EnergiespeicherungHybrides Flaggschiff
Es ist eine der großen Herausforderungen der Energiewende: Wenn Windenergie- oder Solaranlagen zu viel Strom produzieren, der gerade nicht gebraucht wird, muss man ihre Leistung drosseln oder sie sogar abschalten. Scheint die Sonne nur zurückhaltend oder herrscht Flaute, ist auch mal zu wenig grüner Strom verfügbar. Regenerative Energien sind schlicht schwerer planbar als konventionelle Energieerzeugung, weshalb es leistungsfähiger Speichertechnologien bedarf, um die Schwankungen dezentraler Stromerzeuger auszugleichen. Energiespeicher sind für das Gelingen der Energiewende daher unabdingbar. Speichersysteme schaffen eine höhere Flexibilität und tragen zur Stabilität des Stromnetzes bei.
Einzigartiges Projekt
Die Stadtwerke Bielefeld haben dies erkannt und bereits im Jahr 2018 über den Bau eines Batteriespeichers im Megawattbereich nachgedacht. Um das Konzept zu testen, wurden im Gebäude des Heizkraftwerks an der Schildescher Straße 476 Lithium-Ionen-Batteriezellen mit einer Kapazität von 110 Kilowattstunden (kWh) aufgebaut und der Batteriepufferspeicher mit dazugehöriger Steuerungssoftware anschließend unter Realbedingungen betrieben. Herzstück der Anlage ist ein digitales Energie-Management-System (EMS) inklusive Batterie-Management-System (BMS), welche auf unterschiedliche Funktionsweisen unter Extrembedingungen untersucht wurden. Aus der Testphase konnten die Experten der Stadtwerke wichtige Erkenntnisse ableiten, etwa die, dass Batteriespeicher bei unvorhergesehenen Verbrauchsschwankungen in Millisekunden Strom in das Netz einspeisen oder aus diesem aufnehmen und speichern können.
Nach erfolgreichem Abschluss der Testphase konnte Ende 2020 auf dem Gelände an der Schildescher Straße mit der baulichen Umsetzung des innovativen Projekts begonnen werden. Im Auftrag der Stadtwerke Bielefeld errichtete die Firma Intilion den Megawatt-Batteriespeicher in ehemaligen Räumen einer Schaltanlage des Kraftwerks. Mit der Installation eines Batteriespeichers dieser Größenordnung in einem ihrer bestehenden Gebäude haben die Stadtwerke Bielefeld nach eigenen Recherchen ein in Deutschland einzigartiges Projekt realisiert. Denn üblicherweise werden diese Speicher in Seecontainern untergebracht.
Zum Hybrid wird der Speicher dadurch, dass er nicht nur überschüssigen Strom speichern und wieder abgeben, sondern die Energie auch zum Aufheizen des Fernwärmewassers nutzen kann. In Norddeutschland gibt es aktuell nur eine Anlage in Bremen, die ähnlich funktioniert wie die der Stadtwerke Bielefeld.
Bauliche Besonderheiten
Im Februar 2021 ging der Megawatt-Batteriespeicher in Betrieb. Die einzelnen Anlagenteile wurden vorher fertig installiert, miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt. Zunächst wurden alle Anlagenteile einzeln getestet – Batterien, Transformatoren, Umrichter und E-Heizer. Da dies problemlos verlaufen ist, konnte anschließend das Zusammenspiel getestet werden. Dabei hat sich gezeigt, dass mit der Anlage auf Frequenzschwankungen im Netz sekundenschnell reagiert werden kann – ganz genau so, wie die Stadtwerke sich dies vorgestellt hatten.
Der Hybridspeicher besteht aus zwei Teilen: Erstens aus einem Batteriespeicher, bestehend aus 22.173 Nickel-Mangan-Cobalt (NMC)-Zellen, die seriell und parallel zu Batteriebänken verschaltet sind. Aufgestellt wurden sie in mehreren Räumen auf verschiedenen Ebenen der früheren Schaltanlage im Kraftwerk. Der zweite Anlagenteil besteht aus zwölf Widerstandsheizern, welche die Wärme für das Fernheiznetz erzeugen können. Diese enthalten jeweils acht Heizelemente mit einer Leistung von 80 Kilowatt und sind in der Turbinenhalle des Heizkraftwerks aufgestellt.
Die Anbindung der Großbatterie sowie der Widerstandsheizer an das Sechs-Kilovolt-Kraftwerksnetz erfolgt über drei Gießharztransformatoren mit einer Leistung von je 2,9 Megavoltampere (MVA). Die Besonderheit bei diesem System der Sektorenkopplung ist, dass die Batterieanlage deutlich kleiner dimensioniert werden kann, ohne Kapazität und Leistung zu reduzieren. Die Steuerung der Batterie in Kombination mit den E-Heizern wird über das Intilion-Steuerungssystem durchgeführt.
Der Speicher ist darüber hinaus mit einer Rauchgasfilterungsanlage und einem Brandschutzgehäuse ausgestattet – zertifiziert nach der Anwendungsregel für stationäre Energiespeichersysteme mit Lithium-Batterien VDE-AR-E 2510-50. Letzteres verhindert, dass sich Feuer ausbreiten können. „Durch die besondere Beachtung des Brandschutzes und der Rauchgasbehandlung in dieser Innenaufstellung konnten wir ein hohes Maß an Sicherheit etablieren. Auch das hat dazu beigetragen, dass behördliche Genehmigungen wenig Zeit in Anspruch genommen haben. Es ist und bleibt ein Flaggschiff-Projekt für uns und die Stadtwerke Bielefeld“, freut sich Frederik Süllwald, Head of Sales Utilities & Key Accounts bei Intilion.
Viele Tonnen CO2 einsparen
Seit April 2021 steht der hybride Speicher auch zur Vermarktung zur Verfügung. Die Stadtwerke Bielefeld haben ihn erfolgreich zur Teilnahme im Primärregelleistungsmarkt (PRL-Markt) des Übertragungsnetzbetreibers Tennet präqualifiziert. Dazu notwendige Tests der einzelnen Anlagenteile sind ohne Auffälligkeiten verlaufen. In Bezug auf den Bundesmix für die PRL-Vermarktung werden mit dem Einsatz des Hybridspeichers jährlich knapp 26.000 Tonnen CO2 vermieden. Damit hat der Hybridspeicher die in der Herstellung zu berücksichtigenden CO2-Emissionen bereits nach zwei Wochen abgebaut.
Die Stadtwerke Bielefeld sind stolz darauf, dass dieses innovative Projekt innerhalb kürzester Zeit realisiert werden konnte. Planung und Umsetzung haben insgesamt nur anderthalb Jahre in Anspruch genommen. Generell stehen die Stadtwerke für kräftige Investitionen in erneuerbare Energien, weil diese für die dringend notwendige Energiewende gebraucht werden. Klimaneutral zu arbeiten, wird in den kommenden Jahren stark im Fokus des Versorgers stehen.
Auch für Bielefelds Oberbürgermeister und Stadtwerke-Aufsichtsratsmitglied Pit Clausen ist der Hybridspeicher beispielhaft für das Engagement in Sachen Klimaschutz: „Wir werden in den kommenden Jahren noch weitere Projekte dieser Art sehen, die uns bei der Fortschreibung unserer städtischen Klimaschutzziele helfen werden. Gerade die Stadtwerke sind dabei ein wichtiger Partner. Gemeinsam mit unseren Bürgerinnen und Bürgern haben wir die Bereiche Mobilität, Energieversorgung und energetische Stadtentwicklung als wichtige Handlungsfelder analysiert. Genau dort werden die Stadtwerke aktiv. Der Hybridspeicher ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir unsere Energieversorgung in Zukunft neu organisieren können.“
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September/Oktober 2021 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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