Smart GridIntelligenz statt Ausbau
Es ist gar nicht so lange her, da erschien die Energiewelt noch recht überschaubar: Strom gelangte von den großen Kraftwerken über gut ausgebaute Stromautobahnen in die Städte und Gemeinden. Anschließend sorgten die Verteilnetzbetreiber dafür, dass die Energie rund um die Uhr bei den Verbrauchern ankam. Der Strom floss immer in eine Richtung, Rolle und Aufgabe der Verteilnetzbetreiber waren über Jahrzehnte klar definiert.
Die Energiewelt ist heute eine vollkommen andere. Auf den Stromautobahnen herrscht immer häufiger Gegenverkehr, mehr als 1,6 Millionen Wind-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen speisen ihren grünen Strom in die deutschen Verteilnetze ein, mal mehr, mal weniger, je nach Wetterlage und Tageszeit. Mehr als 300.000 Anlagen sind allein ans Verteilnetz von innogy angeschlossen. Und: Aus dem Verbraucher wird zunehmend ein Prosumer, der selbstbewusst und selbstbestimmt Energie produziert, nutzt und auch verkauft. Er speichert seinen Sonnenstrom in der Batterie im Keller, heizt sein Haus per Wärmepumpe und tankt das Elektroauto an der Ladesäule in seiner Garage auf.
Dezentral, dekarbonisiert und digital
Die Energiewelt von heute funktioniert dezentral, dekarbonisiert und digital. Sie ist komplex, manchmal auch kompliziert, und die Rolle der Verteilnetzbetreiber hat sich radikal gewandelt: Sie sind der Dreh- und Angelpunkt dessen, was als Stromwende begann und erst durch eine Kopplung mit den Sektoren Verkehr und Wärme zu einer echten Energiewende werden kann, ja werden muss. Die Energiewende ist nur mit starken Verteilnetzbetreibern und ihren Smart Grids – intelligenten Netzen – zu meistern: Hier sind 95 Prozent aller Wind- und Photovoltaikanlagen angeschlossen, hier vollzieht sich der Ausbau der E-Mobilität mit rund 11.000 Ladepunkten in Deutschland, Tendenz stark wachsend. Die Verteilnetzbetreiber müssen immer mehr und immer dezentralere Lösungen suchen – und finden sie auch.
Moderne Energieunternehmen finden die Lösungen über den Einsatz von intelligenter IT. Der Weg in die Zukunft der Energieversorgung ist ein digitaler und er erfordert oftmals Pionierarbeit. Der Ausgleich zwischen schwankender Einspeisung und Verbrauchsspitzen auf regionaler Ebene funktioniert nur über eine Digitalisierung der Netze. Ein rein klassischer Netzausbau, der das System für sämtliche Last- und Erzeugungsspitzen befähigt, ist volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Erst durch intelligente Netze wird der Bedarf an Netzausbau geringer, damit sinken auch die Kosten der Energiewende.
Das Energiesystem muss deshalb von Grund auf neu gedacht werden. Die Digitalisierung bringt große Datenmengen, die nahezu in Echtzeit verarbeitet werden müssen. Das erfordert eine klare Steuerungskaskade von unten nach oben. Strom soll möglichst dort verbraucht werden, wo er erzeugt wird, und Probleme da gelöst werden, wo sie entstehen – nämlich dezentral im Verteilnetz. Hier arbeiten Stadtwerke und Energieunternehmen wie innogy seit Jahrzehnten partnerschaftlich mit den Kommunen zusammen. Die Wege sind kurz, das Vertrauen ist groß. Die Stadtwerke sind fest verwurzelt in ihren Regionen. innogy ist ein verlässlicher Partner und entwickelt mit ihnen zukunftsweisende und kundenorientierte Lösungen.
Forschungsprojekt Designetz
Was ziemlich abstrakt klingt, ist aber auch schon zentraler Gegenstand eines seit 2017 laufenden Forschungsprojekts, das es so in der deutschen Energiebranche noch nicht gegeben hat: Designetz, ein Zusammenschluss von 46 Partnern aus Energie, Industrie, Kommunen, Forschung und Entwicklung, die gemeinsam nicht weniger als diese Frage beantworten wollen: Wie erreichen wir eine klimafreundliche, verlässliche und effiziente Energieversorgung bei einem wachsenden Anteil an bekanntlich schwankender Stromerzeugung aus Wind und Sonne? Es ist die Schlüsselfrage der Energiewende.
Designetz wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und erstreckt sich über die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland, die Länder begleiten das Projekt ebenfalls. Hier leben rund 22 Millionen Menschen, mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland. innogy führt das Konsortium an. Gemeinsam mit den Partnern werden dezentrale Energieerzeuger und -verbraucher vernetzt – vom ländlichen Raum bis hin zu den großen Städten und den Ballungszentren. Das Projekt soll zeigen, dass eine Versorgung zu 100 Prozent auf Basis schwankender Einspeisung aus erneuerbaren Energien möglich ist. Und zwar durch den Einsatz intelligenter Netze, innovativer Speicher und abschaltbarer Lasten. All das in höchstem Maße digital.
Teil von Designetz ist das Projekt Smart Operator, mit dem innogy und das Augsburger Tochterunternehmen Lechwerke prototypisch zeigen, was die Energiewende für die Menschen und ihren Alltag konkret bedeuten kann. Fast drei Jahre lang wurde dieser Ansatz in drei Feldversuchen in Rheinland-Pfalz und in Bayern getestet. Die Ergebnisse sind beeindruckend: Vorhandene Ortsnetze können durch intelligente Steuerung rund 35 Prozent mehr Strom aus lokal erzeugter, erneuerbarer Energie aufnehmen. Durch die bessere Nutzung vorhandener Netze kann ihr Ausbau reduziert werden. Mehr Köpfchen statt Kupfer also.
Steuerungseinheit im Ortsnetz
Der Smart Operator, halb so groß wie ein Schuhkarton, arbeitet als autonome Steuerungseinheit im Ortsnetz und stimmt Stromangebot und -nachfrage aufeinander ab, indem er den Verbrauch in Zeiten mit hoher Erzeugung verschiebt. Neben intelligenter Netztechnik kamen auch über 50 intelligente Geräte in den Haushalten der Bürger zum Einsatz: Waschmaschinen, Geschirrspülmaschinen, Wäschetrockner, Batteriespeicher, Wärmepumpen und Ladeboxen für Elektroautos sowie 160 Smart Meter. Das machte das Projekt zu einer der umfassendsten Smart-Grid-Installationen überhaupt.
Der selbstständig arbeitende Smart Operator verteilte Ladezeiten von Elektroautos und Batteriespeichern oder startete die intelligente Waschmaschine erst dann, wenn viel Sonnenenergie vor Ort erzeugt wurde. Anhand von Wetterprognosen konnte er vorhersagen, wie viel Strom durch die Photovoltaikanlagen eingespeist werden würde. Durch intelligente Zähler in den teilnehmenden Haushalten kannte er außerdem den voraussichtlichen Verbrauch in der Testsiedlung. Daraufhin stimmte er den Stromverbrauch intelligenter Bausteine und Speichermöglichkeiten auf die Erzeugung ab und brachte sie in Einklang.
Der Stromüberschuss wurde auf diese Weise um bis zu ein Drittel reduziert und musste demnach nicht über das regionale Mittelspannungsnetz abtransportiert werden – eine enorme Entlastung für die Netze. Das Beispiel zeigt: Forschung und Entwicklung von Smart Grids schreiten rasant voran. Allein: Noch tragen die Verteilnetzbetreiber die Verantwortung auf eigenen Schultern. An dieser Stelle ist nun die Politik gefragt.
Forderungen an die Politik
Die energiepolitischen Positionen des Koalitionsvertrags sind positiv zu bewerten. Die Parteien haben sich auf eine Reihe wichtiger energiepolitischer Leitlinien und Maßnahmen verständigt. Erstmals erkennen CDU, CSU und SPD die Schlüsselrolle und die zunehmende Verantwortung der Verteilnetzbetreiber. Ausbau und Modernisierung der Energienetze sollen vorangetrieben und ökonomische Anreize für eine Optimierung der Netze gesetzt werden. So soll der Regulierungsrahmen weiterentwickelt werden, um Investitionen in intelligente Lösungen zu ermöglichen.
Doch das kann nur der erste Schritt sein, denn die konkrete Ausgestaltung lässt der Koalitionsvertrag noch offen. Die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen müssen jetzt angepasst werden, damit die Energiewende an Tempo und Dynamik gewinnt. Die Regulierung muss Netzbetreibern die Möglichkeit bieten, in intelligente Technologien zu investieren. Nur so können die dringend notwendigen Innovationen umgesetzt und der klassische Netzausbau auf ein effizientes Optimum beschränkt werden.
Erstens gilt es, das Subsidiaritätsprinzip zu stärken. In einem dezentralen Stromsystem müssen auch Erzeugungsanlagen, Verbraucher und Speicher im Verteilnetz mehr Verantwortung für die Stabilität des gesamten Systems übernehmen. Der erforderliche Ausgleich zwischen Erzeugung und Verbrauch von Energie sollte, wie beschrieben, bereits auf der lokalen Ebene der Verteilnetze erfolgen. Der rechtliche Rahmen muss daher angepasst werden, um die Rollen der Stromnetzbetreiber bei der Steuerung auf den verschiedenen Spannungsebenen nach dem Subsidiaritätsprinzip zu stärken und klar zu definieren.
Stabilität durch Flexibilitäten
Zweitens müssen die politischen Rahmenbedingungen mehr Flexibilität ermöglichen. Durch die intelligente Steuerung von Einspeisung, Verbrauch und Speicherung können Stromnetze effizient betrieben und ausgebaut werden. Der Zugriff auf Flexibilitäten soll vorrangig mit Blick auf die Erfordernisse des Marktes erfolgen. Wichtig dabei: Verteilnetzbetreiber sollten auf solche Flexibilitäten netzdienlich zugreifen können, um Netzstabilität zu gewährleisten. Und: Angemessene Flexibilitätsanreize sollten eine optimale Entscheidung zwischen Investitionen in den Netzausbau und Flexibilitätsnutzung ermöglichen.
Drittens muss die Politik Intelligenz anreizen. Für eine Digitalisierung der Verteilnetze und die Etablierung von Smart Grids sind ebenso erhebliche Investitionen erforderlich wie für den immer noch notwendigen Ausbau des Netzes. Beide Maßnahmen werden die Basis für ein effizientes und sicheres Energiesystem schaffen. Vor diesem Hintergrund muss die Investitions- und Innovationsbereitschaft der Netzbetreiber nachhaltig gestärkt werden. Sie müssen ausreichende Anreize erhalten, intelligente Technik einzusetzen, um die Kosten für den Netzausbau zu optimieren und somit die Gesamtkosten für die Stromkunden zu senken. Dies ist auch ein Dienst am Gemeinwohl und ein Weg, Energiepreise bezahlbar zu machen.
Integration der E-Mobilität
Mit einem digitalen Verteilnetz und den zeitgemäßen politischen Rahmenbedingungen wird auch eine der Mammutaufgaben zu stemmen sein, die immer schneller kommt: der Ausbau und die Integration der Elektromobilität. Klar ist: Selbst wenn 40 Millionen Fahrzeuge in Deutschland, also fast der gesamte aktuelle Pkw-Bestand von rund 46 Millionen, elektrisch betrieben würden, läge der Mehrbedarf an Strom lediglich bei 16 Prozent. Das könnten die vorhandenen Netze technisch verkraften. Aber: Die Herausforderung besteht darin, eine große Zahl an gleichzeitigen Ladevorgängen zu vermeiden und stattdessen das Nutzerverhalten zu koordinieren. So bietet etwa die innogy-Tochter Westnetz Besitzern von E-Autos einen kostenlosen Hausanschluss an, falls sie damit einverstanden sind, dass das Unternehmen den Ladevorgang über Nacht steuern darf. Es wird geladen, wenn es für das System am günstigsten ist.
Netzdienliche E-Autos
Aber nicht nur die Netze müssen dafür intelligenter werden, auch die Elektrofahrzeuge selbst müssen die erforderlichen Daten austauschen. Doch leider fehlen noch klare politische Positionen zur Steuerbarkeit von E-Fahrzeugen aus netzdienlicher Sicht sowie Anreize für Kunden, sich netzdienlich zu verhalten. Ziel sollte es hier sein, ein Smart Grid zu schaffen, das durch die intelligente Verknüpfung von Daten eine Verteilung von Lastspitzen ermöglicht. Die Lösung für die Integration der wachsenden E-Mobilität liegt also im Zusammenspiel von klassischem Netzausbau und Smart Grids, in dem Produzenten und Konsumenten miteinander kommunizieren.
Die Verteilnetzbetreiber wollen und können dies leisten. Sie stellen sich ihrer Verantwortung, müssen aber wirtschaftlich in die Lage versetzt werden, weiterhin zu investieren: in Infrastruktur und Digitalisierung. Und sie brauchen die Stadtwerke und Kommunen als starke Partner, die ein sicheres Gespür dafür haben, was das Beste für die Regionen ist, welche energiewirtschaftlichen Maßnahmen den Menschen vor Ort wirklich helfen. Nur im engen Verbund aus Energieunternehmen, Netzbetreibern, Stadtwerken und Kommunen kann die Energiewende zum Erfolg werden.
Dieser Beitrag ist in der Mai/Juni-Ausgabe 2018 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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