InterviewKlarer Kurs auf Wachstum
Herr Becker, Stadtwerke zukunftsfähig ausrichten, lautet der Slogan von Trianel. Das ist heute ja wichtiger denn je. Wie hat sich Trianel in einer Zeit multipler Krisen aufgestellt?
Sven Becker: Wir haben uns auf die Transformation der Energiewirtschaft eingestellt und sehen im Umbau von einem fossilen Energiesystem mit gesicherter Leistung hin zu einem dekarbonisierten, auf dezentralen erneuerbaren Anlagen beruhenden System große unternehmerische Chancen. Diese sehen wir insbesondere im Bereich des Ausbaus der erneuerbaren Energien sowie der Synchronisierung der zunehmend volatilen und stochastischen Einspeisung. Letzterem begegnen wir durch einen starken Ausbau unserer Intraday-Aktivitäten und Real-Time Bewirtschaftung der Gesellschafter- und Kundenportfolios sowie der Entwicklung von Speicherprojekten. Kern unserer strategischen Weiterentwicklung ist die Fokussierung auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und unserer Handels- und Optimierungsaktivitäten.
Wie hat sich das Unternehmen durch diese Aktivitäten entwickelt?
Becker: Durch die Fokussierung und Intensivierung dieser Aktivitäten, die sich in großem unternehmerischen Erfolg und einem entsprechenden Geschäftsergebnis gezeigt hat, läuten wir eine neue Wachstumsphase ein. Nach einem sehr starken Wachstum von 2005 bis 2015, in dem wir viele neue Geschäftsmodelle aufgegleist haben, und einer Phase der Restrukturierung und Konsolidierung von 2016 bis 2019 befinden wir uns mit unserer Strategie Trianel 2030 auf einem klaren Wachstumskurs. Es freut uns sehr, dass die Gesellschafter diesen Kurs auch durch das notwendige Wachstumskapital unterstützen. Wesentliche Eckpunkte sind die Optimierung und Digitalisierung unserer Prozesse und Produkte für den Handel und die Beschaffung von Strom und Gas für Stadtwerke. Gleichzeitig weiten wir unsere internationalen Aktivitäten an den Energiemärkten aus.
Wie kommt Trianel beim Ausbau erneuerbarer Energien voran?
Becker: Mit der Gründung unserer hundertprozentigen Tochter Trianel Energieprojekte haben wir unsere Projektentwicklung für erneuerbare Energien weiter professionalisiert und ausgeweitet und haben mittlerweile rund 1.000 Megawatt Photovoltaik- und Windprojekte in der Planung und in der Entwicklung. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Einstieg in Innovationsprojekte wie das Wasserstoffzentrum Hamm oder intelligente Kombiprojekte von Erneuerbaren-Anlagen und Speichertechnologien ist für uns ein Schlüssel, um die Energiewende weiter voranzutreiben.
Wie können die erneuerbaren Energien in die Märkte integriert werden?
Becker: Hierzu sind moderne Handelsprozesse nötig, die es ermöglichen, die volatile Einspeisung der erneuerbaren Energien mit dem Verbrauch zu synchronisieren. Hier haben wir KI-gestützte Prognosesysteme aufgebaut und den Kurzfristhandel optimiert. Von diesem Know-how profitieren unsere Kunden auch in der Bewirtschaftung konventioneller Energien und bei der Beschaffung. Angesichts der aktuellen Energiekrisen haben unsere Systeme und die hohe Marktexpertise unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu beigetragen, dass Stadtwerke mit uns gut durch die angespannte Situation des vergangenen Jahres gekommen sind.
Klimaneutralität ist ein weiteres großes Ziel. Was kann Trianel hier anbieten?
Becker: Gemeinsam mit Stadtwerken arbeiten wir daran, Ideen und Konzepte für das Ziel klimaneutrale Stadt zu entwickeln. Auf der Basis von Klimabilanzen erstellen wir Roadmaps für Klimaneutralität und entwickeln Konzepte für eine moderne Wärmeplanung oder andere Energieeffizienzmaßnahmen. Unsere Ziel ist es, nicht nur selbst als Unternehmen Klimaneutralität zu erreichen, sondern mit unseren Dienstleistungen auch unsere Kunden auf diesem Weg zu begleiten.
Herr Dr. Runte, die aktuelle Energiekrise hat zu historisch hohen Preisniveaus an den Großhandelsmärkten für Strom und Gas geführt. Wie hat sich dadurch das Handelsgeschäft verändert?
Oliver Runte: In den vergangenen 15 Monaten haben uns nicht nur die hohen Preisniveaus beschäftigt, sondern auch die hohe Volatilität der Preise. Entscheidungen mussten sehr kurzfristig getroffen und gleichzeitig Sicherungssysteme hochgehalten werden. Der Ausfall von Handelspartnern und teilweise geringe Verfügbarkeiten waren eine Herausforderung, die wir aber gut managen konnten. Hier haben wir deutlich von unseren neuen Systemen und vom Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitiert. Im Jahr 2022 kam viel zusammen. Zum einen die direkten Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Verfügbarkeit von Gas und die Markteingriffe seitens der Politik. Zum anderen die lange Dürrephase im Sommer mit Einschränkungen im Kraftwerkseinsatz bei gleichzeitig hoher Nachfrage insbesondere auch wegen der angespannten Kraftwerkssituation in Frankreich. Darüber hinaus haben wir teilweise erhebliche Absatzveränderungen bei den Stadtwerken gesehen, die von heute auf morgen Tausende neuer Kunden beliefern und Ausfälle bei den Handelspartnern kompensieren mussten.
Wie verändert die Situation die Beschaffungsstrategien der Stadtwerke?
Runte: Da traditionelle und einfache Beschaffungsstrategien – wie die Vollversorgung – aufgrund der stark wachsenden Preisvolatilitäten einfach nicht mehr funktionierten, haben wir eine Renaissance des Portfolio-Managements für Strom und Gas erlebt. Stadtwerke, die schon lange auf eine strategische Beschaffung gesetzt haben, waren hier im Vorteil. Aber nicht nur unsere Produkte im Portfolio-Management waren 2022 gefragt. Auch unsere Dienstleistungen im Bereich Risiko-Management haben vielen Kunden geholfen, mit den Herausforderungen an den Märkten und den nötigen Absicherungen umzugehen. Im Kraftwerkseinsatz und bei der Bewirtschaftung der Gasspeicher konnten unsere Kunden ebenso auf uns zählen und haben von unseren Optimierungsprozessen profitiert. Die Diversifikation von Lieferanten und die Beschaffung über unterschiedliche Zeiträume wird auch weiterhin ein großes Thema bleiben. Die Vertriebe der Stadtwerke erkennen darüber hinaus die Vorteile guter Prognosen für ihre Preismodelle und setzen hier auch auf unser Vertriebsportfolio-Management.
In welchen Bereichen profitieren die Stadtwerke außerdem von Trianel-Dienstleistungen?
Runte: Gut aufgestellt sind wir mit unseren neuen digitalen Kundenreportings. Diese ermöglichen es unseren Kunden, ihre energiewirtschaftlichen Prozesse detailliert und transparent in Einzelreports sowie übergeordnet in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Der Kunde hat so zu Beginn jedes Tages alle Daten vorliegen und kann diese beobachten, analysieren und weiterverarbeiten. Zum Beispiel zeigen wir dem Kunden die Spotmengen und -preise, die Ausgleichsenergiemengen und -preise sowie die Güte der durch die Prognoseabteilung (EMP) getätigten Kurzfristprognosen im Strom und Gas. All diese Informationen kann der Kunde über das Trianel Desk aufrufen, interaktiv filtern und die Rohdaten zur Weiterverarbeitung exportieren. Neben den klassischen Beschaffungsprodukten erkennen wir eine hohe Nachfrage nach unseren Dienstleistungen rund um das Thema Energieeffizienz und Klimabilanzen. Auch der Trianel FlexStore mit seinen Beratungsansätzen im Bereich Speicher- und Flexibilitätstechnologien wird weiterhin sehr gut von unseren Kunden angenommen.
Trianel Erneuerbare Energien arbeitet aktiv an der Energiewende. Welche Erfolge kann die Tochtergesellschaft vorweisen?
Becker: Unsere Asset-Gesellschaft Trianel Erneuerbare Energien ist ja nur eine von insgesamt fünf Gesellschaften, die wir in den vergangenen zehn Jahren gegründet haben, um gemeinsam mit Stadtwerken den Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich Onshore, Offshore und Photovoltaik voranzutreiben. Die fünf Gesellschaften bündeln ein kommunales Investitionsvolumen von rund drei Milliarden Euro. Auf die Trianel Erneuerbare Energien entfallen dabei rund 500 Millionen Euro. Das aktuelle Portfolio umfasst bereits über 59 Megawatt (MW) an Photovoltaikleistung und rund 204 MW an Windleistung. Weitere Projekte werden im laufenden Jahr dazukommen, bevor hier der Investitionsrahmen erfüllt sein wird. Mit Trianel Wind und Solar gehen wir diesen erfolgreichen Weg in den nächsten Jahren weiter. Auch hier sind erste Projekte in der Planung, und wir hoffen, durch die Erleichterungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien unsere Ziele schneller erreichen zu können. Wesentlich für unsere Anstrengungen im Bereich der erneuerbaren Energien ist unsere Tochter Trianel Energieprojekte, mit der wir aktiv neue Projekte entwickeln. Hier planen wir weiteres Wachstum auch jenseits von Deutschland. Mit der Gründung einer österreichischen Tochter für den Ausbau der erneuerbaren Energien entwickeln wir die Energiewende auch europäisch weiter.
Trianel bietet Stadtwerken auch Beratung zum Thema Wasserstoff an. Kann grüner Wasserstoff die Erwartungen überhaupt erfüllen?
Becker: Wasserstoff ist für uns ein Baustein auf dem Weg hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Energiewirtschaftlich wird uns Klimaneutralität nur gelingen, wenn wir die Erneuerbaren ausbauen, die Energieeffizienz erhöhen und technische Lösungen finden, die fluktuierende Erzeugung der Erneuerbaren mit steuerbaren Anlagen zu ergänzen. Mittelfristig stehen uns dafür noch konventionelle Kraftwerke zur Verfügung, langfristig brauchen wir hier aber neue Lösungen. Speichertechnologien sind dafür wesentlich, ebenso wie Wasserstoff. Darum beraten wir hier nicht nur und geben mit dem Trianel FlexIndex ein Barometer für den Wert von Flexibilität und die Erfolgsaussichten von Investitionen in Flexibilitätsoptionen, sondern investieren auch selbst in ein Wasserstoffprojekt in Hamm. Die vor Kurzem vorgelegte Machbarkeitsstudie für das von uns gemeinsam mit den Stadtwerken Hamm geplante Wasserstoffzentrum hat gezeigt, dass wir mit unserem Wasserstoffprojekt auf einem guten Weg sind. Wenn alles klappt, wollen wir bis Ende 2023 bereits den Investitionsbeschluss herbeiführen.
„Der Umbau unserer Energieversorgung wird ohne Digitalisierung nicht gelingen.“
Wird die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft gelingen und wenn ja, wie sieht aus Ihrer Perspektive der Zeithorizont aus?
Becker: Die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft kann gelingen und sie muss es auch. Der Klimawandel muss begrenzt werden und Rohstoffe sind endlich. Die EU und auch die Bundesregierung haben einen Zeithorizont bis 2045 und 2050 gesetzt. Das erscheint zwar noch lange hin, ist es aber nicht. Denn die Energiewirtschaft denkt in langen Investitionszyklen von 20 bis 40 Jahren. Darum müssen wir schon heute alle unsere Entscheidungen mit Blick auf die Klimaneutralität ausrichten und die Voraussetzungen für die Zukunft schaffen.
Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Becker: Was wir brauchen, ist mehr Tempo und vor allem Investitionssicherheit und Vertrauensschutz für unsere Investitionen in eine klimaneutrale Energieversorgung. Mit dem Oster- und Sommerpaket hat die Bundesregierung gute Grundlagen gelegt, aber wir brauchen mehr Konstanz in den politischen Entscheidungen. Darüber hinaus müssen wir aufpassen, dass wir angesichts der aktuellen Lage durch den Ukraine-Krieg nicht alle Grundsätze des Marktes außer Kraft setzen. Die Berücksichtigung der sozialen Frage für die Energieversorgung ist wichtig, aber wir müssen aufpassen, dass Investitionsanreize nicht ausgebremst werden und am Ende kein Unternehmen mehr in der Lage ist, zu investieren. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Ausgestaltung der Erlösabschöpfung sehr kritisch. Die Energiewende insgesamt sehen wir als Chance an. Viele Lösungen liegen heute schon auf dem Tisch, wir müssen nur in die Lage versetzt werden, gute Ideen umsetzen und Investitionen auch zurückverdienen zu können.
Im Digital Lab von Trianel werden digitale Pilotprojekte umgesetzt und neue Geschäftsmodelle entwickelt. Welche Erkenntnisse gewinnen Sie hier, wie wirkt sich die digitale Transformation auf die Stadtwerke aus?
Runte: Der Umbau unserer Energieversorgung wird ohne Digitalisierung nicht gelingen. Digitalisierung ist nicht nur ein Schlüssel zur Prozessoptimierung, sondern ermöglicht es auch, effizienter zu arbeiten. Es gibt viele Ansätze, um Arbeitsprozesse zu optimieren. Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Handelsprozesse digitalisiert und automatisiert und davon profitieren auch die Strukturen in den Stadtwerken. Die Stadtwerke selbst setzen auch auf digitale Instrumente zur Überwachung und Steuerung der Netze oder für mehr Energieeffizienz. Hier haben wir mit Stadtwerken interessante Projekte umgesetzt. Diese reichen von digitalen Anwendungen in der Endkundenkommunikation über Prozessoptimierungen in der Kundendatenpflege und Auswertung bis hin zum Einsatz von Virtual Reality und Metaversum. Wir erkennen, dass Stadtwerke hier offen sind und auch die Vorteile sehen, ihre Mitarbeiter zu entlasten und eine höhere Kundenzufriedenheit zu erreichen.
Wie wird sich der Energiemarkt aus Ihrer Sicht künftig entwickeln und wie stellt sich Trianel darauf ein?
Runte: Wir gehen davon aus, dass wir auch im Jahr 2023 mit vielen Unsicherheiten umgehen müssen. Dies wird weiterhin ein höheres Preisniveau mit sich bringen, auch wenn wir erste Anzeichen für eine Beruhigung sehen. Auch das Thema Volatilität wird uns weiter beschäftigen. Diese wird mit dem Ausbau der Erneuerbaren und den neuen Gaslieferketten weiter zunehmen. Wir haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass wir damit umgehen können und sind gut darauf vorbereitet. Grundsätzlich sehen wir ein höheres Preisniveau auch als Chance, dass der Markt die Investitionsanreize setzt, die wir brauchen, um ein modernes Energiesystem aufzubauen.
Becker: Die Volatilität wird zunehmen. Damit wird auch der Bedarf an Flexibilitätsoptionen wie Speichertechnologien, flexiblen Kraftwerken und Demand-Side-Management zunehmen. Wir sind auf diese neuen Bedürfnisse gut vorbereitet und können unseren Kunden hier heute schon Lösungen anbieten. Dabei betrachten wir zum einen Möglichkeiten, entsprechende Kapazitäten gemeinsam mit den Stadtwerken aufzubauen, und zum anderen die Möglichkeiten, über den Markt die Volatilität zum Vorteil der Stadtwerke über eine intelligente Handelsstrategie zu nutzen.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe Januar/Februar 2023 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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