Montag, 23. Dezember 2024

InterviewLebensrealitäten im Blick behalten

[17.08.2020] Der ländliche Raum ist von der Energiewende stärker betroffen als die Städte. Der Deutsche Landkreistag (DLT) hat deshalb ein Positionspapier zum Klimaschutz vorgelegt. stadt+werk sprach darüber mit DLT-Präsident Reinhard Sager.
Reinhard Sager

Reinhard Sager

(Bildquelle: Deutscher Landkreistag)

Herr Landrat Sager, der Deutsche Landkreistag hat Anfang des Jahres ein Positionspapier „Klimaschutz und erneuerbare Energien in den Landkreisen“ vorgelegt. Warum kann aus Ihrer Sicht die Klimawende nur mit den ländlichen Räumen gelingen?

Die ländlichen Räume spielen in vielerlei Hinsicht eine entscheidende Rolle beim Klimaschutz. Zunächst befinden sich dort die meisten Anlagen, mit denen die erneuerbaren Energien produziert werden. Da geht es um Windräder, Solarparks und Biogasanlagen, die man aus gutem Grund nicht in den Städten errichten kann. Dasselbe gilt für die Übertragungsleitungen – für die Energiewende müssen mehrere tausend Kilometer neuer Stromtrassen errichtet werden. Zumeist verlaufen diese Trassen durch ländlich geprägte Gebiete. Hinzu kommt, dass die Menschen, die in diesen Gebieten leben, oft längere Arbeitswege haben.

Was heißt das für die Klimaschutzpolitik?

Wenn wir beispielsweise über Klimaschutz im Rahmen von Mobilität reden, müssen wir die Lebensrealität der Menschen im Blick behalten. Für viele ist es gegenwärtig schlicht nicht möglich, für ihre täglichen Wege auf das Auto zu verzichten. In den Landkreisen leben rund 68 Prozent der deutschen Bevölkerung: Ohne diese Menschen und ihre Lebens- und Arbeitswelt zu berücksichtigen, wird es uns nicht gelingen, die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen. In der Großstadt denkt man über CO2-Bepreisung oder Windenergieausbau bisweilen anders als im ländlichen Raum. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns in den Landkreisen nicht mit großem Engagement für Klimaschutz und erneuerbare Energien einsetzen. Es gibt nur eben einen Unterschied zwischen dem städtischen Blick auf diese Themen und der Lebensrealität der Menschen in den Landkreisen, die von der Energiewende ganz konkret und unmittelbar betroffen sind. Diesen Unterschied zwischen Stadt und Land beschreiben wir auch in unserem Positionspapier.

„Es gibt einen Unterschied zum städtischen Blick.”

Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Unsere Kernforderung ist es, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land bei allen Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele berücksichtigt werden muss. Wir haben beispielsweise zustimmend zur Kenntnis genommen, dass das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung eine Erhöhung der Pendlerpauschale beinhaltet, um die besonderen Belastungen für die Menschen im ländlichen Raum auszugleichen. Wir fordern allerdings, dass diese Erhöhung nicht nur befristet bis 2026 gilt. Außerdem sollte sie schon ab dem ersten Kilometer gezahlt werden. Zugleich ist uns wichtig, dass für den Ausbau des ÖPNV und auch des Radverkehrs im ländlichen Raum entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wesentlich ist auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie der Erhalt der Grundversorgung.

Wurden einzelne Forderungen inzwischen bereits umgesetzt?

Aktuell umgesetzt wird unsere Forderung nach einer generalisierenden Abstandsregelung von Windrädern zu vorhandener Wohnbebauung. Um in den ländlichen Räumen die Akzeptanz für den Windkraftausbau zu erhöhen, haben wir uns dafür ausgesprochen, dass die Länder unter Berücksichtigung regionaler Erfordernisse entsprechende Abstände festlegen können. Neben der entsprechenden Änderung des Baugesetzbuchs wäre es zur Steigerung der Akzeptanz aus unserer Sicht ebenso erforderlich, dass die betroffenen Gemeinden und auch die Anwohner finanziell am Ertrag der Windräder beteiligt werden. Und um die Finanzen geht es bei einer weiteren Forderung zum kommunalen Klimaschutz: Aktuell ist die Förderung, welche die Landkreise für Klimaschutzmaßnahmen erhalten, sehr stark projektbezogen und erlaubt oftmals keine Verstetigung der erforderlichen Personalstruktur in den Kreisverwaltungen. Wir wünschen uns, dass wir hier weg von dem Projektcharakter hin zu einer dauerhaften, auskömmlichen Finanzierung kommen.

Was tun die Landkreise bereits für den Klimaschutz?

Sie sind sehr aktiv. Schon vor vielen Jahren haben sich die ersten Landkreise auf den Weg gemacht, ihre Energieversorgung auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen. Wir haben Ende 2019 eine Umfrage durchgeführt, wonach es inzwischen in der weit überwiegenden Zahl der Landkreise Klimaschutzstrategien und Konzepte für erneuerbare Energien gibt. In den meisten Kreisverwaltungen beschäftigen sich Mitarbeiter im Schwerpunkt allein mit dem Klimaschutz. Innerhalb der Kreisverwaltung geht es dann beispielsweise um Energieeinsparungen, die energetische Sanierung von kreiseigenen Liegenschaften, die Beschaffung von klimafreundlichen Produkten oder die Umstellung des kreiseigenen Fuhrparks auf klimafreundliche Antriebstechniken. Daneben beraten wir die Bevölkerung zu Energie- und Klimaschutzthemen oder führen Aktionen dazu durch. Nicht nur dabei ist es nach meiner Erfahrung wichtig, die kreisangehörigen Gemeinden einzubinden, sodass möglichst alle Akteure an einem Strang ziehen.

Welche Chancen bieten Energiewende und Klimaschutzpolitik für die wirtschaftliche Entwicklung?

Hierin liegen zweifellos erhebliche Chancen. So ist es für die Menschen eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität, wenn das Nahverkehrsangebot ausgebaut oder neue Radwege gebaut werden. Dorfentwicklung und energetische Sanierung müssen zusammen gedacht werden, um attraktive Ortskerne als Wohn- und Lebensräume zu erhalten. Die Landkreise, die sich bereits seit vielen Jahren im Bereich der erneuerbaren Energien engagieren, legen beeindruckende Zahlen zur regionalen Wertschöpfung vor. Wichtig ist allerdings, dass die Wertschöpfungspotenziale selbst realisiert werden und damit der dortigen Bevölkerung zugutekommen.

Interview: Alexander Schaeff

Sager, ReinhardReinhard Sager ist Landrat des Kreises Ostholstein und seit 2014 Präsident des Deutschen Landkreistags. Der CDU-Politiker war von 1992 bis 2001 Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Erste politische Mandate übernahm der Diplom-Verwaltungswirt als Gemeindevertreter in Grömitz und als Kreistagsabgeordneter in Ostholstein.



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