StudieEnergiequellen ausschöpfen
Die anhaltenden Fridays-for-Future-Demonstrationen und der Erfolg von Bündnis 90/Die Grünen bei der Europawahl zeigen eindrücklich, dass Umwelt- und Klimaschutz für weite Bevölkerungskreise von großer Bedeutung sind. In einer repräsentativen Umfrage des Umweltbundesamts bewerteten im vergangenen Jahr 64 Prozent der Deutschen Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung. Mehr als je zuvor in der über 20-jährigen Umfragehistorie.
Im aktuellen Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung konkrete Klimaschutzziele für das Jahr 2030 gesetzt. Um diese zu erreichen, soll unter anderem der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor bis zum Zieljahr auf 65 Prozent gesteigert werden. In einer kürzlich veröffentlichten Szenariorechnung hat der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) gezeigt, dass Deutschland dieses Ziel mit den entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen erreichen kann. Würde das Potenzial mittels klarer Perspektiven für Planung und Investitionen voll ausgeschöpft, könnte die Branche bis 2030 den Anteil erneuerbaren Stroms sogar auf weit über 80 Prozent steigern.
Für eine vollständige Abkehr von fossilen Brennstoffen sind ein deutlich reduzierter Energieverbrauch und eine hundertprozentige Versorgung mit erneuerbaren Energien notwendig. Bei der künftigen (Voll)versorgung durch regenerativen Strom werden Wind- und Solarenergie den größten Teil der Stromproduktion bestreiten. Sie bestechen durch sehr geringe Stromgestehungskosten und ein großes Ausbaupotenzial. Um fossile Energieträger jedoch vollständig zu ersetzen, sind sämtliche erneuerbare Energien erforderlich: Biomasse, Geothermie, Solarwärme und Wasserkraft. Jede von ihnen hat individuelle Qualitäten, die im Zusammenspiel eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen.
Verlässlicher Energieträger
Die rund 7.000 Wasserkraftwerke in Deutschland erzeugen derzeit jährlich durchschnittlich 20.000 Gigawattstunden Strom. Durch ihre lange Lebensdauer stellen sie ein kostengünstiges Element innerhalb der Energieversorgung dar. Eine vom Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke (BDW) beauftragte Studie der Bergischen Universität Wuppertal hat gezeigt, dass kleine Wasserkraftwerke als verlässlicher Energieträger in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Sie reduzieren sowohl den Netzausbaubedarf auf Verteilnetzebene als auch Netzverluste bei der Einspeisung erheblich. Durch ihre gute Regelbarkeit sind sie außerdem in der Lage, künftig das Gesamtnetz zu stabilisieren. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Versorgungs- und Spannungsqualität auf der Verteilnetzebene. Ein Wegfall der kleinen Wasserkraftwerke hätte laut der BDW-Studie Mehrkosten von etwa einer Milliarde Euro beim Ausbau der Hochspannungsnetze sowie für zusätzliche Netzkomponenten wie Speicher und Regelungsanlagen zur Folge. Ein weiterer Vorzug der kleinen Wasserkraftwerke: Sie sind schwarzstartfähig, können also ohne externe Energiezufuhr anfahren.
Damit sie ihre Stärken im Energiemarkt ausspielen kann, muss die Politik die kleine Wasserkraft stärker gezielt unterstützen. Die aktuelle Energiepolitik des Bundes und vieler Länder hingegen setzt das Potenzial der Kleinwasserkraft aufs Spiel.
Potenziale nicht aufs Spiel setzen
Die in den vergangenen Jahren stetig steigenden ökologischen Anforderungen an bestehende Anlagen stellen für viele Wasserkraftbetreiber eine massive finanzielle Bürde dar. Die Wasserkraftbetreiber in Deutschland sind sich ihrer Verantwortung für einen guten ökologischen Zustand der Gewässer bewusst und haben bereits beträchtliche Mittel in entsprechende Maßnahmen investiert. Die Umsetzung der technisch möglichen und geforderten ökologischen Maßnahmen ist aber häufig so aufwendig, dass sie die Wirtschaftlichkeit vieler Anlagen gefährdet oder gänzlich untergräbt. Insbesondere kleinere Anlagen scheiden deshalb zunehmend aus dem Markt aus. Den ökologischen Zustand der Gewässer zu verbessern, ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollte die Bundesregierung ein mit Landesprogrammen kombinierbares, langjähriges Bundesförderprogramm einrichten, um ökologische Modernisierungen finanziell zu unterstützen. Denn die ökologisch modernisierten Kraftwerke leisten positive Beiträge für die Gewässerökologie und den Klimaschutz, sind flussauf- und -abwärts für Fische und andere Wasserorganismen durchgängig und produzieren CO2-freien Strom. Sie fördern den Rückhalt von Wasser und Böden in der Landschaft und stabilisieren den Grundwasserstand. Auch sind Wasserkraftwerke vielerorts bereits seit Generationen in Betrieb und somit fester Bestandteil der heutigen, zivilisationsgeprägten Landschaft.
Trotzdem werden nur wenige der bestehenden Querbauwerke für die zusätzliche Errichtung eines Wasserkraftwerks freigegeben. Dabei müssen laut EU-Wasserrahmenrichtlinie möglichst alle Querbauwerke an Fließgewässern durchgängig sein, um einen guten ökologischen Zustand zu erreichen. In den meisten Fällen sind die Kommunen für derartige Maßnahmen verantwortlich, können dem aber aus finanziellen Gründen nicht immer nachkommen. Beim Bau einer Wasserkraftanlage hingegen ist der Anlagenbetreiber in der Pflicht, geeignete Fischauf- und -abstiegsanlagen zu errichten – eine echte Win-win-Situation für Gewässer- und Klimaschutz, Bürger und Kommunen. Hier wären mehr Mut, Innovationsfreude und schnelle Genehmigungsverfahren vonseiten der Behörden sehr hilfreich.
Bedeutender Baustein
Kleine Wasserkraftwerke sind fast immer dezentral verteilt und könnten in die Energieversorgung vor Ort gut eingebunden werden. Tatsächlich verhindert das aktuelle Umlagen- und Abgabensystem in Deutschland unter anderem eine verbrauchsnahe Eigen- und Direktversorgung mit erneuerbaren Energien. Eine Änderung dieses Systems würde auch anderen erneuerbaren Energien sehr helfen. Ihre Qualitäten machen die Kleinwasserkraft zu einem bedeutenden Baustein des bisherigen und künftigen Energiesystems. Die Politik sollte diese positiven Eigenschaften honorieren.
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