Sonntag, 22. Dezember 2024

SchlierEnergiekonzept für Neubaugebiete

[09.04.2020] Das Beispiel der Gemeinde Schlier zeigt, dass eine klimaneutrale Energieversorgung möglich und wirtschaftlich vorteilhaft ist – auch für kleinere Neubaugebiete. Erfolgsfaktoren sind eine sorgfältige Planung, eine kluge Auswahl von Förderprogrammen sowie die Unterstützung der Gemeindespitze.
Der Gemeinderat von Schlier beschließt einstimmig die Vergabe der Quartiersversorgung des geplanten Neubaugebiets.

Der Gemeinderat von Schlier beschließt einstimmig die Vergabe der Quartiersversorgung des geplanten Neubaugebiets.

(Bildquelle: Gemeinde Schlier)

Angesichts des Wohnungsmangels planen Kommunen und private Bauträger zahlreiche Neubaugebiete und Quartiere. Mit der Wahl des Energiekonzepts prägen sie dabei maßgeblich den Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen der kommenden Jahrzehnte. Spätere Änderungen durch die Eigentümer sind entweder gar nicht oder nur zu sehr hohen Kosten möglich. Auch in der 4.000 Einwohner zählenden Gemeinde Schlier im oberschwäbischen Kreis Ravensburg soll ein Neubaugebiet entstehen, um den wachsenden Wohnraumbedarf zu decken.

Kostengünstige Versorgung

Dabei wurde bereits Mitte 2018 beschlossen, eine Lösung zu suchen, mit der die rund 80 neuen Wohneinheiten möglichst klimaneutral und zugleich kostengünstig mit Strom, Wärme und Mobilität versorgt werden können. Der Gemeinderat beauftragte zwei Ingenieurbüros mit einer Potenzialstudie, um Kosten und Klimaeffekte einer möglichst klimaneutralen Versorgung mit konventionellen Lösungen zu vergleichen. Im Dezember 2018 stellten die Büros ihre Ergebnisse im Gemeinderat vor.
Gemäß der Untersuchungen der Ingenieurbüros sind für die klimaneutrale Lösung gemeinschaftlich genutzte Erdwärmesonden (EWS), die auf den öffentlichen Flächen des Neubaugebiets errichtet werden, am besten geeignet. Diese EWS stellen ganzjährig kalte Wärme auf einem Temperaturniveau von acht bis zwölf Grad Celsius bereit, die dann durch ein Nahwärmenetz an die Gebäude verteilt wird. Der Vorteil: Die Rohre müssen aufgrund der niedrigen Temperatur nicht isoliert werden und können sogar Wärme aus dem Erdreich hinzugewinnen. Dadurch sind die Leitungen sehr kostengünstig und auch für die Versorgung von Gebäuden mit einem sehr geringen Wärmebedarf geeignet. In den Gebäuden nutzen dann Sole-Wasser-Wärmepumpen die kalte Wärme, um Heizungswärme (35 Grad) und Warmwasser (65 Grad) bereitzustellen.

Doppelt höhere Effizienz

Dieses Konzepts sorgt für eine doppelt höhere Effizienz. Denn im Vergleich zu den üblicherweise installieren Luft-Wasser-Wärmepumpen benötigen Sole-Wasser-Wärmepumpen deutlich weniger Strom. Dadurch sind sie im Betrieb deutlich wirtschaftlicher. Auch im Vergleich zu privaten EWS, die jeder Bauherr auf seinem Grundstück errichtet, ist die gemeinschaftliche Lösung deutlich effizienter und kostengünstiger. Denn aufgrund von Gleichzeitigkeitseffekten müssen im Vergleich zu den privaten Lösungen im Verbund eines Neubauquartiers bis zu 20 Prozent weniger Quellleistung installiert werden. Zusätzlich können die EWS so betrieben werden, dass sie höhere Vorlauftemperaturen liefern – auch hierdurch benötigen die Wärmepumpen weniger Strom. In der Summe rechnet sich dadurch auch der Mehraufwand für das Wärmenetz.
Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gebäude sorgen für die klimaneutrale Stromversorgung. Wie die Ingenieurbüros ermittelt haben, reichen die Dachflächen der Gebäude bei guter Planung aus, um den gesamten Strombedarf der Haushalte, der Wärmepumpen und auch der künftigen E-Fahrzeuge zu decken. Rund die Hälfte der Sonnenstromerzeugung kann dabei mithilfe von Batteriespeichern, Pufferspeichern und einer intelligenten Steuerung direkt vor Ort genutzt werden. Der restliche Überschuss muss im Sommer ins Netz abgegeben und im Winter wieder daraus bezogen werden. In der Jahresbilanz ist aber gesichert, dass der gesamte Strombedarf selbst gedeckt wird. Und falls im Laufe der Jahre noch mehr Strom benötigt wird, können für die Erzeugung noch Garagen, Carports und Fassaden genutzt werden.

Gemeinderat überzeugt

Die gemeinschaftliche Lösung hat aber nicht nur Effizienzvorteile, sondern ist auch finanziell sehr attraktiv. Denn durch das Förderprogramm „Wärmenetze 4.0“ des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erhält die Gemeinde Schlier bereits für die Planungskosten 50 Prozent und für die Investitionskosten rund 40 Prozent Förderung. Das Besondere ist, dass dabei nicht nur die Anlagen zur Wärmeerzeugung, wie EWS, Wärmenetz und Wärmepumpen, sondern auch die Anlagen zur Stromerzeugung und -speicherung, also die Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher, gefördert werden.
Diese Vorteile überzeugten den Gemeinderat, der im Dezember 2018 einstimmig für die Gemeinschaftslösung votierte und eine BAFA-geförderte Machbarkeitsstudie inklusive Ausschreibung der Quartiersversorgung beauftragte. Die Ingenieurbüros stellten daraufhin den Förderantrag beim Bundesamt, arbeiteten die detaillierten technischen Konzepte samt Kosten aus und ermittelten dann eine so genannte Intracting-Variante als Basis für die Ausschreibung.

Förderkonditionen deutlich verbessert

Die Suche nach einem passenden Quartiersversorger startete im Juni vergangenen Jahres und stieß auf eine sehr große Resonanz: Knapp 40 Energiedienstleister nahmen an der Ausschreibung teil. In mehreren Auswahlrunden wurde schließlich im Dezember 2019 der Energiedienstleister gefunden, der die geforderten Kriterien am besten erfüllte. Ende vergangenen Jahres wurden im Zusammenhang mit dem Klimapaket die Förderkonditionen des Programms „Wärmenetze 4.0“ noch einmal deutlich verbessert, sodass jetzt für das Neubauprojekt in Schlier eine Förderquote von 40 statt wie geplant von 30 Prozent beantragt werden kann.
Am 14. Januar 2020 hat der Gemeinderat einstimmig die Ergebnisse der Ausschreibung gebilligt und den Auftrag erteilt, die Verträge mit dem Quartiersversorger im Detail auszuarbeiten sowie den Antrag auf Investitionsförderung beim BAFA zu stellen. Damit kann der Verkauf der Grundstücke wie geplant im Frühjahr starten. Anfang 2021 sollen dann die ersten Gebäude klimaneutral mit Strom und Wärme versorgt werden.

Erfolgsfaktoren

Das Beispiel der Gemeinde Schlier beweist, dass eine klimaneutrale Energieversorgung mit Strom, Wärme und Mobilität möglich ist – auch für kleinere Neubaugebiete. Sorgfältige Planung, eine kluge Auswahl von Förderprogrammen sowie von Beginn an das Engagement der Gemeindespitze sind dabei die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Damit bietet das Schlierer Modell eine Blaupause für viele andere Kommunen in Deutschland, die ihre Bauplätze ebenfalls mit einer gleichermaßen klimaneutralen und kostengünstigen Versorgung anbieten wollen.

Katja Liebmann und Dr. Harald Schäffler

Katja Liebmann, Dr. Harald SchäfflerKatja Liebmann ist Bürgermeisterin der Gemeinde Schlier im baden-württembergischen Landkreis Ravensburg. Dr. Harald Schäffler ist Geschäftsführer von schäffler sinnogy, einem Innovations- und Ingenieurbüro in Freiburg im Breisgau.



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