WasserkraftGroße Revision für Kraftwerksgruppe Pfreimd
Die Kraftwerksgruppe an der Pfreimd blickt auf eine lange Tradition zurück: Bereits seit mehr als 60 Jahren wird im Osten Bayerns umweltfreundlich Strom erzeugt und gespeichert. Über 13 Flusskilometer erstrecken sich drei Speicherseen – der Hochspeicher Rabenleite, die Kainzmühlsperre und der Speicher Trausnitz – und drei Wasserkraftwerke – die beiden Pumpspeicherkraftwerke Reisach und Tanzmühle sowie das Laufwasserkraftwerk Trausnitz mit Speicher. Das Unternehmen ENGIE Deutschland betreibt die Kraftwerksgruppe Pfreimd seit 2009 und hat die einst als klassisches Pumpspeicher- und Laufwasserkraftwerk gebaute Anlage in mehrfachen Revisionen ertüchtigt. Seit Anfang Mai dieses Jahres läuft die große Revision 2020; dabei gehen die Kraftwerke für rund fünf Monate vom Netz und werden in Teilen generalüberholt. Den ursprünglich für Ende März geplanten Start der Revision hatte ENGIE Deutschland verschoben und den Arbeits- und Gesundheitsschutz um ein umfassendes Pandemie-Konzept mit strengen Schutz- und Hygienemaßnahmen erweitert. Ziel der Arbeiten ist es, Pfreimd auch bei veränderten Erfordernissen der Energiewirtschaft weiterhin hochverfügbar zu halten.
Neue Aufgabe
Denn bei der Errichtung des Kraftwerks in den 1950er-Jahren zielte die wirtschaftliche Planung darauf ab, nachts zu pumpen und tagsüber zu turbinieren. Mit dieser Fahrweise trug die Anlage über Jahrzehnte dazu bei, die untertägigen Verbrauchsspitzen im Stromsystem kostengünstig abzudecken. Im Zuge der Energiewende und des Umbaus des Energiesystems in Deutschland haben die Anlagen inzwischen jedoch eine neue Aufgabe erhalten. Mit den erneuerbaren Energien hat sich die Struktur der Stromerzeugung grundlegend verändert. Für die Deckung der untertägigen Verbrauchsspitzen müssen keine fossilen Kraftwerke mehr hochgefahren und der benötigte Strom aus Pumpspeichern bereitgestellt werden. Das übernehmen in Bayern mittlerweile zu einem großen Teil Solaranlagen, die den Strom tagsüber und die größte Menge dann erzeugen, wenn am meisten Strom gebraucht wird: am Mittag. Heute muss die Fahrweise des Kraftwerks meist auf sehr viel sensiblere und kleinere Lastschwankungen im Stromsystem reagieren, um die Netzfrequenz aufrechtzuerhalten. Durch die Zunahme von volatilem regenerativem Strom muss die Anlage blitzschnell und in präzisen Mengen Energie aus dem Netz abziehen oder in das Netz einspeisen, die so genannte positive oder negative Regelenergie.
Trick für hochpräzise Regelung
Um sich an die neuen Marktgegebenheiten anzupassen, hat sich die Kraftwerksgruppe in den vergangenen Jahren auf die Lieferung von Regelenergie spezialisiert – mit großem Erfolg. Denn die Maschinen des Kraftwerks Reisach können zugleich pumpen und turbinieren, das heißt Energie einspeisen und aufnehmen. Hier entfaltet Wasser seine ausgleichende Kraft. Diese seltene Leistungsfähigkeit verdankt die Anlage einem technischen Trick, der es erlaubt, die Pumpen gleichzeitig mit den Turbinen präzise zu regeln: dem hydraulischen Kurzschluss. Seitdem im Jahr 2013 alle drei Pumpspeichersätze umgerüstet wurden, verfügt die Kraftwerksgruppe Pfreimd über die technischen Möglichkeiten, alle Regelenergiearten anzubieten und kann somit je nach wirtschaftlich günstiger Lage agieren.
Bei allen Revisionen legt ENGIE Deutschland einen Fokus darauf, die Leistung der Anlage weiter zu erhöhen. So wurden beispielsweise bei der Generalüberholung 2015 nicht nur der Druckstollen und das Oberbecken saniert, sondern auch die Turbinenlaufräder ausgetauscht. Dadurch steigerten die Spezialisten die Leistung um acht Prozent. Eine deutliche Verbesserung der erneuerbaren Stromerzeugung erzielt ENGIE Deutschland im Vorfeld der aktuellen Revision durch die Errichtung von zwei Laufwasserturbinen: Im Zuge der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie mit dem Ziel weitreichender Gewässerverbesserungen gab das zuständige Wasserwirtschaftsamt im April 2018 die Auflage vor, die in der Pfreimd verbleibende Mindestwassermenge deutlich zu erhöhen.
Anspruchsvoller Umbau
Dank des anspruchsvollen Umbaus des alten Kraftwerksgebäudes und der Installation von zwei Turbinenanlagen können diese zusätzlich abzugebenden Wassermengen künftig für die weitere Erzeugung von grüner Energie genutzt werden. Dafür setzte ENGIE Deutschland auf Unterstützung aus Italien: Die besonderen lokalen Anforderungen konnten von keiner marktgängigen Turbine erfüllt werden. Schließlich wurden die Experten bei einem Familienbetrieb aus Südtirol fündig, der seit Jahrzehnten auf den Bau kleiner Wasserkraftanlagen spezialisiert ist und orderten zwei kleine Turbinen mit großer Wirkung: Bislang verfügte die Kraftwerksgruppe Pfreimd über drei Laufwasserturbinen mit insgesamt 5.100 Kilowatt (kW) Leistung. Die neuen Turbinen mit 95 kW und 180 kW erhöhen die Erzeugungskapazität zwar nur um 275 kW, da sie jedoch zur kontinuierlichen ökologischen Wasserabgabe ohne Unterbrechung in Betrieb sind, steigt die erzeugte erneuerbare Strommenge um fast ein Drittel – von bislang etwa 5.000 Megawattstunden (MWh) pro Jahr auf künftig mehr als 6.500 MWh pro Jahr.
Tradition und Moderne
Im Rahmen der großen Revision 2020 wird derzeit der Tausch der vier Transformatoren durchgeführt, mit denen die Pumpen und Turbinen mit dem 110-Kilovolt-Stromnetz verbunden sind. Der Austausch, zu dem des Weiteren bauliche Instandhaltungen gehören, soll Anfang September 2020 abgeschlossen werden. In dieser Zeit erfährt die Kraftwerksleittechnik sicherheitsrelevante Erneuerungen an den Kommunikationseinrichtungen. Darüber hinaus werden die Pumpspeichersätze des Kraftwerks Reisach mit modernisierter Turbinenregler-Software ausgestattet, wodurch sie weitere, der Regelleistungsvermarktung dienliche Funktionen erhalten. Auch der elektrische Schutz der Generatoren im Kraftwerk Reisach sowie seine Erregereinrichtungen werden – wie bereits während der Revision 2015 im Kraftwerk Tanzmühle – komplett erneuert.
Bauliche Instandsetzungen
Zudem wird es verschiedene bauliche Instandsetzungen innerhalb der Kraftwerksgruppe geben. Hingegen werden der Einbau neuer Absperrschieber und die damit verbundene Entleerung des Hochspeichers Rabenleite verschoben, da die dafür benötigten Bauteile bislang, bedingt durch die Corona-Pandemie, nicht aus der Schweiz geliefert werden konnten. Bei all diesen Arbeiten setzt ENGIE Deutschland auf die Zusammenarbeit mit regionalen Unternehmen: Die Auftragnehmer reichen vom großen Transformatoren-Hersteller über Bauunternehmen bis hin zu Gerüstbau- und Montagefirmen. ENGIE Deutschland investiert im Rahmen der großen Revision 2020 mehr als zehn Millionen Euro in den Standort, der einen wesentlichen Beitrag zum Übergang zur Klimaneutralität leistet: Das Kraftwerk erzeugt nicht nur CO2-frei Strom in Laufwasserkraftwerken, sondern trägt mit den Pumpspeicherkraftwerken auch zur Stabilisierung der Netze bei. Insgesamt hat ENGIE für den Standort bereits rund 25 Millionen Euro aufgebracht. Das traditionelle Kraftwerk mit modernster Technik geht somit gut gerüstet in Richtung einer klimaneutralen Zukunft.
Dieser Beitrag ist in der Augabe Juli/August 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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