Smart GridLeitwarte der Zukunft
Das Stromnetz ist heute deutlich dynamischer als vor 20 Jahren. Ein wesentlicher Grund dafür ist das globale Ziel der Dekarbonisierung. Früher basierte die Stromerzeugung auf einem reinen Wechselspannungssystem mit einseitigen Energieflüssen: Zentrale Kraftwerke produzierten Strom, der in eine Richtung zu den Lastzentren floss. Heute geht der Trend hin zu dezentralen Energiesystemen. Der Austausch von Energie zwischen den Ländern des europäischen Verbundnetzes, die Zunahme der dezentralen Energieerzeuger sowie der steigende Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix führen jedoch auch zu einer ungleichmäßigen Lastverteilung im Netz. Dabei stellt vor allem die Geschwindigkeit, mit der sich die Netzbetriebsmittel und damit auch Betriebsparameter wie Spannung, Leistungsflussrichtung und die Frequenz verändern, die heutigen Leitwarten vor eine große Herausforderung: das Aufrechterhalten der Netzstabilität unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen.
Veränderte Systemdynamik
Aus technischer Sicht führt die verstärkte Integration dezentraler Erzeuger und die Verdrängung konventioneller Kraftwerke zu einer veränderten Systemdynamik. Diese zeichnet sich aus durch die Verringerung von Schwungmassen, Systemdämpfungen und Reaktionszeiten sowie zunehmend bidirektionale Leistungsflüsse zwischen den Netzebenen. Die enge Vernetzung innerhalb des europäischen Verbundnetzes erhöht gleichzeitig den Energieaustausch mit den Nachbarländern. Zusätzliche Herausforderungen ergeben sich aus dem vermehrten Einsatz leistungselektronischer, aktiver Netzelemente, beispielsweise von flexiblen Drehstromübertragungssystemen (Flexible AC Transmission Systems, FACTS) und von Systemen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Diese greifen aktiv in den Netzbetrieb ein und können die Systemdynamik ebenfalls beeinflussen.
Mit dem Netzentwicklungsplan 2030 befindet sich eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung der Systemführung bereits in der Umsetzung oder Planung. Im Fokus stehen der kombinierte Gleich- und Wechselstrombetrieb unter Einsatz von HGÜ-Systemen zum Ausgleich und zur Kompensation hoher Nord-Süd-Leistungsgefälle sowie die Installation von Interkonnektoren zum benachbarten Ausland, zum Beispiel Dänemark. Darüber hinaus gewinnen zusätzliche AC-Netzverstärkungen zusammen mit punktuellen leistungssteuernden Maßnahmen, wie Serienkompensation, Phasenschieber oder HGÜ-Kurzkupplungen, an Bedeutung.
Präventiv ins Netz eingreifen
Als unmittelbare Konsequenz nehmen Netzeingriffe im Rahmen des Engpass-Managements zu – etwa, wenn Kraftwerkskapazitäten im Rahmen von Redispatch- oder Einspeise-Management-Maßnahmen kurzfristig eingespeist werden, um den aktuellen Bedarf zu decken oder Überlastungen zu vermeiden. So hat sich der Einsatz von Redispatch-Maßnahmen zwischen 2010 und 2015 von anfänglich 360 auf über 15.00 Gigawattstunden (GWh) nahezu verfünfzigfacht. Diese Eingriffe dienen der N-1 Sicherheit, also der Fähigkeit eines Netzes, einzelne Betriebsmittelausfälle ohne Einschränkungen der Versorgung zu überstehen. Sie werden präventiv ergriffen, weil heutige Leitwarten nicht in der Lage sind, schnelle Vorgänge zu beobachten und gegebenenfalls noch während des Übergangs in den fehlerbehafteten Zustand einzugreifen.
Damit intelligente Leitwarten das Netz angesichts komplexer Herausforderungen und Prozesse künftig besser aussteuern können, müssen insbesondere zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Sie müssen die dynamischen Vorgänge beobachten können. Und sie müssen genauere, modellgestützte Analysemethoden bieten. Neue Assistenzsysteme spielen dabei eine zentrale Rolle, denn sie liefern wertvolle Entscheidungshilfen. Zukunftsfähige Lösungen wurden in den vergangenen drei Jahren im staatlich geförderten Projekt DynaGridCenter entwickelt und getestet. Siemens führte den Forschungsverbund mit drei Universitäten und zwei Fraunhofer-Instituten aus Bochum, Ilmenau und Magdeburg an.
Pilotprojekt DynaGridCenter
Konkret stellt sich das Pilotprojekt so dar: Um die schnelleren Vorgänge im Netz hinreichend genau beobachten zu können, werden im Übertragungsnetzbereich so genannte Phasor-Messgeräte eingesetzt. Sie synchronisieren sich über Satellitenuhren und schicken 50 Mal pro Sekunde hochgenaue Messdaten an die Leitwarte. Durch die Auswertung der immensen Datenströme in Echtzeit werden kritische Situationen schnell erkannt. Innerhalb weniger Sekunden kann situationsabhängig eingegriffen und Blackouts vorgebeugt werden.
Im Verteilnetz sind es vor allem die Schutzgeräte, die künftig eine leittechnische Anbindung erhalten müssen. Modellgestützte Netzanalysen bilden die Grundlage für möglichst gezielte Eingriffe in das Netzgeschehen. Mit ihrer Hilfe können zum einen Fehlerfälle klassifiziert werden, zum anderen erleichtern sie die Entscheidung, ob präventive oder korrektive Maßnahmen notwendig sind. Im Verteilnetzbereich wird dabei speziell auf die Überprüfung des Schutzsystems geachtet, um unselektive Abschaltungen zu vermeiden.
System für Protection Assessment
Im DynaGridCenter-Projekt wurde dafür eigens ein Assistenzsystem erprobt. Es überprüft die Schutzeinstellungen mittels Simulationen möglicher Fehler (wandernde Kurzschlüsse) basierend auf dem Ist-Zustand. Dieses so genannte Protection Assessment hilft zunächst, das Leitwarten-Personal auf kritische Situationen aufmerksam zu machen. Damit funktioniert es wie ein passives Assistenzsystem, ähnlich der Frostanzeige im Auto. Das System unterstützt zudem dabei, die Schutzeinstellungen an die Situation anzupassen: Werden die neuen Einstellungen per Fernwirktechnik an die Schutzgeräte übertragen, wird das Assistenzsystem aktiv, ähnlich wie der Bremsassistent im Auto.
Während des Projekts wurden etliche Assistenzsysteme entwickelt und getestet, beispielsweise zur Dämpfung von Leistungspendelungen, dem korrektiven Eingriff von HGÜ-Anlagen im Fehlerfall oder der dynamischen Stabilitätsbewertung. Die Forschungsergebnisse sollen wesentlich dazu beitragen, das Stromnetz in Deutschland in Zukunft stabil und effizient zu betreiben. Die dynamische Leitwarte kann so auch ein zentraler Bestandteil des Aktionsplans Stromnetz werden, der im August 2018 von der Bundesregierung vorgestellt wurde.
Showroom in Ilmenau
Das Forschungsprojekt DynaGridCenter hat also sehr viele neue Erkenntnisse über den Betrieb der Stromnetze der Zukunft erbracht. Eine der simulierten Trassen ist eine HGÜ-Leitung, die für den Transport des Stroms über weite Strecken eingesetzt wird. Das ist beispielsweise bei der Übertragung von Windparks vor der Küste Norddeutschlands in den Süden der Fall. Solche Simulationen sind ein wichtiges Instrument, um zur erfolgreichen Integration von erneuerbaren Energien und damit zum Gelingen der Energiewende beizutragen. Alle neuen Assistenzsysteme, die der Forschungsverbund entwickelt hat, können in der Leitwarte der Universität Ilmenau wie in einem Showroom demonstriert werden.
Fazit: Verbesserte Steuerungs- und Regelungstechniken für die Leitwarten, die das Netz überwachen und koordiniert steuern, sind unabdingbar. Jedes einzelne Assistenzsystem verbessert die Sicherheit im Netz. Aber erst durch deren Kombination entsteht die dynamische Leitwarte der Zukunft. Eine schrittweise Einführung der erforschten Systeme wird über die nächsten Jahre angestrebt.
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