Mittwoch, 20. November 2024

WasserstoffFlüchtige Hoffnung

[03.06.2020] Noch ist die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien teuer. Zudem reicht der Überschussstrom derzeit nicht aus für einen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. In einzelnen Projekten wird die Verwendung grüner Gase aber bereits erprobt.
Eine der ersten Power-to-Gas-Anlagen in Deutschland wird in der Nähe der brandenburgischen Stadt Prenzlau von Enertrag betrieben.

Eine der ersten Power-to-Gas-Anlagen in Deutschland wird in der Nähe der brandenburgischen Stadt Prenzlau von Enertrag betrieben.

(Bildquelle: Enertrag)

Wasserstoff wird heute meist mittels Dampfreformation aus Erdgas gewonnen. Dabei fällt jede Menge CO2 an. Der Wasser erzeugende Stoff (Hydrogen) kann aber auch mittels Elektrolyse aus Strom (Power to Gas, PtG) gewonnen werden. Allerdings liegen bei diesem Verfahren die Produktionskosten etwa dreimal höher – egal, woher der Strom dafür stammt. Grünes Gas, also klimaneutraler Wasserstoff, kann mit erneuerbaren Energien gewonnen werden. Es kann Fahrzeuge antreiben oder Strom und Wärme erzeugen – und so mittels Power to X (PtX) zur Dekarbonisierung mehrerer Sektoren beitragen. Der Überschussstrom aus erneuerbaren Energien könnte für die Wasserstoffproduktion genutzt werden.
Doch der erneuerbare Strom wird hierzulande vor allem im direkten Verbrauch benötigt. Der Überschussstrom kann die geforderten Mengen auch in Zukunft nicht bereitstellen. In Deutschland wurden im Jahr 2018 gut fünf Terawattstunden (TWh) an erneuerbarem Strom abgeregelt. Das entspricht etwa 0,5 Prozent der gesamten Stromproduktion. Wollte man daraus Wasserstoff machen, erhielte man bei einem 70-prozentigen Wirkungsgrad 3,5 TWh – das wären nicht mal 0,5 Prozent des gesamten Energiebedarfs im Verkehr.

Kein einheitlicher Rechtsrahmen

Zudem benötigen Elektrolyseure rund 3.000 Arbeitsstunden, um annähernd wirtschaftlich zu funktionieren. Sporadisch zur Verfügung stehender Überschussstrom oder auch negative Strompreise an der Leipziger Strombörse EEX könnten dies nicht garantieren. Hinzu kommen noch rechtliche Hürden. „Es gibt für PtX keinen einheitlichen Rechtsrahmen, sondern nur einen Flickenteppich“, erklärt Christoph Richter, ein auf Energierecht spezialisierter Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Leipziger Prometheus Rechtsanwaltsgesellschaft. So zähle der Strom für PtX immer als normaler Verbrauch. Das Endprodukt müsse also alle Steuern und Umlagen tragen, derzeit etwa 16 Cent oder 55 Prozent des Strompreises. Nur bei der – wenig sinnvollen – Rückverstromung sei er von Netzentgelten befreit.
Deswegen widmen sich die meisten Vorhaben einer Eigenversorgung der Elektrolyseure. Das wohl spektakulärste Projekt startet derzeit im südlichen Sachsen-Anhalt. Der Erdgasgroßhändler VNG, dessen Versorgungsgebiet in etwa die ehemalige DDR umfasst, will in Bad Lauchstädt einen seiner Untergrunderdgasspeicher (UGS) auf Wasserstoff umrüsten. Dafür müssen alle Obertageeinrichtungen mit diffusions- und korrosionsdichten Materialien ausgestattet werden. Die Salzkaverne selbst sei dicht, sagen die Projektbetreiber.
Die rechtlichen Hürden will VNG einfach umgehen, indem ein am Standort errichteter und 40 Megawatt leistender Windpark nur für einen Großelektrolyseur arbeitet und nicht ans Netz angeschlossen ist. Für solche Inselanlagen werden keine staatlichen Abgaben oder Steuern fällig. Ab 2025 soll der Elektrolyseur laufen und zwar mit 3.000 bis 4.000 Betriebsstunden im Jahr.

Vorhandenes Leitungsnetz

Der produzierte Wasserstoff wird in den umgebauten UGS eingespeist und bei Bedarf geliefert. Dafür dienen Stadtgasleitungen aus DDR-Zeiten. Diese sind für den Transport von Wasserstoff geeignet, da Stadtgas damals zum größeren Anteil aus Wasserstoff und zum kleineren Teil aus Methan bestand. Auch in ein bereits vorhandenes Wasserstoffleitungsnetz der chemischen Industrie soll eingespeist werden. Die im Raum Halle-Leuna-Merseburg ansässigen Chemieunternehmen wären die ersten Kunden für den dann wirklich grün produzierten Wasserstoff.
Während in Bad Lauchstädt wohl erst in fünf Jahren Wasserstoff produziert wird, gibt es landauf, landab bereits fertige PtG-Anlagen. Die bekannteste, weil älteste, betreibt seit 2014 der Energiedienstleister Enertrag in der Nähe von Prenzlau in Brandenburg. Der dort produzierte Wasserstoff entsteht ebenfalls mithilfe einer eigenen Windkraftanlage, wird in Flaschen abgefüllt und verkauft. Genutzt wird das Gas zum Betanken von Bussen, Pkw und Sportbooten, aber auch für industrielle Prozesse. Die Deutsche Bahn ist ebenfalls Kunde.

Vor Ort verbrauchen

Es geht aber auch viele Nummern kleiner. Denn Wasserstoff kann auch direkt vor Ort, etwa in Wohnimmobilien, produziert und genutzt werden. Ein solches System hat die Firma Exytron entwickelt. Das Smart-Energy-Unternehmen, betreibt seit 2015 eine Demo-Anlage, bei der die Elektrolyse durch erneuerbaren Strom aus Wind und Sonne erfolgt. Der Wasserstoff wird in einem weiteren Schritt mit CO2 zu Methan verbunden und dann zu Heizzwecken in einem Blockheizkraftwerk verwendet. Das dabei entstehende Kohlendioxid wird für die Methanisierung genutzt. Der Prozess ist also komplett klimaneutral sowie frei von Feinstaub- und Stickoxidbildung. Die Stadtwerke Augsburg haben genau dieses System für eine Wohnanlage der städtischen Wohnungsbaugesellschaft genutzt.

Frank Urbansky

Power to Gas: Praxisbeispiel Stadtwerke Augsburg, Die Stadtwerke Augsburg versorgen 70 Wohnungen mittels einer Power-to-Gas-Lösung mit eigener Elektrolyse dank Photovoltaik-Energie und Überschussstrom aus dem Netz. Erzeugt werden so jährlich 320.000 Kilowattstunden (kWh) Wärme und 150.000 kWh Strom. Entwickelt wurde das System von der Firma Exytron. In der Anlage wird der Wasserstoff aus der Elektrolyse in einer Katalyse in Methan umgewandelt. Das CO2 für die Methanisierung kommt aus der Verbrennung in einem Blockheizkraftwerk und einer Brennwerttherme. Das dabei entstehende Gas und die Wärme dienen der Beheizung des Gebäudes. In dem Prozess gelangen keinerlei Emissionen in die Atmosphäre. Die Lösung von Exytron erhielt trotz eines jährlichen Defizits von rund 21.000 Euro den Zuschlag. Durch eine Änderung bei der EEG-Umlage und die kommende CO2-Bepreisung durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz wird sich das Minus relativieren, da das sonst eingesetzte Erdgas teurer und damit die Einsparungen größer werden, so die Stadtwerke Augsburg.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Bioenergie
Das Bild zeigt eine Bioenergieanlage.

FNR: Lokale Ressourcen nutzen

[18.11.2024] Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) stellt einen neuen Leitfaden vor, der Gemeinden bei der Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung unterstützt. mehr...

Bioenergieanlagen: Gefahr im Verzug

[14.11.2024] Die Bioenergieverbände fordern eine Übergangslösung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), um hunderte von der Stilllegung bedrohte Bioenergieanlagen zu schützen. Das von der Bundesregierung angekündigte Biomassepaket müsse zumindest in Teilen noch vor der Bundestagsneuwahl umgesetzt werden. mehr...

Das Bild zeigt eine Biogasanlage, zu sehen sind Fermenter, Gasspeicher und die Gasaufbereitungsanlage.

dena-Branchenbarometer: Neue Chancen für Biomethan

[25.10.2024] Trotz wirtschaftlicher Turbulenzen steigt das Interesse an neuen Biomethanprojekten. Das Gebäudeenergiegesetz und der Umbau der Gasnetze bieten der Branche vielversprechende Perspektiven, zeigt das dena-Branchenbarometer Biomethan. mehr...

Zu sehen ist die Startseite der Biodgas-Kampagne, dort steht: Biogas ist Zukunft - Schon heute.

Kampagne: Vorteile von Biogas in den Fokus rücken

[10.10.2024] Vier Biogas-Akteure haben heute eine bundesweite Kampagne gestartet, um die Potenziale von Biogas in den Fokus der Energiewende-Debatte zu rücken. Sie fordern mehr politische Unterstützung und betonen, dass Biogas bereits heute einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung leistet. mehr...

Holz ist eine wichtige erneuerbare Wärmequelle.

Fachkongress Holzenergie: Klimanutzen von Holz

[23.09.2024] Auf dem 24. Fachkongress Holzenergie in Würzburg wurde die Bedeutung von Holz als erneuerbarer Wärmequelle diskutiert. Die Branche fordert klare politische Unterstützung, um die Energiewende voranzutreiben. mehr...

Landwärme-Insolvenz: Kommunikation „ungünstig“

[19.09.2024] Stadtwerke fürchten große Auswirkungen der Landwärme-Insolvenz. Das Kommunikationsverhalten des Unternehmens sei „ungünstig“, so der Branchenverband ASEW. mehr...

Laut einer Studie könnten flexible Biogasanlagen in Kombination mit Wasserstoffkraftwerken bis 2030 eine Reserveleistung von rund 26 Gigawatt bereitstellen.

Studie: Potenzial von Biogasanlagen

[12.09.2024] Biogasanlagen könnten eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der deutschen Stromversorgung spielen. Laut einer Studie der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen können bis 2030 durch die Flexibilisierung bestehender Anlagen zwölf Gigawatt Leistung bereitgestellt werden. mehr...

Stadtwerke Trier: Biogas verbessert Klimabilanz

[04.09.2024] Die Stadtwerke Trier wollen grüne Gase für die Energiewende in der Region. mehr...

Umweltorganisationen fordern den Berliner Senat und das kommunale Unternehmen BEW auf

Robin Wood: Keinerlei Schutz für Wälder

[04.09.2024] Die Berliner Nachhaltigkeitsvereinbarung für Biomasse garantiere keinerlei Schutz für Wälder und Natur, so der Naturschutzverband Robin Wood. mehr...

Biogasanlage: Die Rolle der Bioenergie soll gestärkt werden.

BMWK: Maßnahmenpaket für Bioenergie

[20.08.2024] Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat für den Herbst ein Biomassepaket zur Stärkung der Bioenergie in Deutschland angekündigt. Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, begrüßt die Initiative, mahnt aber zur Eile. mehr...

Auf Holzenergie wird kein CO2-Preis erhoben

Fachverband Holzenergie: Klarstellung des BMWK begrüßt

[13.08.2024] Holzenergie kann auch weiterhin ohne CO2-Bepreisung eingesetzt werden, so das Bundeswirtschaftsministerium. Für den Fachverband Holzenergie ist damit eine „Phantomdebatte“ beendet. Geschäftsführer Gerolf Bücheler fordert nun auch das Umweltbundesamt auf, seine Position zu überdenken. mehr...

Grundsteinlegung: Das BMW-Werk in Dingolfing wird künftig durch eine Biomasseanlage mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt.

Dingolfing: Prozesswärme für BMW

[02.08.2024] Die UP Energiewerke errichten in Dingolfing ein innovatives Biomasse-Heizkraftwerk, das das dortige BMW-Werk mit CO2-neutraler Prozesswärme versorgt. mehr...

Biogasalage: Der Bundesverband Bioenergie (BBE) hat die herausragende Bedeutung der Bioenergie betont.

BBE: Bioenergie schützt das Klima

[01.08.2024] Anlässlich der Fortschreibung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie hat der Bundesverband Bioenergie die zentrale Bedeutung der Bioenergie für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung in Deutschland hervorgehoben. mehr...

Die Stadtwerke Schwäbisch Hall installieren einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental.

Schwäbisch Hall: Erstmals Wärme aus Holz

[05.07.2024] Die Stadtwerke Schwäbisch Hall haben mit den Bauarbeiten für einen Biomassekessel im Heizkraftwerk Hessental begonnen. mehr...

Bürgermeister Harald Stadler (links) und REWAG-Vorstandsvorsitzender Dr. Robert Greb vor dem Rohbau des Biomasseheizwerks in Neutraubling.

REWAG: Bio-Nahwärme für Neutraubling

[05.06.2024] Die REWAG baut ein Biomasseheizwerk für Nahwärme in Neutraubling. Es soll im Oktober 2024 in Betrieb gehen. mehr...