Montag, 23. Dezember 2024

Smart City EmdenErfolg mit LoRaWAN

[18.11.2021] Der Digitalisierung als neuer Daseinsvorsorge hat sich Emden in Ostfriesland bereits 2016 mit einer umfassenden Road Map verschrieben. Lange bevor die meisten Städte mit einzelnen Projekten an den Start gingen, begann die 50.000-Einwohner-Kommune ihr Smart-City-Konzept umzusetzen.

Laut der Smart-City-Studie der Unternehmensberatung Haselhorst Associates von 2020 weist von 400 Städten mit über 30.000 Einwohnern lediglich ein Viertel einen Digitalisierungsgrad von über zwölf Prozent auf. Emden ist da so etwas wie ein Hidden Champion: Aus den ursprünglich 15 Digitalisierungsprojekten wurden innerhalb von vier Jahren 35. Als strategischen Partner haben die Emder den Konzern Siemens seit 2017 an Bord: Sie versorgen die Stadtwerke mit Know-how und Technologie. So kommt die cloudbasierte IoT-Plattform MindSphere als zentrale Datendrehscheibe zum Einsatz. Zur Zeit ist Siemens in der Gebäudeautomatisierung und Verkehrssteuerung unterstützend tätig. Für die Umsetzung ist die Tochterfirma Emden Digital verantwortlich. Sie hat unter anderem die KEPTN-App als Informations- und Interaktionsplattform auf den Markt gebracht. Nutzer der App erfahren, was gerade los ist in der Seehafenstadt. Aber auch, wo es Parkplätze gibt und wo der Verkehr stockt. Ein Erfolgsmodell sind die Gutscheine, die im Netz gekauft und in Geschäften und Restaurants vor Ort eingelöst werden können.

LoRaWAN-Netz als weiteres Geschäftsmodell

Die Emder wollen nicht nur das Geld in der Stadt halten, sondern auch ihre Daten. Nach dem Motto „Daten sind das neue Gold“ setzen die Stadtwerke darauf, die Daten selber zu nutzen. Hier kommt LoRaWAN zum Einsatz. Zum Beispiel, um zu wissen, wo ein freier Parkplatz ist. Oder welcher Müllcontainer in der Stadt geleert werden muss. Und bei Hochwasser, ob die Deiche halten. Das so genannte LoRaWAN-Netz mit einer Reichweite von bis zu 15 Kilometern hat sich bereits nach zwei Jahren bewährt. „Wir bauen sozusagen das digitale Gehirn der Stadt. Unser Ziel ist eine Datenbank von allen für alle“, sagt Stadtwerke-Geschäftsführer Ackermann.
Im LoRaWAN-Netz wird auf niedriger Frequenz und gleichzeitig energieeffizient per Funk gesendet. Das macht diese Technologie besonders attraktiv für Anwendungen, bei denen kein direkter Strom- und Glasfaseranschluss besteht oder keine größeren Baumaßnahmen erfolgen sollen. Sender und Empfänger können mit Batterien mit einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren betrieben werden. 600 Sensoren sind zur Zeit angebunden. An acht Stellen in der Stadt empfangen Antennen die Daten in Echtzeit. 1.500 Antennen stehen insgesamt zur Verfügung.
Die Stadtwerke profitieren selber vom barrierefreien Funknetz: „Zum Ablesen des Wasserstands mussten unsere Mitarbeiter früher immer in die unterirdischen Schächte klettern. Heute haben wir dort Zähler installiert, die automatisch den Stand melden“, so Ackermann.
Die Stadtwerke sehen in diesem System ein großes Potenzial für neue Produkte und Dienstleistungen, etwa für die Hafenwirtschaft und beim Gebäude-Management. Oder in der Abfallwirtschaft: Mit vernetzten Containern können Mitarbeiter von Bauhof und Grünflächenamt ihre Arbeit besser planen, fahren eben nicht zu einer halb leeren Mülltonne, sondern warten, bis diese Bescheid gibt.

Digitalisierung zum Anfassen

Die Stadtwerke streben eine enge Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen und der Stadt an. „Gemeinsam können wir Abläufe optimieren“, so Ackermann. Nils Andersson, Chef des Bau- und Entsorgungsbetriebs BEE: „Durch moderne IoT-Kommunikationstechnologie ist es möglich, Netzressourcen kosteneffizient zu digitalisieren und interne Prozesse im Unternehmen zu optimieren. Das ist für uns Digitalisierung in der Bau- und Entsorgungsbranche zum Anfassen.“
Und der Datenschutz? Für die Emder hat er oberste Priorität. Der IoT-Projektleiter bei den Stadtwerken, Tobias Müller, sagt: „Es werden keine personenbezogenen Daten verarbeitet. Die Infrastruktur ist selbstverständlich nach aktuellen Datenschutzstandards aufgebaut. Durch ein lokales Netz bleiben die Daten in Emden.“
Das Emder Modell bekommt auch von Fachleuchten und aus der Politik Anerkennung. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff gibt zu Protokoll: „Die Stadtwerke Emden zeigen, welchen Mehrwert die Digitalisierung sowohl für städtische Betriebe als auch für die Bürgerinnen und Bürger generieren kann.“
Genutzt wird das LoRaWAN-Netz zur Zeit bei der Intelligenten Verkehrssteuerung, bei dem Projekt Smarte Deiche, für Straßenlaternen, zur Schmutzwassersteuerung sowie für intelligente Gebäude und Quartiere.
Digitale Angebote sind für Stadtwerke-Geschäftsführer Ackermann ein wesentliches Instrument der Kundenbindung und Grundlage des künftigen Geschäfts: „Unsere wichtigsten Ertragsquellen waren bisher der Strom aus unseren Windanlagen und die Gasversorgung – in beiden Bereichen ändern sich die Rahmenbedingungen, sodass wir uns nach Alternativen umschauen müssen. Das war ein Treiber der Smart City Emden“, sagt er.

Visionäres Denken trifft kaufmännische Bodenständigkeit

Jürgen Germies, der als Partner von Haselhorst Associate die Emder begleitet, berichtet, dass alle Maßnahmen inzwischen exakt so weit fortgeschritten seien, wie es der ursprüngliche Zeitplan vorgesehen hat. „In Emden – und auch das ist vielleicht ein Unterschied zu anderen Kommunen – hat man die anstehenden Themen immer mit einer guten Mischung aus visionärem Denken und kaufmännischer Bodenständigkeit betrachtet.“ Das habe zu einem effektiven Projekt-Management und klugen Investitionsentscheidungen geführt – zum Beispiel bei der Infrastrukturentwicklung.
„Ohne schnelles Internet gibt es keine Smart City“, das war von Anfang an Ackermanns Devise. Auf eigene Rechnung trieb Emden deshalb den Glasfaserausbau voran: 2018 wurden die ersten Gewerbegebiete angeschlossen, im vergangenen Jahr folgten erste Wohngebiete. Über die Tochtergesellschaft Emden Digital vermarkten die Stadtwerke inzwischen erfolgreich eigene Breitbandangebote für Gewerbe- und Privatkunden. Die Stadtwerke gehen davon aus, dass sich die kostspielige Investition von rund 50 Millionen Euro mittelfristig refinanziert haben wird. „Wir haben von vornherein eng mit der Wohnungswirtschaft zusammengearbeitet, das hat dem Projekt erheblichen Auftrieb gegeben“, berichtet Ackermann.
Ganz oben auf der Liste der Ziele der Stadtwerke steht, möglichst viel Strom aus regenerativen Energiequellen für die Versorgung der Privat- und Gewerbekunden zu gewinnen. Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Windpark am Larrelter Polder hat die Seehafenstadt Zugriff auf eine der größten Windfarmen Europas. Solar- und Photovoltaikanlagen auf privaten und öffentlichen Gebäuden sowie ein Biomasseheizkraftwerk ergänzen den grünen Strom-Mix der Stadt. „Schon heute können alle Emder Haushalte zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden“, so Ackermann. Er ist sicher, dass die Möglichkeit einer CO2-neutralen Energieversorgung nicht nur für Privathaushalte, sondern auch für die Industrie in den nächsten Jahren ein entscheidender Standortfaktor wird.

Christina Hövener-Hetz


Stichwörter: Smart City, Emden, LoRaWAN


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