Freitag, 22. November 2024

WasserkraftGroße Revision für Kraftwerksgruppe Pfreimd

[14.08.2020] In der Kraftwerksgruppe Pfreimd wird Wasserkraft dreifach verwendet: für die Erzeugung und Speicherung der Energie sowie für die Stabilisierung der Netze. Ziel der aktuellen Revision ist es, das Kraftwerk für den veränderten Energiemarkt fit zu halten und einen Beitrag für den Übergang zur Klimaneutralität zu leisten.
ENGIE Deutschland investiert mehr als zehn Millionen Euro in die Generalüberholung der Kraftwerksgruppe Pfreimd.

ENGIE Deutschland investiert mehr als zehn Millionen Euro in die Generalüberholung der Kraftwerksgruppe Pfreimd.

(Bildquelle: Christoph Busse)

Die Kraftwerksgruppe an der Pfreimd blickt auf eine lange Tradition zurück: Bereits seit mehr als 60 Jahren wird im Osten Bayerns umweltfreundlich Strom erzeugt und gespeichert. Über 13 Flusskilometer erstrecken sich drei Speicherseen – der Hochspeicher Rabenleite, die Kainzmühlsperre und der Speicher Trausnitz – und drei Wasserkraftwerke – die beiden Pumpspeicherkraftwerke Reisach und Tanzmühle sowie das Laufwasserkraftwerk Trausnitz mit Speicher. Das Unternehmen ENGIE Deutschland betreibt die Kraftwerksgruppe Pfreimd seit 2009 und hat die einst als klassisches Pumpspeicher- und Laufwasserkraftwerk gebaute Anlage in mehrfachen Revisionen ertüchtigt. Seit Anfang Mai dieses Jahres läuft die große Revision 2020; dabei gehen die Kraftwerke für rund fünf Monate vom Netz und werden in Teilen generalüberholt. Den ursprünglich für Ende März geplanten Start der Revision hatte ENGIE Deutschland verschoben und den Arbeits- und Gesundheitsschutz um ein umfassendes Pandemie-Konzept mit strengen Schutz- und Hygienemaßnahmen erweitert. Ziel der Arbeiten ist es, Pfreimd auch bei veränderten Erfordernissen der Energiewirtschaft weiterhin hochverfügbar zu halten.

Neue Aufgabe

Denn bei der Errichtung des Kraftwerks in den 1950er-Jahren zielte die wirtschaftliche Planung darauf ab, nachts zu pumpen und tagsüber zu turbinieren. Mit dieser Fahrweise trug die Anlage über Jahrzehnte dazu bei, die untertägigen Verbrauchsspitzen im Stromsystem kostengünstig abzudecken. Im Zuge der Energiewende und des Umbaus des Energiesystems in Deutschland haben die Anlagen inzwischen jedoch eine neue Aufgabe erhalten. Mit den erneuerbaren Energien hat sich die Struktur der Stromerzeugung grundlegend verändert. Für die Deckung der untertägigen Verbrauchsspitzen müssen keine fossilen Kraftwerke mehr hochgefahren und der benötigte Strom aus Pumpspeichern bereitgestellt werden. Das übernehmen in Bayern mittlerweile zu einem großen Teil Solaranlagen, die den Strom tagsüber und die größte Menge dann erzeugen, wenn am meisten Strom gebraucht wird: am Mittag. Heute muss die Fahrweise des Kraftwerks meist auf sehr viel sensiblere und kleinere Lastschwankungen im Stromsystem reagieren, um die Netzfrequenz aufrechtzuerhalten. Durch die Zunahme von volatilem regenerativem Strom muss die Anlage blitzschnell und in präzisen Mengen Energie aus dem Netz abziehen oder in das Netz einspeisen, die so genannte positive oder negative Regelenergie.

Trick für hochpräzise Regelung

Um sich an die neuen Marktgegebenheiten anzupassen, hat sich die Kraftwerksgruppe in den vergangenen Jahren auf die Lieferung von Regelenergie spezialisiert – mit großem Erfolg. Denn die Maschinen des Kraftwerks Reisach können zugleich pumpen und turbinieren, das heißt Energie einspeisen und aufnehmen. Hier entfaltet Wasser seine ausgleichende Kraft. Diese seltene Leistungsfähigkeit verdankt die Anlage einem technischen Trick, der es erlaubt, die Pumpen gleichzeitig mit den Turbinen präzise zu regeln: dem hydraulischen Kurzschluss. Seitdem im Jahr 2013 alle drei Pumpspeichersätze umgerüstet wurden, verfügt die Kraftwerksgruppe Pfreimd über die technischen Möglichkeiten, alle Regelenergiearten anzubieten und kann somit je nach wirtschaftlich günstiger Lage agieren.
Bei allen Revisionen legt ENGIE Deutschland einen Fokus darauf, die Leistung der Anlage weiter zu erhöhen. So wurden beispielsweise bei der Generalüberholung 2015 nicht nur der Druckstollen und das Oberbecken saniert, sondern auch die Turbinenlaufräder ausgetauscht. Dadurch steigerten die Spezialisten die Leistung um acht Prozent. Eine deutliche Verbesserung der erneuerbaren Stromerzeugung erzielt ENGIE Deutschland im Vorfeld der aktuellen Revision durch die Errichtung von zwei Laufwasserturbinen: Im Zuge der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie mit dem Ziel weitreichender Gewässerverbesserungen gab das zuständige Wasserwirtschaftsamt im April 2018 die Auflage vor, die in der Pfreimd verbleibende Mindestwassermenge deutlich zu erhöhen.

Anspruchsvoller Umbau

Dank des anspruchsvollen Umbaus des alten Kraftwerksgebäudes und der Installation von zwei Turbinenanlagen können diese zusätzlich abzugebenden Wassermengen künftig für die weitere Erzeugung von grüner Energie genutzt werden. Dafür setzte ENGIE Deutschland auf Unterstützung aus Italien: Die besonderen lokalen Anforderungen konnten von keiner marktgängigen Turbine erfüllt werden. Schließlich wurden die Experten bei einem Familienbetrieb aus Südtirol fündig, der seit Jahrzehnten auf den Bau kleiner Wasserkraftanlagen spezialisiert ist und orderten zwei kleine Turbinen mit großer Wirkung: Bislang verfügte die Kraftwerksgruppe Pfreimd über drei Laufwasserturbinen mit insgesamt 5.100 Kilowatt (kW) Leistung. Die neuen Turbinen mit 95 kW und 180 kW erhöhen die Erzeugungskapazität zwar nur um 275 kW, da sie jedoch zur kontinuierlichen ökologischen Wasserabgabe ohne Unterbrechung in Betrieb sind, steigt die erzeugte erneuerbare Strommenge um fast ein Drittel – von bislang etwa 5.000 Megawattstunden (MWh) pro Jahr auf künftig mehr als 6.500 MWh pro Jahr.

Tradition und Moderne

Im Rahmen der großen Revision 2020 wird derzeit der Tausch der vier Transformatoren durchgeführt, mit denen die Pumpen und Turbinen mit dem 110-Kilovolt-Stromnetz verbunden sind. Der Austausch, zu dem des Weiteren bauliche Instandhaltungen gehören, soll Anfang September 2020 abgeschlossen werden. In dieser Zeit erfährt die Kraftwerksleittechnik sicherheitsrelevante Erneuerungen an den Kommunikationseinrichtungen. Darüber hinaus werden die Pumpspeichersätze des Kraftwerks Reisach mit modernisierter Turbinenregler-Software ausgestattet, wodurch sie weitere, der Regelleistungsvermarktung dienliche Funktionen erhalten. Auch der elektrische Schutz der Generatoren im Kraftwerk Reisach sowie seine Erregereinrichtungen werden – wie bereits während der Revision 2015 im Kraftwerk Tanzmühle – komplett erneuert.

Bauliche Instandsetzungen

Zudem wird es verschiedene bauliche Instandsetzungen innerhalb der Kraftwerksgruppe geben. Hingegen werden der Einbau neuer Absperrschieber und die damit verbundene Entleerung des Hochspeichers Rabenleite verschoben, da die dafür benötigten Bauteile bislang, bedingt durch die Corona-Pandemie, nicht aus der Schweiz geliefert werden konnten. Bei all diesen Arbeiten setzt ENGIE Deutschland auf die Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen: Die Auftragnehmer reichen vom großen Transformatoren-Hersteller über Bauunternehmen bis hin zu Gerüstbau- und Montagefirmen. ENGIE Deutschland investiert im Rahmen der großen Revision 2020 mehr als zehn Millionen Euro in den Standort, der einen wesentlichen Beitrag zum Übergang zur Klimaneutralität leistet: Das Kraftwerk erzeugt nicht nur CO2-frei Strom in Laufwasserkraftwerken, sondern trägt mit den Pumpspeicherkraftwerken auch zur Stabilisierung der Netze bei. Insgesamt hat ENGIE für den Standort bereits rund 25 Millionen Euro aufgebracht. Das traditionelle Kraftwerk mit modernster Technik geht somit gut gerüstet in Richtung einer klimaneutralen Zukunft.

Dr. Cornel Ensslin

Dr. Ensslin, CornelDr. Cornel Ensslin leitet das Asset- und Projekt-Management für die Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen der ENGIE Deutschland GmbH. Der ausgebildete Maschinenbauingenieur verantwortet seit 2009 die technische Weiterentwicklung der Pumpspeicher-Kraftwerksgruppe Pfreimd.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Wasserkraft
BDW: Wasserkraft ist eine zuverlässige und regelbare Energiequelle.

Strommarktdesign: BDW fordert Wasserkraftstrategie

[27.09.2024] Der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) appelliert an die Bundesregierung, die Potenziale der Wasserkraft stärker zu nutzen und fordert eine umfassende Wasserkraftstrategie, um ungenutzte Kapazitäten zu erschließen. mehr...

Die zweite Power-to-Gas-Anlage von naturenergie in Grenzach-Wyhlen entsteht neben der ersten Anlage aus dem Jahr 2018.

Grenzach-Wyhlen: Spatenstich für Power-to-Gas-Anlage

[17.06.2024] Der Bau einer zweiten Power-to-Gas-Anlage am Wasserkraftwerk Wyhlen hat begonnen, um die Produktion von grünem Wasserstoff bis Ende 2025 um fünf Megawatt zu erweitern. Dieses Projekt ist Teil des staatlich geförderten Reallabors H2-Wyhlen und wird mit 7,5 Millionen Euro unterstützt. mehr...

Das Thesenpapier zeigt

Niedersachsen: Thesenpapier zur kleinen Wasserkraft

[11.06.2024] In einem Thesenpapier hat das Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz jetzt die kleine Wasserkraft kritisiert. Angesichts der ökologischen Schäden ist sie oft nicht sinnvoll. mehr...

In diesem Winter liefen Wasserkraftwerke unter Volllast.

Branchenverbände: Mehr Wasserkraft im Winter

[29.04.2024] Die bayerischen Wasserkraftverbände prognostizieren einen Anstieg der Stromerzeugung aus Wasserkraft aufgrund vermehrter Niederschläge in den Wintermonaten. Dies stärkt die Rolle der Wasserkraftwerke für die Energiewende und die Netzstabilität. mehr...

Laut einer Studie kann Flusswärme in Bayern eine wichtige Rolle für die Wärmeversorgung spielen.

Bayern: Flusswärme als Heizquelle

[26.04.2024] Eine neue Studie zeigt, dass Flusswärme in Bayern eine wichtige Rolle für die Wärmeversorgung und den Klimaschutz spielen kann. Mindestens die Hälfte der bayerischen Städte und Gemeinden könnte ihre Gebäude damit beheizen. mehr...

Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergeben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft.
bericht

Wasserkraft: Unterschätzte Wärmequelle

[25.03.2024] Die flächendeckend in Deutschland zur Verfügung stehenden Fließgewässer bergen ein bislang wenig beachtetes Potenzial für die grüne Wärmegewinnung. Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergäben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft. mehr...

Die Modernisierung und Reaktivierung von Wasserkraftwerken könnte eine zusätzliche Leistung von 7

Studie: Wasserkraft als Gamechanger

[25.03.2024] Die Energy Watch Group stellt eine Studie vor, die Wasserkraftwerke als zentrale Kraft im Kampf gegen den Klimawandel sieht. Das Potenzial zur Energieerzeugung liegt bei über sieben Gigawatt. mehr...

Die bestehende Schwarzenbachtalsperre wird um eine unterirdische Kaverne ergänzt.
bericht

Pumpspeicher: Starkes Leistungsplus aus Forbach

[07.11.2023] Seit über 100 Jahren erzeugt das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach mit Wasserkraft Energie. Nun wird der Standort zum leistungsstarken Pumpspeicherkraftwerk ausgebaut. Da Technik und Speicher in Kavernen verlagert werden, sind die Auswirkungen auf die Umgebung gering. mehr...

Referenten und Verbandsvertreter der Wasserkraft auf dem Wasserkraftseminar 2023 an der TUM Straubing.

Bayern: Wasserkraft mit viel Potenzial

[19.10.2023] Unterschätzte Potenziale der Wasserkraft wurden auf dem diesjährigen Seminar der beiden bayerischen Fachverbände aufgespürt. mehr...

Das 26. Internationale Anwenderforum Kleinwasserkraft findet vom 28. bis 29. September 2023 an der Technischen Hochschule Rosenheim statt.

Anwenderforum Kleinwasserkrafte: Praxisorientierter Austausch

[05.09.2023] Beim diesjährigen Anwenderforum Kleinwasserkraft stehen unter anderem die Themen Cyber-Sicherheit, Planung und Finanzierung von Kleinwasserkraftwerken im Mittelpunkt. Die Veranstaltung findet am 28. und 29. September in Rosenheim statt. mehr...

Das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach erzeugt seit rund 100 Jahren Strom aus Wasserkraft.

EnBW: 280 Millionen für Wasserkraft

[19.05.2023] Das Unternehmen EnBW investiert jetzt in den Um- und Ausbau des Rudolf-Fettweis-Werks in Forbach. mehr...

Als BlueBattery-Standort kann das Wasserkraftwerk Wallsee-Mitterkirchen auch Primärregelleistung liefern.
bericht

Wasserkraft: Grünstrom und Primärregelleistung

[25.04.2023] Im Wasserkraftwerk Wallsee-Mitterkirchen ist die mit Abstand größte Kraftwerksbatterie Österreichs verbaut. Als so genannter BlueBattery-Standort liefert es nun nicht mehr nur Strom, sondern kann auch kurzfristig Primärregelleistung zur Verfügung stellen. mehr...

Traditionelle Standorte wie das Jugendstil-Kraftwerk Heimbach können bis heute wertvolle Energie aus Wasserkraft liefern.
bericht

Wasserkraft: Potenziale naturverträglich nutzen

[04.04.2023] In Nordrhein-Westfalen könnte aus der Wasserkraft noch mehr Energie erzeugt werden. Bestehende Anlagen sollten modernisiert und an vorhandenen Staustufen neue Kraftwerke errichtet werden. Hemmnisse und Hürden erschweren aber entsprechende Vorhaben bis hin zur Aufgabe. mehr...

Das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach soll ausgebaut werden.

EnBW: Wasserkraftwerk kann erweitert werden

[16.03.2023] Das Laufwasser- und Speicherkraftwerk in Forbach im Schwarzwald soll umgebaut und erweitert werden. Dafür hat EnBW jetzt die behördliche Genehmigung erhalten. mehr...

Wasserkraft: Potenziale rechtlich neu bewertet

[15.03.2023] Ein vom Wasserkraftverband Mitteldeutschland in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die neuen Gewichtungsvorgaben nach § 2 EEG 2023 bei allen behördlichen Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Dies würde einen erheblichen Schub für Wasserkraftprojekte bedeuten. mehr...