WasserkraftGezeiten des Wandels
Wasser gilt als Ursprung des Lebens. In vielen Kulturen ist es auch Quelle von Macht und damit Gegenstand politischer wie wirtschaftlicher Interessen. Das ist in industriell geprägten Gesellschaften nicht viel anders. Denn trotz allen Überflusses: Wasser ist nicht nur eine wichtige Ressource etwa für die Landwirtschaft, sondern spielt auch bei der Energiegewinnung eine entscheidende Rolle. Paradoxerweise findet in den Medien als auch in der Politik ein Diskurs zum Thema Wasserkraft bislang kaum statt. Wenn in Deutschland von der Förderung erneuerbarer Energien oder eines neuen Strommarktdesigns die Rede ist, so fällt der Blick meist nur auf großflächige Windparks oder ausgedehnte Photovoltaik-Freiflächenanlagen. Dabei gilt die Wasserkraft als eine der ältesten Formen erneuerbarer Stromerzeugung. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts versorgen Wasserkraftwerke die Bevölkerung zuverlässig mit Energie. Heute beträgt ihr Anteil an der nationalen Energieversorgung jedoch gerade einmal 3,5 Prozent. Anders als in Deutschland wird die Wasserkraft in vielen europäischen Ländern intensiv genutzt – vor allem in Skandinavien. So deckt etwa Norwegen fast seinen kompletten Strombedarf mit dieser Form der Energieerzeugung. Europaweit beträgt der Anteil der Wasserkraft an den erneuerbaren Energien mittlerweile 35 Prozent. Weiterer Zuwachs ist – ungeachtet des Zubaus an Photovoltaik und Windenergie – keineswegs ausgeschlossen. „Die Potenziale der Wasserkraft sind längst nicht ausgeschöpft“, erklärt Heike Bergmann, Mitglied der Geschäftsführung des Unternehmens Voith Hydro Deutschland. „Deswegen ist es an der Zeit, diese Technologie wieder in den Fokus der Energiepolitik zu rücken.“
Umfrage zur Wasserkraft
Voith Hydro hatte das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid damit beauftragt, eine Expertenumfrage zum Thema Wasserkraftnutzung durchzuführen. Dazu wurden 600 Personen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Schweden und Norwegen telefonisch befragt. Ziel war es, eine fachliche Perspektive auf die Wasserkraft herauszuarbeiten und gleichzeitig deren Bedeutung im Kontext der Energiewende in Europa zu beleuchten. Die Experten kommen aus Wirtschaftsverbänden, Umweltverbänden, der Stromversorgung oder der Energiepolitik. Aber auch Vertreter von Aufsichtsbehörden, Energie- und Infrastrukturplaner sowie Journalisten wurden befragt. Die Studie zeigt deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung der Wasserkraft in den verschiedenen Ländern. Während in Deutschland etwas weniger als die Hälfte der Befragten (46 Prozent) der Aussage zustimmen, die Wasserkraft habe noch viel ungenutztes Potenzial, sind es etwa in Norwegen nicht ganz zwei Drittel (63 Prozent). Gleichzeitig macht eine große Mehrheit der befragten Experten in Deutschland die Politik dafür verantwortlich, dass die Wasserkraft nicht ausreichend gefördert wird (63 Prozent). 81 Prozent sind zudem der Ansicht, dass politische Entscheidungen einen Hinderungsgrund für den weiteren Ausbau der Wasserkraft darstellen. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit weit an der Spitze. Trotz der allgemein guten Akzeptanz der Wasserkraft fehlt es aus Sicht der Experten nach wie vor an politischem Willen. Geringe länderspezifische Unterschiede gibt es hingegen bei der Bewertung der Wasserkraft im Kontext der Energiewende. In allen fünf Studienländern bestätigen die befragten Experten den niedrigen CO2-Ausstoß (96 Prozent) und die Umweltfreundlichkeit (92 Prozent) der Wasserkraftnutzung. Zugleich bescheinigen sie den Anlagen Zuverlässigkeit und Stabilität (95 Prozent), einen hohen Wirkungsgrad (88 Prozent) und langfristige Rentabilität (83 Prozent). Im europäischen Kontext spielt zudem die gute Speicherfähigkeit der Technologie (84 Prozent) eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt wegen dieser Eigenschaften wird die Wasserkraftnutzung von den europäischen Experten als ein wichtiger Faktor für das Erreichen der Klimaziele angesehen.
Enormes Entwicklungspotenzial
Aus Sicht von Voith Hydro besitzt die Wasserkraft auf gleich mehreren Ebenen enormes Entwicklungspotenzial: Zum einen sind bislang nur 7.000 der rund 50.000 existierenden Staudämme in Deutschland mit Wasserkraftwerken erschlossen. Mithilfe von Kompaktturbinen könnten bereits existierende Dämme und Wehre zur weiteren Stromerzeugung genutzt werden. Zum anderen ermöglichen technologische Weiterentwicklungen, Innovationen und Modernisierungen, die Effizienz bestehender Anlagen zu steigern und ökologische Standards zu erfüllen: Fische werden über Lockströmungen und Fischtreppen an Krafthäusern vorbeigeführt. Neueste Laufradschaufeln verbessern die Wasserqualität und sorgen beispielsweise dafür, dass die Verletzungsgefahr für Fische minimiert ist, die dennoch in die Turbinen gelangen. Zudem schonen technologische Lösungen wie eine ölfreie Nabe die Umwelt. 90 Prozent der befragten Experten sind der Meinung, dass bei der Förderung der Wasserkraft die Modernisierung und der Ausbau bestehender Anlagen im Vordergrund stehen sollten. Voith Hydro verdeutlicht dies am Beispiel der Modernisierung des Kraftwerks Rheinfelden in Baden-Württemberg: Mit einem Anstieg der Stromproduktion von 185 auf 600 Millionen Kilowattstunden pro Jahr hat sich die Leistungsfähigkeit des Kraftwerks mehr als verdreifacht. Zudem werten zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen den Raum ökologisch auf. Kernstück ist ein rund 900 Meter langes naturnahes Fließgewässer, das den bisherigen Kraftwerkskanal in einen Lebensraum für zahlreiche Fisch- und Pflanzenarten verwandelt. Insgesamt wurden 64 Ausgleichsmaßnahmen, wie der Erhalt charakteristischer Stromschnellen im Rhein oder der Bau eines Fischaufstiegs- und Laichgewässers umgesetzt. Eine weitere Maßnahme zur Förderung der Wasserkraft stellt die Nutzung von Pumpspeicherwerken dar. Die zunehmende Nutzung fluktuierender Energiequellen wie Wind und Sonne hat zur Folge, dass die Energiemenge im Stromnetz immer öfter schwankt – mal wird zu viel und mal zu wenig Energie in das Netz eingespeist. Um dies auszugleichen, setzten viele Experten in Europa auf flexible Energieerzeuger und leistungsfähige Speicher. Diese können den Einsatz thermischer Kraftwerke, etwa Gaskraftwerke, reduzieren.
Stromengpässe vermeiden
Mithilfe von Pumpspeicherkraftwerken lassen sich einerseits die Folgen von Engpässen bei der Energieversorgung ausgleichen, da sie bei höherem Bedarf Strom in Sekundenschnelle in das Netz einspeisen können. Andererseits können Pumpspeicherkraftwerke durch das Einspeichern überschüssiger Energie die Abregelung von Wind- und Photovoltaikanlagen vermeiden. Hierdurch wird das volle Potenzial der installierten erneuerbaren Energien genutzt. Zudem werden Prognosefehler bei der Erzeugung von Wind- und Solarenergie erfolgreich ausgeglichen. Gegenüber anderen Speichertechnologien überzeugen Pumpspeicher auch durch die Bereitstellung hoher Strommengen bei deutlich niedrigeren Kosten pro Kilowattstunde sowie durch geringere Auswirkungen auf die Umwelt. Sorgen kräftiger Wind und viel Sonne für einen Stromüberschuss im Netz, schaltet das Kraftwerk auf Pumpbetrieb: Elektromotoren treiben Pumpen an, die Wasser aus einem Reservoir in ein höher gelegenes Becken befördern. Steigt die Stromnachfrage, lässt man das Wasser von oben wieder nach unten ab. Das Wasser durchströmt Turbinen, die ihrerseits Generatoren antreiben. Innerhalb von Sekunden wird Strom erzeugt und in das Netz eingespeist. Zudem verfügen Pumpspeicher über die Schwarz-Start-Fähigkeit, die im Falle von Blackouts kurzfristig wieder Strom zum Anfahren und Stabilisieren des Stromnetzes zur Verfügung stellt. Diese Flexibilität macht Pumpspeicher zu Multifunktionskraftwerken. Sie können Dienstleistungen für das gesamte Energiesystem bereitstellen und so zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit beitragen.
Batterie Europas
Zu guter Letzt geht es bei der Förderung der Wasserkraft auch um Zusammenarbeit. „Für das Gelingen einer europäischen Energiewende braucht es eine starke Kooperation auf europäischer Ebene“, sagt Bergmann. Es bedürfe auch des koordinierten, länderübergreifenden Einsatzes von Energiespeichern. „Die grenzüberschreitende Nutzung kann der Versorgungssicherheit und Netzstabilität sowie der langfristigen Energieimportunabhängigkeit Europas dienen.“ Voith Hydro setze sich daher für die Etablierung eines europäischen Energieverbundes ein. „Mit einem europäischen Energieverbund könnten wir die geografischen Vorteile viel besser nutzen und Deutschland, Österreich und die Schweiz könnten mithilfe von Pumpspeichern zur Batterie Europas werden.“ Doch dazu müsste das Thema Wasserkraft erst einmal im Energiediskurs ankommen. Auf politischer Ebene müssten Entscheidungen getroffen werden, die bürokratische Hemmnisse abbauen und die Wasserkraftnutzung effektiv und angemessen fördern. Deutschland könnte hier einiges von seinen Nachbarn lernen. Wenn die Energiewende gelingen soll – da sind sich die Experten einig – darf die Politik die Wasserkraft nicht als Energiequelle zweiter Klasse behandeln.
http://www.tns-emnid.com
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