Donnerstag, 21. November 2024

InterviewKeine städtischen Denkverbote

[28.03.2018] Mit dem Projekt Urbane Logistik will Hannover zur Modellregion für den Lieferverkehr der Zukunft werden. stadt+werk sprach mit Oberbürgermeister Stefan Schostok über die Entwicklung zukunftsfähiger und nachhaltiger städtischer Verkehrskonzepte.
Stefan Schostok

Stefan Schostok, Oberbürgermeister von Hannover

(Bildquelle: Landeshauptstadt Hannover)

Herr Oberbürgermeister, Ende November 2017 hat die Bundesregierung ein Sofortprogramm für saubere Luft aufgelegt. Auch Hannover hat einen Förderbescheid erhalten. Wie verwenden Sie die Mittel?

Unabhängig von der zu klärenden Frage von eventuellen Fahrverboten verfolgen wir das Ziel, einen emissionsarmen Fahrzeugverkehr voranzutreiben. Die Stadt Hannover hat im Dezember vergangenen Jahres Fördermittel in Höhe von 91.500 Euro aus einem Sonderprogramm bewilligt bekommen, um zielgenaue Minderungsstrategien zu erarbeiten. Dieser Masterplan „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“ soll bis Ende Juli 2018 vorgelegt werden und der Bundesregierung als Grundlage für Förderentscheidungen dienen. Er wird zahlreiche Vorschläge aus den Themenbereichen Digitalisierung des Verkehrssystems, Vernetzung im ÖPNV, Radverkehr, Elektrifizierung des Verkehrs und Urbane Logistik enthalten. Die dazugehörigen möglichen Maßnahmen werden hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Stickstoffdioxid-Minderung bewertet.

Reichen solche Konzepte aus, um die Luftqualität in Städten zu verbessern?

Die Förderzusage ist ein erster Schritt hin zu einem dringend notwendigen stärkeren Engagement des Bundes. Dies hilft kurzfristig nicht bei der Verbesserung der Luftqualität, unterstützt aber das Erstellen von darauf gerichteten Masterplänen für mittelfristig wirksame Maßnahmen. Weitere Schritte werden folgen müssen, um die Städte bei der Aufgabe zu unterstützen, die Stickoxid-Belastung zu verringern und die Grenzwerte einzuhalten. Unabhängig von dem Masterplan sollen im Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020 der Bundesregierung in Kürze Förderanträge für Maßnahmen gestellt werden können, etwa für die Nachrüstung von Dieselbussen im ÖPNV, für die Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme und zur Förderung der Elektromobilität. Die Stadt prüft derzeit gemeinsam mit der Region Hannover, für welche Maßnahmen Anträge gestellt werden sollen.

Mit dem Projekt Urbane Logistik will Hannover zur Modellregion für den Lieferverkehr der Zukunft werden. Warum haben Sie die Initiative gestartet?

Im Rahmen unseres Stadtdialogs „Mein Hannover 2030“ wurde deutlich, dass im Bereich der städtischen Mobilität, insbesondere beim Personen- und Lieferverkehr, Handlungsbedarf besteht. Als bedeutender Logistikstandort in der Mitte Europas mit bester Infrastruktur für alle Verkehrsarten sowie zahlreichen global operierenden Unternehmen hat die Mobilität hier seit jeher eine herausragende Bedeutung. Hannovers Entwicklung hin zu einer autogerechten Stadt hat in den Zeiten des Wiederaufbaus bundesweit Schlagzeilen gemacht. Diese hervorragende Voraussetzung müssen wir heute als Chance begreifen, um das Thema der urbanen Mobilität und Logistik neu zu denken und in der Tradition als autogerechte Stadt weiterzuentwickeln. Dabei stellen sich neue Herausforderungen, die auch andere Städte beschäftigen: Hannover wächst. Das erfordert mehr Wohnraum und mehr Gewerbeflächen, zudem mehr Flächen für Freizeitaktivitäten. Das bedeutet auch mehr Verkehr. Mit einer wachsenden Stadt steigt der Logistikbedarf für Ver- und Entsorgung.

„Der Masterplan für nachhaltige Mobilität soll Ende Juli 2018 vorliegen.”

Was müssen die Kommunen tun?

Städten kommt weltweit die Aufgabe zu, einerseits für saubere Luft zu sorgen und den Lärm zu mindern, um die guten Lebensbedingungen zu erhalten. Andererseits müssen sie den gestiegenen Mobilitätsbedürfnissen gerecht werden. Hinzu kommt, dass Digitalisierung und Internet den Alltag sowie das Nutzerverhalten der Menschen in fast allen Lebensbereichen gravierend verändern und neue Geschäftsmodelle wie der wachsende Online-Handel entstehen. Dies hat auch erheblichen Einfluss auf den Verkehr in den Städten, bis hinein in die einzelnen Stadtquartiere. Damit kommt der Frage, wie der Lieferverkehr in einer Stadt organisiert ist, eine zentrale Bedeutung zu. Bei dieser Herausforderung nutzen wir die Standortqualitäten gemeinsam mit kompetenten Partnern. Der Projektinitiative Urbane Logistik in Hannover gehören neben der Landeshauptstadt die Unternehmen Volkswagen Nutzfahrzeuge, DHL und enercity sowie die Leibniz Universität Hannover, die Hochschule Hannover und die Technische Universität Braunschweig an.

Wie gehen Sie bei der Umsetzung der Initiative vor?

Wichtig ist uns der Dreiklang aus solider, fachlich fundierter Analyse, Simulation und Bewertung konzeptioneller Lösungsansätze sowie deren Erprobung und Evaluation. Wir wollen im ersten Schritt die urbane Logistik qualitativ und quantitativ analysieren, um Wirkzusammenhänge besser zu verstehen und passgenaue Lösungen zu identifizieren. Die Auswahl geeigneter Pilotquartiere, die Beteiligung der örtlichen Wirtschaft und der Öffentlichkeit sind wesentliche Schritte, die wir aktuell vorantreiben. Die erfolgreiche Bewerbung der Projektinitiative auf das Förderprogramm zur Umsetzung der „Strategischen Forschungs- und Innovationsagenda – Zukunftsstadt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung war hierzu ein großer Schritt. Das Projektvorhaben USEfUL ist als Teil des Gesamtprojekts Urbane Logistik konzipiert. USEfUL steht für die Entwicklung eines systemübergreifenden Untersuchungs-, Simulations- und Evaluations-Tools, um Lösungsansätze für eine zukunftsfähige und nachhaltige städtische Logistik zu bewerten. Es soll als als Entscheidungshilfe für Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit dienen.

Welche Projekte sind geplant?

Aktuell befinden wir uns noch in der Phase der Analyse, der notwendigen Bestandsaufnahme für ein besseres Verständnis der Zusammenhänge und Wechselwirkungen. Konzeptionell bestehen keine Denkverbote. Alle Partner der Projektinitiative Urbane Logistik verstehen sich als Stakeholder für Kommune, Wirtschaft und Wissenschaft und sind für weitere Partner offen.

Mit welchen Partnern wollen Sie das Vorhaben realisieren und wie werden die Bürger einbezogen?

Bereits im November 2017 hatten wir Fachleute und Innovatoren eingeladen, um über die Herausforderungen einer zukunftsfähigen urbanen Logistik zu diskutieren. Der Einladung folgten etwa 100 Interessierte aus Unternehmen, Sozialdiensten, Wissenschaft und der öffentlichen Hand. Für die Beteiligung der Einwohnerinnen und Einwohner ist die Auswahl der Pilotquartiere ein wesentlicher Schritt. Damit werden wir konkreter und können die Bedürfnisse einer wachsenden Stadt zielgenauer erfragen, Handlungsbedarfe identifizieren und Konzepte hinsichtlich Akzeptanz und Wirkung bewerten.

Welche Rolle nehmen die Stadtwerke Hannover (enercity) bei dem Vorhaben ein?

Aus heutiger Perspektive kommt der Energiewende im Verkehrssektor und der Elektromobilität, angetrieben aus Strom regenerativer Energiequellen, eine bedeutende Rolle zu. enercity ist hierbei als lokaler Energieversorger ein kompetenter und leistungsfähiger Partner, um die Themen der Energiebereitstellung, Netzkapazitäten und Lade-Infrastruktur zu besetzen.

Wie sieht Ihre Vision künftiger städtischer Verkehre aus?

Im Mittelpunkt der Projektinitiative steht eine Logistik der Zukunft, die den Bedürfnissen der Menschen einer lebenswerten Stadt entspricht. Die Logistik der Zukunft im klimaneutralen Hannover steht für leise, emissionsfreie und sichere Transportlösungen sowie eine innovative Infrastruktur im urbanen Raum. Ziel ist es, Hannover bis 2030 gemeinsam mit unseren Projektpartnern als internationale Kompetenzregion für urbane Logistik zu etablieren und das EU-Ziel einer CO2-freien Logistik 2030 zu erreichen. Davon sollen auch andere Städte profitieren.

Interview: Alexander Schaeff

Schostok, StefanStefan Schostok, Jahrgang 1964, ist seit Oktober 2013 Oberbürgermeister der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Vor seiner Wahl zum Stadtoberhaupt war er Vorsitzender der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, dem er seit 2008 angehörte.



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