EnergiekriseErneuerbare sind der Ausweg
Deutschland ist im Krisenmodus. Genauer: im fossilen Energiekrisenmodus. Angesichts der Versorgungs- und Kostenkrise fossiler Energieträger in Folge hoher Importabhängigkeiten von Gas, Öl und Kohle erleben wir nicht nur deutlich gestiegene Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen. Durch den Krieg in der Ukraine und die putinsche Hand an der Pipeline strömt kein Erdgas mehr aus Russland nach Deutschland. Gas wird nicht nur in unseren Häusern in hohem Maß für das Heizen und die Stromversorgung benötigt, sondern ist auch für viele Industrieprozesse essenziell. Der Lieferstopp hat die angespannte Lage aus dem Sommer nochmals verschärft und zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen geführt.
Atomkraft ist keine Lösung
Während manche deshalb – wieder einmal – nach einer Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke (AKW) rufen, überbieten sich die Atomkraftländer in unserer Nachbarschaft mit Negativschlagzeilen. Allen voran Frankreich, dessen Kraftwerkspark momentan zu großen Teilen stillsteht. Ursache sind in die Jahre gekommene, marode Meiler. Zusätzlich mussten im Sommer einige französische AKW ihren Betrieb wegen zu niedrigen Wasserständen der französischen Flüsse drosseln – sie konnten die hochgefährlichen Brennstäbe nicht mehr kühlen. Wir sind somit in der paradoxen Situation, dass Frankreich im großen Stil deutschen Strom aus erneuerbaren Energien zukaufen muss, um den Ausfall der – im Vorfeld bereits verkauften – nuklearen Produktion zu kompensieren. Der Versorger EDF stand kurz vor der Insolvenz und konnte sich nur durch eine Verstaatlichung retten.
Enrneuerbare liefern zuverlässig
Während von Osten her die Gaslieferungen reduziert werden und im Westen die Atomkraft versagt, liefern die Erneuerbaren in Deutschland in aller Ruhe stabil und günstig Strom. Wind und Sonne können heute für wenige Cent je Kilowattstunde Energie erzeugen und sind global wettbewerbsfähig. Im ersten Halbjahr 2022 lag der Anteil der Erneuerbaren am Brutto-Stromverbrauch in Deutschland bei etwa 49 Prozent. An einem Wochenende im Juli wurde sogar mehr Solarstrom ins Netz eingespeist als je zuvor. Von Krise also keine Spur. Im Gegenteil: Mit dem Mix aus Sonnen- und Windenergie, Bioenergie (zunehmend auch aus Abfall- und Reststoffen), Wasserkraft sowie Erd- und Umweltwärme, die intelligent vernetzt sind und durch Speicher und grünen Wasserstoff flankiert werden, schaffen wir ein modernes, zukunftsfähiges Energiesystem. Dieses sichert nicht nur die Bezahlbarkeit der Energie, sondern auch den Industriestandort Deutschland und wirkt gegen die Klimakrise.
Energiesouveränität organisieren
Angesichts von lediglich 4,5 Gigawatt AKW-Leistung, die sich im Streckbetrieb potenziell halbieren würde, ist die Kernenergie auch energiepolitisch nur bedingt relevant. Allein durch ein Repowering der Windenergieanlagen an Land ließe sich die zehnfache Leistung entfesseln.
Leider hat die Missachtung der Potenziale der regenerativen Energien fast schon Tradition. Ihr Ausbau wurde in den vergangenen Jahren seitens der Politik aktiv zurückgefahren. Das fällt uns jetzt auf die Füße. Vor allem in Bayern, dem Bundesland, das am meisten durch seine Ablehnung des Masseträgers Wind geglänzt hat und dies noch immer tut. Ein Ende der überkommenen 10H-Abstandsregel ist dort weiterhin nicht in Sicht.
Insgesamt könnten wir in Deutschland im Bereich der Erneuerbaren bereits viel weiter sein. Nach Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 nahm die Energiewende zunächst vor allem im Stromsektor einen dynamischen Verlauf. Es setzte eine Demokratisierung der Energieversorgung ein, die nicht nur zur Beteiligung hunderttausender Bürgerinnen und Bürger, Landwirte und mittelständischer Unternehmen führte, sondern auch zu einer massiven Kostensenkung bei Wind- und Solaranlagen. Deutschland war Technologievorreiter und deutsche Unternehmen fungierten als Innovationsmotor bei den Erneuerbare-Techniken auf der ganzen Welt. Das zeigt auch die Einführung des Begriffs „Energiewende“ in den englischen Sprachgebrauch.
Krise ist hausgemacht
Doch dann erreichte der Ausbau einen frühzeitigen Höhepunkt. Unter anderem durch die Einführung des Ausschreibungsmodells und eines Deckels für die Solarenergie drückte die Regierung bei der Energiewende massiv auf die Bremse – leider verbunden mit dem Verlust von über 100.000 Jobs in der Branche. Bis heute sind außerdem die Wärmewende und die Energiewende in der Mobilität ein Stiefkind geblieben. Im Wärmebereich lag der Anteil der erneuerbaren Energien Ende des Jahres 2021 bei 16,5 Prozent, im Verkehr bei 6,8 Prozent.
Die politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre haben uns in die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten getrieben. Die aktuelle Krise ist somit hausgemacht und stellt die Ampelregierung vor immense Aufgaben. Neben Übergangslösungen wie der Diversifizierung der Erdgas-Lieferländer und der Reaktivierung von Kohlekraftwerken zählt dazu die Entfesselung der erneuerbaren Energien. Innerhalb weniger Monate muss die Ampel die Versäumnisse der vergangenen Jahre aufholen und die Energiesouveränität durch heimische erneuerbare Energien und damit den weitgehenden Verzicht auf teure Importe organisieren.
Noch viel Potenzial
Die gute Nachricht ist, dass die Erneuerbaren liefern können. Bis Ende 2021 steckten Windenergieprojekte im Umfang von rund 10.000 Megawatt im Genehmigungsverfahren fest. Hier müssen die Bundesländer bis spätestens Ende dieses Jahres entscheiden. Was bei LNG-Terminals möglich war, muss auch bei den Erneuerbaren gehen: die Genehmigung innerhalb weniger Monate. Viel ungenutztes Potenzial gibt es, wie erwähnt, beim Repowering. Etwa ein Fünftel der aktuell in Deutschland installierten Windenergieleistung ist seit 16 bis 20 Jahren am Netz und steht kurz vor dem Auslaufen der EEG-Förderung. Mittelfristig bietet sich die Chance, durch Repowering eine Verfünffachung der Leistung (insgesamt 45 Gigawatt) zu ermöglichen. Damit ließe sich der im EEG festgeschriebene Ausbau organisieren, noch bevor die neuen gesetzlichen Regelungen ihre Wirkung voll entfalten können.
Biogasanlagen, Holzheizkraftwerke, Pellets und andere Bioenergieanlagen erzeugen heute zuverlässig etwa 50 Terawattstunden (TWh) Strom und 132 TWh Wärme. Viele dieser Anlagen sind zeitnah in der Lage, ihre Strom-, Wärme- und/oder Gasproduktion zu erhöhen. Das schont die Gasspeicher und sorgt dafür, dass wir weniger Gas- und Kohlekraftwerke und erst recht keine Atomkraftwerke benötigen. Kurzfristig kann allein der bestehende Biogasanlagenpark seine Gaserzeugung um bis zu 20 Prozent erhöhen. Das entspräche insgesamt 19 TWh Gas, was ad hoc rund vier Prozent der russischen Gasimporte ersetzen kann.
Zukunftstechnologien wählen
Mit den passenden Impulsen für Wind und Photovoltaik, Perspektiven für Biogas als direktem Ersatz für russisches Erdgas sowie der Nutzung von Geothermie, Bioenergie und Solarthermie für die Wärmeerzeugung lassen sich die Beiträge fossiler Energien schnell mindern. Speicher, saubere Kraft-Wärme-Kopplung, grüner Wasserstoff und intelligente Vernetzung ergänzen das erneuerbare Energiesystem. Klar ist: Technologien von gestern, wie Kohle, Erdgas und Atomkraft, haben in der heutigen Zeit keinen Platz mehr. Das Konzert aller erneuerbaren Energien sichert hingegen bezahlbare Preise, Autonomie und Frieden. Hier muss nochmals nachgebessert werden, damit die ambitionierten Ausbauziele der Bundesregierung erreicht werden.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe September/Oktober 2022 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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