InterviewGlobal denken, lokal handeln
Herr Oberbürgermeister Rapp, viele Städte rufen derzeit den Klimanotstand aus. Warum ist das für Sie keine Option?
Der Begriff ist meiner Meinung nach unglücklich gewählt. Notstand kann den Eindruck vermitteln, dass es nicht mehr genug Zeit gibt, um zu diskutieren und demokratische Entscheidungen zu treffen. Ich denke, so schaffen wir es nicht, die Mehrheit der Bevölkerung für den Klimaschutz zu gewinnen. Positiv ist, dass die Städte einen Klimavorbehalt fordern und somit vor jeder Entscheidung des Rates und der Verwaltung abgewägt wird, welche Auswirkung sie etwa hinsichtlich ihrer CO2-Bilanz hat.
Ravensburg hat schon vor vier Jahren 86 Prozent der Anforderungen des European Energy Awards (EEA) erfüllt. Welche Maßnahmen haben dazu beigetragen?
Hier geht es um ein ganzes Bündel an Maßnahmen, beispielsweise in den Bereichen Energieeffizienz, Energieeinsparung oder Energie-Management. Darauf sind wir natürlich stolz. Mich interessieren aber eher die 14 Prozent, die noch fehlen. Bei keinem Thema gilt so logisch und konsequent wie beim Klimawandel: global denken, lokal handeln. Die Kommunen und Stadtwerke sind in der Verantwortung, die notwendigen Maßnahmen vor Ort umzusetzen. Alleine durch den EEA wird das keinesfalls gelingen. Es sind so viele Bereiche involviert, von Gebäuden und Mobilität über Kompensation, Bewusstseinschaffung und Bildung bis hin zum Thema Wiederaufforstung von Wäldern – da muss eine ganzheitliche Antwort gefunden werden.
Welche Antworten gibt Ihre Stadt?
Ravensburg hat als erste Stadt in Deutschland ein Gremium parallel zum Gemeinderat ins Leben gerufen, das Klimaparlament. Es setzt sich aus allen Fraktionen zusammen, die im Gemeinderat vertreten sind. Hinzu kommen Experten, beispielsweise aus Naturschutzverbänden oder der Wirtschaft. Außerdem haben wir Bürger mit eingebunden, die über ein repräsentatives Losverfahren zufällig ausgewählt wurden. Unser Vorbild dafür ist das Vorarlberger Modell für Direkte Demokratie. In Vorarlberg haben wir uns auch verschiedene Best-Practice-Beispiele im Bereich Mobilität, Energieeinsparung und -erzeugung angesehen. So konnte das Klimaparlament schon einige Ziele erarbeiten, die wir in Ravensburg ganz konkret mit Maßnahmen und Projekten umsetzen wollen.
„Vorbild ist das Vorarlberger Modell für Direkte Demokratie.”
Ravensburg war schon vor 20 Jahren Modellkommune für ökologische Stadt- und Gemeindeentwicklung. Wie wirkt sich dies auf die heutige Situation aus?
Jeder Oberbürgermeister steht auf den Schultern seiner Vorgänger und mein direkter Vorgänger, Herrmann Vogler, war ein absoluter Visionär, was das Thema Klimaschutz angeht. Er hat das Projekt der ökologischen Modellstadt mit einer breiten Mehrheit im Gemeinderat und in der Bevölkerung vorangetrieben. Das wichtigste Ergebnis aus dieser Zeit ist, dass hier in Ravensburg die erste Energieagentur in Deutschland entstanden ist. Diese konnte über die Beratung von Privatleuten, Unternehmen und Verwaltungen maßgeblich dazu beitragen, in den einzelnen Kommunen konkrete Maßnahmen zu erarbeiten. Auch der EEA wurde so vorangebracht.
Welchen Beitrag leisten die Fachämter zu den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit?
Wir haben das Umweltamt geschaffen, in dem verschiedene bereits bestehende Bereiche gebündelt wurden, darunter beispielsweise das Grünflächenamt, das Amt der Klimaschutz-Managerin oder das Amt für Luftreinhaltung. Die Leiterin des Amtes, Veerle Buytaert, ist unsere ehemalige Klimaschutz-Managerin. Sie bringt viel Erfahrung mit und war unter anderem früher bei der EU-Verwaltung in Brüssel angestellt. Sie kennt sich beispielsweise sehr gut im Bereich der Förderungen für Umweltschutzprojekte aus.
Welche Rolle spielen die Technischen Werke Schussental (TWS) für die Energie- und Klimapolitik der Stadt?
Es ist in jedem Fall hilfreich, wenn man einen eigenen kommunalen Energieversorger hat. Über die Zielvorstellungen der Gesellschafter und des Aufsichtsrats lässt sich Klimapolitik dann konkret umsetzen. Neben dem Beschluss, dass die TWS ausschließlich Ökostrom anbieten, wurde auch entschieden, dass der ganze Wärmebereich als Geschäftsfeld auf sie übertragen wird. Der Aufbau von Nahwärmenetzen und deren Finanzierung sowie die der erforderlichen Energiegewinnung, beispielsweise über Blockheizkraftwerke oder Geothermie, wird über die TWS möglich.
Ohne Unterstützung der Bürger sind Maßnahmen für besseren Klimaschutz kaum umzusetzen. Wie beteiligen Sie die Einwohner?
Wir beziehen die Bürger über die normale politische Beteiligung hinaus ein. Es gibt beispielsweise die so genannte quartiersbezogene Beteiligung, bei der wir die Meinung der Bürger zu Themen wie Stadtentwicklung, Mikroklima und Freiflächen einholen. #bild2 Die Ravensburger werden aber auch ganz projektbezogen eingebunden. Ein Beispiel dafür ist die Gestaltung einer neuen Fußgängerzone in der Altstadt. Wir haben zwei Bürgergruppen damit beauftragt mit der Unterstützung von externen Planern jeweils einen Entwurf für den neuen Platz zu gestalten – ohne das Zutun von Mitarbeitern der Verwaltung. Der Gemeinderat hat sich dann für eine der beiden Varianten entschieden.
Sie wollen auch den innerstädtischen Verkehr weiter zurückdrängen.
Ich bin der Meinung, dass man den innerstädtischen Verkehr mithilfe von Push- und Pull-Konzepten sinnvoll eindämmen kann, etwa über bessere ÖPNV-Angebote, bessere Radwege und für Fußgänger attraktive Strecken – oder über höhere Parkgebühren und weniger Parkraum. Natürlich gibt es im Einzelhandel auch kritische Meinungen dazu. Manche sind der Ansicht, es sei das Allerwichtigste, dass die Innenstadt so einfach wie möglich mit dem Auto erreichbar ist. Ich sehe das allerdings anders: Ein Aspekt, bei dem wir den Online-Handel nie besiegen werden, ist die Bequemlichkeit. Deswegen muss man sich doch fragen, welche Vorzüge das Einkaufen in der Stadt hat, die das Online-Shopping nicht bieten kann – wie Begegnung, Erlebnis, Zusammensitzen oder der Duft von Kaffee. Aufenthaltsqualität ist das Schlagwort, da müssen sich die Städte noch enorm weiterentwickeln.
Wie beurteilen Sie den Wert einer ernsthaften Klimaschutzpolitik als Standortfaktor für die Stadt?
Als sehr hoch. Erstens geht es dabei um die geopolitische Verantwortung. Das ist auch vielen Bürgern wichtig. Zweitens ergeben sich daraus auch etliche Chancen für die Lebensqualität. Wir haben hier natürlich ohnehin schon eine hohe Lebensqualität, die sich trotzdem noch steigern lässt. Weniger Stress durch weniger Verkehrsstau könnte ein entscheidender Faktor dafür sein. Manchmal ist es besser zu Fuß zu gehen, wir Menschen sind ja von Natur aus für Bewegung geschaffen. In einem attraktiven Raum, stressfrei und ohne Gestank zu leben, ganz geerdet und mit den Füßen auf dem Boden, das hat doch viele Vorteile.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe März/April 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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