Dienstag, 24. Dezember 2024

InterviewElektrisch in Bewegung

[04.03.2019] Die Stadt Offenbach hat sich zum Ziel gesetzt, dass ihre Bürger rein elektrisch zum Arbeitsplatz oder nach Hause gelangen können. stadt+werk sprach mit Mobilitätsdezernentin Sabine Groß über Strategien zur Luftreinhaltung und neue Nahverkehrskonzepte.
Sabine Groß (Bündnis 90/Die Grünen) ist Stadträtin in Offenbach.

Sabine Groß (Bündnis 90/Die Grünen) ist Stadträtin in Offenbach.

(Bildquelle: georg-foto)

Frau Groß, auch Offenbach ist wegen nicht eingehaltener EU-Grenzwerte für saubere Luft im Fokus der Deutschen Umwelthilfe. Wie ist die Verkehrssituation in der Stadt, müssen bald Fahrverbote ausgesprochen werden?

Davon gehen wir nicht aus, auch wenn die Rechtsprechung dazu noch aussteht. Fahrverbote sollten möglichst vermieden werden und dürfen nur das letzte Mittel sein. Offenbach ist eine schnell wachsende Großstadt mit über 137.000 Einwohnern. Mit der steigenden Zahl an Menschen und Arbeitsplätzen nehmen auch die Mobilitätsanforderungen und damit die Verkehrs- und Umweltbelastungen zu. Wir haben daher eine Gesamtstrategie zur Luftreinhaltung entwickelt, bei der viele Bausteine einander ergänzen. Dazu zählt als Teilpaket auch der Masterplan Green City mit dem Schwerpunkt der Verkehrsvermeidung und -verflüssigung sowie der Elektrifizierung der einzelnen Verkehrsmodi. Wir bauen mit dieser Gesamtstrategie auf bereits bestehende Konzepte wie dem Verkehrsmanagementplan, dem Nahverkehrsplan, dem Klimaschutzkonzept oder dem Luftreinhalte- und Lärmminderungskonzept auf und erhalten dafür auch Bundesmittel.

Welche Rolle spielt dabei die Elektromobilität?

Insbesondere beim öffentlichen Nahverkehr, dessen Leistungsumfang wir gerade stark erweitert haben, setzen wir auf umweltfreundliche Elektromobilität. Hier nimmt Offenbach schon seit Jahren eine Vorreiterrolle ein. Bereits 2011 haben die Offenbacher Verkehrs-Betriebe (OVB) der Stadtwerke-Gruppe den bundesweit ersten Elektrobus im Linienbetrieb getestet. Seit dieser Zeit ergänzen auch elektrische Leihfahrzeuge wie Pedelecs und Elektroautos die klassischen Verkehrsmittel Bus und Bahn. Und aktuell beginnen wir damit, schrittweise die komplette Stadtbusflotte zu elektrifizieren. Die gesammelten Erfahrungen sowie Informationen zu Fördermöglichkeiten gibt unsere „Geschäftsstelle Elektromobilität – Projektleitstelle Bundesprojekte“ an andere Kommunen sowie Unternehmen weiter.

Offenbach nimmt als einzige deutsche Stadt am Global EV Pilot City Programm der Electric Vehicle Initiative teil. Wie kam es dazu?

Das Programm hat das Ziel, ein internationales Netzwerk aus 100 gleichgesinnten Städten aufzubauen, die in der Elektromobilität die Zukunft sehen. Offenbach ist als erste deutsche Stadt in dieses Programm aufgenommen worden, neben Großstädten wie New York, Montreal, London, Beijing oder Stockholm. Das macht uns schon ein wenig stolz. Der Kontakt kam durch die stellvertretende Leiterin unserer Projektleitstelle, Janine Mielzarek, bei einem Netzwerktreffen zustande. Das Programm der Electric Vehicle Initiative passt perfekt zu unseren Bestrebungen. International vernetzt zu sein, bringt uns voran. Viele Nachbarländer sind uns eine Nasenlänge voraus und können uns inspirieren. Doch auch wir können durch unser gewonnenes Know-how andere beraten und unterstützen. Vergangenes Jahr hatten wir mehrere Delegationen aus dem Ausland bei uns zu Gast.

„Der Schadstoffausstoß kann durch E-Busse deutlich gesenkt werden.”
Welche Ziele haben Sie sich im Rahmen der Initiative gesetzt?

Die Electric Vehicle Initiative möchte erreichen, dass bis zum Jahr 2030 rund 30 Prozent aller Fahrzeuge in den Mitgliedsstädten elektrisch angetrieben werden. Das Netzwerk soll einen Austausch von Know-how und Informationen ermöglichen, aber auch Methoden zur Aufklärung der Bevölkerung und der Politik aufzeigen. Darüber hinaus sollen die Absatzzahlen von Elektroautos und der Ausbau der Lade-Infrastruktur dokumentiert und analysiert werden. Diese Ziele verfolgen auch wir in Offenbach. Das Team unserer Projektleitstelle veranstaltet regelmäßig Treffen, bei denen hessenweit jede im Bereich der Elektromobilität aktive Kommune über ihren Entwicklungsstand berichtet und auf Probleme, Bedürfnisse und Erfolge hinweist. Diese Plattform dient dazu, Elektromobilität in allen Bereichen des Alltags weiter voranzubringen. Das ist auch auf internationaler Ebene umsetzbar. Wenn wir voneinander lernen und zusammenarbeiten, können wir unsere Umweltziele erreichen und eine konsistente elektromobile Infrastruktur aufbauen.

Mit welchen Maßnahmen soll das erreicht werden?

Wir beginnen gegenwärtig damit, unsere Busflotte bei jeder Ersatzbeschaffung auf elektrischen Antrieb umzustellen. Dank der Unterstützung des Landes Hessen können wir die ersten sieben E-Busse erwerben, die infolge des Fahrplanwechsels im Dezember 2019 eingesetzt werden sollen. Unser Ziel ist es, bis 2022 fast die Hälfte unserer Fahrzeuge elektrisch anzutreiben. Obwohl wir das Leistungsangebot unseres Stadtbusverkehrs um ein Drittel erweitern, werden wir den Schadstoffausstoß der Flotte mithilfe der E-Busse deutlich senken können. Die Stadt Offenbach und die Stadtwerke-Unternehmensgruppe sind seit 2009 im Bereich Elektromobilität engagiert. Im Jahr 2011 haben wir gemeinsam mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) die erste eMobil-Leihstation mit Pedelecs und Elektroautos in der Innenstadt in Betrieb genommen. Inzwischen konnten wir das Leihsystem zu einem Netz von sechs eMobil-Stationen ausbauen. Zusammen mit den E-Bussen werden wir eine vollständig elektrische Mobilitätskette anbieten können: Mit der S-Bahn, dem E-Bus und den Car- und Bike-Sharing-Fahrzeugen werden die Menschen in Offenbach rein elektrisch zum Arbeitsplatz oder nach Hause gelangen können.

Welche weiteren Strategien zur Luftreinhaltung gibt es?

Unsere Gesamtstrategie zur Luftreinhaltung umfasst ein ganzes Maßnahmenbündel. Neben dem Ausbau des ÖPNV mit dichteren Taktzeiten und längerem Linienbetrieb sowie der Elektrifizierung der Stadtbusflotte zählen dazu die umweltsensitive digitale Verkehrssteuerung und Verkehrsverflüssigung, eine wirkungsvollere Führung des Lkw-Verkehrs im Stadtgebiet, der Bau neuer Radverkehrsanlagen und die Verbesserung von Radverkehrsangeboten zum Beispiel durch Fahrradstraßen. Außerdem gehören dazu die Elektrifizierung des privaten und gewerblichen Autoverkehrs, der verstärkte Einsatz von E-Fahrzeugen in den Flotten der Stadtverwaltung und der Stadtwerke-Unternehmensgruppe sowie der Ausbau öffentlicher Ladestationen.

Wie ist der Stand beim Ausbau der Lade-Infrastruktur für E-Fahrzeuge?

Die Stadt Offenbach und die Stadtwerke-Gruppe wollen mit einer 2018 in Auftrag gegebenen Bedarfs- und Umsetzungsanalyse den Aufbau einer Lade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge koordiniert und zukunftsorientiert vorantreiben. #bild2 Wir stellen uns damit auf den in den kommenden Jahren zu erwartenden Markthochlauf an E-Autos und den zunehmenden Bedarf an Lademöglichkeiten im öffentlichen und halb-öffentlichen Raum ein. Die Machbarkeitsstudie soll Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und einerseits die Bestandssituation von öffentlich zugänglicher Lade-Infrastruktur in Offenbach dokumentieren, andererseits das Potenzial öffentlichen Ladens für die Zeiträume bis 2025 und darüber hinaus bis 2035 prognostizieren. Damit wird der Investitionsbedarf für die kommenden Jahre nicht nur für die Lade-Infrastruktur, sondern auch für die Leitungsinfrastruktur planbarer. Denn wir brauchen auch die Investition in den Leitungsausbau.

Wie muss ein nachhaltiges Nahverkehrskonzept für Offenbach aussehen?

Im Ballungsraum stehen wir vor der Aufgabe, den Menschen eine gute und bezahlbare Mobilität zu ermöglichen, dabei den Straßenverkehr flüssig zu halten und gleichzeitig die Schadstoffbelastung unserer Luft zu reduzieren. Wer weniger Stau und bessere Luft haben will, muss mehr Verkehr auf Bus und Bahn, auf das Fahrrad und das Zufußgehen verlagern. Dafür werden wir die Infrastruktur schaffen und ebenfalls für attraktive Mobilitätsketten sorgen. Denn zu einem zukunftsorientierten, klimaverträglichen Mobilitätskonzept gehört nicht nur ein ausgewogener Mix an Verkehrsangeboten, sondern auch eine gute Vernetzung aller Verkehrsmittel. Das heißt: Wir brauchen eine passgenaue, möglichst schadstoffarme Tür-zu-Tür-Mobilität mit intelligenten Umsteigemöglichkeiten, komfortablen Anschlüssen und individuellen Verkehrsanbindungen.

Wie können Stadtwerke dazu beitragen, dass nachhaltige Verkehrskonzepte entwickelt und umgesetzt werden?

Die Stadtwerke-Gruppe bietet öffentliche Mobilität aus einer Hand und hält jährlich rund elf Millionen Fahrgäste in Offenbach in Bewegung. Zu dem von Anja Georgi geführten Geschäftsfeld Mobilität zählen die NiO – Nahverkehr in Offenbach GmbH als ÖPNV-Aufgabenträgerorganisation und die OVB – Offenbacher Verkehrs-Betriebe GmbH als Stadtbusbetreiber sowie die Projektleitstelle Elektromobilität. Die Stadt Offenbach mit dem Amt für Umwelt, Energie und Klimaschutz und dem Amt für Stadtplanung, Verkehrs- und Baumanagement sowie die Stadtwerke verstehen sich als Vorreiter, Initiator, Vernetzer und Treiber der Verkehrswende und der Elektromobilität. Die Projektleitstelle steht in regem Kontakt mit allen Treibern der Elektromobilität in Hessen und koordiniert den Informationsaustausch. Selbst umgesetzt hat sie ein Projekt zur Integration von Elektrofahrzeugen in Unternehmensflotten. Ebenso unterstützen die Stadtwerke das von ihrer Immobilientochter OPG Offenbacher Projektentwicklungsgesellschaft gesteuerte Projekt Bike Offenbach. Hierbei geht es um die Einrichtung von Fahrradstraßen mit Vorrang für Radfahrer. Stadt und Stadtwerke sind somit in alle elektromobilen und nachhaltigen Prozesse involviert und treiben das Thema nicht nur auf lokaler Ebene voran. Die Art und Weise, wie Offenbach insbesondere Elektromobilität in das Nahverkehrssystem integriert, ist beispielhaft und kann anderen Regionen und Städten helfen, eigene Lösungen zu entwickeln.

Interview: Alexander Schaeff

Groß, SabineStadträtin Sabine Groß (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit September 2018 Dezernentin für Soziales, Integration, Wohnen und Mobilität in Offenbach. Die studierte Juristin hat zuvor das Referat Bundesrat und EU-Koordination im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung geleitet.



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