Sonntag, 17. November 2024

IserlohnLade-Infrastruktur für alle

[31.03.2017] Einen Aktionsplan für Elektromobilität haben Stadt und Stadtwerke Iserlohn beschlossen. Ziel ist es unter anderem, eine bezahlbare Lade-Infrastruktur für alle aufzubauen.
Stadt und Stadtwerke Iserlohn setzen auf die Elektromobilität.

Stadt und Stadtwerke Iserlohn setzen auf die Elektromobilität.

Stadtwerke-Geschäftsführer Reiner Timmreck (vorne) und Dr. Klaus Weimer, Sprecher der Geschäftsführung

(Bildquelle: Stadtwerke Iserlohn)

Iserlohn ist bundesweit Vorreiter in Sachen Elektromobilität. Und dabei hat die 100.000 Einwohner große Stadt in Nordrhein-Westfalen heute schon das, was für andere Städte noch Zukunftsmusik ist: ein flächendeckendes Angebot an bezahlbarer Lade-Infrastruktur. Gleichzeitig entwickeln sich für die Stadtwerke Iserlohn unterschiedliche neue Geschäftsmodelle.
Dass Elektromobilität für Iserlohn nicht nur eine vorübergehende Modeerscheinung ist, beweist die Stadt mit einem langfristig angelegten Aktionsplan. Bereits seit dem Jahr 2012 arbeiten Stadt und Stadtwerke im Schulterschluss daran, den CO2-Ausstoß auf den Straßen zu verringern und die Kommune lebenswerter zu machen.

Win-win-Situation für alle

Der Aktionsplan wurde im Rahmen des vom EU-Programm „Intelligente Energie für Europa“ geförderten Projekts Emobility Works und unter Beteiligung wichtiger Akteure der Stadt entwickelt. Ziel ist eine Win-win-Situation für alle: Die Bürger profitieren von sauberer und leiser Mobilität und mehr Lebensqualität, die Unternehmen von neuen Geschäftsmodellen, und die Stadt Iserlohn wirbt für sich als attraktiver Wirtschafts- und Wohnstandort.
Stadt und Stadtwerke haben im Jahr 2015 einen Aktionsplan Elektromobilität beschlossen. Im Mittelpunkt steht das Motto: „Bezahlbare Lade-Infrastruktur für alle“. Die Stadt stellt dafür im öffentlichen Raum die Ladesäulen sowie kostenlose Parkplätze für E-Fahrzeuge bereit. Die Stadtverwaltung ist realistisch genug um zu wissen, dass das Engagement für E-Mobilität nicht dazu führen wird, dass von heute auf morgen alle Autofahrer auf E-Fahrzeuge umsteigen. „Es ist aber ein erster Schritt. Wir wollten dafür sorgen, dass eine fehlende Lade-Infrastruktur nicht der Grund dafür sein kann, nicht auf ein Elektrofahrzeug umzusteigen“, sagt Ulrike Badziura, Leiterin der Abteilung Umwelt- und Klimaschutz bei der Stadt Iserlohn.
17 Schnelllade-Punkte gibt es mittlerweile in der Innenstadt, gemessen an der Größe und Einwohnerzahl sind das so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland. Ulrike Badziura macht keinen Hehl daraus, dass das Verhältnis von Benzinern zu Stromern in Iserlohn mit 52.000 zu 33 reinen Elektrofahrzeugen unmissverständlich ist. Dennoch sei ein deutlicher Trend zu erkennen: Bis 2015 habe sich die Zahl der E-Fahrzeuge, wenn auch auf niedrigem Niveau, gegenüber dem Jahr 2012 verdoppelt. Die Klimaschutzbeauftragte sieht daher die Ziele der Stadt bestätigt. „Wir sind davon überzeugt, dass der Technologiewandel kommt“, sagt Ulrike Badziura.
Davon ist auch der Geschäftsführer der Stadtwerke, Reiner Timmreck, überzeugt. Die Stadtwerke entschieden sich für das vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichnete Berliner Start-up-Unternehmen ubitricity als Kooperationspartner. Dafür sprachen gleich mehrere Gründe: Zum einen sind die Anschaffungskosten der Ladesäulen um 80 Prozent niedriger als für herkömmliche Säulen. Zum anderen hatte eine Analyse des Nutzerverhaltens deutlich gemacht, dass Investitionen in eine Infrastruktur, die sich nicht refinanziert und unter dem Aspekt der Daseinsvorsorge wenig Nutzen schafft, keinen Sinn ergeben.

Neue Geschäftsfelder

„Die Erfahrungen, die wir in Iserlohn gemacht haben, entsprechen genau denen von Norwegen, Schweden und den Niederlanden, wo Elektromobilität eine deutlich größere Marktdurchdringung hat“, sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Timmreck. „Über 80 Prozent der Ladevorgänge erfolgen zu Hause oder am Arbeitsplatz. Das bedeutet: Die herkömmliche, kostenintensive Lade-Infrastruktur nutzen maximal 20 Prozent der Fahrer von Elektrofahrzeugen. Von diesen 20 Prozent sind aber mehr als die Hälfte auf den Transitstrecken und Autobahnstationen unterwegs und benötigen eine gut verteilte Schnelllade-Infrastruktur“. Viel zu teuer, entschieden die Iserlohner und setzen seitdem auf das System mit dem intelligenten Ladekabel von ubitricity.
Die Untersuchungen zum Nutzerverhalten hatten auch ergeben, dass nicht die Technik bei der Infrastruktur die Herausforderung ist, sondern vielmehr das dahinter liegende Abrechnungssystem. Auch hier punktete ubitricity, dem ein Abrechnungssystem zugrunde liegt, mit dem über Netzgebietsgrenzen hinweg Strom mit mobilen Zählern abgerechnet werden kann. Herzstück ist dabei die Abrechnungseinheit, die nicht mehr an der Ladesäule hängt, sondern am Fahrzeug beziehungsweise im Kabel. Damit braucht die Lade-Infrastruktur keine Kommunikation und keinen Zähler und kostet somit nur einen Bruchteil von herkömmlichen Ladestationen. Das ermöglicht auch eine Kostenteilung zwischen den Nutzern und dem Bereitsteller der Infrastruktur. Die Kommune kann somit mit weniger Geld, als eine Straßenlaterne kostet, eine flächendeckende Lade-Infrastruktur stellen. Zudem können die Nutzer ihren Iserlohner Strom überall zapfen.
Für den Heimatversorger tun sich dabei immer mehr neue Geschäftsfelder auf: Geplant sind etwa Kooperationen mit Flottenbetreibern. Unternehmen, die Benzinkosten genau abrechnen müssen, können die so genannten SimpleSockets im Unternehmen installieren. Diese ermöglichen eine direkte Übertragung der Ladekosten auf den Nutzer mit Mobilstromvertrag.

Intelligentes Ladekabel statt Karte

„Auch wenn der Mitarbeiter den Dienstwagen mit nach Hause nimmt, funktioniert die Abrechnung an dessen heimischer Stromtankstelle in der Garage oder an einer Ladestation an einer Straßenlaterne reibungslos. Das intelligente Ladekabel ersetzt die Tankkarte und lässt zu Lasten des Arbeitgebers abrechnen. Probleme mit der Versteuerung eventueller geldwerter Vorteile sind ausgeräumt“, so Reiner Timmreck. Verhandlungen führen die Stadtwerke Iserlohn darüber hinaus mit Wohnungsbaugesellschaften: „Für sie stellen wir in den Parkgaragen eine zentrale Infrastruktur zur Verfügung, sodass jeder Mieter auf seinen individuellen Vertrag mit dem Heimatversorger abrechnen kann.“
Zudem liegen Anfragen für ein Carsharing-Modell von Wohnungsgesellschaften vor, die ihren Mietern Fahrzeuge zur Verfügung stellen wollen. Eine Zusammenarbeit besteht seit einem Jahr auch mit der Kreishandwerkerschaft. Unternehmen, die mit dem Gedanken spielen, ein Elektro-Firmenfahrzeug zu kaufen, können eine Woche lang ein Fahrzeug zur Probe fahren. Parallel dazu machen die Stadtwerke gewerblichen Kunden mit attraktiven Mietangeboten Lust auf den Wechsel zu E-Fahrzeugen. „Wir bieten unseren Kunden ein Rundum-sorglos-Paket mit Versicherung, intelligentem Ladekabel, das die Versorgung auch über unser Gebiet hinaus ermöglicht, in Verbindung mit einem Stromvertrag über zwei Jahre – zukünftig auch mit einer Flatrate“, berichtet Reiner Timmreck. Potenzielle Kunden sind neben kommunalen Unternehmen zum Beispiel Pflegedienste, Hausmeister-Dienstleister oder Auslieferer.
Darüber hinaus erproben die Stadtwerke weitere Geschäftsmodelle. Eines heißt: Strom zum Mitnehmen. „Unsere Kunden sollen künftig auch ihren selbsterzeugten Strom, zum Beispiel aus dem eigenen Blockheizkraftwerk, mitnehmen können“, erklärt Geschäftsführer Timmreck. Die dazu benötigte Plattform soll von den Stadtwerken bereitgestellt werden. „Es entsteht erneut eine Win-win-Situation, da wir auch am Management der Kilowattstunde partizipieren. Die Stadtwerke entwickeln sich vom Verkäufer der Kilowattstunde zu deren Makler.“

Andere wollen mitmachen

Die Erfahrungen der Iserlohner werden von den angrenzenden Kreisen mit großem Interesse beobachtet. Mit der Aussicht, eine umfassende Lade-Infrastruktur zu schaffen und gleichzeitig Geld in den kommunalen Haushalten zu sparen, bildeten sich Gesprächsrunden mit benachbarten Stadtwerken und in ganz Nordrhein-Westfalen. Fünf Stadtwerke haben sich schon entschlossen, mitzumachen.

Christina Hövener-Hetz ist freie Autorin in Berlin.




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