LemgoEnergie aus geklärtem Abwasser
Die Stadt Lemgo verfolgt im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 die Dekarbonisierung der Energieversorgung als strategisches Stadtziel. Dazu wurde im Jahr 2016 das Konzept „Klimaneutraler historischer Stadtkern Lemgo“ erstellt, das insbesondere die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung untersucht, sowohl in den Haushalten als auch bei den Gewerbebetrieben. Der historische Stadtbereich birgt aber hinsichtlich einer energetischen Sanierung des Baudenkmalbesatzes und der Nutzung regenerativer Energien besondere Herausforderungen. Durch ein Verbundprojekt mit den Stadtwerken Lemgo führt die Kommune Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz durch, und die Stadtwerke stellen die Wärmeversorgung für den Altstadtkern weitgehend auf regenerative Energien um.
Langfristige Klimaneutralität
Die Wärmeversorgung erfolgt zurzeit klimaschonend mit Fernwärme und Erdgas-KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung), damit jedoch noch nicht klimaneutral. Um langfristig Klimaneutralität zu erreichen, wurde im Jahr 2019 die Gewinnung von Wärme aus dem geklärten Abwasser der städtischen Zentralkläranlage umgesetzt. Die Wärmeauskopplung erfolgt dabei erst hinter dem Auslauf der Kläranlage. So lässt sich eine möglichst hohe Wärmemenge auskoppeln und auch der Reinigungsprozess des Abwassers wird durch die Wärmeentnahme nicht mehr beeinflusst. Durch thermische Kopplung mit einem Blockheizkraftwerk (BHKW) wurde sichergestellt, dass eine für den Betrieb des Fernwärmenetzes ausreichende Vorlauftemperatur eingehalten wird. Zudem kann die Wärmepumpe auch ohne BHKW-Kopplung mit Ökostrom betrieben werden, wenn sektorgekoppelter Überschussstrom zur Verfügung steht.
Wegweisendes Projekt
Das Projekt ist auch für andere Unternehmen wegweisend. Es zeigt, dass die Wärmenutzung aus dem Ablauf eines Klärwerks eine exzellente Wärmequelle ist, mit der ein deutlicher Anteil erneuerbarer Wärme für eine Fernwärmeversorgung auf technisch relativ einfache Weise bereitgestellt werden kann. Da bislang jedoch in dem Zusammenhang stets an Abwasser gedacht wurde, also an den Zulauf und dieses als Wärmequelle nur aufwendig nutzbar ist, wurde bei der Dekarbonisierung von Wärmenetzen dieses große Potenzial vernachlässigt.
Das Ziel des Projekts bestand nicht nur in der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Es sollten auch Wärmegestehungskosten realisiert werden, die vergleichbar mit denen aus KWK-Anlagen sind. Dies führt bei Wärmepumpen grundsätzlich dazu, dass aufgrund der Zulagen zum Strompreis und Netznutzungsentgelten nicht ansatzweise eine Wirtschaftlichkeit erreicht werden kann. Da das BHKW nicht nur auf der thermischen Seite an die Wärmepumpe gekoppelt ist, sondern auch den Betriebsstrom zulagenfrei erzeugt, ist der Betrieb der Wärmepumpe wirtschaftlich möglich.
Betrieb sichergestellt
Die Wärmepumpe ist immer nur dann in Betrieb, wenn auch das BHKW läuft und wird bei BHKW-Störungen mit abgeschaltet. Wirtschaftlich bedeutet dies, dass die Wärmepumpe an das BHKW sozusagen den gleichen Strompreis zahlt, den das BHKW bei der Vermarktung am Spotmarkt erhält. Da rund die Hälfte der Generatorleistung von den Wärmepumpen benötigt wird, ist das BHKW nicht schlechter gestellt. Darüber hinaus „zahlt“ die Wärmepumpe bei niedrigen Strompreisen an das BHKW den unteren Stromgrenzpreis, der zum Betrieb benötigt wird.
Damit wird der Betrieb der Wärmepumpe sichergestellt, gleichzeitig entsteht aber der gleiche Effekt, wie wenn das BHKW ausgeschaltet wird: Es wird im Stromnetz der notwendige Vorrang für erneuerbaren Strom geschaffen. Mit diesem Konzept ergibt sich eine sehr gute Wirtschaftlichkeit. Der Return on Investment (ROI) liegt deutlich unter zehn Jahren, und langfristig werden so die Wirtschaftlichkeit der Erzeugungssparte sowie die niedrigen Wärmegestehungskosten der Stadtwerke gesichert.
Technische Realisierung
Das geklärte Abwasser weist als Jahresmittelwert eine Temperatur von etwa 13 Grad Celsius auf. Ein Teilstrom des Abwassers wird zu dem bestehenden BHKW der Stadtwerke geführt, das sich direkt neben der Kläranlage befindet und eine Leistung von zwei Megawatt (MW) hat. Dort wird in einem zweistufigen Wärmepumpenprozess das Fernheizwasser auf 82 Grad erhitzt.
Parallel dazu werden im BHKW bislang nicht nutzbare Wärmequellen wie die Ladeluft und die Kondensationswärme im Abgas durch eine weitere Wärmepumpe genutzt. Auch diese weist eine Vorlauftemperatur von 82 Grad auf und erhöht die Effizienz des BHKWs deutlich. Durch Kopplung mit dem BHKW-Wärmeprozess wird eine gemeinsame Vorlauftemperatur von knapp 90 Grad erreicht. Damit wird unter Zuhilfenahme des BHKW-Wärmeprozesses sichergestellt, dass eine für den Betrieb des Fernwärmenetzes ausreichende Vorlauftemperatur eingehalten wird. Die Wärmeleistung dieser Wärmepumpen-BHKW-Kombination beträgt damit insgesamt rund 5,2 MW, und das reicht aus, um den historischen Stadtkern vollständig zu versorgen.
Berechnete Effizienz
Die ersten Betriebsmonate haben gezeigt, dass die berechnete Effizienz der Wärmepumpen erreicht wird. So weist die Klärwasser-Wärmepumpe bei 15 Grad Quellentemperatur einen COP (Coefficient of Performance) von rund 2,7 auf, die BHKW-Wärmepumpe von 3,2. Dieser COP ist aber eher wie eine Jahresarbeitszahl zu betrachten, da der Betriebsstrom sämtlicher Hilfsantriebe darin berücksichtigt wurde. Die Kopplung mit den Wärmepumpen führt zu einer enormen Flexibilität der Gesamtanlage und macht das BHKW zukunftssicher.
Mit der BHKW-Wärmepumpen-Kombination, die im Oktober 2019 in Betrieb gegangen ist, werden allein aus dem Ablaufwasser des Klärwerks etwa 19 Gigawattstunden Wärme pro Jahr (GWh/a) gewonnen. Dies reicht aus, das Ziel, den historischen Stadtkern und damit die gesamte Innenstadt von Lemgo klimaneutral zu versorgen, weitgehend erfüllen zu können. Bezogen auf das gesamte Fernwärmenetz von Lemgo (Anteil am gesamten Wärmemarkt rund 50 Prozent) bedeutet das einen Anteil emissionsfreier Wärme von 12 Prozent. Da die Wärme ansonsten aus dem Anlagenmix der Stadtwerke bezogen werden müsste, spart diese Brennstoffreduktion pro Jahr über 6.000 Tonnen CO2 ein.
Bundesweiter Beitrag
Darüber hinaus werden in der Anlage weitere 20 GWh/a Wärme mittels eines höchst effektiven KWK-Prozesses erzeugt, was ebenfalls eine erhebliche CO2-Einsparung mit sich bringt. Hier ist in Zukunft eine Umstellung auf Biomethan denkbar, sodass dann sogar die gesamte Wärmeproduktion der Anlage emissionsfrei wird. Vor diesem Hintergrund wird das Verbundprojekt als Leuchtturmprojekt im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative vom Bundesumweltministerium gefördert und hat bereits Nachahmer gefunden. Das Projekt liefert also nicht nur einen lokalen Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele, sondern einen bundesweiten.
Dieser Beitrag ist in der Augabe Juli/August 2020 von stadt+werk erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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