Samstag, 23. November 2024

WasserkraftGezeiten des Wandels

[24.07.2015] Die Wasserkraft gilt als eine der wichtigsten regenerativen Energiequellen Europas. Dennoch findet in Deutschland das Thema bislang kaum Beachtung. Um die Bedeutung der Wasserkraft hervorzuheben, hat das Unternehmen Voith Hydro daher eine Expertenumfrage durchgeführt.
Das Potenzial der Wasserkraft ist groß.

Das Potenzial der Wasserkraft ist groß.

(Bildquelle: Digitalpress/Fotolia.com)

Wasser gilt als Ursprung des Lebens. In vielen Kulturen ist es auch Quelle von Macht und damit Gegenstand politischer wie wirtschaftlicher Interessen. Das ist in industriell geprägten Gesellschaften nicht viel anders. Denn trotz allen Überflusses: Wasser ist nicht nur eine wichtige Ressource etwa für die Landwirtschaft, sondern spielt auch bei der Energiegewinnung eine entscheidende Rolle. Paradoxerweise findet in den Medien als auch in der Politik ein Diskurs zum Thema Wasserkraft bislang kaum statt. Wenn in Deutschland von der Förderung erneuerbarer Energien oder eines neuen Strommarktdesigns die Rede ist, so fällt der Blick meist nur auf großflächige Windparks oder ausgedehnte Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Dabei gilt die Wasserkraft als eine der ältesten Formen erneuerbarer Stromerzeugung. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts versorgen Wasserkraftwerke die Bevölkerung zuverlässig mit Energie. Heute beträgt ihr Anteil an der nationalen Energieversorgung jedoch gerade einmal 3,5 Prozent. Anders als in Deutschland wird die Wasserkraft in vielen europäischen Ländern intensiv genutzt – vor allem in Skandinavien. So deckt etwa Norwegen fast seinen kompletten Strombedarf mit dieser Form der Energieerzeugung. Europaweit beträgt der Anteil der Wasserkraft an den erneuerbaren Energien mittlerweile 35 Prozent. Weiterer Zuwachs ist – ungeachtet des Zubaus an Photovoltaik und Windenergie – keineswegs ausgeschlossen. „Die Potenziale der Wasserkraft sind längst nicht ausgeschöpft“, erklärt Heike Bergmann, Mitglied der Geschäftsführung des Unternehmens Voith Hydro Deutschland. „Deswegen ist es an der Zeit, diese Technologie wieder in den Fokus der Energiepolitik zu rücken.“

Umfrage zur Wasserkraft

Voith Hydro hatte das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid damit beauftragt, eine Expertenumfrage zum Thema Wasserkraftnutzung durchzuführen. Dazu wurden 600 Personen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden und Norwegen telefonisch befragt. Ziel war es, eine fachliche Perspektive auf die Wasserkraft herauszuarbeiten und gleichzeitig deren Bedeutung im Kontext der Energiewende in Europa zu beleuchten. Die Experten kommen aus Wirtschaftsverbänden, Umweltverbänden, der Stromversorgung oder der Energiepolitik. Aber auch Vertreter von Aufsichtsbehörden, Energie- und Infrastrukturplaner sowie Journalisten wurden befragt. Die Studie zeigt deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung der Wasserkraft in den verschiedenen Ländern. Während in Deutschland etwas weniger als die Hälfte der Befragten (46 Prozent) der Aussage zustimmen, die Wasserkraft habe noch viel ungenutztes Potenzial, sind es etwa in Norwegen nicht ganz zwei Drittel (63 Prozent). Gleichzeitig macht eine große Mehrheit der befragten Experten in Deutschland die Politik dafür verantwortlich, dass die Wasserkraft nicht ausreichend gefördert wird (63 Prozent). 81 Prozent sind zudem der Ansicht, dass politische Entscheidungen einen Hinderungsgrund für den weiteren Ausbau der Wasserkraft darstellen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit weit an der Spitze. Trotz der allgemein guten Akzeptanz der Wasserkraft fehlt es aus Sicht der Experten nach wie vor an politischem Willen. Geringe länderspezifische Unterschiede gibt es hingegen bei der Bewertung der Wasserkraft im Kontext der Energiewende. In allen fünf Studienländern bestätigen die befragten Experten den niedrigen CO2-Ausstoß (96 Prozent) und die Umweltfreundlichkeit (92 Prozent) der Wasserkraftnutzung. Zugleich bescheinigen sie den Anlagen Zuverlässigkeit und Stabilität (95 Prozent), einen hohen Wirkungsgrad (88 Prozent) und langfristige Rentabilität (83 Prozent). Im europäischen Kontext spielt zudem die gute Speicherfähigkeit der Technologie (84 Prozent) eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt wegen dieser Eigenschaften wird die Wasserkraftnutzung von den europäischen Experten als ein wichtiger Faktor für das Erreichen der Klimaziele angesehen.

Enormes Entwicklungspotenzial

Aus Sicht von Voith Hydro besitzt die Wasserkraft auf gleich mehreren Ebenen enormes Entwicklungspotenzial: Zum einen sind bislang nur 7.000 der rund 50.000 existierenden Staudämme in Deutschland mit Wasserkraftwerken erschlossen. Mithilfe von Kompaktturbinen könnten bereits existierende Dämme und Wehre zur weiteren Stromerzeugung genutzt werden. Zum anderen ermöglichen technologische Weiterentwicklungen, Innovationen und Modernisierungen, die Effizienz bestehender Anlagen zu steigern und ökologische Standards zu erfüllen: Fische werden über Lockströmungen und Fischtreppen an Krafthäusern vorbeigeführt. Neueste Laufradschaufeln verbessern die Wasserqualität und sorgen beispielsweise dafür, dass die Verletzungsgefahr für Fische minimiert ist, die dennoch in die Turbinen gelangen. Zudem schonen technologische Lösungen wie eine ölfreie Nabe die Umwelt. 90 Prozent der befragten Experten sind der Meinung, dass bei der Förderung der Wasserkraft die Modernisierung und der Ausbau bestehender Anlagen im Vordergrund stehen sollten. Voith Hydro verdeutlicht dies am Beispiel der Modernisierung des Kraftwerks Rheinfelden in Baden-Württemberg: Mit einem Anstieg der Stromproduktion von 185 auf 600 Millionen Kilowattstunden pro Jahr hat sich die Leistungsfähigkeit des Kraftwerks mehr als verdreifacht. Zudem werten zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen den Raum ökologisch auf. Kernstück ist ein rund 900 Meter langes naturnahes Fließgewässer, das den bisherigen Kraftwerkskanal in einen Lebensraum für zahlreiche Fisch- und Pflanzenarten verwandelt. Insgesamt wurden 64 Ausgleichsmaßnahmen, wie der Erhalt charakteristischer Stromschnellen im Rhein oder der Bau eines Fischaufstiegs- und Laichgewässers umgesetzt. Eine weitere Maßnahme zur Förderung der Wasserkraft stellt die Nutzung von Pumpspeicherwerken dar. Die zunehmende Nutzung fluktuierender Energiequellen wie Wind und Sonne hat zur Folge, dass die Energiemenge im Stromnetz immer öfter schwankt – mal wird zu viel und mal zu wenig Energie in das Netz eingespeist. Um dies auszugleichen, setzten viele Experten in Europa auf flexible Energieerzeuger und leistungsfähige Speicher. Diese können den Einsatz thermischer Kraftwerke, etwa Gaskraftwerke, reduzieren.

Stromengpässe vermeiden

Mithilfe von Pumpspeicherkraftwerken lassen sich einerseits die Folgen von Engpässen bei der Energieversorgung ausgleichen, da sie bei höherem Bedarf Strom in Sekundenschnelle in das Netz einspeisen können. Andererseits können Pumpspeicherkraftwerke durch das Einspeichern überschüssiger Energie die Abregelung von Wind- und Photovoltaikanlagen vermeiden. Hierdurch wird das volle Potenzial der installierten erneuerbaren Energien genutzt. Zudem werden Prognosefehler bei der Erzeugung von Wind- und Solarenergie erfolgreich ausgeglichen. Gegenüber anderen Speichertechnologien überzeugen Pumpspeicher auch durch die Bereitstellung hoher Strommengen bei deutlich niedrigeren Kosten pro Kilowattstunde sowie durch geringere Auswirkungen auf die Umwelt. Sorgen kräftiger Wind und viel Sonne für einen Stromüberschuss im Netz, schaltet das Kraftwerk auf Pumpbetrieb: Elektromotoren treiben Pumpen an, die Wasser aus einem Reservoir in ein höher gelegenes Becken befördern. Steigt die Stromnachfrage, lässt man das Wasser von oben wieder nach unten ab. Das Wasser durchströmt Turbinen, die ihrerseits Generatoren antreiben. Innerhalb von Sekunden wird Strom erzeugt und in das Netz eingespeist. Zudem verfügen Pumpspeicher über die Schwarz-Start-Fähigkeit, die im Falle von Blackouts kurzfristig wieder Strom zum Anfahren und Stabilisieren des Stromnetzes zur Verfügung stellt. Diese Flexibilität macht Pumpspeicher zu Multifunktionskraftwerken. Sie können Dienstleistungen für das gesamte Energiesystem bereitstellen und so zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit beitragen.

Batterie Europas

Zu guter Letzt geht es bei der Förderung der Wasserkraft auch um Zusammenarbeit. „Für das Gelingen einer europäischen Energiewende braucht es eine starke Kooperation auf europäischer Ebene“, sagt Bergmann. Es bedürfe auch des koordinierten, länderübergreifenden Einsatzes von Energiespeichern. „Die grenzüberschreitende Nutzung kann der Versorgungssicherheit und Netzstabilität sowie der langfristigen Energieimportunabhängigkeit Europas dienen.“ Voith Hydro setze sich daher für die Etablierung eines europäischen Energieverbundes ein. „Mit einem europäischen Energieverbund könnten wir die geografischen Vorteile viel besser nutzen und Deutschland, Österreich und die Schweiz könnten mithilfe von Pumpspeichern zur Batterie Europas werden.“ Doch dazu müsste das Thema Wasserkraft erst einmal im Energiediskurs ankommen. Auf politischer Ebene müssten Entscheidungen getroffen werden, die bürokratische Hemmnisse abbauen und die Wasserkraftnutzung effektiv und angemessen fördern. Deutschland könnte hier einiges von seinen Nachbarn lernen. Wenn die Energiewende gelingen soll – da sind sich die Experten einig – darf die Politik die Wasserkraft nicht als Energiequelle zweiter Klasse behandeln.

Marc Tosenberger




Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Wasserkraft
BDW: Wasserkraft ist eine zuverlässige und regelbare Energiequelle.

Strommarktdesign: BDW fordert Wasserkraftstrategie

[27.09.2024] Der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) appelliert an die Bundesregierung, die Potenziale der Wasserkraft stärker zu nutzen und fordert eine umfassende Wasserkraftstrategie, um ungenutzte Kapazitäten zu erschließen. mehr...

Die zweite Power-to-Gas-Anlage von naturenergie in Grenzach-Wyhlen entsteht neben der ersten Anlage aus dem Jahr 2018.

Grenzach-Wyhlen: Spatenstich für Power-to-Gas-Anlage

[17.06.2024] Der Bau einer zweiten Power-to-Gas-Anlage am Wasserkraftwerk Wyhlen hat begonnen, um die Produktion von grünem Wasserstoff bis Ende 2025 um fünf Megawatt zu erweitern. Dieses Projekt ist Teil des staatlich geförderten Reallabors H2-Wyhlen und wird mit 7,5 Millionen Euro unterstützt. mehr...

Das Thesenpapier zeigt

Niedersachsen: Thesenpapier zur kleinen Wasserkraft

[11.06.2024] In einem Thesenpapier hat das Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz jetzt die kleine Wasserkraft kritisiert. Angesichts der ökologischen Schäden ist sie oft nicht sinnvoll. mehr...

In diesem Winter liefen Wasserkraftwerke unter Volllast.

Branchenverbände: Mehr Wasserkraft im Winter

[29.04.2024] Die bayerischen Wasserkraftverbände prognostizieren einen Anstieg der Stromerzeugung aus Wasserkraft aufgrund vermehrter Niederschläge in den Wintermonaten. Dies stärkt die Rolle der Wasserkraftwerke für die Energiewende und die Netzstabilität. mehr...

Laut einer Studie kann Flusswärme in Bayern eine wichtige Rolle für die Wärmeversorgung spielen.

Bayern: Flusswärme als Heizquelle

[26.04.2024] Eine neue Studie zeigt, dass Flusswärme in Bayern eine wichtige Rolle für die Wärmeversorgung und den Klimaschutz spielen kann. Mindestens die Hälfte der bayerischen Städte und Gemeinden könnte ihre Gebäude damit beheizen. mehr...

Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergeben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft.
bericht

Wasserkraft: Unterschätzte Wärmequelle

[25.03.2024] Die flächendeckend in Deutschland zur Verfügung stehenden Fließgewässer bergen ein bislang wenig beachtetes Potenzial für die grüne Wärmegewinnung. Durch kombinierte Wasser-Wärme-Kraftwerke ergäben sich vollkommen neue Nutzungsperspektiven für die Wasserkraft. mehr...

Die Modernisierung und Reaktivierung von Wasserkraftwerken könnte eine zusätzliche Leistung von 7

Studie: Wasserkraft als Gamechanger

[25.03.2024] Die Energy Watch Group stellt eine Studie vor, die Wasserkraftwerke als zentrale Kraft im Kampf gegen den Klimawandel sieht. Das Potenzial zur Energieerzeugung liegt bei über sieben Gigawatt. mehr...

Die bestehende Schwarzenbachtalsperre wird um eine unterirdische Kaverne ergänzt.
bericht

Pumpspeicher: Starkes Leistungsplus aus Forbach

[07.11.2023] Seit über 100 Jahren erzeugt das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach mit Wasserkraft Energie. Nun wird der Standort zum leistungsstarken Pumpspeicherkraftwerk ausgebaut. Da Technik und Speicher in Kavernen verlagert werden, sind die Auswirkungen auf die Umgebung gering. mehr...

Referenten und Verbandsvertreter der Wasserkraft auf dem Wasserkraftseminar 2023 an der TUM Straubing.

Bayern: Wasserkraft mit viel Potenzial

[19.10.2023] Unterschätzte Potenziale der Wasserkraft wurden auf dem diesjährigen Seminar der beiden bayerischen Fachverbände aufgespürt. mehr...

Das 26. Internationale Anwenderforum Kleinwasserkraft findet vom 28. bis 29. September 2023 an der Technischen Hochschule Rosenheim statt.

Anwenderforum Kleinwasserkrafte: Praxisorientierter Austausch

[05.09.2023] Beim diesjährigen Anwenderforum Kleinwasserkraft stehen unter anderem die Themen Cyber-Sicherheit, Planung und Finanzierung von Kleinwasserkraftwerken im Mittelpunkt. Die Veranstaltung findet am 28. und 29. September in Rosenheim statt. mehr...

Das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach erzeugt seit rund 100 Jahren Strom aus Wasserkraft.

EnBW: 280 Millionen für Wasserkraft

[19.05.2023] Das Unternehmen EnBW investiert jetzt in den Um- und Ausbau des Rudolf-Fettweis-Werks in Forbach. mehr...

Als BlueBattery-Standort kann das Wasserkraftwerk Wallsee-Mitterkirchen auch Primärregelleistung liefern.
bericht

Wasserkraft: Grünstrom und Primärregelleistung

[25.04.2023] Im Wasserkraftwerk Wallsee-Mitterkirchen ist die mit Abstand größte Kraftwerksbatterie Österreichs verbaut. Als so genannter BlueBattery-Standort liefert es nun nicht mehr nur Strom, sondern kann auch kurzfristig Primärregelleistung zur Verfügung stellen. mehr...

Traditionelle Standorte wie das Jugendstil-Kraftwerk Heimbach können bis heute wertvolle Energie aus Wasserkraft liefern.
bericht

Wasserkraft: Potenziale naturverträglich nutzen

[04.04.2023] In Nordrhein-Westfalen könnte aus der Wasserkraft noch mehr Energie erzeugt werden. Bestehende Anlagen sollten modernisiert und an vorhandenen Staustufen neue Kraftwerke errichtet werden. Hemmnisse und Hürden erschweren aber entsprechende Vorhaben bis hin zur Aufgabe. mehr...

Das Rudolf-Fettweis-Werk in Forbach soll ausgebaut werden.

EnBW: Wasserkraftwerk kann erweitert werden

[16.03.2023] Das Laufwasser- und Speicherkraftwerk in Forbach im Schwarzwald soll umgebaut und erweitert werden. Dafür hat EnBW jetzt die behördliche Genehmigung erhalten. mehr...

Wasserkraft: Potenziale rechtlich neu bewertet

[15.03.2023] Ein vom Wasserkraftverband Mitteldeutschland in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die neuen Gewichtungsvorgaben nach § 2 EEG 2023 bei allen behördlichen Entscheidungen zu berücksichtigen sind. Dies würde einen erheblichen Schub für Wasserkraftprojekte bedeuten. mehr...