Donnerstag, 21. November 2024

InterviewErfolgreicher Schwarzstart nach Blackout

[20.11.2017] Dem kommunalen Energieversorger WEMAG ist der Wiederaufbau eines abgeschalteten Stromnetzes mithilfe einer Gasturbine und eines Batteriekraftwerks gelungen. stadt+werk sprach mit dem technischen Geschäftsführer Thomas Murche über den Test und künftige Herausforderungen.
Thomas Murche ist Technischer Vorstand des kommunalen Energieversorgungsunternehmens WEMAG mit Sitz in Schwerin.

Thomas Murche ist Technischer Vorstand des kommunalen Energieversorgungsunternehmens WEMAG mit Sitz in Schwerin.

(Bildquelle: WEMAG/Stephan Rudolph-Kramer)

Herr Murche, was ist das Besondere an dem gelungenen Schwarzstart in Schwerin?

Gerade im Hinblick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und die künftige Abschaltung alter Kraftwerke ist es notwendig, in Technologien zu investieren, die nicht nur den Strombedarf decken, sondern auch die Versorgungsqualität und Netzstabilität sicherstellen. Unser Batteriespeicher ist dabei so konzipiert, dass er in den ersten Minuten des Schwarzstarts die benötigte Energie für das Kraftwerk bereitstellen und später als gesteuerte Last fungieren kann. Das ist wichtig, um den Hochfahrprozess kontinuierlich und mit so wenigen Lastschwankungen wie möglich zu gestalten. Mit der Ertüchtigung zum Schwarzstart nehmen wir zudem die Entwicklung neuer Erlösmodelle für Batteriespeicherkraftwerke in Angriff.

Wie lange hat es gedauert, mithilfe des Batteriekraftwerks die Gasturbine in Betrieb zu nehmen und wie zuverlässig ist die Technik?

Nachdem wir die richtige Konzeption gefunden hatten, war ein Netzwiederaufbau sehr zügig möglich. Von der ersten Schalthandlung bis zum Aufschalten der ersten Last wurden nicht mehr als 20 Minuten benötigt. Voraussetzung ist allerdings, dass das Netz zuvor in den Zielzustand geschaltet wird. Dafür wurden vor dem eigentlichen Versuch circa zwei Stunden benötigt. Nicht eingerechnet ist die Zeit zur Klärung der Gesamtsituation, die nach einem Blackout mehrere Stunden betragen kann. Inzwischen wurden die ersten Messreihen des Versuchs durch die Uni Rostock ausgewertet. Sie haben gezeigt, dass die Technik sehr zuverlässig arbeitet. Anfangs gab es zwei ungewollte Netzzusammenbrüche, nach einer Anpassung der Startkonfiguration konnte das Versuchsnetz dann aber stabil betrieben werden. Selbst in den beiden misslungenen Startversuchen haben sich der Batteriespeicher und das Kraftwerk regelkonform und zuverlässig verhalten. Die Ursachen für den Abbruch lagen darin, dass die Steuerungsautomatiken beider Systeme aufeinander abgestimmt sein müssen. Wir haben durch den Schwarzstartversuch also wertvolle Hinweise für die Zukunft erhalten.

Wie funktioniert der Schwarzstart ganz praktisch und wo liegen die Hürden?

Zunächst wurde eine Netzinsel zwischen der Gasturbinenanlage, drei Umspannwerken von WEMAG Netz und dem schwarzstartfähigen Batteriekraftwerk von WEMAG in Schwerin-Lankow geschaffen. Sie stehen ja nicht an einem Ort. Hierbei fließt der Strom teilweise in andere Richtungen als bei der Versorgung von Kunden, die während des Versuchs vom Stromnetz getrennt waren. Die anfänglich transportierten Energiemengen sind außerdem viel kleiner als beim Volllastbetrieb des Kraftwerks und des Netzes. Deshalb mussten die Schutzeinstellungen für die genutzten technischen Einrichtungen umgestellt werden. Nach dem Aufbau der Netzinsel wurde die abgeschaltete Gasturbinenanlage mithilfe des Batteriespeichers erfolgreich wieder in Betrieb genommen. Eine Hürde ist dabei, dass Stromnetze ohne Last, also ohne angeschlossene Kunden, bei Anfahrvorgängen und Schalthandlungen zu Schwingungen neigen. Es können überhöhte Spannungen auftreten, die dann zu automatischen Schutzabschaltungen führen.

Welche Charakteristika müssen Kraftwerke und Stromquellen ganz allgemein für einen Schwarzstart aufweisen?

Grundsätzlich müssen das wiederaufzubauende Netz und das Kraftwerk so lange aus einer Energiequelle – hier dem Batteriekraftwerk – versorgt werden, bis die Energieversorgung wieder vom Kraftwerk selbst übernommen werden kann. Die Batteriespeicher müssen also so dimensioniert werden, dass sie in der Lage sind, ein Inselnetz zu starten und den vom Stromnetz und Kraftwerk benötigten Eigenbedarf – also den Strom, den das Kraftwerk zum Betrieb seiner eigenen Aggregate benötigt – über einen Zeitraum von mehreren Minuten bis zu einer Stunde zur Verfügung zu stellen. Sobald das Kraftwerk die Energieversorgung übernimmt, muss sichergestellt sein, dass genügend Last im Netz vorhanden ist, um einen stabilen Betrieb der Turbine zu gewährleisten.

„Die Steuerungsautomatiken beider Systeme müssen aufeinander abgestimmt sein.”

Welche Bedeutung hat der Erfolg für das Energiesystem der Zukunft?

Für uns hat der Test eindrucksvoll die zentrale Bedeutung von netzbildenden Batteriekraftwerken für das Energiesystem gezeigt. Bislang wurde für den Wiederaufbau des Stromnetzes nach einem Blackout rein konventionelle Kraftwerkstechnik verwendet. Gerade die Systemdienstleistung Versorgungswiederaufbau wird aber nicht nur von Netzbetreibern, sondern auch von der Industrie benötigt, um einen lang andauernden, kostenintensiven Produktionsausfall zu vermeiden. Für die Energieversorgung Schwerin GmbH ist es zudem von großer Bedeutung, dass das Wärmenetz bei einer derartigen Situation weiter betrieben werden kann, um die Fernwärmeleitungen vor Frostschäden zu bewahren und im besten Fall die angeschlossenen Kunden weiter versorgen zu können.

Sie wollen das Projekt unter dem Titel „Kickstarter“ zur Marktreife bringen. Was ist dazu noch notwendig?

Wir streben an, ein universelles Schwarzstartkonzept zu entwickeln, das auf andere Kraftwerke und Netzsituationen übertragbar ist. Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass die entwickelte Steuerungssoftware durch die Eingabe von einigen Parametern individuell so angepasst werden kann, dass Schwarzstarts unter unterschiedlichsten Bedingungen möglich sind. Ziel ist es weiterhin, dieses Schwarzstartszenario in den Katalog der Betreiber von Versorgungs- und Übertragungsnetzen aufzunehmen. Dann stünde diese Variante auch offiziell nach einem Blackout als Option zur Verfügung.

In einem nächsten Schritt planen Sie, Erneuerbare-Energien-Anlagen in den Schwarzstart zu integrieren. Welche Vorzüge haben regenerative Erzeugungsanlagen für den Schwarzstart? Was sind hier die Herausforderungen?

Unter Einbeziehung von Erneuerbare-Energien-Anlagen nimmt die Komplexität des Projekts erheblich zu. Solche Anlagen stellen den Strom ja viel schwankender bereit und erweisen sich als zusätzliche Herausforderung in einem System, das auf Stabilität ausgerichtet ist. Die Erweiterung ist jedoch notwendig, da unser Energiesystem in Zukunft ganz stark durch EE-Anlagen bestimmt sein wird.

Das WEMAG-Batteriekraftwerk stellt auch Regelleistung bereit. Wie vertragen sich die beiden Systemdienstleistungen?

Die beiden Funktionen ergänzen sich hervorragend. Vor einem Blackout wird vermutlich die Regelleistung stark beansprucht, da im Stromnetz eine Instabilität vorliegt. Mithilfe der vorhandenen Ressourcen des Batteriespeichers wird versucht, diese Schieflage zu beheben. Gelingt das nicht, weil die Beeinträchtigung im Netz zu groß ist, kommt es zum Blackout. Nun folgen der Schwarzstart und das Hochfahren des Kraftwerks mit der Schwarzstartfunktionalität des Speichers. Sobald das Kraftwerk die Versorgung wieder selbst aufrechterhalten kann, geht der Batteriespeicher wieder in den Betrieb für die Bereitstellung von Regelleistung über. Damit für einen Schwarzstart stets genügend Energie zur Verfügung steht, muss der Ladestand der Batterien reguliert werden. Dies lässt sich durch ein intelligentes Batterie-Management sicherstellen.

Interview: Melanie Schulz

Murche, ThomasThomas Murche ist Technischer Vorstand des kommunalen Energieversorgungsunternehmens WEMAG mit Sitz in Schwerin. Der studierte Elektrotechniker leitet das Unternehmen gemeinsam mit dem kaufmännischen Vorstand Caspar Baumgart. Zuvor arbeitete er in verschiedenen Funktionen zur Netzsteuerung beim Netzbetreiber Avacon sowie beim Energiekonzern E.ON.

Stichwörter: Energiespeicher, WEMAG,


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