisch, CEO von EGS-plan und Leiter des Steinbeis-Innovationszentrums Energie-, Gebäude- und Solartechnik (SIZ-EGS), welches das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Klimaneutrale Weststadt Esslingen“ wissenschaftlich koordiniert.
Mieterstrom durch Photovoltaik und BHKWs
Seit dem ersten Spatenstich im Jahr 2016 wurden zwei Wohnblöcke mit zusammen 260 Wohnungen und Gewerbeeinheiten errichtet. Ein weiterer Block mit 167 Wohnungen, neun Gewerbeeinheiten und einer Kita befindet sich im Bau. Seine Fertigstellung ist für 2023 geplant. Zwei weitere Wohnblöcke in westlicher sowie östlicher Randlage sollen bis 2025 errichtet werden.
Die Mieterstromversorgung erfolgt durch Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerke (BHKWs) in den jeweiligen Gebäuden. Der Solarstrom, der nicht direkt im Gebäude genutzt werden kann, speist einen Elektrolyseur, der grünen Wasserstoff erzeugt. In drei der fünf Gebäude sowie in einem Neubau der Hochschule Esslingen wird die Abwärme des Elektrolyseurs zur Warmwasserbereitung und Deckung der Heizwärme genutzt. Als Back-up für die Wärmeversorgung erhält jedes Gebäude einen Spitzenlastkessel sowie ein Blockheizkraftwerk. Betrieben werden diese mit 100 Prozent Ökogas. An Ladestationen in den Tiefgaragen sowie an Parkplätzen im öffentlichen Raum werden Elektroautos ebenfalls mit dem lokal erzeugten Strom versorgt. Alle Gebäude werden für eine effiziente Energieversorgung über ein Smart Grid verbunden und an das Strom- und Gasnetz angeschlossen.
Herzstück Elektrolyseur
Im ersten errichteten Gebäude Béla werden beispielsweise mit einer 260-Kilowatt-Peak-Photovoltaik-Dachanlage und einem BHKW mit 70 kW elektrischer Leistung bis zu 70 Prozent des Strombedarfs gedeckt. Das bietet den Bewohnern nach aktuellem Planungsstand Stromkosteneinsparungen von bis zu 25 Prozent verglichen mit dem örtlichen Grundversorgertarif. Unterstützt wird der hohe solare Deckungsanteil durch einen intelligenten Maßnahmen-Mix mit smarten Lösungen, die ein energiebewusstes Verhalten der Mieter fördern.
Das Besondere des Energiekonzepts im Quartier ist ein Elektrolyseur zur Wasserstoffherstellung. Er hat eine Leistung von einem MWel. Gespeist wird er aus dem überschüssig erzeugten Solarstrom der Photovoltaikanlagen sowie dem überschüssigen Netzstrom aus erneuerbaren Energien. Der erzeugte grüne Wasserstoff wird auf vier Vertriebswegen vermarktet: Es erfolgt die Einspeisung ins lokale Mitteldruckgasnetz, die Abfüllung in Trailer und der Transport zur Industrie und zu H2-Tankstellen sowie die lokale Rückverstromung in einem BHKW. Damit dient der Elektrolyseur entsprechend des Ansatzes Power-to-Gas-to-Power partiell auch als Kurzzeitstromspeicher. Nach aktuellen Berechnungen werden täglich 400 Kilogramm Wasserstoff produziert. Ende 2020 soll der Elektrolyseur in Betrieb genommen werden. Die bei der Elektrolyse anfallende Abwärme wird in das Nahwärmenetz des Quartiers geleitet. Durch die Wärmenutzung wird der Gesamtwirkungsgrad des Elektrolyseurs von 55 auf rund 90 Prozent gesteigert.
Ladestationen netzdienlich betreiben
Die Energieanlagen des Quartiers unterstützen ferner eine klimafreundliche städtische Mobilität, indem zum einen der im Elektrolyseur erzeugte Wasserstoff in eine Abfüllstation geleitet wird und so Tankstellen und lokalen Unternehmen zur Verfügung steht. Zum anderen sind Ladestationen für private Elektroautos sowie ein quartierinternes Carsharing geplant. Auch sollen die Ladestationen künftig nicht nur mit dem erzeugten Solarstrom versorgt, sondern auch netzdienlich betrieben werden. Zudem nutzen Oberleitungsbusse der städtischen Verkehrsbetriebe, die das neue Quartier anfahren sollen, den ins Netz eingespeisten überschüssigen Solarstrom.
Mit einer sektorenübergreifenden Energieversorgung wie im Esslinger Quartier ist eine klimaneutrale Energieversorgung einfacher und effizienter zu erreichen als mit reinen Stromversorgungskonzepten. Darüber hinaus können den Bewohnern so zusätzlich attraktive Services wie Carsharing, Ladestationen und vernetzte smarte Dienstleistungen angeboten werden.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März/April 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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