Donnerstag, 26. Dezember 2024

InterviewErneuerbare Energien intelligent nutzen

[05.11.2019] Der IT-Dienstleister Kisters arbeitet derzeit an einer Lösung, die dezentrale Erzeugungsanlagen und Energieverbraucher in Einklang bringen soll. stadt+werk sprach mit Benjamin Meyer, der als Product Owner des FlexManagers die Entwicklung vorantreibt.
Benjamin Meyer ist bei Kisters seit 2015 als Expert Consultant zuständig für die mathematische Modell- und Systementwicklung von Optimierungsprojekten.

Benjamin Meyer ist bei Kisters seit 2015 als Expert Consultant zuständig für die mathematische Modell- und Systementwicklung von Optimierungsprojekten.

(Bildquelle: KISTERS)

Herr Meyer, welche Rolle spielt das Flexibilitätsmanagement beim Thema Versorgungssicherheit im Rahmen der Energiewende?

Beim Flexibilitätsmanagement im hier verstandenen Sinne geht es nicht in erster Linie um die Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Denn in der Kombination mit Einspeise-Management und unter Rückgriff auf eine hinreichende Menge steuerbarer, zentraler Erzeugungsanlagen lässt sich die Systemsicherheit gewährleisten. Ob so allerdings eine intelligente Nutzung erneuerbarer Energien möglich ist, steht auf einem anderen Blatt. Aus meiner Sicht stellt ein cleveres, dezentrales Flexibilitätsmanagement hier ein ganz entscheidendes Schlüsselelement dar.

Worin besteht denn aus Ihrer Sicht die Kernaufgabe des Flexibilitätsmanagements?

Die Kernaufgabe liegt in einer sinnvollen Systemführung in Zeiten, wenn viel erneuerbare Energie ins Netz eingespeist wird und die Versorger Abnehmer für die überschüssige Energie finden müssen. Es geht konkret um Situationen, in denen schlicht keine steuerbaren konventionellen Erzeugungsanlagen mehr zur Verfügung stehen, die durch eine Lastabsenkung für eine sinnvolle Integration der erneuerbaren Energien sorgen könnten. Momentan gibt es nur die Notlösung des Einspeise-Managements, also die Abregelung von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Die genuine, neue Kernaufgabe des Flexibilitätsmanagements besteht in der systemtechnischen Erschließung und Steuerung der dezentralen Verbrauchs-, Speicher- und Erzeugerseite – unter Einbezug aller Sektoren des Energiesystems.

Was kommt in diesem Zusammenhang auf IT-Dienstleister wie Kisters zu?

Als Systemhaus begleiten wir viele unterschiedliche Akteure der Energiewirtschaft. Unser sehr breit angelegtes Lösungsportfolio umfasst dabei die Bewirtschaftung der gesamten energiewirtschaftlichen Prozess- und Wertschöpfungskette, beginnend bei der Energieerzeugung über Betriebsführung, Netzbetrieb, Marktkommunikation und Handel bis hin zu Lösungen für den Endkundenvertrieb. Mit der anstehenden breiten Einführung von intelligenten Messsystemen hat eine weitreichende Transformation der technischen Infrastrukturen begonnen, welche die Grundlage für die weitere Digitalisierung der Energiewende darstellt und der wir uns als Unternehmen gestellt haben. Denn mit dem Roll-out intelligenter Messsysteme geht zugleich die potenzielle Erschließung von Flexibilitäten in großer Breite einher. Und zwar im Sinne einer Vielzahl von kleinteiligen, dezentralen und steuerbaren Erzeugungs- und insbesondere Verbrauchsanlagen und Speicher, was natürlich auch die E-Mobilität einschließt. Dabei eröffnet in erster Linie die sektorübergreifende Betriebsführung der Verbraucherseite die so dringend benötigten Handlungsspielräume und prinzipiell auch eine weitgehende Entkopplung von Erneuerbare-Energien- und Netzausbau. In diesem Spannungsfeld steht unsere aktuelle Entwicklung eines Systems zum Flexibilitätsmanagement, dem KISTERS FlexManager.

Welche Rolle übernimmt der FlexManager?

Die Lösung ist das Bindeglied zwischen den etablierten Systemen zum Management der gesamten Erzeugungslandschaft und neu hinzukommenden dezentralen Flexibilitäten, die durch die Einbindung intelligenter Messsysteme entstehen. Der FlexManager soll dabei helfen, die oben skizzierten Aufgaben bei der intelligenten Nutzung erneuerbarer Energien zu bewältigen.

„Momentan gibt es nur die Notlösung des Einspeise-Managements.”
Welchen Herausforderungen sehen Sie sich gegenüber?

Die Herausforderungen sind schon rein aus IKT-Sicht immens. Das wird bereits deutlich, wenn man sich lediglich die Menge der betroffenen steuerbaren Systemkomponenten klar macht: Es gibt rund 3.400 thermische Kraftwerksblöcke in Europa, in Deutschland stehen etwa 30.000 Onshore-Windkraftanlagen, die einen Anteil von etwa 30 Prozent der installierten Onshore-Windleistung in Europa stellen. Überschlägig gibt es aktuell also lediglich rund 100.000 steuer- oder abregelbare Erzeugungsanlagen. Perspektivisch stehen dem jedoch 220 Millionen Haushalte zuzüglich 20 Millionen Unternehmen gegenüber. Denn das 2009 verabschiedete EU-Binnenmarktpaket schreibt vor, dass 80 Prozent der Stromverbraucher in der EU bis 2020 mit intelligenten Messsystemen auszustatten sind. Zukünftig können und sollten an praktisch jeder einzelnen dieser Marktlokationen eine oder mehrere Flexibilitäten erschlossen und möglichst zweckdienlich bewirtschaftet werden. Auch wenn der Zeithorizont 2020 nicht mehr zu halten ist, haben wir es hier schlicht mit einer Mammutaufgabe zu tun.

Können Sie noch etwas zur Lösung FlexManager und zu den möglichen Anwendungsfällen sagen?

Da der FlexManager auf praxiserprobter skalierbarer Big-Data-Technologie aufsetzt und auch Künstliche-Intelligenz-Algorithmen integriert, sind die potenziellen Anwendungsfälle breit gefächert und vielfältig. Insbesondere, weil man den FlexManager aus struktureller Sicht stets als Teil einer größeren Gesamtlösung begreifen sollte. Er ist ja im Grunde der Missing Link zwischen klassischer Energiewelt und den Controllable Local Systems, die aktuell im Ausland und künftig auch in Deutschland über die Infrastruktur intelligenter Messsysteme erschlossen werden.

Welchen Nutzen bietet der FlexManager den Kunden?

Kundennutzen und Anwendungsfälle ergeben sich letztlich stets aus dem Gesamtkontext. Es beginnt beispielsweise mit der Ablösung von in die Jahre gekommenen Rundsteuersystemen. Ein entscheidender Einflussfaktor ist auch die weitere Entwicklung des regulatorischen Umfelds. Aus Gesamtlösungssicht liegen potenzielle Anwendungsfelder im Bereich des markt-, netz- sowie systemdienlichen Flexibilitätsmanagements in jeglicher Ausprägung.

Welches Marktpotenzial sehen Sie für Ihre Kunden im Zuge des Flexibilitätsmanagements?

Das entwickelt sich perspektivisch insbesondere im Bereich des netzdienlichen Flexibilitätsmanagements. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Verteilnetzbetreibern zu. Denn: Da die maßgeblichen Netzengpässe absehbar weiterhin im Übertragungsnetz zu lokalisieren sind, liegen die entscheidenden Möglichkeiten und Freiheitsgrade zur operativen Bewirtschaftung dieser Engpässe eben auf der Verteilnetzebene. Aus Sicht von Kisters ist es naheliegend, hier zumindest an die kommunalen regionalen Energieversorger sowie die knapp 900 Netzbetreiber in Deutschland zu denken.

Wann erreicht die Lösung die Marktreife?

In enger Zusammenarbeit mit unserem Schweizer Kooperations- und Vertriebspartner Optimatik sowie weiteren Entwicklungspartnern arbeiten wir an der Realisierung mehrerer Kunden- und Innovationsprojekte sowie an der Markteinführung und kontinuierlichen Weiterentwicklung des FlexManagers. Diesen Projekten gemein ist die enge Verzahnung mit den konkreten Kundenanforderungen in der Praxis, da sie im Zuge von realen Smart Meter Roll-outs umgesetzt werden. Zum Teil sind diese Projekte bereits im operativen Betrieb.

Interview: Alexander Schaeff

Meyer, BenjaminBenjamin Meyer ist bei Kisters seit 2015 als Expert Consultant zuständig für die mathematische Modell- und Systementwicklung von Optimierungsprojekten, hauptsächlich in den Bereichen Virtuelle Kraftwerke, Flexibilitätsmanagement und Sektorkopplung. Der Diplom-Ingenieur ist auf die technisch-ökonomische Optimierung komplexer Energiesysteme spezialisiert.



Anzeige

Weitere Meldungen und Beiträge aus dem Bereich: Informationstechnik

Somentec/Stadtwerke Schwäbisch Hall: Lösung für 24-h-Lieferantenwechsel

[18.12.2024] Somentec Software und die Stadtwerke Schwäbisch Hall realisieren gemeinsam mit der Firma essendi it eine Komplettlösung für die Abwicklung von API-Webdiensten im Rahmen des 24-Stunden-Lieferantenwechsels, die offen für die Nutzung durch unterschiedliche ERP-Systeme ist. mehr...

bericht

Schutz Kritischer Infrastrukturen: Rückenwind durch KRITIS-Dachgesetz?

[16.12.2024] Das KRITIS-Dachgesetz (KRITIS-DachG) stellt neue Anforderungen an den Schutz Kritischer Infrastrukturen. Das Unternehmen EnBW begegnet den Herausforderungen unter anderem durch ein Risikofrüherkennungssystem und die Erstellung von Resilienzplänen. mehr...

Saarlouis/Völklingen/Neunkirchen: Einführung einer neuen ERP-Plattform

[16.12.2024] Drei saarländische Stadtwerke bündeln jetzt ihre Kräfte, um eine gemeinsame ERP-Plattform einzuführen. Die digitale Kooperation soll Prozesse modernisieren, Synergien schaffen und die Anforderungen der Energiewende besser bewältigen. mehr...

bericht

Stadtwerke Ratingen: Vom Versorger zum Umsorger

[11.12.2024] Als Pilotkunde nutzen die Stadtwerke Ratingen die Wilken-Software für die Heiz- und Nebenkostenabrechnung. Sie deckt alle Prozesse von der Heizkostenverteilung bis zum Inkasso und verschiedene Abrechnungsmodelle ab und ist die Basis für ein neues Geschäftsfeld. mehr...

bericht

Lieferantenwechsel: Stichtag ist zu kurzfristig

[09.12.2024] Energieversorger stehen vor der Herausforderung, die Anforderungen des Lieferantenwechsels innerhalb von 24 Stunden pünktlich zum April 2025 umzusetzen. Der SAP-Spezialist cortility ist mit seinem Produkt zwar im Zeitplan, sieht aber eine Initiative zur Verschiebung des Termins positiv. mehr...

edna: Bereit für 24-Stunden-Wechsel

[05.12.2024] Die edna-Mitglieder sehen sich für 24-Stunden-Lieferantenwechsel gerüstet, fordern aber eine Testphase und einen späteren Starttermin. mehr...

Völklingen: Stadtwerke stellen Geo-Informationssystem bereit

[02.12.2024] Die Stadtwerke Völklingen Netz haben der Freiwilligen Feuerwehr jetzt ein speziell aufgerüstetes Tablet überreicht, das den Zugriff auf das firmeneigene Geo-Informationssystem ermöglicht. Einsätze sollen so effizienter koordiniert werden. mehr...

Vattenfall: Prosumer-App gestartet

[29.11.2024] Mit einer neuen Energiemanagement-App bietet Vattenfall Stadtwerken und Energieversorgern jetzt eine digitale Lösung zur Optimierung von Energieflüssen. mehr...

Stadtwerke Ahrensburg: Abrechnung mit Cloud-Lösung

[26.11.2024] Die Stadtwerke Ahrensburg haben ihre Abrechnung auf eine cloudbasierte Lösung von PwC und powercloud umgestellt. Das Projekt soll die Digitalisierung und Effizienz des Unternehmens deutlich verbessern. mehr...

Der Chatbot Eva 2.0 liefert künftig individuelle Antworten auf die Fragen und Anliegen der Nutzer. Foto: Shutterstock/evm

evm: Künstlich-intelligente Eva 2.0

[26.11.2024] Die evm stellt ihren neuen KI-gestützten Chatbot Eva 2.0 vor. Mit ihm sollen Kunden schnell Hilfe auf häufige Fragen finden können. mehr...

Vivavis/Zenner: Gemeinsam für Digitalisierung

[26.11.2024] Auf den Metering Days 2024 haben Vivavis, Zenner International und aktive EMT eine Kooperation in den Bereichen Steuerung, Schaltung und Smart Metering bekanntgegeben. mehr...

Metering as a Service bietet Wasserversorgern eine Komplettlösung zur digitalen Messwerterfassung. Foto: iStock

Zenner / EMT: Praxisnähe auf Metering Days

[13.11.2024] Die Unternehmen Zenner International und aktiver EMT werden auch in diesem Jahr an den Metering Days in Fulda teilnehmen. mehr...

Der IT-Anbieter KISTERS belegt Effizienz seiner Maßnahmen für IT-Security mit Zertifizierung nach SOC 2 Typ II und BSI C5 Typ II. Bild: KISTERS

Kisters: IT-Security zertifiziert

[12.11.2024] Kisters belegt Effizienz der Maßnahmen für IT-Security mit Zertifizierung nach SOC 2 Typ 2 und BSI C5 Typ 2. mehr...

Das Bild zeigt das Titelblatt des Leitfadens Künstliche Intelligenz (KI) in Fernwärme.

dena: KI in Fernwärmenetzen

[11.11.2024] Konkrete Handlungsempfehlungen und Praxisbeispiele für eine effizientere und klimafreundlichere Fernwärmeversorgung mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) hat die dena veröffentlicht. mehr...

Das Bild zeigt ein blau hinterleuchtetes SAP-Logo in einer schwarzen Wabe.
bericht

cortility: IT-Ausblick für 2025

[04.11.2024] Ab 2025 müssen sich die Energieversorger der Herausforderung des Lieferantenwechsels innerhalb von 24 Stunden stellen. Zudem werden dynamische Tarife und zeitvariable Netzentgelte eingeführt – und die Migration auf SAP S/4 HANA steht an. Was bedeutet das für die Prozesse im Stadtwerk? Ein Ausblick des IT-Dienstleisters cortility. mehr...