InterviewEin Gasversorger im digitalen Wandel
Herr Kusterer, im Januar 2017 hat die GasVersorgung Süddeutschland (GVS) die Energiehandelsplattform E-Point freigeschaltet. Vor welchem Hintergrund wurde das Angebot entwickelt?
Die Energiewirtschaft muss in den kommenden Jahren drei große Herausforderungen bewältigen: Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung. Die Digitalisierung wird durch branchenexterne Entwicklungen getrieben. Gleichzeitig sind die Energiemärkte liquide, das Markteintrittsrisiko neuer Marktteilnehmer ist gering, Eigenkapitalquoten und Margen verfallen. Share Economy, Tauschplattformen und die gravierenden technologiegetriebenen Veränderungen der Bankenwelt sind Vorboten des digitalen Wandels. In digitalen Geschäftsmodellen spielen die Arbeitskosten nur noch eine untergeordnete Rolle. Das hat auf alle Bereiche tiefen Einfluss, egal ob Vertrieb, Pricing, Handel oder Abrechnung. Jetzt gilt es, sich schnell entsprechend der Marktanforderungen weiterzuentwickeln. GVS ist mitten im Transformationsprozess: Der Energie-Marktplatz E-Point setzt konsequent auf digitalisierte Prozesse und erfüllt als Online-Marktplatz Kundennachfragen für Strom und Gas. Bis Juli dieses Jahres werden wir unsere Online-Aktivitäten im Bereich Business-to-Business mit der Ausschreibungsplattform Tender Direkt erweitern.
Was bietet die neue Ausschreibungsplattform?
Mit Tender Direkt etablieren wir ein Portal aus der Branche für die Branche. Dort können Stadtwerke und Industriebetriebe alle gängigen Strom- und Gasprodukte ausschreiben. Die Angebote machen Marktteilnehmer, die auch bisher schon bekannt sind. Dazu gehören auch GVS sowie Produzenten. Entscheidendes Merkmal ist die kooperative Ausrichtung, damit bei allen Beteiligten die Prozesskosten des Beschaffungsvorgangs deutlich reduziert werden können.
Zuvor waren Sie mit dem neuen Plattform-Angebot auf Roadshow. Was erwarten die Kunden?
Sie wollen schnell und unkompliziert Gas und Strom zu fairen Konditionen kaufen und verkaufen und jederzeit den Überblick über alle Geschäfte haben. Ganz nebenbei wollen sie auch noch einen Partner, mit dem man auch mal Tagesprobleme diskutieren kann. GVS teilt Wissen und Infrastruktur mit seinen Kunden und diese können an weiteren Entwicklungen partizipieren. Das honorieren die Kunden. Alle stehen vor den gleichen Herausforderungen: höherer Verwaltungsaufwand durch atomisierte Geschäfte und mehr Lieferanten, fehlende Kompensation dieser Kosten durch Einkaufsvorteile, weitere Administrationspflichten beispielsweise durch REMIT, steigende IT-Kosten durch höhere Prozessanforderungen und explodierende Transaktionsanzahlen. Bei rückläufigem Gasabsatz und zunehmendem Endkundenwettbewerb – auch durch branchenfremde Anbieter mit Endkunden wie 1 & 1 – nimmt der Fixkostendruck kontinuierlich zu.
Wie kann E-Point hier Abhilfe schaffen?
Es ist einfach, komfortabel und marktnah, kurzgesagt: wettbewerbsfähig. Wir bieten Marktpreise durch Real-time Pricing. Kosten, die wir vermeiden, vermeidet auch ein Kunde, denn diese existieren spiegelbildlich im Markt. Zusätzlich hat der Kunde jederzeit den Überblick und kann seine Verträge einfach verwalten. Die Daten sind konsistent, sofort verfügbar, es kommt zu keinen Medienbrüchen oder Fehlern wie bei händischer Eingabe.
Welche Funktionalitäten sind bereits freigeschaltet – und welche Erweiterungen dürfen E-Point-Nutzer noch erwarten?
Seit Jahresbeginn können die Standardhandelsprodukte Gas und Strom über Markt Direkt beschafft werden – und Gasfahrpläne über Gas2Go. Wir kaufen und verkaufen. Power2Go, also Stromfahrpläne, sind in der Pipeline. Beratungsleistungen und Akademie sind von Beginn an auch ohne Registrierung zugänglich. Seit Mai können Drittmengen verwaltet werden. Gas2Go werden wir unseren Kunden in Kürze als White-Label-Produkt zur Verfügung stellen. Ab Juli wird die automatische Tranchenfixierung aktiviert sein. Nicht zu vergessen: Im Juli werden wir auch mit der Ausschreibungsplattform starten.
„Digitalisierung ist alternativlos.”
Wie hebt sich Ihr Angebot von dem der Wettbewerber ab?
Wir bilden in E-Point mehr als den reinen Beschaffungsprozess ab. Der Kunde administriert seine gesamte Customer Journey – von der Vorbereitung einer Kaufentscheidung über deren Vollzug bis hin zum Reporting. Wir werden den Kunden eine Schnittstelle zwischen E-Point und der Ausschreibungsplattform geben. Alle Daten sind zwischen den Modulen austauschbar und konsistent verfügbar. Außerdem geben wir den Kunden ihre Zeitreihen für eigene Auswertungen zurück.
Was sind Ihrer Meinung nach die Faktoren für einen Erfolg von E-Point?
Ganz nah am Markt, hohe Umsetzungsgeschwindigkeit, Liquiditätsinformationen und Einbindung derjenigen mit Lust am Gestalten. Bei den Roadshows, auf der E-world und im täglichen Dialog mit Stadtwerken, Weiterverteilern und Industriekunden bekamen wir bereits eine gute Resonanz und viele Anregungen. Der Ausstieg aus den Excel-Welten macht vielen zu schaffen.
Welche Kunden haben Sie noch im Blick?
Wir werden uns intensiv um das Thema Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) kümmern. Nah- und Fernwärmesysteme, die auch über KWK-Anlagen gespeist werden, sind für die weitere Umsetzung der Energiewende wichtig. Die Optimierung dieser Anlagen und die damit verbundenen flexiblen Gaslieferverträge haben wir im Fokus.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell für den Plattformbetrieb aus?
„Kaufen, verkaufen, tauschen, teilen“ – das beschreibt in Schlagworten unseren Ansatz. E-Point hat Schnittstellen, damit Kunden eigene Programme oder Services an die Plattform andocken können. Unsere Kunden können einzelne Module für ihre Geschäftspartner unter eigenem Logo verwenden. Für Kunden sind viele Produkte kostenfrei. Andere werden, je nach Bedarf, monatlich, jährlich oder transaktionsbezogen berechnet.
Wie sehen Handel und Beschaffung von morgen mit E-Point aus, auf welche Technologien werden sie setzen?
Wir werden auf E-Point bald algorithmischen Handel sehen. Die aktuelle Marktsituation verlangt geradezu danach. Das bestätigt auch unser Marktpartner Exxeta. Die Preise für alle gängigen Strom- und Gasprodukte werden online, Neartime zur Verfügung stehen.
Welche Rolle wird die Kundenbetreuung künftig spielen und über welche Kanäle wird ein Austausch stattfinden?
Die Kundenbetreuung wird auf eine andere Ebene gehoben werden. Wir werden zu Projekt- und Beratungspartnern unserer Kunden. Qualifizierungsprozesse sind die natürliche Konsequenz. Wir wollen bewusst Wissen und Infrastruktur teilen und glauben, dass wir auf diese Weise dem Markt Impulse geben können. Im klassischen Commodity-Geschäft wird die Marge weiter schrumpfen. Wir werden drei Säulen haben: Analogen Commodity-Vertrieb, Beratung sowie Online- und Ausschreibungsplattform.
Was würde ein solcher Erfolg für die Zukunft der GasVersorgung Süddeutschland bedeuten?
Wir bewegen uns weiterhin erfolgreich im Verdrängungswettbewerb. Digitalisierung ist alternativlos.
http://www.gvs-erdgas.de
Das Interview ist im Sonderheft Juni 2017 von stadt+werk zur Digitalisierung der Energiewirtschaft erschienen. Hier können Sie ein Exemplar bestellen oder die Zeitschrift abonnieren.
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