Sonntag, 22. Dezember 2024

LohfeldenEnergie statt Abfall

[04.02.2016] Der Kreis Kassel und die Gemeinde Lohfelden kombinieren die hoheitliche Aufgabe der Bioabfallentsorgung mit einer effizienten Strom- und Wärmeerzeugung sowie -nutzung. Ohne Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung wird ein optimaler Stoffkreislauf geschlossen.
Der Kreis Kassel und die Gemeinde Lohfelden kombinieren Bioabfallentsorgung mit einer effizienten Strom- und Wärmeerzeugung sowie -nutzung.

Der Kreis Kassel und die Gemeinde Lohfelden kombinieren Bioabfallentsorgung mit einer effizienten Strom- und Wärmeerzeugung sowie -nutzung.

(Bildquelle: Gemeinde Lohfelden)

Über 15 Jahre ist es her, dass der Kreis Kassel die Biotonne flächendeckend eingeführt hat: Jährlich sammelt der Eigenbetrieb Abfallentsorgung Kreis Kassel bei 233.000 Einwohnern circa 50.000 Tonnen Bio- und Grünabfälle ein und lässt sie in drei eigenen Anlagen zu Kompost verarbeiten. Damit gehört der hessische Landkreis mit circa 216 Kilogramm Abfall pro Einwohner und Jahr bundesweit zu den Spitzenreitern. In Hessen selbst liegt der Durchschnitt bei 126 Kilogramm pro Einwohner im Jahr. Als die Kapazität der kreiseigenen Anlagen erschöpft war, sollte die Biokompostierungsanlage in Lohfelden um eine Vergärungsvorstufe ergänzt und so die Verarbeitungskapazität erweitert werden. Den letztendlichen Ausschlag für den Bau dieser Vergärungsanlage gab die Gemeinde Lohfelden selbst. Die Kommune hat sich zum Ziel gesetzt, ihren Energiebedarf möglichst selbst aus regenerativen Quellen zu decken. Bereits im Jahr 2009 fasste die Gemeindevertretung den ehrgeizigen Selbstverpflichtungsbeschluss, bis zum Jahr 2030 Lohfelden vollständig mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Die Gemeinde gehört auch zu den Erst-Unterzeichnern der Charta „Hessen aktiv – 100 Kommunen für den Klimaschutz“ und hat seit 2012 ein eigenes Klimaschutzkonzept. Förderlich war außerdem, dass Lohfelden Gelder über das zweite Investitionspaket der Bundesregierung im Rahmen der Wirtschaftskrise erhalten konnte.

Interkommunale Zusammenarbeit

Zwischen dem Kreis Kassel und der Gemeinde Lohfelden wurde festgelegt, dass der Kreis am Standort der bestehenden Biokompostierungsanlage in Lohfelden-Vollmarshausen Rohbiogas produziert und dort der Gemeinde übergibt. Beide Partner planten und realisierten das Vorhaben in ihrem Bereich im engen informellen Austausch. Ihr gemeinsames Ziel ist nicht nur der hohe ökologische Anspruch, sondern auch, schrittweise zu einem optimalen wirtschaftlichen Ergebnis zu kommen. Dementsprechend wurde die Kooperation in zwei Jahren über eine Absichtserklärung, einen Vorvertrag und letztendlich über einen langfristigen Kooperationsvertrag weiterentwickelt. Der Bürgermeister der Gemeinde Lohfelden, Michael Reuter, sieht in dem Biogasprojekt ein hervorragendes Beispiel für die interkommunale Zusammenarbeit: „Die Energiewende und der Klimaschutz kann nur gemeinsam mit den Kommunen in Deutschland verwirklicht werden.“ Mit diesem Projekt, ist sich der Verwaltungschef sicher, sei von der Lohfeldener Kommunalpolitik zusammen mit anderen Klimaschutz- und Energiemaßnahmen ein guter Weg eingeschlagen worden – ein Weg, der sich auch nachhaltig ökologisch positiv und auf die Dauer der Vertragslaufzeit mit dem Kreis Kassel gut wirtschaftlich darstellen lässt.

Gas und Dünger

Ausgehend von den gemeinsam festgelegten Rahmenbedingungen hat der Kreis eine europaweite Ausschreibung zum Bau der Vergärungsstufe durchgeführt. Den Zuschlag erhielt die Firma Helector Germany mit ihrem TNS-Trockenvergärungsverfahren. Die Bioabfälle werden mittels Radlader ebenerdig in Gärboxen eingebracht, die gasdicht verschlossen werden. Dem Kreislauf wird eine erwärmte Gärflüssigkeit, so genanntes Perkolat, zugeführt. Durch die Beregnung mit dieser Flüssigkeit wird ein Vergärungsprozess in Gang gesetzt. Innerhalb von 21 Tagen gasen die Bioabfälle aus. Nach einer Trocknungsphase wird der verbliebene Gärrest mittels Radlader ausgebracht, auf Mieten gesetzt und kompostiert. Wie bisher wird der Kompost als hochwertiger Dünger für Felder und Gärten eingesetzt. Die Vergärungsanlage besteht aus acht Gärboxen, einem großen Kreislaufwasserbehälter und zwei Gasspeichern. Der Input beträgt 23.000 Jahrestonnen. Daraus werden circa 1,7 Millionen Kubikmeter Biogas gewonnen, womit bis zu 3,5 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom und 4,4 Millionen kWh Wärme pro Jahr produziert werden können. 1.000 Haushalte lassen sich so mit Strom versorgen.

Rohbiogas speist Blockheizkraftwerke

Die Gemeindewerke Lohfelden übernehmen das vom Landkreis erzeugte Rohbiogas, bereiten es auf und betreiben zurzeit insgesamt drei stromgeführte Blockheizkraftwerke (BHKW). Diese wurden im November 2011 eingeweiht und offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Ein BHKW befindet sich am Standort der Vergärungsanlage mit einer elektrischen Leistung von rund 100 Kilowatt (kW). Das zweite Blockheizkraftwerk mit rund 150 kW elektrischer Leistung betreiben die Gemeindewerke unmittelbar neben Rathaus und Bürgerhaus im Ortszentrum. Ein drittes BHKW mit rund 190 kW elektrischer Leistung befindet sich in der Nähe der kreiseigenen Grundschule. Die Rohbiogasübernahme und die notwendige Gasaufbereitung – Sauerstoffdosierung, Kühlung, Kondensatabscheidung, Entschwefelung und Verdichtung – erfolgt in unmittelbarer Nähe zur Vergärungsanlage. Das aufbereitete Biogas wird über eine eigens errichtete, mehrere Kilometer lange Mikrogasleitung zum Ortszentrum und bis in die Nähe der Grundschule transportiert. In den BHKW eins und drei wird der erzeugte Strom – abzüglich des Eigenverbrauchs der Anlage – vollständig ins Stromnetz eingespeist. Der Strom des BHKW zwei wird durch gemeindeeigene Einrichtungen, etwa das Rathaus und das Bürgerhaus, verbraucht. Die Überschussmengen wird ebenfalls eingespeist. Eine Teilnutzung der erzeugten Wärme erfolgt beim BHKW eins durch die Vergärungsanlage selbst, beim BHKW zwei durch Rathaus und Bürgerhaus und beim BHKW drei durch die kreiseigene Grundschule mit Turnhalle und Lehrschwimmbad sowie einen benachbarten Gewerbebetrieb.

Regelbetrieb ist gewährleistet

Im bisherigen Betrieb wird also der Strom zu 100 Prozent via Selbstnutzung und Netzeinspeisung verbraucht. Die entstehende Wärme wird im Wesentlichen während der Heizperiode genutzt. Im Sommerhalbjahr besteht noch ein großer Wärmeüberschuss, für den eine wirtschaftliche Nutzung angestrebt wird. Die Vergärungsanlage wird seit dem Jahr 2012 betrieben. Weil sich die Zusammensetzung der Bioabfälle im Wechsel der Jahreszeiten stark verändert, schwankt auch die erzeugte Gasmenge und -qualität. Diese Schwankungen können teilweise durch externe Bioabfallmengen oder die Zugabe von Resten aus der Zuckerrübenverarbeitung ausgeglichen werden. Die erzeugte Gasmenge ließ sich über die Jahre kontinuierlich steigern. Auch der Betrieb der Gasaufbereitungsanlage und der Blockheizkraftwerke hängt naturgemäß stark von der Menge und Qualität des Rohbiogases ab. Daher waren insbesondere die zu Beginn auftretenden starken Schwankungen für das Betriebsmanagement von Vergärungs- und Aufbereitungsanlage sowie den BHKW-Betrieb eine Herausforderung. Das hatte Auswirkungen auf die Perkolatqualität, den Schwefelgehalt, den Methangehalt und die Menge. Inzwischen wurde das automatisierte Betriebsmanagement optimiert, sodass trotz der sehr störungsempfindlichen biologischen Prozesse ein ruhiger Regelbetrieb gewährleistet ist.

Ideale Kombination

Der Landkreis Kassel hat zwischenzeitlich eine Vereinbarung mit dem Werra-Meißner-Kreis über die jährliche Verarbeitung von 12.000 Tonnen Bioabfällen geschlossen. Auf dieser Grundlage wird jetzt die Vergärungsanlage um drei Fermenter erweitert. Damit können insgesamt mindestens zwei Millionen Normkubikmeter Biogas erzeugt werden, was der Stromversorgung von bis zu 1.300 Haushalten entspricht. Um die hierfür notwendige Biogasverarbeitung sicherzustellen, aber auch um die Betriebssicherheit zu erhöhen und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern, wird in Kooperation von Kreis und Gemeinde ein viertes BHKW mit einer elektrischen Leistung von rund 190 kW angeschafft und am Standort der Vergärungsanlage ebenfalls durch die Gemeindewerke betrieben. Im Kooperationsprojekt zwischen dem Kreis Kassel und der Gemeinde Lohfelden wird in idealer Weise die hoheitliche Aufgabe der Bioabfallentsorgung mit ökologisch und wirtschaftlich sinnvoller, sehr effizienter Strom- und Wärmeerzeugung und -nutzung kombiniert. Dabei entsteht hochwertiger Dünger für Felder und Gärten und es wird ohne Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung ein optimaler Stoffkreislauf geschlossen. Das macht die Kooperation zu einem Best-Practice-Beispiel für die regionale Energiewende mit breiter Akzeptanz in der Bevölkerung.

Jörg Hezel leitet die Abteilung Planung und Marketing und ist stellvertretender Betriebsleiter der Abfallentsorgung Kreis Kassel. Rolf Schweitzer ist Abteilungsleiter der Bauverwaltung in der Gemeinde Lohfelden.




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